114 II 314
57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Juni 1988 i.S. Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt gegen Kuhn (Berufung)
Regeste (de):
- Grunddienstbarkeit; Inhalt (Art. 730
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf.
1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. 2 Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 - 1. Es ist grundsätzlich zulässig, das Verbot, auf einem Grundstück ein bestimmtes Gewerbe zu betreiben, als Grunddienstbarkeit auszugestalten (Erw. 2 und 3).
- 2. Die Dienstbarkeit, wonach es untersagt ist, auf dem belasteten Grundstück eine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wird durch den blossen Verkauf von Brot und anderen Backwaren in einem Discount-Ladengeschäft nicht verletzt (Erw. 4).
Regeste (fr):
- Servitude foncière; contenu (art. 730 CC).
- 1. Il est licite en principe de constituer en servitude foncière l'interdiction d'exercer sur un fonds une activité professionnelle déterminée (consid. 2 et 3).
- 2. La servitude selon laquelle il est interdit d'exploiter sur le fonds servant une boulangerie-pâtisserie n'est pas violée par la simple vente de pain et autres articles de boulangerie dans un magasin "discount" (consid. 4).
Regesto (it):
- Servitù prediale; contenuto (art. 730 CC).
- 1. È in linea di principio consentito di costituire quale servitù prediale il divieto di esercire su di un fondo una determinata attività professionale (consid. 2 e 3).
- 2. La servitù secondo cui è vietato di esercire sul fondo serviente una panetteria-pasticceria non è violata dalla semplice vendita in un negozio "discount" di pane e di altri articoli cotti al forno (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 314
BGE 114 II 314 S. 314
Albrik Kuhn ist Eigentümer der Liegenschaft GB Wohlen Nr. 3378, Plan 30, Parzelle 3708, auf der er eine Bäckerei und Konditorei betreibt. Zugunsten seines Grundstücks und zu Lasten der Nachbarliegenschaft GB Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, wurde mit Vertrag vom 5. Januar 1982 unter anderem folgende Dienstbarkeit vereinbart, die im Grundbuch eingetragen wurde: "VI. Begründung einer Gewerbebeschränkung
Josef Stocker als Eigentümer der belasteten Parzelle 3344 räumt Albrik Kuhn als Eigentümer der berechtigten Parzelle 3708 eine
Gewerbebeschränkung ein. Danach darf auf dem belasteten Grundstück Parzelle 3344 zugunsten des berechtigten Grundstückes 3708 keine Bäckerei und Konditorei betrieben werden."
Das Grundstück Nr. 431 wurde in der Folge überbaut und alsdann durch die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt erworben. Diese vermietet im Neubau Ladenräumlichkeiten an den Lebensmittelverein Zürich, der unter der Geschäftsbezeichnung
BGE 114 II 314 S. 315
"Billi-Top-Discount" auch Brot und andere Backwaren feilhält. Mit Eingabe vom 2. Juli 1986 reichte Albrik Kuhn beim Bezirksgericht Bremgarten gegen die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt Klage ein mit dem Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verpflichten, auf dem Grundstück GB Wohlen Nr. 431, Plan 30, Parzelle 3344, jeglichen Verkauf von Bäckerei- und Konditoreiprodukten einzustellen bzw. einstellen zu lassen. Die Beklagte beantragte hierauf widerklageweise, es sei festzustellen, dass die vom Kläger angerufene Gewerbebeschränkung nicht Inhalt einer Dienstbarkeit sein könne. Mit Urteil vom 30. Oktober 1986 entschied das Bezirksgericht, dass die Klage gutgeheissen und die Widerklage abgewiesen werde. Eine von der Beklagten hiergegen eingereichte Beschwerde wies das Obergericht (1. Zivilabteilung) des Kantons Aargau am 23. März 1987 ab. Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie erneuert ihr Widerklagebegehren und verlangt demzufolge, der Eintrag der strittigen Gewerbebeschränkung im Grundbuch sei zu löschen; eventuell sei festzustellen, dass durch den Verkauf von Brot- und Backwaren im "Billi-Top-Discount" die Gewerbebeschränkung nicht verletzt werde. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Das Obergericht hält die Ausgestaltung einer Gewerbebeschränkung als Dienstbarkeit selbst dort für zulässig, wo es um ein reines Konkurrenzverbot geht. Nach Ansicht der Vorinstanz wären die Grundbuchämter überfordert, wenn sie zu unterscheiden hätten zwischen Gewerbebeschränkungen, die sich auf die Nutzung des Grundstücks auswirkten, und solchen, die ausschliesslich der Durchsetzung eines Konkurrenzverbots dienten. Ob eine Gewerbebeschränkung der Abwehr unerwünschter Immissionen diene oder sonstwie die Nutzung des belasteten Grundstücks betreffe, hange im Einzelfall stark von den örtlichen Gegebenheiten wie etwa der bisherigen Nutzung sowie den im fraglichen Gebiet geltenden Bau-, Immissions- und Nutzungsvorschriften ab; zudem könnte im Dienstbarkeitsvertrag die Abwehr von Immissionen als Zweck lediglich vorgespiegelt werden. Die Vorinstanz
BGE 114 II 314 S. 316
gelangte ferner zum Schluss, dass die strittige Gewerbebeschränkung nicht nur den Betrieb eines herkömmlichen Bäckerei- und Konditoreigeschäfts erfasse, sondern als generelles Verbot, Backwaren zu verkaufen, zu verstehen sei.
3. a) In BGE
86 II 243 ff. hatte das Bundesgericht über eine Grunddienstbarkeit zu befinden, wonach auf der belasteten Liegenschaft "weder ein Kolonial-, Mercerie- und Schuhwarengeschäft, noch ein Warenhaus betrieben werden" durfte. Es hielt fest, dass Dienstbarkeiten, die dem Eigentümer des belasteten Grundstücks eine Betätigung untersagten, zu der er nicht bloss kraft seines Grundeigentums, sondern kraft der jedermann zustehenden persönlichen Freiheit befugt wäre, einschränkend auszulegen seien; es frage sich sogar, ob eine solche einzig im Sinne eines Konkurrenzverbots vereinbarte Gewerbebeschränkung sich überhaupt als Grunddienstbarkeit verdinglichen lasse. Unter Hinweis auf die herrschende Lehre und auf den Umstand, dass Dienstbarkeiten der fraglichen Art in der Schweiz eine geradezu gewohnheitsrechtliche Bedeutung erlangt hätten, erklärte das Bundesgericht, die Schranken von Art. 730 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
b) Der Entscheid des Bundesgerichts stiess namentlich bei LIVER auf heftige Kritik (vgl. ZBJV 97/1961, S. 380 ff.; dazu auch Kommentar, N. 135 f. zu Art. 730
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
BGE 114 II 314 S. 317
diesem Gesichtspunkt nicht auf das berechtigte, sondern auf das belastete Grundstück an. Die Auffassung LIVERS wird in der übrigen Literatur insofern geteilt, als dem Grundsatze nach einhellig davon ausgegangen wird, dass die als Grunddienstbarkeit ausgestaltete Gewerbebeschränkung einer Beschränkung der Eigentümerbefugnisse auf seiten des belasteten Grundstücks gleichkommen müsse (vgl. HUBER, in: ZBGR 33/1952, S. 150 f., und ZBGR 41/1960, S. 380 f.; EGGEN, in: ZBGR 39/1958, S. 136; PIOTET, Dienstbarkeiten und Grundlasten, in: Schweizerisches Privatrecht, Band V/1, S. 551; REY, N. 85 ff. zu Art. 730
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
BGE 114 II 314 S. 318
die Zulässigkeit einer Dienstbarkeit beurteilt sich nicht nach dem Motiv, sondern einzig nach dem Inhalt. d) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Verpflichtung, auf einem bestimmten Grundstück keine Bäckerei und Konditorei zu betreiben, wie sie hier strittig ist, grundsätzlich ebensogut Gegenstand einer Dienstbarkeit sein kann wie etwa das Verbot, eine Gastwirtschaft zu führen (das auch von LIVER, N. 131 zu Art. 730
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
|
1 | Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. |
2 | Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 |
4. Die zugunsten des klägerischen Grundstücks eingetragene Dienstbarkeit steht indessen einem Ladengeschäft, wie es vom Mieter der Beklagten betrieben wird, auch nach Ansicht des Klägers nicht entgegen. Ob in einem solchen Geschäft Esswaren, Tranksame oder etwa Papeterieartikel oder Kleider verkauft werden, hat in aller Regel keinen wesentlichen Einfluss auf den Charakter des betreffenden Grundstücks. Mit einer als Dienstbarkeit ausgestalteten Gewerbebeschränkung kann deshalb grundsätzlich nicht bestimmt werden, was im Ladengeschäft soll feilgeboten werden dürfen. Gründe, die zu einem andern Schluss führen würden, sind hier nicht ersichtlich. Zur Einschränkung des Warensortiments bedürfte es einer schuldrechtlichen Verpflichtung, wobei mit einem Konkurrenzverbot dieser Art freilich den Schranken von Art. 27
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 27 - 1 Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
|
1 | Auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit kann niemand ganz oder zum Teil verzichten. |
2 | Niemand kann sich seiner Freiheit entäussern oder sich in ihrem Gebrauch in einem das Recht oder die Sittlichkeit verletzenden Grade beschränken. |