114 II 13
3. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juni 1988 i.S. X. gegen X. (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Scheidungsprozesses (Art. 145 ZGB).
- Auswirkungen der neuen Bestimmungen betreffend die Wirkungen der Ehe im allgemeinen (Art. 159 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 159 - 1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden.
1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. 2 Sie verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen. 3 Sie schulden einander Treue und Beistand.
Regeste (fr):
- Mesures provisoires pour la durée du procès en divorce (art. 145 CC).
- Conséquences des nouvelles dispositions concernant les effets généraux du mariage (art. 159 ss CC) quant à des contributions d'entretien qui avaient été accordées à la femme avant le 1er janvier 1988 pour la durée du procès en divorce: modification sous le nouveau droit de mesures provisoires ordonnées sous l'ancien droit.
Regesto (it):
- Misure provvisionali per la durata del processo di divorzio (art. 145 CC).
- Conseguenze delle nuove disposizioni relative agli effetti del matrimonio in generale (art. 159 segg. CC) sui contributi alimentari assegnati alla moglie in epoca anteriore al 1o gennaio 1988 per la durata del processo di divorzio: modificazione secondo il nuovo diritto di misure provvisionali ordinate sotto il vecchio diritto.
Sachverhalt ab Seite 13
BGE 114 II 13 S. 13
A.- A. und B. X. stehen in Scheidung. Durch Verfügung vom 10. September 1987 ordnete das Bezirksgerichtspräsidium gestützt auf Art. 145 ZGB vorsorgliche Massnahmen an: Der am 23. Juni 1972 geborene Sohn wurde unter die Obhut der Mutter gestellt, und den beiden wurde das zuvor von der ganzen Familie bewohnte Einfamilienhaus zur Benutzung zugewiesen. A. X. wurde verpflichtet, an den Unterhalt des Sohnes einen monatlichen Beitrag
BGE 114 II 13 S. 14
von Fr. 750.-- (nebst Kinderzulagen) und an denjenigen der Ehefrau (einschliesslich Kosten für das Haus) einen solchen von Fr. 3'800.-- zu leisten. Durch Beschwerdeentscheid vom 2. November 1987 schützte die Rekurs-Kommission des Obergerichts die Massnahmenverfügung.
B.- Mit Eingabe vom 4. Januar 1988 beantragte A. X. beim Bezirksgerichtspräsidium die Herabsetzung des der Ehefrau zugesprochenen Unterhaltsbeitrages auf Fr. 2'050.-- im Monat, und zwar mit Wirkung ab 1. Januar 1988 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Eherechts). Das Abänderungsbegehren wurde durch Verfügung des Bezirksgerichtspräsidiums vom 22. Januar 1988 und durch Beschluss der Rekurs-Kommission des Obergerichts vom 29. Februar 1988 abgewiesen.
C.- Den zweitinstanzlichen Entscheid hat A. X. beim Bundesgericht mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden Erwägungen:
1. Die Rekurs-Kommission hält vorab dafür, es könne kaum die Meinung des Gesetzgebers gewesen sein, dass ein Ehegatte allein unter Berufung auf das Inkrafttreten der neuen Bestimmungen betreffend die Wirkungen der Ehe im allgemeinen (Art. 159 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 159 - 1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. |
|
1 | Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. |
2 | Sie verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen. |
3 | Sie schulden einander Treue und Beistand. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
2. Gemäss Art. 8 Abs. 1
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 114 II 13 S. 15
Ehe im allgemeinen, mithin ebenso für den Eheschutz wie für die für die Dauer des Scheidungsprozesses anzuordnenden vorsorglichen Massnahmen. Seit dem 1. Januar 1988 hat der Richter in den entsprechenden Verfahren (Art. 171 ff
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 171 - Die Kantone sorgen dafür, dass sich die Ehegatten bei Eheschwierigkeiten gemeinsam oder einzeln an Ehe- oder Familienberatungsstellen wenden können. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
|
1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
3. Der neue Art. 163
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
|
1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
BGE 114 II 13 S. 16
aber in dem Sinne eine Änderung gebracht, dass keine bestimmte Aufgabenteilung mehr vorgesehen ist. Die Ehefrau hat somit keinen gesetzlichen Anspruch mehr, ihren Beitrag durch die Führung des Haushalts zu leisten und von einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich befreit zu sein. Es ist nach dem neuen Recht ausdrücklich den Ehegatten überlassen, sich über die Rollenverteilung sowie über Art und Umfang ihrer Beiträge an den gemeinsamen Unterhalt zu einigen (Art. 163 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 163 - 1 Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
|
1 | Die Ehegatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der Familie. |
2 | Sie verständigen sich über den Beitrag, den jeder von ihnen leistet, namentlich durch Geldzahlungen, Besorgen des Haushaltes, Betreuen der Kinder oder durch Mithilfe im Beruf oder Gewerbe des andern. |
3 | Dabei berücksichtigen sie die Bedürfnisse der ehelichen Gemeinschaft und ihre persönlichen Umstände. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 173 - 1 Auf Begehren eines Ehegatten setzt das Gericht die Geldbeiträge an den Unterhalt der Familie fest. |
|
1 | Auf Begehren eines Ehegatten setzt das Gericht die Geldbeiträge an den Unterhalt der Familie fest. |
2 | Ebenso setzt es auf Begehren eines Ehegatten den Betrag für den Ehegatten fest, der den Haushalt besorgt, die Kinder betreut oder dem andern im Beruf oder Gewerbe hilft. |
3 | Die Leistungen können für die Zukunft und für das Jahr vor Einreichung des Begehrens gefordert werden. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 172 - 1 Erfüllt ein Ehegatte seine Pflichten gegenüber der Familie nicht oder sind die Ehegatten in einer für die eheliche Gemeinschaft wichtigen Angelegenheit uneinig, so können sie gemeinsam oder einzeln das Gericht um Vermittlung anrufen. |
|
1 | Erfüllt ein Ehegatte seine Pflichten gegenüber der Familie nicht oder sind die Ehegatten in einer für die eheliche Gemeinschaft wichtigen Angelegenheit uneinig, so können sie gemeinsam oder einzeln das Gericht um Vermittlung anrufen. |
2 | Das Gericht mahnt die Ehegatten an ihre Pflichten und versucht, sie zu versöhnen; es kann mit ihrem Einverständnis Sachverständige beiziehen oder sie an eine Ehe- oder Familienberatungsstelle weisen. |
3 | Wenn nötig, trifft das Gericht auf Begehren eines Ehegatten die vom Gesetz vorgesehenen Massnahmen. Die Bestimmung über den Schutz der Persönlichkeit gegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen ist sinngemäss anwendbar.224 |
4. Widersetzt sich ein Ehegatte dem Wunsch seines Partners, die Aufgabenteilung in der Ehe neu zu gestalten, so fragt sich, ob und allenfalls unter welchen Bedingungen ihm eine Änderung dennoch zugemutet werden kann. Von Bedeutung ist dabei zunächst, inwiefern ein Ehegatte gemäss dem Grundsatz von Treu und Glauben berechtigterweise habe darauf vertrauen können, dass die Ehe - insbesondere nach langer Dauer - wie gelebt weiterbestehe. Die Verwirklichung des Änderungswunsches seines Partners hat ein Ehegatte in der Regel nur dann hinzunehmen, wenn er dadurch keinen allzu gewichtigen, d.h. keinen unzumutbaren, Nachteil erleidet, es sei denn, es liege ein dem persönlichen Interesse übergeordneter wichtiger Grund vor (vgl. HAUSHEER, Neuere Tendenzen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Bereiche der Ehescheidung, in: ZBJV 122/1986, S. 70; HEGNAUER und REUSSER, in: Hausheer (Hrsg.), Vom alten zum neuen Eherecht, S. 14 bzw. 138). Wird eine Änderung beispielsweise wegen einer dauernden Krankheit oder Invalidität angestrebt, scheitert
BGE 114 II 13 S. 17
der Widerstand des sich widersetzenden Ehegatten schon an der Beistandspflicht gemäss Art. 159
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 159 - 1 Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. |
|
1 | Durch die Trauung werden die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. |
2 | Sie verpflichten sich gegenseitig, das Wohl der Gemeinschaft in einträchtigem Zusammenwirken zu wahren und für die Kinder gemeinsam zu sorgen. |
3 | Sie schulden einander Treue und Beistand. |
5. Die Auflösung des gemeinsamen Haushaltes im Zusammenhang mit dem Scheidungsprozess lässt regelmässig den Aufwand für den Lebensunterhalt der Familie ansteigen. An die Mehrkosten haben - unabhängig von den Hintergründen der Scheidungsklage - grundsätzlich beide Ehegatten, ein jeder nach seinen Kräften, beizutragen. Für denjenigen, der während der Dauer des Zusammenlebens nicht oder nur in sehr beschränktem Masse erwerbstätig war, kann dies unter Umständen heissen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen bzw. ausdehnen zu müssen. Ob letzteres als zumutbar erscheint, beurteilt sich auch hier nach den Umständen der betreffenden Ehe. Wie die obergerichtliche Rekurs-Kommission zu Recht festhält, darf einer Ehefrau vor allem nach längerer Ehe nicht leichthin zugemutet werden, einem eigenen Arbeitserwerb nachzugehen, wenn das Einkommen des Ehemannes bis anhin zur Bestreitung der Kosten des (gemeinsamen) Haushaltes ohne weiteres ausreichte und auch die Mehrkosten zu decken vermag. Wo die Pflicht zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich bejaht wird, ist der Ehefrau zumindest eine angemessene Frist zur Umstellung einzuräumen. Indem die Rekurs-Kommission unter Hinweis auf das überdurchschnittliche Einkommen des Beschwerdeführers (netto rund Fr. 8'500.-- im Monat), auf die Dauer der im August 1968 geschlossenen Ehe der Parteien (während welcher die Beschwerdegegnerin zum weitaus überwiegenden Teil keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen war) und auf die Beanspruchung durch die Betreuung des 1972 geborenen Sohnes zum Schluss gelangte, der Beschwerdegegnerin könne - jedenfalls zur Zeit - nicht zugemutet werden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und auf diesem Wege an ihre finanziellen Bedürfnisse beizutragen, hat sie nicht gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
6. Durch die von der obergerichtlichen Rekurs-Kommission am 2. November 1987 geschützte Verfügung des Bezirksgerichtspräsidiums ... vom 10. September 1987 wurde das Einfamilienhaus der Parteien für die Dauer des Scheidungsprozesses der Beschwerdegegnerin und dem Sohn ... zur Benutzung zugewiesen. Diese Massnahme steht im Einklang mit der feststehenden Praxis, von der abzuweichen das neue Eherecht keinen Anlass bietet. Danach ist die eheliche Wohnung grundsätzlich demjenigen Ehegatten
BGE 114 II 13 S. 18
zuzuteilen, dem sie - hier vor allem im Hinblick auf die Kinderbetreuung - grösseren Nutzen bringt (vgl. BÜHLER/SPÜHLER, N. 83 ff. zu Art. 145 ZGB). Dass im Massnahmenentscheid vom 10. September 1987 der Zuweisung des Hauses an die Beschwerdegegnerin auch insofern Rechnung getragen wurde, als der Aufwand für das Haus (Hypothekarzins, Abgaben, Unterhalt) in die vom Beschwerdeführer zu entrichtenden Unterhaltsbeiträge eingerechnet wurde, ist ebensowenig zu beanstanden. Der angefochtene Entscheid verstösst mithin auch insofern nicht gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |