Urteilskopf

114 Ia 84

13. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20. April 1988 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft und Obergericht (I. Strafkammer) des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 85

BGE 114 Ia 84 S. 85

S. befindet sich seit längerer Zeit im Kanton Zürich in Haft. Am 29. Januar 1987 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen S. wegen verschiedener Delikte Anklage. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich führte am 14. Januar 1988 die Hauptverhandlung durch; wegen Fernbleibens des Angeklagten S. verschob sie die Beratung. Am 12. Februar 1988 ersuchte S. um Entlassung aus der Haft. Das Obergericht holte von der Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme ein. Mit Beschluss vom 24. März 1988 wies die I. Strafkammer des Obergerichts das Haftentlassungsgesuch ab. Gegen diesen Entscheid reichte S. beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein und beantragt dessen Aufhebung. Gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit sowie Art. 5 Ziff. 3
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
und Ziff. 4 EMRK rügt er zum einen die Aufrechterhaltung der Haft und die Dauer des Haftentlassungsverfahrens. Im Eventualstandpunkt macht er zum andern geltend, es verstosse gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV und Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK, dass er zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft nicht habe Stellung nehmen können.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde im Eventualpunkt gut, ohne zu den andern Rügen Stellung zu nehmen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. (...) Den Eventualantrag, die Sache sei an das Obergericht zur neuen Beurteilung zurückzuweisen, begründet der Beschwerdeführer damit, die kantonale Instanz habe seinen Anspruch auf ein kontradiktorisches Verfahren (Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK) sowie denjenigen auf rechtliches Gehör (Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV) verletzt, weil sie ihm keine Gelegenheit gegeben habe, zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft Stellung zu nehmen. Diese formelle Rüge ist vorab zu behandeln, denn sollte sie sich als begründet erweisen, so müsste
BGE 114 Ia 84 S. 86

der angefochtene Entscheid aufgehoben werden, ohne dass auf die anderen Vorwürfe einzugehen wäre.
3. Gemäss Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK hat jedermann, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen wird, das Recht, ein Verfahren zu beantragen, in dem von einem Gericht raschmöglichst über die Rechtmässigkeit der Haft entschieden und im Falle der Widerrechtlichkeit seine Entlassung angeordnet wird. Der Beschwerdeführer macht geltend, aufgrund dieser Vorschrift habe er einen Anspruch darauf gehabt, zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft vom 4. März 1988 "in einer schriftlichen oder mündlichen Replik" Stellung zu nehmen, und zwar unbekümmert darum, ob der Staatsanwalt in seiner Antwort zum Haftentlassungsgesuch neue Tatsachen oder auch nur Argumente vorgebracht habe, zu denen er - der Beschwerdeführer - sich noch nicht habe äussern können. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 21. Oktober 1986 i.S. Sanchez-Reisse gegen die Schweiz. Die kantonale Instanz habe demnach Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK verletzt, indem sie ihm kein Replikrecht zur Vernehmlassung des Staatsanwaltes eingeräumt, sondern ihm diese erst mit dem angefochtenen Entscheid zugestellt habe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im erwähnten Urteil vom 21. Oktober 1986 festgestellt, die Schweiz habe Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK verletzt, weil über ein Haftentlassungsgesuch in einem Verfahren entschieden worden sei, das dem von der EMRK geforderten Mass an kontradiktorischer Ausgestaltung nicht entsprochen habe (Urteil Sanchez-Reisse, Publications de la Cour européenne des droits de l'homme, Série A, vol. 107, S. 19 Ziff. 51, S. 20 Ziff. 52 u. S. 23). Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der argentinische Staatsangehörige Sanchez-Reisse war im März 1981 in der Schweiz auf ein Ersuchen der Republik Argentinien hin in Auslieferungshaft genommen worden. Er wandte sich im Januar und Mai 1982 mit Haftentlassungsbegehren an das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP). Dieses leitete die Gesuche an das Bundesgericht zum Entscheid weiter. Im einen Fall nahm das BAP zum Gesuch unaufgefordert Stellung, im anderen erstattete es eine Vernehmlassung. Das Bundesgericht wies die Begehren ab, ohne dass es zuvor dem Gesuchsteller Sanchez-Reisse die Stellungnahmen des BAP zur Replik unterbreitet hatte. Der Europäische Gerichtshof erachtete ein solches Vorgehen als mit Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK unvereinbar. Er führte aus, aufgrund dieser Vorschrift habe Sanchez-Reisse einen Anspruch
BGE 114 Ia 84 S. 87

auf ein kontradiktorisches Verfahren gehabt, und um dieser Verfahrensgarantie zu entsprechen, hätte dem Gesuchsteller Gelegenheit gegeben werden müssen, zu den Vernehmlassungen des BAP Stellung zu nehmen, sei es mündlich an einer Verhandlung, sei es durch eine schriftliche Eingabe. Wohl habe Sanchez-Reisse bereits in seinen Haftentlassungsbegehren dargelegt, aus welchen Gründen er die Freilassung verlange. Damit sei aber dem Erfordernis der Waffengleichheit nicht ausreichend Rechnung getragen worden, denn das BAP habe in seiner Stellungnahme tatsächliche oder rechtliche Argumente vorbringen können, die "Reaktionen, Kritik oder sogar Fragen" des Gesuchstellers hätten auslösen können, und mit Rücksicht darauf wäre es nach Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK notwendig gewesen, ihm ein Replikrecht einzuräumen (Urteil Sanchez-Reisse, S. 19 Ziff. 51). Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, ergibt sich aus diesen Erwägungen des Europäischen Gerichtshofes, dass die EMRK dem Angeschuldigten im Verfahren betreffend Prüfung eines Gesuches um Entlassung aus der Untersuchungs-, Sicherheits- oder Auslieferungshaft ein weitergehendes Replikrecht einräumt, als ihm aufgrund von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV gewährt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu dieser Verfassungsbestimmung besteht ein Anspruch auf Replik nur dann, wenn die Strafverfolgungsbehörde in ihrer Vernehmlassung neue erhebliche Gesichtspunkte geltend macht, zu denen der Angeschuldigte noch keine Stellung nehmen konnte (BGE 111 Ia 3 mit Hinweisen). Demgegenüber muss ihm aufgrund von Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK nach dem erwähnten Urteil des Europäischen Gerichtshofes Gelegenheit gegeben werden, zu jeder Vernehmlassung zu replizieren, unbekümmert darum, ob die Behörde neue Tatsachen vorbrachte oder nicht (vgl. dazu die abweichenden Meinungen der beiden in der Minderheit gebliebenen Richter, Frau Bindschedler-Robert und Herr Pinheiro Farinha, Urteil Sanchez-Reisse, S. 24-26). Wenn aus dieser Vorschrift ein solcher allgemein geltender Anspruch auf Replik im Haftprüfungsverfahren abgeleitet wird, könnte das zu einer Verzögerung des Verfahrens führen und somit dem in der gleichen Vorschrift garantierten Anspruch auf einen möglichst raschen Entscheid widersprechen (vgl. das Votum der Richterin Frau Bindschedler-Robert, Urteil Sanchez-Reisse, S. 24 f.). Der Europäische Gerichtshof war sich hierüber im klaren. Er hat das in Kauf genommen und im dargelegten Sinn entschieden.
BGE 114 Ia 84 S. 88

Das Bundesgericht erachtet es als geboten, dieser sehr strengen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu folgen. Das bedeutet für den zu beurteilenden Fall, dass das Obergericht dem Beschwerdeführer hätte Gelegenheit geben müssen, zur Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft vom 4. März 1988 Stellung zu nehmen. Weil es das unterliess, hat es das dem Beschwerdeführer aufgrund von Art. 5 Ziff. 4
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 5 Recht auf Freiheit und Sicherheit - (1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
a  rechtmässiger Freiheitsentzug nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;
b  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug wegen Nichtbefolgung einer rechtmässigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;
c  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern;
d  rechtmässiger Freiheitsentzug bei Minderjährigen zum Zweck überwachter Erziehung oder zur Vorführung vor die zuständige Behörde;
e  rechtmässiger Freiheitsentzug mit dem Ziel, eine Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;
f  rechtmässige Festnahme oder rechtmässiger Freiheitsentzug zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.
EMRK zustehende Replikrecht verletzt. Bei dieser Sachlage braucht nicht geprüft zu werden, ob der Beschwerdeführer auch nach Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV Anspruch auf Replik gehabt hätte, was er behauptet, indem er geltend macht, in der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft seien neue Elemente angeführt worden. Die staatsrechtliche Beschwerde ist wegen des erwähnten Verfahrensmangels gutzuheissen und der angefochtene Beschluss des Obergerichts vom 24. März 1988 aufzuheben, unbekümmert darum, ob das Gericht nach Gewährung des Replikrechts zu einem andern Ergebnis kommt.
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Document : 114 IA 84
Date : 20. April 1988
Published : 31. Dezember 1988
Source : Bundesgericht
Status : 114 IA 84
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Art. 5 Ziff. 4 EMRK; Anspruch auf Replik im Haftentlassungsverfahren. Der Beschuldigte hat Anspruch darauf, sich im Verfahren,


Legislation register
BV: 4
EMRK: 5
BGE-register
111-IA-2 • 114-IA-84
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counterplea • federal court • appeal relating to public law • petitioner • hamlet • european court of human rights • contradictory proceeding • public prosecutor • accused • extraditional custody • duration • meadow • statement of affairs • decision • request to an authority • federal office of police • comment of the authority • request for juridical assistance • judicial agency • foreigner's release from custody
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