Urteilskopf

113 IV 29

9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. März 1987 i.S. B. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 29

BGE 113 IV 29 S. 29

A.- Frau A. besuchte am 23. März 1985 mit Bewilligung des Untersuchungsrichters ihren im Polizeigefängnis Bern in Haft
BGE 113 IV 29 S. 30

befindlichen Neffen. B., Polizeikorporal und Gefangenenwärter, hatte zusammen mit einem weiteren Polizisten den Besuch zu überwachen. Erbost über gewisse ihrer Äusserungen, forderte B. Frau A. nach 3-4 Min. auf, den Besuch zu beenden. Als sie der Weisung nicht nachkam, beförderte er sie aus der Zelle. Frau A. erlitt Hautunterblutungen an der Schulter und am linken Oberarm. Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte B. am 4. November 1986 wegen Tätlichkeiten und Amtsmissbrauchs zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 14 Tagen.
B.- B. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Amtsmissbrauchs aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen. Die Beschwerde wird abgewiesen.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 312
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 312 - Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Der hinsichtlich der Tathandlung sehr allgemein umschriebene Straftatbestand ist einschränkend dahin auszulegen, dass nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht, welcher die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen dürfte (BGE 108 IV 49 E. 1 mit Hinweisen). Er umfasst demnach nicht sämtliche pflichtwidrigen Handlungen, die ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter bei Gelegenheit der Erfüllung seiner Pflichten ausführt; ihm sind vielmehr nur solche unzulässigen Verfügungen und Massnahmen unterstellt, die er kraft seines Amtes, in Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt trifft (BGE 108 IV 50 E. 2a). Diese Voraussetzung ist auch dann gegeben, wenn der Beamte zwar legitime Ziele verfolgt, aber zur Erreichung derselben in unverhältnismässiger Weise Gewalt anwendet (BGE 104 IV 23 E. 2). Dieser der herrschenden Lehre entsprechenden Auffassung hat sich STRATENWERTH, der anfänglich die gegenteilige Meinung vertrat, angeschlossen (STRATENWERTH, Besonderer Teil II, 3. Aufl., S. 334 N. 10).
2. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe in Ausübung des Hausrechts, nicht in Anwendung der ihm als Amtsträger zustehenden hoheitlichen Gewalt gehandelt, ist unbegründet. Nach
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seiner eigenen Darstellung hatte er als Polizeiorgan und Gefangenenwärter den Besuch der Frau A. zu überwachen, beträgt die normale Besuchsdauer 20 Min., liegt es in seiner Kompetenz zu entscheiden, aus welchen Gründen der Besuch vorzeitig beendet wird, und brach er diesen bereits nach 3 bis 4 Min. ab; er war darüber erbost, dass Frau A. den Boden der Zelle als dreckig bezeichnet hatte. Diese unwidersprochenen Aussagen zeigen eindeutig, dass der Beschwerdeführer den Besuch kraft der ihm als Überwacher zustehenden Hoheitsgewalt beendete; als Inhaber des Hausrechts hätte er eine dahingehende Anordnung überhaupt nicht treffen können. Die gewaltsame Entfernung von Frau A. aus der Besucherzelle diente sodann ausschliesslich der Durchsetzung des verfügten Besuchsabbruchs, dem sich jene unter Hinweis auf die erteilte Besuchsbewilligung nicht freiwillig unterziehen wollte. In Ausübung des Hausrechts konnte der Beschwerdeführer unter den gegebenen Umständen zudem rechtmässig gar nicht tätig werden. Er hatte das vorzeitige Besuchsende aus unsachlichen, eine solche Massnahme nicht rechtfertigenden Gründen angeordnet, also bereits insoweit seine Amtsgewalt objektiv missbraucht. Frau A. verharrte daraufhin zwar wider seinen Willen, nicht aber unrechtmässig in der Besucherzelle; denn die erteilte Bewilligung, die ihr Anspruch auf einen Besuch von 20 Min. Dauer gab, war angesichts des missbräuchlich verfügten Besuchsabbruchs nach wie vor rechtswirksam (BGE 90 IV 78 E. c und BGE 83 IV 157 E. 1; vgl. PETRZILKA, Zürcher Erläuterungen zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, S. 248; NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, S. 87; für das Deutsche Recht: SCHÖNKE/SCHRÖDER, Strafgesetzbuch, Kommentar, N. 32 ff. zu § 123). Hausfriedensbruch gemäss Art. 186
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB und damit zulässige Abwehr eines solchen setzt aber voraus, dass jemand nicht nur gegen den Willen des Berechtigten, sondern zudem auch unrechtmässig in einem abgeschlossenen Raum verweilt (BGE 90 IV 78 E. c und BGE 83 IV 157 E. 1; THORMANN/OVERBECK, N. 14 zu Art. 186
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB; HAFTER, Besonderer Teil I, S. 113; LOGOZ, Besonderer Teil I, N. 4a und N. 5 zu Art. 186
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB; STRATENWERTH, Besonderer Teil I, S. 114, N. 82). Der Beschwerdeführer hat entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift anlässlich seiner Einvernahmen zur Sache nie behauptet, in der Meinung oder mit dem Willen tätig geworden zu sein, das Hausrecht durchzusetzen. Dass er mit dem körperlichen Angriff auf Frau A. und dessen Folgen das Gebot der Verhältnismässigkeit verletzte, das er als Amtsträger unter allen Umständen
BGE 113 IV 29 S. 32

zu wahren verpflichtet blieb, und jedenfalls darin ein Amtsmissbrauch liegt, kann nach dem vorstehend Ausgeführten nicht zweifelhaft sein. Der Beschwerdeführer wendete nicht bloss überschiessende Mittel an, wie er vorgibt, sondern verfolgte zudem illegitime Ziele.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 113 IV 29
Datum : 20. März 1987
Publiziert : 31. Dezember 1987
Quelle : Bundesgericht
Status : 113 IV 29
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 312 StGB. Amtsmissbrauch durch unrechtmässigen und mit unverhältnismässigen Mitteln durchgesetzten Abbruch eines Gefängnisbesuches.


Gesetzesregister
StGB: 186 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 186 - Wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus, in eine Wohnung, in einen abgeschlossenen Raum eines Hauses oder in einen unmittelbar zu einem Hause gehörenden umfriedeten Platz, Hof oder Garten oder in einen Werkplatz unrechtmässig eindringt oder, trotz der Aufforderung eines Berechtigten, sich zu entfernen, darin verweilt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
312
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 312 - Mitglieder einer Behörde oder Beamte, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BGE Register
104-IV-22 • 108-IV-48 • 113-IV-29 • 83-IV-154 • 90-IV-74
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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