113 II 374
65. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. September 1987 i.S. X. gegen X. (Berufung)
Regeste (de):
- Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber einem mündigen Kind, das noch in der Ausbildung steht (Art. 276
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 276 - 1 Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.355
1 Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.355 2 Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen.356 3 Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten. SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359
1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 2 Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 - Die Unterhaltspflicht für ein mündiges Kind, das sich noch in Ausbildung befindet, muss für die Eltern nach den gesamten Umständen und damit auch in persönlicher Hinsicht zumutbar sein. Dies ist zu verneinen, wenn zwischen den Eltern und dem Kind keine Beziehungen bestehen, weil sich dieses schuldhaft der Erfüllung seiner familienrechtlichen Pflichten entzieht (E. 2).
- Beharrt ein Kind auch nach Eintritt der Mündigkeit auf seiner seit der Scheidung der Eltern geäusserten Ablehnung des nicht obhutsberechtigten Elternteils, obwohl sich dieser ihm gegenüber korrekt verhalten hat, so gereicht dem Kind diese unnachgiebige Haltung zum Verschulden (E. 4).
Regeste (fr):
- Obligation d'entretien des parents envers un enfant majeur qui n'a pas achevé sa formation (art. 276 et 277 CC).
- Pour qu'on puisse raisonnablement exiger des parents qu'ils continuent à subvenir à l'entretien d'un enfant qui n'a pas achevé sa formation à sa majorité, il faut examiner l'ensemble des circonstances, partant également les relations personnelles. On niera l'existence d'une telle obligation quand il n'y a plus de rapports entre parents et enfant, parce que celui-ci se soustrait de manière coupable à l'accomplissement des devoirs qui lui incombent en vertu du droit de la famille (consid. 2).
- Si un enfant persiste, après être devenu majeur, dans l'attitude de rejet qu'il avait adoptée, lors du divorce de ses parents, envers le parent qui n'avait pas la garde, bien que celui-ci se soit comporté correctement envers lui, cette attitude inflexible lui est imputable à faute (consid. 4).
Regesto (it):
- Obbligo dei genitori di mantenere un figlio maggiorenne che non ha ancora ultimato la propria formazione (art. 276 e 277 CC).
- Perché possa ragionevolmente pretendersi che i genitori continuino a provvedere al mantenimento di un figlio che non ha ancora ultimato la propria formazione, occorre esaminare l'insieme delle circostanze e quindi anche le relazioni personali. Va negata l'esistenza di tale obbligo ove non sussistano più relazioni tra i genitori e il figlio, per essersi quest'ultimo sottratto in modo colpevole ai doveri che gli incombono in virtù del diritto della famiglia (consid. 2).
- Se, divenuto maggiorenne, un figlio continua a mantenere l'attitudine di rigetto, adottata in occasione del divorzio dei genitori, nei confronti del genitore che non ne aveva la custodia, pur essendosi quest'ultimo comportato correttamente nei suoi riguardi, tale attitudine inflessibile va ascritta a sua colpa (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 375
BGE 113 II 374 S. 375
A.- D. X. wurde im Jahre 1964 als Tochter von T. und F. X. geboren. Bei der Scheidung der Ehe ihrer Eltern am 30. Oktober 1979 wurde sie ihrer Mutter zugesprochen, bei der sie seither lebt. Der Vater wurde verpflichtet, an den Unterhalt der Tochter bis zu deren vollendetem 20. Altersjahr monatliche indexierte Beiträge von Fr. 625.-- zuzüglich Kinderzulage zu bezahlen, wobei Art. 277 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
Die im Zeitpunkt der Scheidung ihrer Eltern fast 15jährige D. X. erklärte ihrem Vater brieflich, dass sie sich voll auf die Seite ihrer Mutter stelle, und brach in der Folge jeden Kontakt zu ihm ab. Persönliche Beziehungen zwischen Vater und Tochter bestanden daher seit der Scheidung keine mehr. Nach der obligatorischen Schulzeit besuchte D. X. während dreier Jahre eine Mittelschule, die sie mit dem Diplom abschloss. Anschliessend absolvierte sie ein viermonatiges Spitalpraktikum und bestand im Herbst 1983 die Aufnahmeprüfung der Schule für Physiotherapie. Im Frühjahr 1984 trat sie in diese Schule ein.
BGE 113 II 374 S. 376
B.- Da T. X. Ende 1984 seine Unterhaltsleistungen für seine Tochter eingestellt hatte, reichte diese am 25. Juli 1985 gegen ihren Vater Klage mit dem Begehren auf Weiterzahlung von Unterhaltsbeiträgen gemäss Art. 277 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
Der Beklagte focht dieses Urteil mit einer Appellation beim Obergericht an, die am 29. Januar 1987 abgewiesen wurde.
C.- Mit Berufung an das Bundesgericht beantragt der Beklagte, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen, eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Klage ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 277 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
BGE 113 II 374 S. 377
gesetzlichen Unterhaltspflicht allerdings nur entziehen, wenn das erwachsene Kind schuldhaft seinen Pflichten der Familie gegenüber nicht nachkommt (GROB, a.a.O., S. 39 und 55), so wenn es ohne Grund aus eigenem Willen die persönlichen Beziehungen zu den Eltern abbricht bzw. sich grundlos dem persönlichen Verkehr mit ihnen entzieht, sie in schwerwiegender Weise beschimpft oder ihnen in anderer gravierender Weise zuwiderlebt. Immer aber muss das Kind die Verantwortung dafür tragen, dass das Eltern-Kind-Verhältnis erheblich gestört oder gar zerstört ist, und diese Verantwortung muss ihm subjektiv zum Vorwurf gereichen. Es ist zu beachten, dass im familiären Zusammenleben eine Vielzahl von - gerade auch emotionalen - Beweggründen und Umständen zusammenwirken und für die gegenseitigen Beziehungen der Familienmitglieder ausschlaggebend sind. An die freie Entscheidung eines Kindes über sein persönliches Verhalten dem einen oder andern Elternteil gegenüber kann daher kein allgemeiner Massstab angelegt werden. Ob sich ein Kind schuldhaft und in schwerwiegender Weise seinen familienrechtlichen Pflichten entzieht, kann nicht abstrakt, sondern muss im Blick auf die konkrete Situation und in Beachtung sämtlicher Umstände beurteilt werden.
3. a) Soweit in der Berufungsschrift - wie übrigens auch in der Berufungsantwort - neue tatsächliche Behauptungen aufgestellt werden, d.h. solche, die im angefochtenen Urteil nicht enthalten sind, kann auf diese Vorbringen nicht eingetreten werden. Der Beklagte macht weder ein offensichtliches Versehen noch die Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften geltend, was im Berufungsverfahren gerügt werden könnte. Auch hat er die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht mit einer Willkürbeschwerde angefochten.
b) Der Beklagte bestreitet mit Recht nicht mehr, dass sich seine Tochter in einer Ausbildung befindet, die als Erstausbildung im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 277 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
BGE 113 II 374 S. 378
Rechte als Vater vorenthalte und ihn lediglich noch als "Zahlvater" ausnütze, dann habe sie schuldhafterweise die ihr obliegenden familienrechtlichen Pflichten verletzt. Die Vorinstanz mache es sich deshalb zu einfach, wenn sie das Verhalten der Klägerin, das jeglichen Beistand, Rücksicht und Anstand dem Beklagten gegenüber vermissen lasse, kurzum mit einem Scheidungsschock rechtfertige. So habe die Tochter dem Vater seit der Scheidung die Ausübung des Besuchs- und Ferienrechts verunmöglicht und seine sämtlichen Briefe und Pakete ungeöffnet refüsiert. Das Erlebnis der Scheidung der Eltern könne nicht von vornherein für einen verwerflichen, freien Willensentschluss verantwortlich gemacht werden. Es sei unzulässig, wenn die Vorinstanz den Grund für das Zerwürfnis allein im Verhalten der Eltern und vorweg in der Ehescheidung suche, der Tochter jedoch jede Verantwortung für ihr eigenes Verhalten absprechen wolle. Auf diese Weise könnte jedes Kind in einer Scheidungssituation von der Verantwortung für den eigenen Willen befreit werden.
4. Nach den verbindlichen Feststellungen des Obergerichts ist davon auszugehen, dass das Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten tatsächlich in schwerer Weise gestört ist. Die äussere Ursache dieses tiefen Zerwürfnisses zwischen Vater und Tochter erblickt die Vorinstanz in der im Jahre 1977 erfolgten Trennung und der im Jahre 1979 eingetretenen Scheidung der Eltern der Klägerin. Aus Gründen des Selbstschutzes habe die Klägerin in der Folge jeden Kontakt zum Vater abgebrochen, um das Verhältnis zur Mutter, bei der sie sich aufhielt, nicht zerstören zu müssen, und um nicht vollends aus dem seelischen Gleichgewicht zu fallen. Dieses Verhalten ist der Klägerin nach Auffassung des Obergerichts nicht als Verschulden anzulasten. Dasselbe gelte für die Tatsache, dass sie bis heute an ihrem damals gefassten Entschluss festgehalten habe. In Anlehnung an die Scheidung müsse davon gesprochen werden, dass die Ursache des Zerwürfnisses in "objektiven Zerrüttungsfaktoren", nämlich in der ungünstig verlaufenen Ehegeschichte der Eltern, zu suchen sei. Dem Beklagten ist beizupflichten, dass es die Vorinstanz nicht hätte dabei bewenden lassen dürfen, das ihm gegenüber unveränderte heutige Verhalten der Klägerin mit dem vor Jahren erlittenen Scheidungsschock zu erklären und nach wie vor zu rechtfertigen. Zwar kann es als einfühlbar erscheinen, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung und den Jahren unmittelbar danach den Kontakt zum Vater abgebrochen hat. Mit dieser starren, aber
BGE 113 II 374 S. 379
konsequenten Haltung ist sie der für viele Scheidungskinder bestehenden Gefahr entgangen, zwischen den Erwartungen ihrer geschiedenen Eltern aufgerieben und in Loyalitätskonflikte gestürzt zu werden. Der Widerstand des in der Pubertät stehenden Mädchens gegen den persönlichen Verkehr mit dem nicht obhutsberechtigten Elternteil mag daher im damaligen Zeitpunkt allenfalls einem Schuldvorwurf entgehen. Aber auch im Falle eines Verschuldens wäre ihr Anspruch auf Unterhaltsleistungen aufgrund von Art. 277 Abs. 1
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |
BGE 113 II 374 S. 380
Klägerin für ihre auf einem freien Willensentschluss beruhende ablehnende Haltung Respekt verlangt, verhält sie sich auf jeden Fall widersprüchlich, wenn sie dann von dem von ihr vollständig abgelehnten Vater erwartet, dass er über ihr Mündigkeitsalter hinaus noch ihre Ausbildung mitfinanziere. Dies muss für den Beklagten unter den gegebenen Umständen als unzumutbar im Sinne von Art. 277 Abs. 2
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
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1 | Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.359 |
2 | Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.360 |