113 II 306
57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Juni 1987 i.S. Frau X. gegen Frau Y. und Verlag Z. (Berufung)
Regeste (de):
- Urheberrecht. Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Unlauterer Wettbewerb.
- 1. Art. 1 Abs. 2 URG. Urheberrechte an wissenschaftlichen Werken: Voraussetzungen und Umfang des Schutzes; Abgrenzung zwischen freier und geschützter Werknutzung (E. 3a).
- 2. Art. 12 Abs. 1 Ziff. 4 URG. Art. 6bis Abs. 1 RBUe, Art. 28 ZGB. Umstände, unter denen die Übernahme einiger Stellen aus wissenschaftlichen Arbeiten vor deren Veröffentlichung weder Rechte des Urhebers verletzt (E. 3b), noch gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (E. 4) oder gegen Treu und Glauben im Sinn von Art. 1
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten.
Regeste (fr):
- Droit d'auteur. Protection générale de la personnalité. Concurrence déloyale.
- 1. Art. 1 al. 2 LDA. Droits d'auteur sur des oeuvres scientifiques: conditions et étendue de la protection; distinction entre libre utilisation et utilisation protégée de l'oeuvre (consid. 3a).
- 2. Art. 12 al. 1 chiffre 4 LDA, art. 6bis al. 1 CBDA, art. 28 CC. Circonstances dans lesquelles la citation de certains passages de travaux scientifiques avant la publication de ceux-ci ne viole pas les droits de l'auteur (consid. 3b) et n'est pas non plus contraire à la protection générale de la personnalité (consid. 4) ou aux règles de la bonne foi au sens de l'art. 1 LCD, cette absence d'illicéité suffisant déjà à exclure le droit à des dommages-intérêts (consid. 5).
Regesto (it):
- Diritto d'autore. Protezione generale della personnalità. Concorrenza sleale.
- 1. Art. 1 cpv. 2 LDA. Diritti d'autore su opere scientifiche: condizioni ed estensione della protezione; distinzione tra libera utilizzazione e utilizzazione protetta dell'opera (consid. 3a).
- 2. Art. 12 cpv. 1 n. 4 LDA, art. 6bis cpv. 1 della Convenzione di Berna (riveduta) sulla protezione delle opere letterarie e artistiche, art. 28 CC. Circostanze in cui la citazione di certi passi di lavori scientifici prima della pubblicazione di questi ultimi non viola i diritti dell'autore (consid. 3b), né è contraria alla protezione generale della personalità (consid. 4) o alle norme della buona fede ai sensi dell'art. 1 LCSl, con la conseguenza che quest'assenza d'illiceità basta già per escludere il diritto a un risarcimento del danno (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 307
BGE 113 II 306 S. 307
A.- Frau X. studierte Psychologie an der Universität Zürich. Nicht nur in ihrer Lizentiatsarbeit, sondern auch in ihrer Dissertation befasste sie sich mit dem Leben und Werk der ersten Kinder-Psychoanalytikerin, Hermine von Hug-Hellmuth. Ende 1983 wandte sie sich in der Absicht, ihre Arbeiten veröffentlichen zu lassen, an den Verlag Z. Die Lektorin des Verlages teilte ihr im März 1984 telefonisch mit, dass eine Herausgabe der beiden Arbeiten in der gegenwärtigen Form nicht möglich, der Verlag bei einer Überarbeitung aber an den Manuskripten interessiert sei; sie fügte bei, dass sie die Manuskripte zur Begutachtung Frau Y. übergeben habe, die, wie Frau X. wusste, am Psychoanalytischen Seminar Zürich einen Vortrag über "H. Hug-Hellmuth und W. Schmidt" angekündigt hatte. Frau Y. setzte sich in der Folge ebenfalls mit Frau X. in Verbindung. Der Vortrag fand am 10. Mai 1984 statt; er wurde auf Band aufgenommen, das in der Bibliothek des Psychoanalytischen Seminars aufliegt. Ob der Vortrag in einer geeigneten Fassung veröffentlicht wird, ist ungewiss.
B.- Im Mai 1985 klagte Frau X. gegen Frau Y. und den Verlag Z. insbesondere mit den Begehren, der Erstbeklagten jede nicht als solche gekennzeichnete Übernahme von Zitaten und wissenschaftlichen Forschungsergebnissen aus ihren beiden unveröffentlichten Manuskripten bei Strafe zu verbieten; sie verlangte zudem, dass die Erstbeklagte ihr Fr. 2'000.-- Genugtuung nebst Zins zu bezahlen habe und dass beide Beklagten solidarisch zu Fr. 500.-- Schadenersatz nebst Zins zu verurteilen seien. Das Obergericht des Kantons Zürich wies die Klage am 20. November 1986 ab, weil die Erstbeklagte weder ein Urheber- oder ein Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzt noch unlauteren Wettbewerb begangen, die Zweitbeklagte für das Vorgehen ihrer Lektorin nicht einzustehen habe und der Klägerin aus der Weitergabe der Manuskripte kein Schaden entstanden sei.
C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, mit der sie an ihren Rechtsbegehren festhält. Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
BGE 113 II 306 S. 308
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Die Klägerin wirft dem Obergericht vor, eine Verletzung ihrer Urheberrechte im Sinn von Art. 1 Abs. 2 URG durch die Erstbeklagte zu Unrecht verneint zu haben. Sie macht insbesondere geltend, der Vergleich ihrer Arbeiten mit dem streitigen Vortrag zeige, dass verschiedene Stellen ihrer Manuskripte zitiert, zum Teil in ihrem wesentlichen Gehalt übernommen worden seien; das Obergericht sei darauf überhaupt nicht eingegangen. Ihre Thesen hätten eigenständigen Charakter, beruhten auf einer persönlichen geistigen Leistung und hätten daher vor der Veröffentlichung nicht zitiert werden dürfen, auch nicht ausschnittsweise. Der Inhalt wissenschaftlicher Werke sei urheberrechtlich nicht schlechthin frei, weshalb es entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht angehe, nachprüfbare Tatsachen einzeln zu betrachten oder wissenschaftlichen Daten und Thesen den Schutz zum vornherein abzusprechen. Da der individuelle Gehalt eines solchen Werkes in der gezielten Auswahl und wissenschaftlichen Bearbeitung des Stoffes zu erblicken sei, müssten die urheberrechtlich relevanten Aspekte vielmehr im Zusammenhang untersucht werden, um über den Schutz des Werkes urteilen zu können. a) Literarische Arbeiten fallen unter den Begriff des geschützten Werkes im Sinne von Art. 1
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
BGE 113 II 306 S. 309
Erkenntnisse im technischen Bereich, die gegebenenfalls Gegenstand des Patentrechts oder des Geheimnisschutzes sein können (TROLLER, Immaterialgüterrecht I, 3. Aufl. S. 355; KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk, S. 106 f.). Urheberrechtlich schützbar kann dagegen die konkrete Darstellung eines wissenschaftlichen Werkes sein. Dazu gehört vorweg seine äussere Mitteilungsform, wenn sie sich von Sprachwerken Dritter zum gleichen Gegenstand deutlich unterscheidet. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass dem Verfasser eines solchen Werkes in der sprachlichen Gestaltung eher enge Grenzen gezogen sind, weil er sich an bestimmte Sachverhalte und namentlich an Fachausdrücke halten muss, wenn er ernst genommen und verstanden werden will (BGE 88 IV 129). Wo die Mitteilungsform durch den wissenschaftlichen Gehalt so eng begrenzt ist, dass für eine individuelle oder originelle Gestaltung kein Raum mehr bleibt, entfällt daher der Schutz (KUMMER, S. 108). Neben der Formgebung kann ein wissenschaftliches Werk ferner in seiner Planung, Auswahl und Sichtung, Anordnung und Gliederung des Stoffes charakteristische Merkmale aufweisen und daher den Schutz des Urheberrechts begründen (BGE 88 IV 127; TROLLER, I S. 356 Anm. 26; ULMER, Urheber- und Verlagsrecht, 3. Aufl. S. 123). Ähnlich wird § 70 des deutschen URG ausgelegt (Urteile des Bundesgerichtshofes in GRUR 77/1975 S. 667 ff. und in UFITA 92/1982 S. 143 ff.). Entgegen der Auffassung der Klägerin geht es aber nicht an, den Urheberrechtsschutz noch weiter auf den Inhalt wissenschaftlicher Werke auszudehnen, wie dies im Schrifttum gestützt auf die deutsche Bestimmung befürwortet wird (HABERSTUMPF, Zur Individualität wissenschaftlicher Sprachwerke, S. 77 ff.; HABERSTUMPF in UFITA 96/1983 S. 41 ff.). Wenn es sich wie hier um wissenschaftliche Arbeiten handelt, kann sich eine Urheberrechtsverletzung somit daraus ergeben, dass ein Dritter die konkrete Darstellungsform des Werkes übernimmt oder ihm in den charakterischen Grundzügen folgt. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur die wissenschaftlichen Aussagen als solche, sondern auch die durch sie bedingten Mitteilungsformen gemeinfrei sind, dass ferner Auswahl, Erfassen und Gliederung des Stoffes nur gesamthaft oder mit Bezug auf zusammenhängende Werkteile als schützbar gelten, nicht aber wo es bloss um Einzelheiten, wie Daten, Beweise, Beispiele oder ähnliche Aussagen geht. Die Übernahme solcher Einzelheiten verletzt das Urheberrecht nicht, mögen sie auch zahlreich sein, weil gemeinfreie wissenschaftliche
BGE 113 II 306 S. 310
Aussagen durch die urheberrechtlich schützbare Sichtung oder Darstellung nicht zu geschützten Werkteilen werden. Daran ändert auch der Grundsatz nichts, dass nicht nur ein Werk als Ganzes, sondern auch einzelne Teile davon schutzfähig sein können, wenn sie den Schutzvoraussetzungen genügen (BGE 85 II 123 E. 3). b) Nach diesen Kriterien ist die Auffassung des Obergerichts, die Erstbeklagte habe kein Urheberrecht der Klägerin verletzt, bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Erstbeklagte allenfalls Zitate und biographische Einzelheiten übernommen hat, handelt es sich um vorgegebene und damit um gemeinfreie Aussagen, die weder in ihrem Gehalt noch in ihrer vorbedingten Mitteilungsform den Schutz des Urheberrechts geniessen. Die wissenschaftliche These sodann, dass die Rolle von Hermine von Hug-Hellmuth im Lichte der Auseinandersetzung zwischen Freud und Jung um die Entstehung von Neurosen zu sehen sei, ist als wissenschaftliche Aussage nicht wegen ihres Gehaltes, sondern höchstens wegen ihrer individuellen sprachlichen Form geschützt. Nach dem angefochtenen Urteil machte die Klägerin im kantonalen Verfahren nicht geltend, diese These sei von der Erstbeklagten in der äussern Mitteilungsform ihrer beiden Arbeiten übernommen worden. Sinngemäss durfte die Erstbeklagte die wissenschaftlichen Aussagen der These aber in ihrem Vortrag berücksichtigen, ohne das Urheberrecht der Klägerin zu verletzen. Daran ändert nichts, dass die beiden Arbeiten der Klägerin zur Zeit der behaupteten Übernahme nicht publiziert waren. Die Veröffentlichung eines geschützten Werkes ist entscheidend für die Möglichkeit, daraus Stellen zu zitieren, oder es öffentlich bekannt zu machen (Art. 12 Abs. 1 Ziff. 4 und Art. 42 Ziff. 1 lit. d
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
BGE 113 II 306 S. 311
in seinen wesentlichen Teilen festgelegt ist, was im allgemeinen schon zutrifft, wenn das zuständige Hochschulorgan die Arbeit genehmigt (vgl. LUTZ, S. 47).
4. Die Klägerin wirft der Erstbeklagten ferner vor, ihr Persönlichkeitsrecht verletzt zu haben. Nach dem angefochtenen Urteil war dies zu verneinen, weil die allenfalls übernommenen Zitate, Daten und Thesen jedenfalls nicht derart ins Gewicht gefallen seien, dass von einer Werkanmassung gesprochen werden könnte, und weil das wissenschaftliche Ansehen der Klägerin anderweitig nicht beeinträchtigt worden sei. a) Nach schweizerischer Rechtsauffassung und Gesetzgebung ist der Urheber nicht nur in seinen vermögensrechtlichen Befugnissen am Werk, sondern auch in seinen persönlichen Beziehungen zum Werk, d.h. in seinem Urheberpersönlichkeitsrecht geschützt, das als Teil oder besondere Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes aufgefasst wird. Der Schutz dieses besonderen Persönlichkeitsrechtes ergibt sich teils aus Vorschriften des URG, wie z.B. aus Art. 43 Ziff. 1
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
BGE 113 II 306 S. 312
wissenschaftliche Leistung anerkannt, sein Werk gegen Entstellungen geschützt oder dass er zugelassen wird zu Forschungsunterlagen (ENGEL, in GRUR 84/1982 S. 709 ff.). Dies entspricht Art. 6bis Abs. 1 RBUe, wonach dem Urheber unabhängig von seinen vermögensrechtlichen Befugnissen und selbst nach deren Abtretung insbesondere das Recht gewahrt bleibt, sich jeder Entstellung, Verstümmelung oder sonstigen Änderung des Werkes zu widersetzen, die seiner Ehre oder seinem Ruf nachteilig sein könnten; nach der Fassung von 1948 (SR 0.231.13) erfasst die Bestimmung auch jede andere Beeinträchtigung. Dabei genügt, dass die Änderung oder Beeinträchtigung geeignet sind, seinem Ruf oder seiner Ehre zu schaden (BGE 96 II 421). b) Die Klägerin kritisiert das Vorgehen der Erstbeklagten, weil diese ihren Arbeiten Zitate, Daten und Thesen entnommen habe, ohne die Quelle anzugeben. Sie stützt sich dabei auf Art. 26 Abs. 2
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
5. Der Vorwurf sodann, im Vorgehen der Erstbeklagten sei ein Verstoss gegen Treu und Glauben im Sinne von Art. 1
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |
BGE 113 II 306 S. 313
den Spezialgesetzen des Immaterialgüterrechts nicht zu beanstanden ist, grundsätzlich auch nicht gegen Bestimmungen des UWG verstösst (BGE 110 IV 107 E. 4 und BGE 108 II 331 E. 5a mit Zitaten). Gewiss wurde gestützt auf die in Art. 1 Abs. 1
SR 241 Bundesgesetz vom 19. Dezember 1986 gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) UWG Art. 1 - Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten. |