113 Ia 353
54. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. November 1987 i.S. Eheleute X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Enteignung von Nachbarrechten.
- 1. Bauarbeiten auf öffentlichem Grund können zu übermässigen Immissionen und, falls sie zu dulden sind, zur Enteignung des nachbarrechtlichen Abwehranspruches führen. Ein Entschädigungsbegehren ist daher als Forderung aus formeller Enteignung zu behandeln (E. 2).
- 2. Vorübergehende Störungen, die sich aus Bauarbeiten auf Nachbargrundstücken ergeben, sind in der Regel entschädigungslos hinzunehmen. Ersatz ist nur zu leisten, wenn die Einwirkungen ihrer Art, Stärke und Dauer nach aussergewöhnlich sind und zu einer beträchtlichen Schädigung von Nachbarn führen (E. 3).
Regeste (fr):
- Expropriation de droits de voisinage.
- 1. Des travaux de construction sur le domaine public peuvent entraîner des immissions excessives et, lorsque celles-ci doivent être supportées, l'expropriation des droits de défense des voisins. Une demande d'indemnisation doit dès lors être traitée en tant que prétention fondée sur une expropriation formelle (consid. 2).
- 2. Des perturbations temporaires subies sur des fonds voisins en raison de travaux de construction ne donnent en règle générale pas lieu à indemnisation. Une indemnité n'est due que lorsque les effets dommageables, de par leur nature, leur intensité et leur durée, sont exceptionnels et causent aux voisins un dommage considérable (consid. 3).
Regesto (it):
- Espropriazione di diritti di vicinato.
- 1. Lavori di costruzione su suolo pubblico possono comportare immissioni eccessive e, qualora queste debbano essere tollerate, l'espropriazione dei diritti di tutela dei vicini. Una domanda d'indennità deve quindi essere trattata come pretesa fondata su di un'espropriazione formale (consid. 2).
- 2. Inconvenienti temporanei subiti su fondi vicini in conseguenza di lavori di costruzione non vanno, di regola, indennizzati. Un'indennità è dovuta solo se gli effetti pregiudizievoli sono, per la loro natura, la loro intensità e la loro durata, eccezionali e causano ai vicini un danno considerevole (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 354
BGE 113 Ia 353 S. 354
Die Eheleute X. waren vom 1. April 1980 bis 31. März 1983 Mieter des Restaurants "Schönegg", Parzelle 3202, Bahnhofstrasse 2/Tägerhardstrasse/ Freistrasse in Wettingen. Sie schlossen jedoch das Restaurant bereits am 1. Oktober 1982, da es ihnen infolge der Bauarbeiten für die Bahnunterführung, der endgültigen Schliessung des SBB-Niveauüberganges sowie der überaus lärmigen Kanalisationsarbeiten, welche unmittelbar vor und neben der Liegenschaft Schönegg vorgenommen wurden, nicht mehr möglich sei, den Gastwirtschaftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Mit Eingabe vom 21. Juli 1983 an die kantonale Schätzungskommission verlangten sie von der Einwohnergemeinde Wettingen und vom Staat Aargau eine Enteignungsentschädigung mit der Begründung, sie seien unzumutbaren übermässigen Immissionen ausgesetzt gewesen. Mit Urteil vom 21. Februar 1984 wies die Schätzungskommission die Klage ab, im wesentlichen mit der Begründung, dass die zeitlich begrenzten Immissionen nicht übermässig gewesen seien. Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, an welches die Eheleute X. den Entscheid der Schätzungskommission weiterzogen, wies ihre Beschwerde am 19. Dezember 1986 ebenfalls ab. Es vertrat die Auffassung, die von den Eheleuten X. geltend gemachten Nachteile seien nicht Folge einer formellen Enteignung, da die Eigentümer der Liegenschaft weder Land noch Rechte hätten abtreten müssen; doch stelle sich die Frage, ob eine materielle Enteignung gegeben sei. Vom Entzug einer wesentlichen Eigentümerbefugnis könne indessen nicht gesprochen werden; auch ein Sonderopfer liege nicht vor, da zahlreiche andere Grundeigentümer und Geschäftsinhaber an der Bahnhof- und Seminarstrasse in gleicher Weise betroffen worden seien. Die Eheleute X. führen gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde. Sie rügen eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Gegenstand der formellen Enteignung bilden auch nach aargauischem Recht nicht nur das Grundeigentum und beschränkte dingliche Rechte, sondern alle von der Eigentumsgarantie geschützten vermögenswerten Rechte, wie die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte, sowie die Rechte von Mietern und Pächtern der von der Enteignung betroffenen Grundstücke (§ 182 Abs. 1 BauG; ERICH ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons
BGE 113 Ia 353 S. 355
Aargau, Kommentar, 2. Auflage, Aarau 1982, N. 1 zu § 182, S. 468). Dazu zählt auch das in Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
BGE 113 Ia 353 S. 356
Land noch Rechte abtreten müssen, für die Entschädigungsansprüche gestellt werden könnten. Die Nachteile, die sich für die Beschwerdeführer als Mieter des Restaurants Schönegg aus der vorübergehenden Beeinträchtigung der Zufahrt ergeben hätten, seien nicht die Folge einer formellen Enteignung im Sinne von § 193 Abs. 1 lit. c BauG. Es stelle sich daher die Frage, ob eine materielle Enteignung oder ein anderer Entschädigungstitel vorliege, was das Gericht indessen verneinte. c) Dieser Begründung des Verwaltungsgerichts kann nicht gefolgt werden. Die Verkehrsanordnungen, mit denen die an das Restaurant Schönegg anstossenden Strassen für den allgemeinen Verkehr vorübergehend gesperrt wurden, waren Folge der Bauarbeiten, die ab Ende Juli 1982 in unmittelbarer Nähe der Liegenschaft der Beschwerdeführer durchgeführt wurden. Solche Arbeiten können zu übermässigen Immissionen und, falls sie zu dulden sind, zur Enteignung des nachbarrechtlichen Abwehranspruches führen (BGE 96 II 348 E. 6; ERICH ZIMMERLIN, a.a.O., N. 3 zu § 30, S. 170 sowie N. 11 zu §§ 65-68, S. 169). Die Beschwerdeführer, welche das Übermass der Einwirkungen behaupten, waren somit befugt, eine nachträgliche Forderung aus formeller Enteignung anzumelden. Das Verwaltungsgericht hätte daher das Begehren der Beschwerdeführer unter diesem Titel prüfen müssen. Diese Feststellungen führen jedoch nicht ohne weiteres dazu, dass die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zu neuem Entscheid an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen ist. Obwohl das Gericht die Forderung der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich unter dem Titel Enteignung nachbarrechtlicher Abwehransprüche geprüft hat, ergibt sich aus seinen Erwägungen mit genügender Deutlichkeit, dass es die Frage, ob die Beschwerdeführer übermässigen Einwirkungen ausgesetzt gewesen seien, verneint hat. Trifft diese Schlussfolgerung zu, so ist dem angefochtenen Entscheid im Ergebnis zuzustimmen, was zur Abweisung der Beschwerde führen muss, auch wenn der Auffassung des Gerichts, es gehe nicht um eine formelle Enteignung, nicht gefolgt werden kann. Von einer Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Zu prüfen ist daher, ob das Verwaltungsgericht, ohne verfassungsmässige Rechte der Beschwerdeführer zu verletzen, übermässige Einwirkungen verneinen sowie - falls es darauf ankäme - den Nachweis des Schadens und dessen Kausalzusammenhang mit dem schädigenden Ereignis als nicht gegeben erachten
BGE 113 Ia 353 S. 357
durfte. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung haben Grundeigentümer bzw. Mieter als Besitzer vorübergehende Störungen, die sich aus Bauarbeiten auf den Nachbarparzellen ergeben, in der Regel entschädigungslos hinzunehmen. Ersatz ist nur zu leisten, wenn die Einwirkungen ihrer Art, Stärke und Dauer nach aussergewöhnlich sind und zu einer beträchtlichen Schädigung von Nachbarn führen (vgl. BGE 93 I 295 ff.; BGE 91 II 107 E. 3; BGE 83 II 383; nicht publizierte Entscheide des Bundesgerichts vom 16. Juli 1984 i.S. Staat Bern c. Lehmann, E. 4a, vom 30. November 1983 Wegmüller/Kressmann E. 4). (...)