112 II 465
77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Dezember 1986 i.S. Ringier AG gegen G. (Berufung)
Regeste (de):
- Gegendarstellungsrecht (Art. 28g Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 28g - 1 Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung.
1 Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung. 2 Kein Anspruch auf Gegendarstellung besteht, wenn über öffentliche Verhandlungen einer Behörde wahrheitsgetreu berichtet wurde und die betroffene Person an den Verhandlungen teilgenommen hat. - 1. Auch die Veröffentlichung einer Fotografie kann unter Umständen Anspruch auf eine Gegendarstellung geben (E. 2a und b).
- 2. Kann eine Gegendarstellung auch zu Tatsachen verlangt werden, die sich nicht unmittelbar aus dem Inhalt des veröffentlichten Bildes ergeben? (Frage offengelassen) (E. 2b).
- 3. Aus einer Fotografie, die ohne Wissen der abgebildeten Personen aufgenommen worden ist, kann nicht darauf geschlossen werden, dass diese mit der Veröffentlichung einverstanden gewesen sind. Diesbezüglich liegt somit keine gegendarstellungsfähige Tatsachendarstellung vor (E. 2b).
Regeste (fr):
- Droit de réponse (art. 28g al. 1 CC).
- 1. La publication d'une photographie peut aussi, le cas échéant, donner droit à une réponse (consid. 2a et b).
- 2. Une réponse peut-elle être exigée pour des faits qui ne ressortent pas directement du contenu de la photographie publiée? (Question laissée indécise) (consid. 2b).
- 3. On ne peut pas déduire d'une photographie prise à l'insu des personnes photographiées que celles-ci ont été d'accord avec la publication. Aussi n'y a-t-il pas à cet égard de présentation des faits susceptible d'être l'objet d'une réponse (consid. 2b).
Regesto (it):
- Diritto di risposta (art. 28g cpv. 1 CC).
- 1. Anche la pubblicazione di una fotografia può, in determinate circostanze, dar diritto a una risposta (consid. 2a, b).
- 2. Può esigersi una risposta anche per fatti che non risultano direttamente dal contenuto della fotografia? (Questione lasciata indecisa) (consid. 2b).
- 3. Non si può dedurre da una fotografia scattata all'insaputa delle persone fotografate che queste siano state d'accordo con la sua pubblicazione. Non sussiste pertanto in tal caso un'esposizione di fatti suscettibile di dar luogo ad una risposta (consid. 2b).
Sachverhalt ab Seite 465
BGE 112 II 465 S. 465
A.- Am 24. März 1986 verunglückte G. am Steuer seines Autos zusammen mit seinem vierjährigen Sohn M. auf dem noch
BGE 112 II 465 S. 466
nicht zur Autobahn ausgebauten Abschnitt der N 13 im sanktgallischen Rheintal tödlich. Die von der Ringier AG, Zofingen, herausgegebene Wochenzeitschrift "Schweizer Illustrierte" veröffentlichte in der Folge in ihrer Ausgabe vom 5. Mai 1986 einen mehrseitigen Artikel unter dem Titel "Die Strasse der Angst". Darin war auf einer ersten Doppelseite, die das als "Todesstrecke" bezeichnete Strassenstück bei Nacht zeigte und den Hinweis enthielt, die Strasse habe bis April 1986 57 Opfer gefordert, zuletzt einen 41jährigen Vater mit seinem erst vierjährigen Sohn, in verkleinerter Form auch ein Ausschnitt aus dem Titelblatt der Tageszeitung "Blick" vom 25. März 1986 abgebildet. Dieser Ausschnitt enthielt eine Fotografie des Todesfahrzeuges und einen Text mit Angabe der Namen der Todesopfer samt Beruf, Wohnort und Zivilstand. Auf der zweiten Doppelseite des besagten Artikels befand sich eine grossformatige Fotografie der Beerdigungszeremonie. Sie zeigte die weinende Witwe des tödlich verunfallten G. und ihre beiden noch lebenden Kinder neben einem Sarg, und zwar im Zentrum der Doppelseite in grosser Abbildung. Der Artikel enthielt sodann einen Abschnitt mit der Überschrift "Gerede und Gerüchte nach jedem Unfall". Darin war unter anderem zu lesen: "Es gab Leute, die meinten, der Versicherungsinspektor habe den Tod gesucht und er habe seinen Buben mit in den Tod nehmen wollen. Das war nur Gerede, gewiss, aber die seltsame Häufung von tödlichen Kollisionen auf der N 13 gab schon immer Anlass zu Gerede und Gerüchten in der Umgebung. Auch Leute, die den Versicherungsinspektor nicht gekannt hatten, fanden es merkwürdig, dass der Mann, kaum befand er sich auf der N 13, den Zusammenstoss mit einem Lastwagen verursachte."
B.- Die Ringier AG weigerte sich, eine Gegendarstellung der Witwe G. und deren Söhne zu veröffentlichen. Diese wandten sich daraufhin an das Bezirksgerichtspräsidium Unterrheintal mit dem Begehren, es sei ihnen in der "Schweizer Illustrierten" das Recht zur Gegendarstellung einzuräumen. Mit Entscheid vom 23. Juni 1986 schützte der Bezirksgerichtspräsident das Begehren der Kläger teilweise und befahl der Beklagten, innert 14 Tagen ab Rechtskraft des Entscheides folgenden Gegendarstellungstext zweispaltig im redaktionellen Teil der "Schweizer Illustrierten" zu veröffentlichen: "Gegendarstellung zur Veröffentlichung
Die Strasse der Angst
vom 5.5.1986
In der Ausgabe vom 5.5.1986 wurde im Artikel "Die Strasse der Angst" ohne jedes Einverständnis der nächsten Angehörigen des anlässlich eines
BGE 112 II 465 S. 467
Verkehrsunfalles verstorbenen Vaters und verstorbenen Sohnes ein Foto aus der Beerdigungszeremonie veröffentlicht. Gegen dieses Verhalten, sowie gegen die Namensnennung der Verstorbenen, verwahren sich die Angehörigen in aller Form. Die nächsten Angehörigen."
C.- Die Beklagte erhob gegen diesen Entscheid Berufung an den Appellationsrichter des Kantonsgerichts St. Gallen und verlangte dessen Aufhebung. Die Kläger erhoben ihrerseits Anschlussberufung und beantragten folgende Ergänzung des vom erstinstanzlichen Richter genehmigten Gegendarstellungstextes: "Die Darstellung der Schweizer Illustrierten, beim fraglichen Unfall handle es sich um einen Suizid, entspricht nicht den Tatsachen und ist eine pietätlose Behauptung." Der Appellationsrichter wies die Berufung mit Entscheid vom 17. Juli 1986 ab. In seinem Urteil hielt er fest, die nur für den Fall der Gutheissung der Berufung erhobene Anschlussberufung sei dadurch hinfällig geworden.
D.- Gegen diesen Entscheid hat die Beklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Die Kläger beantragen die Abweisung der Berufung und die erneute Bestätigung des bezirksgerichtlichen Urteils. Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Umstritten ist im vorliegenden Fall einzig, ob es sich bei der fraglichen Publikation in der "Schweizer Illustrierten" um eine Tatsachendarstellung im Sinne von Art. 28g
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 28g - 1 Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung. |
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1 | Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung. |
2 | Kein Anspruch auf Gegendarstellung besteht, wenn über öffentliche Verhandlungen einer Behörde wahrheitsgetreu berichtet wurde und die betroffene Person an den Verhandlungen teilgenommen hat. |
Demgegenüber wird in der Berufung die Auffassung vertreten, eine Fotografie vermittle grundsätzlich keine über den eigentlichen
BGE 112 II 465 S. 468
Bildinhalt hinausgehenden Tatsachen. Im vorliegenden Fall stehe zudem ausser Zweifel, dass die veröffentlichte Fotografie von der Beerdigung der Unfallopfer der Wirklichkeit entspreche und nicht montiert oder verfälscht sei. Eine Tatsachenaussage, dass die Betroffenen in diese Veröffentlichung eingewilligt hätten, ergebe sich daraus oder aus dem Text des Artikels werde unmittelbar noch mittelbar. a) Gemäss Art. 28g Abs. 1
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 28g - 1 Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung. |
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1 | Wer durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen ist, hat Anspruch auf Gegendarstellung. |
2 | Kein Anspruch auf Gegendarstellung besteht, wenn über öffentliche Verhandlungen einer Behörde wahrheitsgetreu berichtet wurde und die betroffene Person an den Verhandlungen teilgenommen hat. |
BGE 112 II 465 S. 469
lässt sich etwas darüber entnehmen, dass die Veröffentlichung der fotografischen Aufnahme mit oder ohne Einverständnis der darauf abgebildeten Angehörigen der Unfallopfer erfolgt ist. Da es sich offensichtlich nicht um eine gestellte Aufnahme handelt, kann nicht einmal angenommen werden, die abgebildeten Personen hätten sich mit ihrem Einverständnis fotografieren lassen. Der vorliegende Schnappschuss unterscheidet sich gerade auch in dieser Hinsicht wesentlich von dem von den Klägern angeführten Beispiel einer Aktfotografie. Aufgrund der gesamten Umstände besteht somit kein konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die fragliche Fotografie mit dem Einverständnis der Kläger veröffentlicht worden ist. Ob es anderseits zulässig ist, eine Gegendarstellung zu Tatsachen zu beanspruchen, die sich nicht unmittelbar aus dem Inhalt eines veröffentlichten Bildes ergeben, ist hier nicht zu entscheiden. Denn jedenfalls müsste verlangt werden, dass sich eine Tatsache, die sich nicht unmittelbar aus der Bilddarstellung ergibt, dem durchschnittlichen Betrachter geradezu aufdrängt. Der gegenteiligen Auffassung der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Diese steht zu Unrecht auf dem Standpunkt, es genüge bereits eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein Teil der Leserschaft aus der Veröffentlichung eines Bildes einen entsprechenden Schluss ziehe. Wollte man darauf abstellen, so bestünde die Gefahr, dass der Begriff der gegendarstellungsfähigen Tatsachendarstellung allzu unscharf wird. Dies widerspräche aber dem Sinn des Gegendarstellungsrechts, das möglichst einfach zu handhaben sein sollte. Es kann deshalb nicht massgebend sein, welche Schlussfolgerungen ein gewisser Teil der Leserschaft aus der Veröffentlichung einer Fotografie allenfalls ziehen könnte. Anspruch auf eine Gegendarstellung vermag vielmehr nur eine Tatsache zu begründen, die sich für die grosse Mehrheit der Leser beim Betrachten der Fotografie aufdrängt. Davon kann hier keine Rede sein. Was den durchschnittlichen Leser beim Betrachten der in Frage stehenden Fotografie in erster Linie beeindruckt haben dürfte, ist die Tragik der abgebildeten Beerdigungsszene, insbesondere die Trauer auf den Gesichtern der Beteiligten. Die Frage, ob die Veröffentlichung dieser Fotografie mit oder ohne Einverständnis der abgebildeten Angehörigen erfolgt sei, wird sich höchstens ein kleiner Kreis besonders nachdenklicher Betrachter gestellt haben. Auch von diesen besonders aufmerksamen Lesern kann aber kaum angenommen werden, dass
BGE 112 II 465 S. 470
sie allein aufgrund der veröffentlichten Fotografie ohne weiteres auf das Einverständnis der abgebildeten Angehörigen mit der Veröffentlichung geschlossen haben. c) Es ergibt sich somit, dass das von den Klägern beanspruchte Recht auf Gegendarstellung mangels einer gegendarstellungsfähigen Tatsachendarstellung nicht gegeben ist. Damit erübrigt es sich, zu der im kantonalen Verfahren formulierten Gegendarstellung näher Stellung zu nehmen. Immerhin ist zu bemerken, dass die Vorinstanz selber einräumt, der zweite Satz der von den kantonalen Instanzen bewilligten Gegendarstellung - "Gegen dieses Verhalten, sowie gegen die Namensnennung der Verstorbenen, verwahren sich die Angehörigen in aller Form." - sprenge, für sich allein betrachtet, den Rahmen einer blossen Tatsachendarstellung. Dieser Satz lässt erkennen, dass es den Klägern mehr darum ging, sich gegen einen Eingriff in ihre Privatsphäre zur Wehr zu setzen. Das Gegendarstellungsrecht ist jedoch einzig ein Mittel, um persönlichkeitsrechtlich relevanten Tatsachendarstellungen entgegenzutreten, nicht aber um vor Eingriffen in die Privatsphäre zu schützen.
3. Die Kläger hatten vor der Vorinstanz mit Anschlussberufung für den Fall der Gutheissung der Berufung die Bewilligung eines anderen Gegendarstellungstextes beantragt. Diese Gegendarstellung ist gegen das im Artikel der "Schweizer Illustrierten" erwähnte Gerücht gerichtet, beim Unfall könnte es sich um einen Selbstmord gehandelt haben. Die Vorinstanz musste auf diese Anschlussberufung nicht eintreten, da sie zur Abweisung der Hauptberufung gelangte. Nachdem die von der Vorinstanz bewilligte Gegendarstellung aber nicht aufrechterhalten werden kann, ist die Sache zur materiellen Beurteilung der Anschlussberufung an diese zurückzuweisen. Die Vorinstanz wird nunmehr zu entscheiden haben, ob den Klägern in dem mit der Anschlussberufung geltend gemachten Umfang ein selbständiger Gegendarstellungsanspruch zusteht.