112 II 381
63. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1986 i.S. G. gegen D. (Berufung)
Regeste (de):
- Gestaltung der Elternrechte bei der Ehescheidung (Art. 156 Abs. 1
ZGB).
- Obwohl ein vierjähriges Kind während etwas mehr als zwei Jahren beim Vater (und dessen Eltern) gelebt hat, lässt es sich unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls rechtfertigen, dass das Kind - falls auf seiten des Vaters einschneidende und allenfalls weniger vorteilhafte Veränderungen bevorstehen - der Mutter zugesprochen wird, deren Lebensverhältnisse sich durch Wiederverheiratung stabilisiert haben.
- Voraussetzungen für die Einholung eines Gutachtens.
Regeste (fr):
- Droits des parents en cas de divorce (art. 156 al. 1 CC).
- Du point de vue du bien de l'enfant, il peut se justifier qu'un enfant de quatre ans soit attribué à la mère, dont les conditions de vie se sont stabilisées par suite d'un remariage, lors même que l'enfant a vécu pendant un peu plus de deux ans chez son père (et les parents de celui-ci), si parallèlement les conditions de vie du père sont près de se modifier profondément et d'une manière qui risque d'être préjudiciable à l'enfant.
- Conditions pour que soit requise une expertise.
Regesto (it):
- Diritto dei genitori in caso di divorzio (art. 156 cpv. 1 CC).
- Sotto il profilo del bene del figlio l'attribuzione di un bambino di quattro anni alla madre, le cui condizioni di vita si sono stabilizzate in seguito a nuove nozze, può giustificarsi, anche laddove il figlio sia vissuto per poco più di due anni presso il padre (e i di lui genitori), se contemporaneamente le condizioni di vita del padre stiano per modificarsi profondamente in un senso che potrebbe risultare sfavorevole al figlio.
- Condizioni alle quali va richiesta una perizia.
Sachverhalt ab Seite 381
BGE 112 II 381 S. 381
Durch das am 16. Januar 1985 gefällte Urteil in der Scheidung der Eheleute G. wurde die Tochter B. unter die elterliche Gewalt der Mutter gestellt und eine vormundschaftliche Aufsicht angeordnet. Den Ehemann, dem es ein Besuchsrecht einräumte, verpflichtete das erstinstanzliche Gericht zur Bezahlung eines indexierten Unterhaltsbeitrags von Fr. 300.-- an das Kind. Im kantonalen Rechtsmittelverfahren wurde das Scheidungsurteil im wesentlichen bestätigt; lediglich der Unterhaltsbeitrag wurde neu auf Fr. 350.-- festgesetzt.
BGE 112 II 381 S. 382
Mit Berufung an das Bundesgericht verlangte der Ehemann G. zur Hauptsache die Unterstellung der Tochter B., die während mehr als zwei Jahren bei ihm (und seinen Eltern) gelebt hatte, unter seine elterliche Gewalt. Entsprechend beantragte er auch die Neuregelung des Besuchsrechts sowie die Verpflichtung der Mutter zur Bezahlung eines Unterhaltsbeitrags an das Kind. Das Bundesgericht wies die Berufung ab.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. Der Richter hat gemäss Art. 156 Abs. 1
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BGE 112 II 381 S. 383
Dabei hat das Bundesgericht nicht zu betonen unterlassen, dass die Stabilität der Verhältnisse nicht allein an einer in Aussicht stehenden Wiederverheiratung eines Elternteils gemessen werden darf und dass auch nicht einfach darauf abzustellen ist, welcher Elternteil während der oft langen Dauer des Scheidungsverfahrens die Obhut ausübte.
4. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern das Obergericht diese Gesichtspunkte missachtet hätte. Wohl gilt es zu beachten, dass das im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheides vierjährige Kind seit etwas mehr als zwei Jahren entweder beim Berufungskläger allein oder bei ihm und seinen Eltern gelebt hat. Indessen kann nicht gesagt werden, dass die Mutter nach der Einleitung des Scheidungsprozesses sich in verantwortungsloser Weise der Betreuung ihrer Tochter entzogen hätte. Inzwischen haben sich auf ihrer Seite die Lebensverhältnisse zudem derart stabilisiert, dass ihr ein neuer Hausstand die Möglichkeit bietet, unbehindert durch Erwerbstätigkeit die Tochter selber zu betreuen und zu erziehen; sie wird dazu als ebenso befähigt betrachtet wie der Berufungskläger. Freilich wird der Wechsel zur Mutter mit tiefgreifenden Umstellungen für das Kind verbunden sein. Auch ist einzuräumen, dass die Tochter schon während so langer Zeit vom Berufungskläger und seiner Mutter klaglos betreut worden ist, dass ein Wechsel der Obhut nur mit grosser Zurückhaltung bejaht werden kann - dies nicht zuletzt deshalb, weil für Kleinkinder Jahre und Monate um so mehr zählen, je tiefer das Kindesalter liegt. Es lässt sich aber in diesem Grenzfall, wo gute Gründe ebenso für die eine wie für die andere Lösung sprechen, nicht behaupten, der Entscheid der Vorinstanz stehe dem Kindeswohl unter allen Umständen entgegen. Es kommt dem Argument, dass der Wechsel zur Mutter eine tiefgreifende Veränderung im Leben des Kindes zur Folge haben werde, hier deshalb kein ausschlaggebendes Gewicht zu, weil auch der Berufungskläger mit einer Wiederverheiratung rechnet; diesfalls würde das Kind aller Voraussicht nach auch von einer anderen Person als bisher (nämlich der Grossmutter) unmittelbar betreut, ohne dass diesbezüglich schon eine Prognose gestellt werden könnte. Angesichts des fortschreitenden Alters des Kindes ist auf jeden Fall ein abschliessender Entscheid über die Zuteilung dringend erwünscht. Die Lebensverhältnisse sowohl auf seiten des Berufungsklägers als auch auf seiten der Berufungsbeklagten erscheinen als überblickbar, und auch das Kind zeigt keine
BGE 112 II 381 S. 384
aussergewöhnlichen Auffälligkeiten. Über die behördlichen Berichte hinaus, die sowohl das Belassen des Kindes in der bisherigen Umgebung als auch die Umplazierung zur Mutter als verantwortbar bezeichnet haben, könnten deshalb kinderpsychiatrische Abklärungen kaum noch Wesentliches zum anstehenden Entscheid beitragen. Ein solches Gutachten drängt sich insbesondere auch nicht deshalb auf, weil die Tochter nach den Besuchen bei ihrer Mutter - wie der Berufungskläger behauptet - an nervösen Störungen gelitten haben soll; solche Störungen, die im übrigen offensichtlich nicht ernsthafter Natur sind, mögen auf das Verhalten und die innere Einstellung sowohl des einen wie des andern Elternteils zurückzuführen sein. Es liegt somit nicht unter allen Umständen eine Verletzung von Bundesrecht schon allein im Umstand, dass der kantonale Richter die Einholung eines Gutachtens abgelehnt hat. Dem Richter, der gemäss Art. 156 Abs. 1
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