Urteilskopf

112 Ib 473

74. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 19. Dezember 1986 i.S. A. gegen Fremdenpolizei und Regierungsrat des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 474

BGE 112 Ib 473 S. 474

Die türkische Staatsangehörige A. ist seit 1963 mit dem heute im Kanton Zürich niedergelassenen türkischen Staatsangehörigen B. verheiratet. In den Jahren 1972 und 1973 weilte sie während mehrerer Monate in der Schweiz bei ihrem Ehemann, kehrte danach aber wieder in die Türkei zurück. Am 19. August 1983 stellte B. ein Gesuch, es sei seiner Frau und seiner Tochter C. die Einreise in die Schweiz zu bewilligen; der gemeinsame Sohn D. weilt bereits seit 1981 bei seinem Vater im Kanton Zürich und hat hier die Niederlassungsbewilligung. Nachdem A. am 28. Oktober 1983 eingereist war, stellte sie am 15. November 1983 ein Gesuch um Niederlassungsbewilligung, indem sie ein entsprechendes, vom Ehemann ausgefülltes Formular bei der Gemeinde Dietikon einreichte. Als Zweck ihres Aufenthalts wurde angegeben: "Hausfrau, Verbleib beim Gatten...". Am 23. November 1983 erteilte ihr die Fremdenpolizei des Kantons Zürich die Niederlassungsbewilligung. Nachdem sich A. im August 1984 in einem Brief an die Fremdenpolizei des Kantons Zürich über das Verhalten ihres Ehemannes beklagt hatte, ergaben Nachforschungen, dass überhaupt nie ein gemeinsamer Haushalt aufgenommen worden war, sondern dass vielmehr der Ehemann seit Jahren in einem Konkubinatsverhältnis mit seiner türkischen Freundin, einer Cousine, lebte. Mit Verfügung vom 1. Februar 1985 widerrief daher die Fremdenpolizei die Niederlassungsbewilligung von A. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Beschluss vom 4. Juni 1986 ab. Hiegegen erhob A. am 28. Juli 1986 Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Gemäss Art. 17 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931 (ANAG) hat die Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung Anspruch darauf, in die Bewilligung des Ehemannes einbezogen zu werden, sofern sie mit ihm in gemeinsamem Haushalte leben wird. Das Einbezugsrecht ist selber keine Bewilligung, sondern verschafft
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nur einen Anspruch auf die Erteilung einer solchen. Daher ist stets ein Bewilligungsverfahren erforderlich, nicht nur der Form halber, sondern weil die Behörde das Vorliegen aller Erfordernisse prüfen muss (M. RUTH, Fremden-Polizeirecht der Schweiz, Zürich 1934, S. 70). Wegen des durch Art. 17 Abs. 2 ANAG eingeräumten Anspruchs auf die Niederlassungsbewilligung ist die Behörde bloss nicht frei in ihrem Entscheid. Sie hat aber jedenfalls u.a. zu prüfen, ob die Ausländerin wirklich verheiratet ist und mit ihrem niedergelassenen Ehemann in gemeinsamem Haushalte leben wird. Erst wenn sie sich davon überzeugt hat, wird sie der Ausländerin die Niederlassungsbewilligung erteilen. Dies hat zur Folge, dass die Ehefrau - wenn auch dank ihrer Ehe erleichtert - selber ein Niederlassungsrecht erwirbt. Die so erteilte Niederlassungsbewilligung erlischt daher - mangels entsprechender gesetzlicher Regel - mit dem Wegfall der Ehe oder der Aufgabe des gemeinsamen Haushaltes nicht automatisch, sondern sie muss widerrufen werden. Da für den Widerruf der erleichtert erworbenen Niederlassungsbewilligung keine besonderen Widerrufsregeln geschaffen worden sind, gelten dafür die Widerrufsregeln von Art. 9 Abs. 4 ANAG (BGE 112 Ib 162 /3 E. 3a und b).
3. a) Die Zürcher Behörden haben die Niederlassungsbewilligung der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG widerrufen. Nach dieser Bestimmung kann eine Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Widerruf gemäss Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG setze voraus, dass der Ausländer wissentlich falsche Angaben mache oder wesentliche Tatsachen verschweige, in der Absicht, gerade gestützt darauf die Niederlassungsbewilligung zu erhalten; erforderlich sei ein verwerfliches und dem Ausländer vorwerfbares Verhalten. Die Erziehungsdirektion scheint in ihrer Vernehmlassung der Ansicht zuzuneigen, auf die Täuschungsabsicht des Ausländers komme es nicht an; entscheidend sei, dass die Niederlassungsbewilligung bei Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht erteilt worden wäre.
b) Der Wortlaut der fraglichen Widerrufsbestimmung lässt keinen Zweifel daran, dass ein Widerruf nur zulässig sein kann, wenn die Bewilligungsbehörde mit Absicht getäuscht worden ist. Zwar wird nur für das Verschweigen wesentlicher Tatsachen verlangt, dass dies wissentlich geschehe; damit sollte (wohl) ein Widerruf der
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Bewilligung für den Fall ausgeschlossen werden, dass aus Unachtsamkeit wesentliche Tatsachen verschwiegen worden sind. Dass auch konkrete Falschangaben bewusst und in Täuschungsabsicht gemacht worden sein müssen, ergibt sich daraus, dass Widerrufsvoraussetzung das Erschleichen der Niederlassungsbewilligung ist: Dieser Ausdruck lässt keine andere Auslegung zu (so auch der Berichterstatter der nationalrätlichen Kommission anlässlich der Beratung am 25. September 1930, Sten.Bull. NR 1930 S. 608, 1. Spalte zweitletzter Absatz; vgl. auch BGE 102 Ib 99 E. 3 hinsichtlich der gleichlautenden Bestimmung von Art. 9 Abs. 2 lit. a ANAG für den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung, wo das Bundesgericht offensichtlich stillschweigend eine bewusste Täuschungsabsicht voraussetzte). c) Es steht fest, dass die Beschwerdeführerin am 15. November 1983 das Formular "Gesuch um Erteilung einer Niederlassungsbewilligung" unterschrieben hat, auf dem als Aufenthaltszweck angegeben ist, sie werde als Hausfrau beim Gatten verbleiben. Diese Angabe war offensichtlich falsch, wohnte doch der Ehemann in einer anderen Wohnung als auf dem Formular angegeben, und zwar mit seiner Freundin und den ausserehelichen Kindern, die er mit ihr zusammen hat. Dies wusste die am 28. Oktober 1983 eingereiste Beschwerdeführerin zu jenem Zeitpunkt zweifellos bereits. Indessen ist zu vermuten, dass sie damit rechnete und darauf hoffte, in Zukunft mit ihrem Mann zusammenzuleben. Nicht umstritten ist dagegen, dass ihr Mann von vornherein ein künftiges Zusammenleben ausschloss. Er hat das von der Beschwerdeführerin unterschriebene Formular selber ausgefüllt und dabei wider besseres Wissen über einen entscheidenden Punkt, nämlich die Aufnahme des ehelichen Zusammenlebens, falsche Angaben gemacht. Ohne diese Täuschung hätte die Beschwerdeführerin mit Sicherheit keine Niederlassungsbewilligung erhalten. Es stellt sich die Frage, ob diese Täuschungsabsicht des Ehemannes der Beschwerdeführerin angerechnet werden kann, selbst wenn sie guten Glaubens gewesen sein mag und auf die Aufnahme einer ehelichen Wohngemeinschaft gehofft haben sollte. d) Wie gesehen (E. 2) erwirbt die Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ANAG selbständig eine Niederlassungsbewilligung. Voraussetzung ist jedoch, dass eine wirkliche Ehegemeinschaft besteht und die Ehegatten in gemeinsamem Haushalte leben werden. Einzig diese enge Beziehung zum Ehemann erlaubt die Erteilung der
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Niederlassungsbewilligung an die Ausländerin, da sie regelmässig - wie im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin - zum Zeitpunkt der Bewilligungserteilung sonst keine näheren Verbindungen zur Schweiz hat. Bezeichnend ist denn auch, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin, die sich hier nicht auskannte, vorerst das Gesuch um Einreisebewilligung für sie stellte und auch das Gesuch um Niederlassungsbewilligung ausfüllte, das die Beschwerdeführerin bloss selber unterschrieb. War für die Bewilligungserteilung die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihrem hier niedergelassenen Ehemann massgebend bzw. konnte sie nur durch ihn zur Niederlassungsbewilligung kommen, so spricht dies dafür, dass sein Verhalten anlässlich des Bewilligungsverfahrens ihr zugerechnet wird. Sie muss sich dies jedenfalls dann gefallen lassen, wenn sie - für die zuständige Behörde erkennbar - auch das Gesuchsformular durch ihren Ehemann ausfüllen liess. Es ginge nicht an, dass die Behörde zwar die offensichtlich allein vom Ehemann abgegebene Begründung für die Gewährung der Niederlassungsbewilligung zu Gunsten der Gesuchstellerin entgegenzunehmen und gestützt darauf die Bewilligung zu erteilen hätte, es ihr andererseits aber verwehrt sein sollte, zu Ungunsten der Ausländerin auf das Verhalten des Ehemannes abzustellen. Damit ist davon auszugehen, dass die Zürcher Behörden zu Recht angenommen haben, angesichts der täuschenden Angaben des Ehemannes sei gegenüber der Beschwerdeführerin der Widerrufsgrund von Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG wegen Erschleichens der Niederlassungsbewilligung erfüllt.
4. Die Beschwerdeführerin vertritt die Ansicht, dass die Niederlassungsbewilligung nicht in jedem Fall zu widerrufen sei, wenn die Bewilligung erschlichen worden ist; vielmehr gelte, dass die Bewilligung widerrufen werden könne, jedoch nicht müsse. Art. 9 Abs. 4 ANAG wird im deutschen Text eingeleitet mit dem Satz: "Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden." Ebenso lautet die entsprechende italienische Formel: "Il permesso di domicilio può essere revocato." Dagegen heisst es im französischen Gesetzestext: "L'autorisation d'établissement est révoquée." Während die Ausdrücke "kann" bzw. "può" darauf hinweisen, dass der Widerrufsbehörde ein Ermessensspielraum eingeräumt wird, vermittelt der französische Text den Eindruck, als wäre die Niederlassungsbewilligung, wenn sie erschlichen worden ist, in jedem Fall zu widerrufen. Genausowenig aber wie das
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deutsche Wort "kann" der Behörde zwingend einen Ermessensspielraum belässt, darf allein aus der französischen Redaktion geschlossen werden, der Gesetzgeber habe jegliches Ermessen von vornherein ausschliessen wollen. Für den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung verwendet auch der französische Text das Wort "peut". Dafür, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen Unterschied zwischen der Aufenthalts- und der Niederlassungsbewilligung machen wollte, gibt es keine Anhaltspunkte. Der bundesrätliche Entwurf vom 8. März 1948 zur Änderung des ANAG, die am 8. Oktober 1948 beschlossen wurde und seit 21. März 1949 in Kraft ist, verwies für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung wegen Erschleichens der Bewilligung auf die entsprechende Regelung für die Aufenthaltsbewilligung (Art. 9 Abs. 3 1. Satz des bundesrätlichen Entwurfs). In der parlamentarischen Beratung wurden Art. 9 Abs. 3 und 4 durch die ständerätliche Kommission neu formuliert, ohne dass aber hinsichtlich dieses Widerrufsgrundes eine Sinnänderung angestrebt wurde (vgl. Botschaft des Bundesrats vom 8. März 1948, BBl 1948 I 1305; Sten.Bull. NR 1948 S. 229 ff., 239, 525 f.; Sten.Bull. NR 1948 S. 303 ff., bes. 308/9). Ob der Behörde beim Widerruf der Niederlassungsbewilligung ein Ermessensspielraum zukommt, kann daher nicht aus dem Wortlaut der Bestimmung geschlossen werden. Art. 9 Abs. 3 ANAG nennt die Gründe, die zum Erlöschen, Abs. 4 diejenigen, die zum Widerruf der Niederlassungsbewilligung führen. Müsste die Niederlassungsbewilligung in jedem Fall widerrufen werden, wenn sie erschlichen worden ist, käme dieser Widerrufsgrund einem Erlöschensgrund nahe, hätte doch die zuständige Behörde praktisch nur festzustellen, dass die Bewilligung erschlichen worden ist, genauso wie sie für den Erlöschensgrund von Abs. 3 lit. c festzustellen hat, ob der Ausländer sich während sechs Monaten tatsächlich im Ausland aufgehalten hat. Die schliesslich vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung spricht dafür, dass die Behörde beim Widerruf ihr Ermessen ausüben kann. Ebenso spricht dafür der Umstand, dass die Behörde eine Ausweisung nur bei Angemessenheit verfügen soll (Art. 11 Abs. 3 ANAG), und zwar auch bei der Verurteilung wegen eines Verbrechens (Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG), selbst wenn die Strafe mehrere Jahre Zuchthaus beträgt (BGE 105 Ib 165 ff.). Dafür, dass es sich beim Widerruf der Niederlassungsbewilligung anders verhalten sollte, gibt es keine einleuchtenden Gründe. Jedenfalls soll die Behörde den besonderen Gegebenheiten eines Falles Rechnung
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tragen können, ohne von vornherein zum Widerruf der Bewilligung verpflichtet zu sein.
5. a) Steht den kantonalen Behörden ein Ermessensspielraum zu, kann das Bundesgericht die Angemessenheit des getroffenen Entscheids nicht überprüfen, sondern es kann den angefochtenen Entscheid nur wegen Überschreitung oder Missbrauchs des Ermessens aufheben (Art. 104 lit. a OG, lit. c e contrario). b) Wiewohl täuschende Angaben des Ehemannes grundsätzlich der Beschwerdeführerin zuzurechnen sind (vorne E. 3d), ist bei der Prüfung der Frage, ob der Ermessensrahmen eingehalten sei, mitzuberücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin selber möglicherweise nicht mit Täuschungsabsicht handelte. Zwar wird sie anlässlich der Gesuchseinreichung vom Konkubinatsverhältnis ihres Mannes gewusst haben, nachdem sie schon mehr als zwei Wochen in der Schweiz weilte und ihr Sohn D. schon seit 1981 im Haushalt des Vaters und dessen Freundin gewohnt hatte. Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich räumt in ihrer Vernehmlassung aber selber ein, dass die Beschwerdeführerin letztlich ebenso getäuscht worden sein dürfte wie die Fremdenpolizei. Jedenfalls spricht ihr Brief vom August 1984 an die kantonale Fremdenpolizei dafür, dass sie sich das Verhalten ihres Ehemannes ihr gegenüber anders vorgestellt hatte, als sie sich bereit erklärte, in die Schweiz zu kommen. Unter diesen Umständen durfte nicht einfach davon ausgegangen werden, die Beschwerdeführerin hätte nicht an die Wiederaufnahme eines gemeinsamen Haushaltes gedacht. c) Aus den Akten ergibt sich diesbezüglich folgendes: Der Ehemann der Beschwerdeführerin liess diese vor allem in der Absicht in die Schweiz kommen, auch seiner Tochter C. eine angemessene Ausbildung zu ermöglichen (vgl. Beschluss der I. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 1. November 1985, S. 5). Als seine Frau schliesslich in der Schweiz war, unterstützte er sie in keiner Weise. Er bezahlte bloss die zwei ersten Monatsmieten für ihre Wohnung und liess sie dann im Stich. Ihre Anwesenheit in der Schweiz betrachtete er als angenehme und billige Lösung, solange er sich nicht um sie kümmern musste und sie ihm die Erziehung der Kinder - auch des Sohnes D. - und die Fürsorge für diese abnahm. Vom Moment an, als die Beschwerdeführerin den Zwecken ihres Ehemannes nicht mehr dienlich sein konnte, wollte er sie denn auch endgültig loswerden, nachdem er schon damals, als er sie in die Schweiz kommen liess, offenbar gehofft hatte, in der Schweiz
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leichter zu einer Scheidung zu kommen (s. S. 8 des erwähnten Obergerichtsbeschlusses). Unter Ausnützung ihrer Schwierigkeiten gelang es ihm, ihr zuerst die Kinder wegzunehmen, die er unter allen Umständen in der Schweiz behalten will. Dann versuchte er, seinen Anspruch auf Scheidung gerade mit diesen Schwierigkeiten zu begründen, zuletzt sogar unter Hinweis auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung. Er unterstützte seine Frau auch dann nicht, als sie schwer erkrankte und während längerer Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen konnte. Dass sie unter diesen Umständen übrigens nicht bedeutendere Fürsorgeleistungen beanspruchte, ist bemerkenswert. Hinsichtlich dieser Fürsorgeleistungen ist zu beachten, dass die Beschwerdeführerin selber bloss einen Betrag von Fr. 661.15 erhielt. Den restlichen Betrag von fast Fr. 12'000.-- wendete das Gemeinwesen auf für den Sohn D., und zwar für dessen Heimaufenthalte. Dass diese Fürsorgeleistungen der Beschwerdeführerin zur Last gelegt werden, geht nicht an, nachdem der Vater sich seiner Verantwortung für den Sohn vorübergehend einfach entzogen hat. d) Erst nach einer gewissen Zeit muss auch der Beschwerdeführerin aufgegangen sein, dass ihr Mann sie bloss zu seinem eigenen Vorteil in die Schweiz gelotst hatte, ohne je mit ihr zusammenleben zu wollen. Hätte sie alles vorausgesehen, wäre sie kaum freien Willens in die Schweiz gekommen; jedenfalls handelte sie ganz nach den Wünschen ihres Mannes, die ihren Interessen in keiner Weise entsprechen sollten. Sollte ihr die Niederlassungsbewilligung nun entzogen werden, käme dies wiederum ihrem Ehemann gelegen, nachdem sie ihm heute nur noch zur Last fällt und er sie offensichtlich auch von den Kindern fernzuhalten trachtet.
Es kann zwar nicht Aufgabe der für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zuständigen Behörde sein, auf einen an sich möglichen Bewilligungswiderruf zu verzichten, um so eine Drittperson für moralisch verwerfliches Verhalten zu treffen. Indessen stellte es eine krasse Verletzung des Gerechtigkeitsgedankens dar, wollte man der Beschwerdeführerin die Niederlassungsbewilligung wegen einer Situation entziehen, in die sie ausschliesslich durch gröbste Verletzung der ehelichen Pflichten ihres Ehemannes geraten ist, während er selber hier weiterhin die Niederlassungsbewilligung hat und auch die gemeinsamen Kinder bei sich behält. Dass die Bedingungen für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung an die Beschwerdeführerin gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG nie erfüllt
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waren und es auch heute nicht sind, muss dabei in den Hintergrund rücken. e) Im übrigen spricht auch die notwendige und offensichtlich hier besser gewährleistete Behandlung der noch nicht vollständig überstandenen Krankheit der Beschwerdeführerin gegen ihre Entfernung aus der Schweiz. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Beschwerdeführerin mit einer Ausreise in die Türkei die Kontaktmöglichkeiten zu ihren Kindern vollständig abgeschnitten würden, dürfte doch ihr Ehemann nach allem bei seinen Kindern kaum eine positive Einstellung ihrer Mutter gegenüber fördern wollen. f) Sollte die Beschwerdeführerin tatsächlich später wiederum die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen müssen, wie die Vorinstanz befürchtet, wofür aber keine Anhaltspunkte bestehen, hätten die Behörden nicht nur ihr, sondern auch ihrem Ehemann gegenüber fremdenpolizeiliche Massnahmen zu erwägen; er hat ihr gegenüber die eheliche Beistandspflicht, die ihm weiterhin obliegen wird, da er in absehbarer Zeit kaum einen Scheidungsanspruch haben dürfte. g) Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erscheint unter den beschriebenen Umständen als unangebracht, ja willkürlich; die kantonalen Behörden haben somit ihr Ermessen nicht pflichtgemäss ausgeübt. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 112 IB 473
Datum : 19. Dezember 1986
Publiziert : 31. Dezember 1987
Quelle : Bundesgericht
Status : 112 IB 473
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG; Widerruf einer Niederlassungsbewilligung, die die Ehefrau eines niedergelassenen Ausländers gestützt


Gesetzesregister
ANAG: 9  10  11  17
OG: 104
BGE Register
102-IB-97 • 105-IB-165 • 112-IB-161 • 112-IB-473
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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BBl
1948/I/1305