111 V 357
65. Urteil vom 5. Juli 1985 i.S. Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen gegen Bachmann und Schiedsgericht des Kantons Thurgau gemäss Art. 25
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Regeste (de):
- Art. 16 Abs. 1
KUVG.
- - Von Gesetzes wegen hat das Karenzjahr gemäss Art. 16 Abs. 1
KUVG jeder Nichtvertragsarzt zu bestehen (Erw. 3).
- - Nach dem Gesetz besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Sehen die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Erlasses vor, so sind ihrer Gestaltungsfreiheit durch das Willkürverbot Schranken gesetzt (Erw. 5).
- - Es ist einem Kassenverband unbenommen, eine grosszügige Erlasspraxis aufzugeben und künftig strengere Massstäbe anzulegen; einer Vorankündigung bedarf es hiefür nicht. Kein Vertrauensschutz für einen Nichtvertragsarzt, der in der Annahme, es werde weiterhin eine grosszügige Erlasspraxis gehandhabt, finanzielle Dispositionen getroffen hatte, die er in Kenntnis einer Praxisänderung möglicherweise unterlassen hätte (Erw. 6).
Regeste (fr):
- Art. 16 al. 1 LAMA.
- - La loi impose à tous les médecins non conventionnés d'observer le délai de carence d'une année prévu par l'art. 16 al. 1 LAMA (consid. 3).
- - La loi n'accorde en principe aucun droit à être dispensé de l'observation du délai de carence d'une année. Si les parties à une convention prévoient la possibilité d'une dispense, leur liberté contractuelle est limitée par l'interdiction de l'arbitraire (consid. 5).
- - Il est loisible à une fédération de caisses d'abandonner une pratique libérale en matière de dispense et d'adopter pour l'avenir des critères plus sévères; cela ne nécessite aucun préavis de sa part. Le droit à la protection de la bonne foi ne peut pas être invoqué par un médecin non conventionné qui, se croyant assuré de bénéficier du maintien d'une pratique libérale en matière de dispense, a pris des dispositions financières auxquelles il aurait peut-être renoncé s'il avait eu connaissance d'un changement de pratique (consid. 6).
Regesto (it):
- Art. 16 cpv. 1 LAMI.
- - La legge impone a tutti i medici non convenzionati il rispetto del termine di carenza di un anno di cui all'art. 16 cpv. 1 LAMI (consid. 3).
- - La legge di principio non concede nessun diritto di dispensa dal termine di carenza di un anno. Se le parti della convenzione prevedono la possibilità di dispensa la loro libertà contrattuale è ristretta dal divieto di arbitrio (consid. 5).
- - È lecito per una federazione di casse di abbandonare una prassi liberale in tema di dispensa per applicare in avvenire criteri più severi senza un preavviso da parte sua. Il diritto di tutela della buona fede non può essere fatto valere da parte di un medico non convenzionato che confidando di beneficiare del mantenimento di una prassi liberale, ha preso disposizioni finanziarie cui avrebbe forse rinunciato se gli fosse stato noto il cambiamento di prassi (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 358
BGE 111 V 357 S. 358
A.- Frau Dr. med. Elsbeth Bachmann ist Spezialärztin für Innere Medizin FMH und Mitglied der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau. Sie beabsichtigte, auf den 1. November 1984 in Frauenfeld eine Praxis zu eröffnen. Im Juni 1984 ersuchte sie den Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen (Kassenverband) um Erlass des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1
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BGE 111 V 357 S. 359
Platze nicht weniger als 24 freipraktizierende Ärzte - davon 6 Internisten - betätigten, könne dem Erlassbegehren nicht entsprochen werden.
B.- Hiegegen rief Frau Dr. Bachmann die Paritätische Vertrauenskommission (PVK) des Thurgauischen Kantonalen Ärztevereins und des Kantonalverbandes Thurgauischer Krankenkassen an. Mit Entscheid vom 28. August 1984 erachtete die PVK die Einhaltung einer Wartezeit als Rechtens, reduzierte sie aber auf ein halbes Jahr mit der Begründung, dass Frau Dr. Bachmann seinerzeit während sechs Monaten am Kantonsspital Frauenfeld gearbeitet habe. Am 4. September 1984 erhob Frau Dr. Bachmann Klage beim Schiedsgericht (Art. 25
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BGE 111 V 357 S. 360
dass nur ausreichend ausgebildete und erfahrene Ärzte zur Kassenpraxis zugelassen würden. Für das heutige Verständnis der Karenzjahrregelung sei aber zu bedenken, dass zur Zeit des Inkrafttretens des KUVG die Wartezeit den Arzt nicht stark getroffen habe, weil die Krankenversicherung damals noch nicht sehr verbreitet gewesen sei. Heute sei dagegen praktisch die ganze Bevölkerung krankenversichert, so dass der eine Praxis eröffnende Arzt während des Karenzjahres sozusagen keine Patienten und damit keine wirtschaftliche Existenzgrundlage haben werde. Eine so einschneidende Einschränkung der freien ärztlichen Berufsausübung habe der historische Gesetzgeber nicht gewollt. Der Kassenverband habe sodann den Erlass des Karenzjahres von der Bedarfsfrage abhängig gemacht. Damit gehe es ihm mit der Auferlegung der Wartezeit nicht mehr um den Schutz der Vertragsärzte, sondern um die Bekämpfung der Kostenexplosion im Gesundheitswesen, womit aber das Karenzjahr in unzulässiger Weise eingesetzt würde. Denn das vom Kassenverband angewendete Kriterium käme der Einführung einer Bedürfnisklausel gleich, die jedoch mit dem Gedanken der Handels- und Gewerbefreiheit nicht vereinbar sei. In zeitgemässer und verfassungskonformer Auslegung der Wartezeitregelung gemäss Art. 16 Abs. 1
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C.- Der Kassenverband führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den Anträgen, der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November sei aufzuheben und es sei Frau Dr. Bachmann ein Karenzjahr aufzuerlegen bzw. sei sie erst ein Jahr nach Praxiseröffnung als Kassenärztin zuzulassen. Frau Dr. Bachmann lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung, gegebenenfalls unter Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu ergänzenden Abklärungen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. (Kognition; vgl. BGE 103 V 149 Erw. 1)
BGE 111 V 357 S. 361
2. Wenn eine Kasse ärztliche Behandlung gewährt, so soll jedem erkrankten Mitglied die Wahl unter den an seinem Aufenthaltsort oder in dessen Umgebung praktizierenden Ärzten freistehen (Art. 15 Abs. 1
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3. Streitig ist, ob der Kassenverband berechtigt war, die Zulassung der Beschwerdegegnerin zur Kassenpraxis von der Einhaltung des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1
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BGE 111 V 357 S. 362
Bundesgesetzen nicht überprüfen darf (Art. 113 Abs. 3
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
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1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 113 * - 1 Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
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1 | Der Bund erlässt Vorschriften über die berufliche Vorsorge. |
2 | Er beachtet dabei folgende Grundsätze: |
a | Die berufliche Vorsorge ermöglicht zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise. |
b | Die berufliche Vorsorge ist für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer obligatorisch; das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. |
c | Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber versichern ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einer Vorsorgeeinrichtung; soweit erforderlich, ermöglicht ihnen der Bund, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer eidgenössischen Vorsorgeeinrichtung zu versichern. |
d | Selbstständigerwerbende können sich freiwillig bei einer Vorsorgeeinrichtung versichern. |
e | Für bestimmte Gruppen von Selbstständigerwerbenden kann der Bund die berufliche Vorsorge allgemein oder für einzelne Risiken obligatorisch erklären. |
3 | Die berufliche Vorsorge wird durch die Beiträge der Versicherten finanziert, wobei die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mindestens die Hälfte der Beiträge ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezahlen. |
4 | Vorsorgeeinrichtungen müssen den bundesrechtlichen Mindestanforderungen genügen; der Bund kann für die Lösung besonderer Aufgaben gesamtschweizerische Massnahmen vorsehen. |
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BGE 111 V 357 S. 363
durch das Beitrittsrecht der Nichtvertragsärzte eingeschränkt (nach SCHÄREN, a.a.O., S. 199, und GUYER, Die Honorarforderung der Ärzte gegenüber den Krankenkassen, Diss. Bern 1948, S. 102 im Sinne eines öffentlich-rechtlichen Kontrahierungszwangs). Nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung besteht aber ein Rechtsanspruch auf Beitritt zum Vertrag nur für Ärzte mit mindestens einjähriger regelmässiger Praxis im Tätigkeitsgebiet der Kasse. Eine weitergehende Einschränkung müssen sich die Kassen mangels gesetzlicher Grundlage nicht gefallen lassen. Auch der mit dem Beitrittsrecht verfolgte Zweck, nämlich die Monopolstellung der Vertragsärzte in der sozialen Krankenversicherung zu verhindern, bedingt keine Einschränkung der Kassenrechte beim Karenzjahr. cc) Der Antrag auf Einführung einer Karenzzeit wurde bei den gesetzgeberischen Arbeiten von Kassenseite mit der Begründung eingebracht, "dass ein in einer Gegend sich niederlassender Arzt von der Kasse nicht sofort zugelassen werden müsse. Der betreffende Arzt solle eine gewisse Beobachtungszeit durchmachen" (Antrag Scherrer in der nationalrätlichen Kommissionssitzung vom 11. Oktober 1910). Auch in den parlamentarischen Beratungen wurde dieser Zweck genannt. Es solle den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben werden, "dass sie sich die Ärzte zuerst in jeder Beziehung besehen können, bevor sie genötigt werden, mit denselben Verträge einzugehen" (Sten.Bull. 1910 N 419; siehe ferner Sten.Bull. 1911 S 40). In den Materialien findet sich nirgends ein Hinweis darauf, dass die Kassen in gewissen Fällen von diesem Prüfungsrecht nicht Gebrauch machen dürften und mithin nur eine bestimmte Kategorie von Nichtvertragsärzten die Karenzzeit zu bestehen hätte. Vielmehr sollten Nichtvertragsärzte generell erst dann einen Anspruch auf Beitritt zu einem Vertrag erheben können, wenn sie die Wartezeit erfüllt haben. dd) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Vorinstanz zu Unrecht angenommen hat, das Karenzjahr ziele von den historischen Motiven her auf einen befristeten Schutz der Vertragsärzte vor Neuzuzügern ab. Mag das unter Umständen eine Folge der Wartezeit sein und von seiten der Ärzte allenfalls auch so gedeutet werden, entstehungsgeschichtlicher Zweck war dies (trotz Sten.Bull. 1910 N 414) nicht. Die Wartezeit ist zum Schutze der Kassen eingeführt worden. Die Beschwerdegegnerin kann in Anbetracht des klaren Wortlauts von Art. 16 Abs. 1
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BGE 111 V 357 S. 364
den der Wartezeit ursprünglich zugrundeliegenden Motiven heute nur geringe Bedeutung und Aktualität beizumessen sein dürfte (BGE 108 Ia 37). b) Die Auslegung von Art. 16 Abs. 1
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c) Was die von der Vorinstanz in Anspruch genommene objektiv-zeitgemässe Interpretation von Art. 16 Abs. 1
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BGE 111 V 357 S. 365
werden, wenn die Anwendung des Karenzjahres aufgrund veränderter Verhältnisse in Wertungen schlechthin nicht mehr zu billigen und missbräuchlich wäre (MEIER-HAYOZ, N. 296 und 302 zu Art. 1
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 1 - 1 Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. |
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1 | Das Gesetz findet auf alle Rechtsfragen Anwendung, für die es nach Wortlaut oder Auslegung eine Bestimmung enthält. |
2 | Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht4 nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde. |
3 | Es folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
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1 | Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
2 | Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
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1 | Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
2 | Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen. |
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BGE 111 V 357 S. 366
sich also um Gründe, wie sie schliesslich durch den heutigen Art. 24
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
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1 | Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
2 | Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen. |
4. Der Kantonalverband Thurgauischer Krankenkassen hat am 16. Oktober 1980 mit der Ärztegesellschaft des Kantons Thurgau einen Vertrag geschlossen und damit vom Recht gemäss Art. 16 Abs. 1
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5. a) Nach dem KUVG hat der Arzt keinen Anspruch auf Befreiung vom Karenzjahr. Doch kann es ihm laut dem Ärztevertrag erlassen werden, wofür im vorliegenden Fall gemäss Art. 2 Abs. 2 beide Vertragspartner einverstanden sein müssen (für die vertraglich nicht geregelte Erlassfrage siehe SCHÄREN, a.a.O., S. 202 mit Hinweisen). Eine Pflicht eines Vertragspartners, unter bestimmten Bedingungen einem Erlass stattzugeben, ist vertraglich nicht statuiert und ebensowenig die von der Beschwerdegegnerin behauptete Pflicht, der Kassenverband habe beim Entscheid über die Verweigerung eines Erlasses mit der Ärztegesellschaft zusammenzuarbeiten. Der Kassenverband kann somit grundsätzlich nicht zum Erlass des Karenzjahres verhalten werden, und es steht ihm frei, zu bestimmen, nach welchen Kriterien und unter welchen Voraussetzungen er eine Befreiung vom Karenzjahr gewähren will. Die einzige Schranke liegt im Willkürverbot. b) Der Kassenverband hat im vorliegenden Fall einen Erlass verweigert, weil er für den Platz Frauenfeld keinen eindeutigen Bedarf nach weiteren frei praktizierenden Ärzten der allgemeinen oder inneren Medizin sah. Er macht damit den Erlass sinngemäss davon abhängig, dass die in Frage stehende Region ärztlich unzureichend versorgt ist. Es ist nicht ersichtlich, was an diesem
BGE 111 V 357 S. 367
Kriterium willkürlich sein könnte. Vielmehr ist in den parlamentarischen Beratungen darauf hingewiesen worden, dass die Kassen im Falle einer Unterversorgung gar genötigt sein können, auf das Karenzjahr zu verzichten (Sten.Bull. 1910 N 414 und 421; EGLI, a.a.O., S 67 f.). Es kann offensichtlich nicht von einer medizinischen Unterversorgung auf dem Platze Frauenfeld gesprochen werden. Die gegenteilige Feststellung der Vorinstanz ist unhaltbar und bindet daher das Eidg. Versicherungsgericht nicht (Art. 105 Abs. 2
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 33 Petitionsrecht - 1 Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
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1 | Jede Person hat das Recht, Petitionen an Behörden zu richten; es dürfen ihr daraus keine Nachteile erwachsen. |
2 | Die Behörden haben von Petitionen Kenntnis zu nehmen. |
6. a) Die Beschwerdegegnerin macht sodann geltend, das Karenzjahr sei im Kanton Thurgau in den letzten Jahren nicht mehr auferlegt worden; der Kassenverband wende dieses Institut
BGE 111 V 357 S. 368
bei ihr neu an. Sie sei von dieser unzulässigen Praxisänderung völlig überrascht worden und habe erhebliche finanzielle Investitionen getätigt. Sie müsse in ihrem Vertrauen in den Weiterbestand der alten Praxis des Verbandes geschützt werden. Der Kassenverband hatte laut seinem Schreiben vom 9. Juli 1984 ein knappes Jahr zuvor seine Erlasspraxis verschärft. Dazu war er berechtigt, weil ihm nicht verwehrt werden kann, auf seine Rechte aus Art. 16 Abs. 1
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BGE 111 V 357 S. 369
7. Aus dem Gesagten folgt, dass der Kassenverband mit der Verweigerung des Erlasses des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1
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8. (Kostenpunkt.)
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Schiedsgerichts des Kantons Thurgau vom 23. November 1984 aufgehoben und es wird festgestellt, dass der der Beschwerdegegnerin verweigerte Erlass des Karenzjahres gemäss Art. 16 Abs. 1
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