111 IV 113
29. Urteil des Kassationshofes vom 13. Dezember 1985 i.S. M. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
- 1. Bei der Frage der Rechtfertigung durch Amtspflicht ist neben dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit auch das entsprechende kantonale Dienstrecht zu beachten (E. 2).
- 2. Ob die Körperverletzungen durch die Amtspflicht im Sinne des einschlägigen Dienstreglements gerechtfertigt sind, ist eine vom Bundesgericht frei zu überprüfende Rechtsfrage (E. 4).
- 3. Der Verdacht, ein Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein, rechtfertigt es nicht, den bei der Identitätskontrolle flüchtenden Lenker durch Schüsse auf den Führersitzbereich vorsätzlich der Gefahr erheblicher Körperverletzungen auszusetzen (E. 5).
Regeste (fr):
- Art. 32 CP. Usage des armes par la police.
- 1. Lorsqu'il s'agit de déterminer si un acte est justifié par un devoir de fonction, il faut prendre en considération non seulement le principe de la proportionnalité, mais aussi les prescriptions de service cantonales applicables (consid. 2).
- 2. Savoir si des lésions corporelles sont justifiées par le devoir de fonction est une question de droit qui peut être examinée librement (consid. 4).
- 3. Le soupçon selon lequel un véhicule pourrait avoir été volé ou soustrait ne justifie pas le risque de causer intentionnellement des lésions corporelles graves, en tirant des coups de feu en direction du siège du conducteur qui cherche par la fuite à éviter un contrôle d'identité (consid. 5).
Regesto (it):
- Art. 32 CP. Uso delle armi da parte della polizia.
- 1. Per determinare se un atto sia giustificato dal dovere d'ufficio, occorre considerare non soltanto il principio della proporzionalità, ma altresì le prescrizioni di servizio cantonali applicabili (consid. 2).
- 2. Costituisce una questione di diritto, soggetta a libero esame, quella se lesioni personali siano giustificate dal dovere d'ufficio ai sensi delle relative prescrizioni di servizio (consid. 4).
- 3. Il sospetto che un veicolo possa essere stato rubato o sottratto non giustifica il rischio di cagionare intenzionalmente lesioni personali gravi sparando in direzione del posto del conducente che tenta con la fuga di eludere un controllo d'identità (consid. 5).
Sachverhalt ab Seite 113
BGE 111 IV 113 S. 113
A.- Am 29. Februar 1984 gegen 11 Uhr kontrollierte M., Gefreiter der Kantonspolizei, in Ausübung seiner dienstlichen
BGE 111 IV 113 S. 114
Funktion vor der in jenem Zeitpunkt nicht benützbaren Brücke in Büren a.A. einen ihm verdächtig erscheinenden Lenker eines Personenwagens Marke Audi quattro mit Genfer Schildern. Der berndeutsch sprechende Lenker des Fahrzeuges konnte die Wagenpapiere nicht finden; er erklärte schliesslich, er habe den Ausweis in Genf gelassen. M. verlangte dann irgendeinen Beleg über die Identität (Identitätskarte, Brief usw.) und versuchte Funkverbindung mit der Einsatzzentrale Biel herzustellen, um den verdächtigen Wagen überprüfen zu lassen. Der Lenker des Genfer Autos, der bisher ruhig nach dem gewünschten Papier gesucht hatte, gab nun plötzlich Gas und fuhr weg. Nach einem Warnruf gab M. aus seiner Dienstpistole vier Schüsse auf das rechte Hinterrad ab. Der Audi setzte die Flucht fort. M. verfolgte ihn mit einem requirierten Fahrzeug. Auch eine zweite Serie von Schüssen auf die Räder zeigte keine Wirkung. Schliesslich kam es zu einer dritten Schussabgabe von M., als der flüchtende Wagen vor dem Polizeibeamten eine Quartierstrasse überquerte. Jetzt zielte M. nicht mehr auf die Pneus, sondern auf den unteren Teil des Fahrzeuges im Bereich der Fahrertüre. Er rechnete damit, den Fahrer zu treffen, und wollte ihn so zum Anhalten zwingen.
H., der Lenker des Audi quattro, erlitt Schussverletzungen an den Armen, seine Begleiterin, Frau W., wurde am linken Oberschenkel getroffen. Nach dem Arztbericht handelt es sich bei H. um schwere Verletzungen mit Invaliditätsfolgen (Beeinträchtigung der Beweglichkeit der Arme).
B.- M. wurde im Appellationsverfahren vom Obergericht des Kantons Bern der vorsätzlichen einfachen Körperverletzung mit voraussehbarer schwerer Folge (zum Nachteil des H.) gemäss Art. 123 Ziff. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,177 |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,177 |
C.- M. führt gegen diesen Entscheid des Obergerichts Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und die Sache sei zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass M. durch die dritte Serie von Schüssen, die er zur Verhinderung der Flucht des Audi
BGE 111 IV 113 S. 115
abgab, die Körperverletzungen verursachte, und dass in dieser Phase der Vorsatz des Beschwerdeführers die Verursachung einfacher Körperverletzungen mitumfasste. Auch die Voraussehbarkeit der eingetretenen schweren Verletzungen von H. im Sinne von Art. 123 Ziff. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,177 |
2. Inwiefern die Amtspflicht eines Polizeibeamten den Schusswaffengebrauch und die dadurch verursachten Verletzungen von Rechtsgütern zu rechtfertigen vermag (Art. 32
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
BGE 111 IV 113 S. 116
Gefahr bilden."
Diese Formulierung entspricht der von der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten gutgeheissenen Muster-Dienstanweisung über den Gebrauch der Schusswaffe durch die Polizei von 1976 (HUG, a.a.O., S. 78 f. sowie Anhang 4). Die Frage der Rechtfertigung durch Amtspflicht ist unter Beachtung der zitierten Regelung zu beurteilen, auch wenn grundsätzlich die Angemessenheit von Handlungen kantonaler Beamter unabhängig von kantonalen Vorschriften zu prüfen ist (BGE 94 IV 8, REHBERG, a.a.O., S. 566).
3. Von den möglichen Gründen zur Rechtfertigung des Schusswaffengebrauchs kommt im konkreten Fall nach den gesamten Umständen lediglich Ziff. 3 in Frage und zwar von den genauer umschriebenen typischen Beispielen lit. a, eventuell lit. b. Eine Notwehr- oder Notstandsituation (Ziff. 1/2) war in keiner Phase der Verfolgung vorhanden; auch die besonderen Voraussetzungen von Ziff. 3 lit. c und d fallen ausser Betracht.
4. Ob die Körperverletzungen durch die Amtspflicht im Sinne von Art. 4 Ziff. 3 lit. a oder b des einschlägigen Dienstreglementes gerechtfertigt sind, ist eine Rechtsfrage, deren Entscheidung auf Nichtigkeitsbeschwerde vom Bundesgericht frei überprüft wird. Es ist dabei an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden, nicht aber an deren Folgerungen hinsichtlich der Frage, ob die festgestellten Umstände die Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs gemäss lit. a oder b erfüllen und einen rechtfertigenden Anlass zu einer die Körperverletzung zumindest in Kauf nehmenden Schussabgabe bilden konnten. Entgegen der Auffassung des Generalprokurators in seiner Vernehmlassung ist daher in diesem Verfahren auf die Frage einzutreten, ob die festgestellten Tatsachen den konkreten Schusswaffengebrauch als durch die Amtspflicht gedeckt erscheinen lassen.
5. Der Beschwerdeführer kannte den Lenker des Audi mit Genfer Kennzeichen und dessen Begleiterin nicht. Er besass auch keine Informationen, welche ihn zur Annahme berechtigten, er habe eine Person vor sich, welche ein schweres Verbrechen oder ein schweres Vergehen begangen habe oder eines solchen dringend verdächtigt sei. Schliesslich fehlte auch jedes einigermassen schlüssige Indiz dafür, dass die Insassen des flüchtenden Audi für andere eine unmittelbar drohende Gefahr an Leib und Leben darstellen könnten; insbesondere besassen H. und seine Begleiterin, soweit der Beschwerdeführer dies feststellen konnte, keine Waffen.
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Der Beschwerdeführer traf den Entschluss zum Schusswaffengebrauch ausschliesslich aufgrund der persönlichen Feststellungen bei der konkreten Begegnung: Der Berner Mundart sprechende Lenker des Genfer Sportwagens, der dem Polizisten nicht recht in dieses Fahrzeug zu passen schien, gab offenbar den Anlass zur Überprüfung der Identität. Das Fehlen irgendwelcher Ausweispapiere war dann ein handfester Grund zum Verdacht, das Fahrzeug könnte gestohlen oder entwendet sein. Die Flucht und deren Fortsetzung trotz Warnung, wiederholter Schussabgabe und Behinderung durch andere Fahrzeuge bestätigte den Verdacht, dass mit dem Sportwagen und seinem Lenker etwas nicht in Ordnung sei. Die gezielte Schussabgabe auf die Pneus steht hier nicht in Frage und braucht auf ihre Berechtigung und Angemessenheit nicht untersucht zu werden. Es geht in diesem Verfahren ausschliesslich um die letzte Serie von Schüssen, welche nicht auf die Räder, sondern auf das Fahrzeug als solches gerichtet war, vor allem auch im Bereich des Führersitzes, und - dem Eventualvorsatz entsprechend - erhebliche Körperverletzungen verursachte. Im Zeitpunkt dieser Schüsse wusste der Beschwerdeführer über die Insassen des Audi nicht mehr als am Anfang der Begegnung. Dazu kam die Feststellung eines verbissenen Fluchtwillens. Dass ein Fahrer, der sich zur Flucht entschliesst, um der polizeilichen Kontrolle zu entkommen (z.B. wegen Angetrunkenheit, Fehlen eines Führerausweises, Entwendung des Fahrzeuges, Entweichung aus einer Erziehungs- oder Strafanstalt usw.), die Flucht nicht aufgibt, auch wenn (erfolglos) auf sein Fahrzeug geschossen wird, dürfte verhältnismässig häufig sein. Die Intensität des Fluchtwillens hängt vorwiegend von den persönlichen Eigenschaften des Lenkers ab, nicht von der Schwere der zu verbergenden Verfehlung. Es entwickelt sich in solchen Fällen eine Art Zweikampf zwischen Verfolger und Verfolgtem, wobei weniger vernunftmässige Überlegungen als instinktive, durch "sportlichen" Ehrgeiz und Krimi-Szenen geprägte Reaktionen das Verhalten bestimmen. Auf jeden Fall darf nicht - ohne weitere gewichtige Anhaltspunkte - aus der blossen Tatsache des Wegfahrens oder der hartnäckigen Fortsetzung einer einmal begonnenen, zuerst erfolgreichen Flucht auf schwere Delikte oder auf besondere Gefährlichkeit des Flüchtenden geschlossen werden (vgl. dazu REHBERG, a.a.O., 1977 S. 130 f.). Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die Unrechtmässigkeit des Fahrzeug-Besitzes als höchstwahrscheinlich annehmen. Für andere Delikte fehlte jeder konkrete Hinweis. Die
BGE 111 IV 113 S. 118
Wahrscheinlichkeit eines Auto-Diebstahls verbunden mit der Hartnäckigkeit der Flucht gab dem Beschwerdeführer aber keinen Grund zur Annahme, der mutmassliche Rechtsbrecher habe ein so schweres Verbrechen oder Vergehen begangen, dass er mit allen Mitteln - selbst mit dem Risiko einer schweren Körperverletzung oder gar Tötung - an der Flucht gehindert werden müsse. Der sehr gefährliche Einsatz der Schusswaffe bei der dritten Serie war nach den konkreten Umständen offensichtlich unverhältnismässig. Würde man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen, dann wären stets, wenn ein Fahrzeuglenker sich der Identitätskontrolle zu entziehen versucht und die Flucht auch nach Schüssen gegen die Pneus nicht aufgibt, ohne weiteres Schüsse gegen den Fahrer zulässig mit dem Ziel, durch Körperverletzung die Weiterfahrt zu hindern. Selbst wenn der Verdacht eines schweren Deliktes vorliegt, muss der Gebrauch der Schusswaffe stets den Umständen angemessen, d.h. verhältnismässig sein. Auch die in Ziff. 3 (des zitierten Art. 4 des Berner Dienstreglementes) enthaltene Generalklausel, wonach Waffengebrauch erlaubt ist, wenn dienstliche Aufgaben nicht anders erfüllt werden können (Einleitungssatz), gilt selbstverständlich nur unter dem strikten Gebot der Verhältnismässigkeit. Das Risiko erheblicher Körperverletzungen steht beispielsweise in einem Missverhältnis zum Interesse an der raschen Abklärung des Verdachts von Vermögensdelikten, die ohne Gewalt oder Drohung erfolgten. Auch das Interesse an der Festnahme eines entwichenen Strafgefangenen, der unbewaffnet ist und nicht als gefährlich erscheint, wird in der Regel einen Schusswaffengebrauch mit Gefahr für Leib und Leben (des Betroffenen oder anderer Personen) nicht rechtfertigen. Lässt sich das Risiko schwerer Körperverletzungen praktisch ausschliessen (z.B. gezielte Schüsse auf Pneus), so dürfte der Einsatz der Schusswaffe auch bei blossen Vermögensdelikten eher zu verantworten sein. Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes hat die Kriterien des polizeilichen Schusswaffengebrauchs in zutreffender Weise auf den konkreten Fall zur Anwendung gebracht und dabei Art. 32
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 64 - 1 Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
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1 | Das Gericht ordnet die Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, eine Vergewaltigung, einen Raub, eine Geiselnahme, eine Brandstiftung, eine Gefährdung des Lebens oder eine andere mit einer Höchststrafe von fünf oder mehr Jahren bedrohte Tat begangen hat, durch die er die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer andern Person schwer beeinträchtigt hat oder beeinträchtigen wollte, und wenn:59 |
a | auf Grund der Persönlichkeitsmerkmale des Täters, der Tatumstände und seiner gesamten Lebensumstände ernsthaft zu erwarten ist, dass er weitere Taten dieser Art begeht; oder |
b | auf Grund einer anhaltenden oder langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, mit der die Tat in Zusammenhang stand, ernsthaft zu erwarten ist, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht und die Anordnung einer Massnahme nach Artikel 59 keinen Erfolg verspricht. |
1bis | Das Gericht ordnet die lebenslängliche Verwahrung an, wenn der Täter einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine schwere Körperverletzung, einen Raub, eine Vergewaltigung, eine sexuelle Nötigung, eine Freiheitsberaubung oder Entführung, eine Geiselnahme, ein Verschwindenlassen, Menschenhandel, Völkermord, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein Kriegsverbrechen (Zwölfter Titelter) begangen hat und wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:60 |
a | Der Täter hat mit dem Verbrechen die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person besonders schwer beeinträchtigt oder beeinträchtigen wollen. |
b | Beim Täter besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er erneut eines dieser Verbrechen begeht. |
c | Der Täter wird als dauerhaft nicht therapierbar eingestuft, weil die Behandlung langfristig keinen Erfolg verspricht.61 |
2 | Der Vollzug der Freiheitsstrafe geht der Verwahrung voraus. Die Bestimmungen über die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe (Art. 86-88) sind nicht anwendbar.62 |
3 | Ist schon während des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu erwarten, dass der Täter sich in Freiheit bewährt, so verfügt das Gericht die bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe frühestens auf den Zeitpunkt hin, an welchem der Täter zwei Drittel der Freiheitsstrafe oder 15 Jahre der lebenslänglichen Freiheitsstrafe verbüsst hat. Zuständig ist das Gericht, das die Verwahrung angeordnet hat. Im Übrigen ist Artikel 64a anwendbar.63 |
4 | Die Verwahrung wird in einer Massnahmevollzugseinrichtung oder in einer Strafanstalt nach Artikel 76 Absatz 2 vollzogen. Die öffentliche Sicherheit ist zu gewährleisten. Der Täter wird psychiatrisch betreut, wenn dies notwendig ist. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 65 - 1 Sind bei einem Verurteilten vor oder während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe oder einer Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 die Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme gegeben, so kann das Gericht diese Massnahme nachträglich anordnen.67 Zuständig ist das Gericht, das die Strafe ausgesprochen oder die Verwahrung angeordnet hat. Der Vollzug einer Reststrafe wird aufgeschoben. |
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1 | Sind bei einem Verurteilten vor oder während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe oder einer Verwahrung nach Artikel 64 Absatz 1 die Voraussetzungen einer stationären therapeutischen Massnahme gegeben, so kann das Gericht diese Massnahme nachträglich anordnen.67 Zuständig ist das Gericht, das die Strafe ausgesprochen oder die Verwahrung angeordnet hat. Der Vollzug einer Reststrafe wird aufgeschoben. |
2 | Ergibt sich bei einem Verurteilten während des Vollzuges der Freiheitsstrafe aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel, dass die Voraussetzungen der Verwahrung gegeben sind und im Zeitpunkt der Verurteilung bereits bestanden haben, ohne dass das Gericht davon Kenntnis haben konnte, so kann das Gericht die Verwahrung nachträglich anordnen. Zuständigkeit und Verfahren bestimmen sich nach den Regeln, die für die Revision (Art. 410-415 der Strafprozessordnung68) gelten.69 70 |