111 Ia 276
49. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17. Oktober 1985 i.S. X. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Unentgeltliche Rechtspflege. Anspruch auf Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes im Verwaltungsgerichtsverfahren.
- 1. Der Entscheid über die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege bzw. die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes ist ein Zwischenentscheid (E. 2).
- 2. Auch im Verwaltungsgerichtsverfahren ergibt sich für die bedürftige Partei unmittelbar aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Assistance judiciaire. Droit à la désignation d'un défenseur d'office dans une procédure de droit administratif.
- 1. La décision concernant l'octroi de l'assistance judiciaire ou la désignation d'un défenseur d'office est une décision incidente (consid. 2).
- 2. Une partie qui est dans le besoin peut, à certaines conditions précises, tirer directement de l'art. 4 Cst. un droit à obtenir la désignation d'un défenseur d'office également dans le cadre d'une procédure de droit administratif (consid. 3).
Regesto (it):
- Assistenza giudiziaria. Diritto alla designazione di un patrocinatore d'ufficio in un procedimento di diritto amministrativo.
- 1. La decisione concernente la concessione dell'assistenza giudiziaria o la designazione di un patrocinatore d'ufficio è una decisione incidentale (consid. 2).
- 2. Una parte che si trova nel bisogno può, a certe condizioni, fondare direttamente sull'art. 4 Cost. un diritto d'ottenere la designazione di un patrocinatore d'ufficio anche nel quadro di un procedimento di diritto amministrativo (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 276
BGE 111 Ia 276 S. 276
X. gelangte mit einem Gesuch um Gewährung einer Restdefizitgarantie zur Deckung der Kinderheim-Unterbringungskosten für sein behindertes Kind an die Erziehungs- und Kulturdirektion
BGE 111 Ia 276 S. 277
des Kantons Basel-Landschaft. Das Gesuch wurde abgewiesen, ebenso eine gegen diesen Entscheid gerichtete Beschwerde an den Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft. X. zog den regierungsrätlichen Entscheid an das Verwaltungsgericht weiter. In der Begründung seiner Beschwerde ersuchte er das Gericht um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. Das Gesuch wurde durch gerichtliche Verfügung vom 9. Juli 1984 abgewiesen. Mit Urteil vom 6. März 1985 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde von X. auch in der Sache ab; das Gericht erhob keine Kosten, kam aber nicht auf die Frage der unentgeltlichen Verbeiständung zurück. Mit rechtzeitiger staatsrechtlicher Beschwerde vom 17. Mai 1985 beantragt X., der Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9. Juli 1984 betreffend Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Prozessverbeiständung sei aufzuheben; für das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren sei die unentgeltliche Prozessführung und die unentgeltliche Prozessvertretung zu bewilligen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet; der Regierungsrat beantragt unter Hinweis auf den Bundesgerichtsentscheid vom 8. März 1985 i.S. G.R., die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen und den angefochtenen Entscheid betreffend unentgeltlichen Rechtsbeistand aufzuheben. Das Verwaltungsgericht werde dann zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Übernahme des Armenanwaltshonorars durch die Gerichtskasse erfüllt seien. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.
Erwägungen
Auszug aus den Erwägungen:
2. Die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 111 Ia 276 S. 278
dem die Beschwerde nicht bereits im Anschluss an die den unentgeltlichen Beistand verweigernde Verfügung vom 9. Juli 1984, sondern erst gegen den Endentscheid in der Sache selbst vom 6. März 1985 erhoben wurde, muss die Frage entschieden werden. War die Verfügung vom 9. Juli 1984 ein Endentscheid, so ist die staatsrechtliche Beschwerde verspätet; sie wurde hingegen rechtzeitig eingereicht, wenn die betreffende Verfügung nur als Zwischenentscheid zu gelten hat. In diesem Fall kann die staatsrechtlichen Beschwerde sinnvollerweise auch noch im Anschluss an den materiellen Endentscheid erhoben werden; ein irreversibler Nachteil trat nicht ein, da die Anwaltskosten immer noch durch die Gerichtskasse übernommen werden können. Der nachträglichen Gewährung einer vorher zu Unrecht verweigerten Rechtswohltat steht nichts im Wege; denn es kann umgekehrt eine zu Unrecht erteilte unentgeltliche Rechtspflege auch später noch rückwirkend entzogen werden (HEINRICH HEUBERGER, Das Armenrecht der Aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1947, S. 91 ff.; KURT MEYER, Das zivilprozessuale Armenrecht im Kanton Zug, Baar 1953, S. 170 ff.). b) Ob die vorgängige Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege ein Zwischenentscheid sei oder nicht, wurde in BGE 99 Ia 439 ausdrücklich offengelassen, doch scheint das Gericht eher zur Ansicht geneigt zu haben, es handle sich um einen Endentscheid. Nach neuerer Praxis gelten auch Entscheide über vorsorgliche Massnahmen als Endentscheide (BGE 100 Ia 20 E. 1 mit Hinweisen). Es ist Begriffsmerkmal der Zwischenentscheide, dass sie das Verfahren nicht abschliessen, sondern bloss einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid darstellen (gleichgültig ob in einer Verfahrens- oder einer materiellen Frage). Der Entscheid betreffend unentgeltliche Rechtspflege bzw. unentgeltliche Verbeiständung bringt aber, anders als etwa eine Beweisanordnung, das Verfahren nicht eigentlich seinem Ziel näher, sondern scheint eher eine selbständige verfahrensrechtliche Nebenfrage zu beantworten; begrifflich wäre daher die Qualifizierung als Endentscheid nicht ausgeschlossen. Auf der andern Seite hat das Bundesgericht die Verpflichtung zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses als Zwischenentscheid qualifiziert (BGE 77 I 46 E. 2). Die Freistellung von diesem Vorschuss beseitigt eine Prozesserschwernis und bringt dadurch in einem sehr allgemeinen Sinn das Verfahren vorwärts. Entsprechendes gilt für unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Da Zwischenentscheide, die einen irreversiblen
BGE 111 Ia 276 S. 279
Nachteil bewirken, anfechtbar sind, besteht keine praktische Notwendigkeit, die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung als Endentscheid einzustufen; dies rechtfertigt sich um so weniger, als das eidg. Verwaltungsverfahrensgesetz (SR 172.021; Art. 45 Abs. 2 lit. h) die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege ausdrücklich zu den Zwischenentscheiden zählt (vgl. auch P. LUDWIG, Endentscheid, Zwischenentscheid und Letztinstanzlichkeit im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren, ZBJV 1974, 161 ff., bes. 176). Es ist vielmehr angezeigt, Beschlüsse betreffend Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege oder Verbeiständung als Zwischenentscheide zu betrachten. Sind sie mit einem nicht behebbaren Nachteil verbunden, weil z. B. dem Gericht oder dem Anwalt innert kurzer Frist ein Kostenvorschuss geleistet werden müsste, so unterliegt der diesbezügliche Entscheid der letzten kantonalen Instanz direkt der staatsrechtlichen Beschwerde. Bleibt ein solcher Nachteil aus, verbleibt die Beschwerde gegen den letztinstanzlichen kantonalen Sachentscheid. Demnach ist die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde zulässigerweise im Anschluss an den Sachentscheid erhoben worden, dessen Dispositiv die Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung nicht widerrief, sondern stillschweigend bestätigte. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
3. a) Aus Art. 4
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BGE 111 Ia 276 S. 280
Der Anspruch hängt von folgenden Voraussetzungen ab: Die gesuchstellende Partei muss bedürftig sein (BGE 110 Ia 27 E. 2) mit Hinweisen; betr. die wirtschaftlichen Verhältnisse vgl. BGE 106 Ia 82; die angestrebte Prozesshandlung darf nicht materiell aussichtslos (BGE 110 Ia 27 E. 2) oder prozessual unzulässig sein (BGE 104 Ia 73 E. 1); der Entscheid muss für die gesuchstellende Partei eine erhebliche Tragweite haben; die gesuchstellende Partei darf nicht selber rechtskundig sein; schliesslich müssen sich im Prozess unausweichliche Fragen stellen, die sich nicht leicht beantworten lassen (BGE 104 Ia 77 E. 3c mit Hinweisen). b) Die durch den angefochtenen Entscheid stillschweigend bestätigte Verfügung vom 9. Juli 1984 lehnte die Gewährung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes allein mit der Begründung ab, ein entsprechender Anspruch ergebe sich weder nach kantonalem Recht, noch sei ein solcher bisher durch das Bundesgericht aus Art. 4
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