110 II 125
25. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Januar 1984 i.S. Grisch gegen Züllig und Mitbeteiligte (Berufung)
Regeste (de):
- Notweg (Art. 694
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. 2 Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist. 3 Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen. - Eine Wegnot im Sinne von Art. 694
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen.
1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. 2 Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist. 3 Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen.
Regeste (fr):
- Passage nécessaire (art. 694 CC).
- Le passage nécessaire au sens de l'art. 694 CC doit être refusé quand un immeuble a été acquis en vue d'être bâti, sans qu'il y ait un accès suffisant pour la construction projetée, et que, en vertu de prescriptions de droit public, le fonds ne peut pas, dans un avenir peu éloigné, être bâti et est suffisamment accessible pour l'usage actuel.
Regesto (it):
- Passo necessario (art. 694 CC).
- Il passo necessario ai sensi dell'art. 694 CC va negato laddove un fondo acquistato a scopo edilizio, senza che esista un accesso sufficiente per la costruzione progettata, non possa, a causa di disposizioni di diritto pubblico, essere edificato in un prossimo futuro e sia sufficientemente accessibile per la sua attuale utilizzazione.
Sachverhalt ab Seite 125
BGE 110 II 125 S. 125
Andrea und Angelika Grisch sind je zur Hälfte Miteigentümer der Parzelle Nr. 55, Grundbuch Maienfeld, die sie im Jahre 1981 in der Absicht erwarben, darauf ein Haus zu bauen. Die Parzelle ist lediglich über einen Flurweg, der nur für landwirtschaftliche Zwecke benutzt werden darf, zu erreichen. Sie liegt in der zweiten Bauetappe der Stadtgemeinde Maienfeld, über welche eine zeitlich befristete Bausperre verhängt wurde. Der erwähnte Flurweg führt unter anderem über die Parzellen Nrn. 52, 53, 54, 56 und 62, wobei nur die Parzelle Nr. 54 überbaut ist. Die Eheleute Grisch bemühten sich nach dem Kauf ihrer Parzelle vergeblich um die Einräumung eines allgemeinen Fuss- und Fahrwegrechts durch die Eigentümer dieser Parzellen.
BGE 110 II 125 S. 126
Angelika Grisch erteilte daraufhin ihrem Ehemann Vollmacht, ihren Anspruch auf ein Wegrecht gerichtlich durchzusetzen. Dieser erhob am 29. Oktober 1981 Klage auf Einräumung eines genügenden Fuss- und Fahrwegrechts zur Parzelle Nr. 55. Das Bezirksgericht Unterlandquart wies die Klage am 7. Juli 1982 ab. Eine Berufung des Klägers wurde vom Kantonsgericht von Graubünden am 8. März 1983 abgewiesen. Der Kläger hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts beim Bundesgericht Berufung eingelegt. Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
4. Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er nach Art. 694 Abs. 1
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
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1 | Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
2 | Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist. |
3 | Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen. |
BGE 110 II 125 S. 127
kein Anlass, eine Wegnot anzunehmen und eine solche Parzelle zivilrechtlich sozusagen "auf Vorrat", d.h. ohne jedes aktuelle Interesse, zu erschliessen. Öffentlichrechtliche Vorschriften gehen in solchen Fällen einem zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung eines Notwegs vor oder - anders ausgedrückt - sie lassen einen solchen Anspruch geradezu als gegenstandslos erscheinen (vgl. auch BGE 109 Ib 23 /24 und BGE 108 Ib 347 /48). Ebensowenig ginge es an, ein Notwegrecht aus andern als mit der Erschliessung zusammenhängenden Gründen - etwa um eine Wertsteigerung der Parzelle zu bewirken oder ein besseres Tauschobjekt für baureifes Land zu erhalten - zu verlangen und zu gewähren. Ein solches Recht auf Kosten der Nachbarn hätte dann nicht mehr zum Zweck, der rationellen Bewirtschaftung eines Grundstücks durch Anschluss an eine öffentliche Strasse zu dienen. Von einer Notlage im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 694
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 694 - 1 Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
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1 | Hat ein Grundeigentümer keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse, so kann er beanspruchen, dass ihm die Nachbarn gegen volle Entschädigung einen Notweg einräumen. |
2 | Der Anspruch richtet sich in erster Linie gegen den Nachbarn, dem die Gewährung des Notweges der früheren Eigentums- und Wegeverhältnisse wegen am ehesten zugemutet werden darf, und im weitern gegen denjenigen, für den der Notweg am wenigsten schädlich ist. |
3 | Bei der Festsetzung des Notweges ist auf die beidseitigen Interessen Rücksicht zu nehmen. |
5. Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass die vom Kläger erworbene Parzelle Nr. 55 über den bestehenden Flurweg zugänglich ist. Allerdings beschränkt sich dieser Zugang auf landwirtschaftliche Zwecke, d.h. es besteht zugunsten der Parzelle Nr. 55 lediglich ein landwirtschaftliches Fuss- und Fahrwegrecht. Das ist für die gegenwärtige wirtschaftliche Nutzung als Reb- und Wiesland genügend, wie unbestritten ist. Da der Kläger die Parzelle, die gegenwärtig noch in der Bauzone liegt, aber erworben hat, um darauf ein Einfamilienhaus zu errichten, wäre für diesen Zweck ein solches beschränktes Fuss- und Fahrwegrecht offensichtlich ungenügend; denn der Eigentümer einer baureifen Parzelle, welcher diese überbauen will, hat nach heutiger Auffassung - jedenfalls in Wohngebieten - grundsätzlich Anspruch auf eine allgemeine Zufahrt mit einem Motorfahrzeug (BGE 107 II 327 f.). Nun befindet sich aber die Parzelle der Eheleute Grisch nach den für das Bundesgericht verbindlichen und auch nicht bestrittenen Feststellungen des Kantonsgerichts in der zweiten Bauetappe der Stadtgemeinde Maienfeld. Diese ist mit einer zeitlich beschränkten Bausperre belegt. Was nach Ablauf der bis zum 20. Juni 1983 verlängerten Frist mit den Grundstücken der zweiten Bauetappe geschieht, ist zurzeit ungewiss. Nach den Darlegungen im angefochtenen Urteil stehen zur Diskussion eine Einteilung von Parzellen der zweiten Bauetappe in eine dritte Bauetappe oder eine
BGE 110 II 125 S. 128
vollständige Auszonung von Teilen der zweiten Bauetappe aus der Bauzone. Aufgrund des Baugesetzes der Stadtgemeinde Maienfeld werden nach Aufhebung der zeitlich befristeten Bausperre Baubewilligungen für Bauvorhaben in der zweiten Etappe nur erteilt, wenn genehmigte Quartierpläne vorliegen und die Erschliessung nach diesen Plänen erfolgt ist. Nach der verbindlichen, auf eine Zeugenaussage gestützten Feststellung der Vorinstanz besteht nicht die Absicht, in absehbarer Zeit für das Gebiet, in welchem sich die Parzelle der Eheleute Grisch befindet, einen Quartierplan zu erlassen. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass der Kläger und seine Ehefrau nicht damit rechnen können, ihre Parzelle in absehbarer Zeit zu überbauen. Ihre Parzelle ist im Hinblick auf die von der Gemeinde zu gewährleistende, im öffentlichen Interesse liegende geordnete Besiedelung und Erschliessung nicht baureif. Daran vermöchte angesichts der zahlreichen Hindernisse, die einer solchen Überbauungsabsicht aus öffentlichem Recht entgegenstehen, auch die Einräumung eines Notwegrechtes über den Flurweg nichts zu ändern. Wie die Vorinstanz mit Recht ausgeführt hat, fehlt es unter den gegebenen Umständen an einem aktuellen Interesse an der Ausweitung des bestehenden landwirtschaftlichen Wegrechts zu einem allgemeinen Fuss- und Fahrwegrecht. Es fehlt damit insbesondere auch an einer Notlage, deren Behebung eine rationelle Nutzung und Bewirtschaftung des Grundstücks ermöglichen würde. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie den Notweganspruch des Klägers verneint hat.