Urteilskopf

110 Ib 187

31. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4. April 1984 i.S. M. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Erwägungen ab Seite 188

BGE 110 Ib 187 S. 188

Aus den Erwägungen:

3. a) Das Hauptgewicht der Ausführungen des Beschwerdeführers liegt auf der Behauptung, es gehe den niederländischen Behörden ausschliesslich oder doch im wesentlichen darum, ihn wegen Fiskalvergehen zu verfolgen; das Fiskalstrafverfahren sei zur Erreichung seiner Auslieferung in ein gemeinrechtliches Strafverfahren "umfunktioniert" worden. Die ausführlichen Darlegungen des Beschwerdeführers über die von ihm beherrschten niederländischen Gesellschaften und deren Geschäftsverkehr mit der Schweiz stehen mit dieser Behauptung im Zusammenhang.
b) Der Beschwerdeführer verkennt die Tragweite des Grundsatzes der Spezialität, der das gesamte Auslieferungsrecht beherrscht und in Art. 14 EAÜ seinen Ausdruck gefunden hat. Demnach darf der Ausgelieferte wegen Taten, die er allenfalls vor der Übergabe begangen hat und für welche die Auslieferung nicht bewilligt worden ist, im ersuchenden Staat nicht verfolgt werden. Dieser Schutz gilt bis zum Ablauf von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung (Art. 14 Ziff. 1 EAÜ). Da die Schweiz wegen Fiskalstraftatbeständen die Auslieferung nicht bewilligt (Art. 5 EAÜ in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3
SR 351.1 Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, IRSG) - Rechtshilfegesetz
IRSG Art. 3 Art der Tat - 1 Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach schweizerischer Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat, eine Verletzung der Pflichten zu militärischen oder ähnlichen Dienstleistungen darstellt oder gegen die Landesverteidigung oder die Wehrkraft des ersuchenden Staats gerichtet erscheint.
1    Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die nach schweizerischer Auffassung vorwiegend politischen Charakter hat, eine Verletzung der Pflichten zu militärischen oder ähnlichen Dienstleistungen darstellt oder gegen die Landesverteidigung oder die Wehrkraft des ersuchenden Staats gerichtet erscheint.
2    Die Einrede des politischen Charakters wird keinesfalls berücksichtigt:
a  bei Völkermord;
b  bei einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
c  bei einem Kriegsverbrechen; oder
d  wenn die Tat besonders verwerflich erscheint, weil der Täter zur Erpressung oder Nötigung Leib und Leben von Menschen in Gefahr brachte oder zu bringen drohte, namentlich durch Entführung eines Flugzeuges, Verwendung von Massenvernichtungsmitteln, Auslösen einer Katastrophe oder durch Geiselnahme.16
3    Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt. Es kann jedoch entsprochen werden:
a  einem Ersuchen um Rechtshilfe nach dem dritten Teil dieses Gesetzes, wenn ein Abgabebetrug Gegenstand des Verfahrens ist;
b  einem Ersuchen nach allen Teilen dieses Gesetzes, wenn ein qualifizierter Abgabebetrug im Sinne von Artikel 14 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 22. März 197417 über das Verwaltungsstrafrecht Gegenstand des Verfahrens ist.18
IRSG), kommt eine Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Tatbeständen dieser Art durch die Niederlande nicht in Betracht, es wäre denn, er bliebe nach endgültiger Haftentlassung freiwillig während mehr als 45 Tagen in diesem Lande. c) Der Beschwerdeführer weist auf Zusammenhänge zwischen dem gemeinrechtlichen und dem Fiskalstrafverfahren hin, die übrigens auch von den niederländischen Behörden nicht in Abrede gestellt werden. Indessen ändert dies nichts daran, dass hier einzig zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen der Auslieferung für ein gemeinrechtliches Delikt oder für mehrere derartige Tatbestände gegeben sind. Das Bundesgericht hat schon lange vor dem Inkrafttreten des IRSG und auch vor dem Beitritt der Schweiz zum EAÜ entschieden, bei Konnexität zwischen Auslieferungsdelikten und fiskalischen Tatbeständen sei nicht ausschlaggebend, auf welcher Gruppe das Schwergewicht liege; vielmehr sei die Auslieferung für die gemeinrechtlichen Tatbestände zu bewilligen unter der Bedingung, dass der Verfolgte für die Fiskaldelikte nicht bestraft werden dürfe und dass diese auch nicht als Strafschärfungsgrund berücksichtigt
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werden dürften. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall der unechten Gesetzeskonkurrenz, d.h. dann, wenn der Tatbestand eines Nichtauslieferungsdeliktes denjenigen des Auslieferungsdeliktes nach allen Seiten umfasst, so dass das Auslieferungsdelikt im Nichtauslieferungsdelikt aufgeht (BGE 92 I 287; BGE 78 I 246 mit Hinweisen). Der Bundesrat trug dieser gefestigten Praxis dadurch Rechnung, dass er im Entwurf zum IRSG Auslieferung und Rechtshilfe nur als unzulässig erklären wollte für Taten, die ausschliesslich auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet seien oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzten (BBl 1976 II 492, Art. 3 Abs. 3). Die ständerätliche Kommission strich in der Folge das Wort "ausschliesslich". Indessen erklärte ihr Berichterstatter, Ständerat (heute Bundesrat) Egli, diese Streichung habe keineswegs die Bedeutung, dass bei gemischten Delikten eine Auslieferung oder sonstige Rechtshilfe verunmöglicht werden sollte, wobei er ohne Kritik auf die bisherige bundesgerichtliche Rechtsprechung verwies und die Bedeutung des Grundsatzes der Spezialität hervorhob (Amtl. Bull. StR 1980 215). Diese Äusserung blieb unwidersprochen, und im Nationalrat wurde über die hier interessierende Frage nicht diskutiert. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass durch das IRSG hinsichtlich der Behandlung von Auslieferungsgesuchen, die sich sowohl auf gemeinrechtliche als auch auf damit konkurrierende fiskalische Tatbestände beziehen, keine Änderung der bisherigen Praxis herbeigeführt werden sollte. d) Die Behörden der Niederlande haben ihr Auslieferungsgesuch von Anfang an nicht auf Tatbestände gestützt, die nach schweizerischer Auffassung als solche fiskalischer Natur zu betrachten wären. Schon im Auslieferungsbegehren vom 9. Juni 1983 führte die Botschaft aus, sie erkläre, dass es im vorliegenden Falle nicht um Steuerdelikte gehe und dass der Beschwerdeführer deshalb nach seiner Auslieferung nicht wegen derartiger Delikte verfolgt werden würde. Das BAP durfte sich auf diese Erklärung verlassen. Die Tatsache, dass die niederländischen Behörden die schweizerischen im Jahre 1981 um rogatorische Befragung des Beschwerdeführers ausschliesslich zum Tatbestand der Gewässerverschmutzung ersucht haben, ändert hieran nichts. Selbst wenn im Zusammenhang mit Fiskaldelikten um Rechtshilfe ersucht und diese aufgrund des schweizerischen Rechtes verweigert worden wäre, stünde einem späteren Auslieferungsgesuch wegen gemeinrechtlicher Delikte nichts entgegen. Hinzu kommt, dass die
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niederländische Botschaft die vorstehend erwähnte Erklärung im Laufe des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens in noch umfassenderer Form wiederholt hat. Sie hat in einem Schreiben vom 9. Februar 1984, das dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurde, ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe "den fiskalen Teil des Verdachtes" fallen gelassen, um die Auslieferung zu erwirken. Der Beschwerdeführer werde nach seiner Auslieferung nicht (im Original unterstrichen) wegen Fiskaldelikten verfolgt werden, und das Spezialitätsprinzip werde völlig respektiert werden. Damit ist die Auffassung des Beschwerdeführers, es gehe den niederländischen Behörden eben im Kern doch um Fiskaldelikte, widerlegt. Ihr Standpunkt hinsichtlich der Verfolgung derartiger Tatbestände wird durch die Auslieferung sogar geschwächt, kann doch während der ununterbrochenen Anwesenheit des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat die Verfolgung dieser behaupteten Verfehlungen - vorbehältlich der in Art. 14 Ziff. 2 EAÜ aufgezählten konservatorischen Massnahmen - nicht weitergeführt werden. Dem Auslieferungsbegehren aus dem in diesem Abschnitt erörterten Grunde nicht zu entsprechen hiesse den niederländischen Behörden ein Handeln wider besseres Wissen unterstellen. Dies kann aber gegenüber einem Staat, der mit der Schweiz durch völkerrechtliche Verträge verbunden ist, nicht in Frage kommen, um so weniger, als dem Bundesgericht kein Fall bekannt ist, in dem die Behörden der Niederlande gegen den Grundsatz der Spezialität verstossen hätten. In diesem Sinne hat das Bundesgericht auch in einem Urteil vom 2. März 1983 i.S. B. und vdSt. entschieden (vgl. zum Grundsätzlichen auch BGE 104 Ia 58 f.). Der Einwand, die Auslieferung habe deshalb zu unterbleiben, weil ihr in Wirklichkeit fiskalische Motive zugrunde lägen, ist daher abzulehnen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 110 IB 187
Date : 04. April 1984
Published : 31. Dezember 1985
Source : Bundesgericht
Status : 110 IB 187
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Auslieferung an die Niederlande. Art. 14 EAÜ, Art. 5 EAÜ und Art. 3 Abs. 3 IRSG. Grundsatz der Spezialität. Konnexität zwischen
Classification : Bestätigung der Rechtsprechung


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IRSG: 3
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104-IA-49 • 110-IB-187 • 78-I-235 • 92-I-285
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BBl
1976/II/492