110 Ia 190
38. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. November 1984 i.S. L. AG gegen Kantone Wallis, Zürich, Tessin, Uri, Schwyz (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um.
1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. 2 Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10 3 Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11 - Die Unternehmung, die sich an einem Konsortium beteiligt, welches ein umfangreiches Werk (Staudamm) während mehrerer Jahre erstellt und zu diesem Zweck über feste Betriebseinrichtungen, eine eigene Geschäftsleitung und eine separate Buchhaltung verfügt, hat am Orte der Werkausführung eine Betriebsstätte, die im betreffenden Kanton die Steuerpflicht der Unternehmung entstehen lässt. Dazu ist nicht erforderlich, dass die festen Einrichtungen des Konsortiums der Erstellung mehrerer Werke unbestimmter Anzahl dienen.
Regeste (fr):
- Art. 46 al. 2 Cst. féd.; établissement stable d'une entreprise de construction.
- L'entreprise faisant partie d'un consortium qui exécute pendant plusieurs années un ouvrage important (barrage) et qui construit dans ce but des installations fixes disposant sur place d'une propre direction d'entreprise et d'une comptabilité séparée crée à l'endroit de l'exécution de l'ouvrage un établissement stable, justifiant l'imposition de l'entreprise dans le canton concerné. Il n'est, en outre, pas nécessaire que les installations fixes du consortium servent à l'exécution d'un nombre indéterminé d'ouvrages.
Regesto (it):
- Art. 46 cpv. 2 Cost.; stabilimento di un'impresa di costruzione.
- L'impresa facente parte di un consorzio che costruisce durante più anni un'opera importante (diga di sbarramento) e dispone all'uopo d'impianti fissi, di una propria direzione e di una contabilità separata, ha nel luogo dell'esecuzione dell'opera uno stabilimento, che giustifica l'imposizione dell'impresa nel Cantone in cui esso si trova. Al riguardo non occorre che gli impianti fissi del consorzio siano destinati all'esecuzione di un numero indeterminato di opere.
Sachverhalt ab Seite 190
BGE 110 Ia 190 S. 190
Die L. AG hat ihren statutarischen Sitz in Zürich und eine Zweigniederlassung im Kanton Tessin. Seit Ende der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre war sie zu 7,5% am Konsortium für den Bau des Staudammes Emosson (Wallis) beteiligt. Bereits am 4. Oktober 1967 teilte die Steuerverwaltung des Kantons Wallis der L. AG mit, ihre Beteiligung am Konsortium
BGE 110 Ia 190 S. 191
Emosson sei als Betriebsstätte anzusehen, weshalb ihr ab 1968 ein Steuererklärungsformular zugestellt werde. In der Schlussabrechnung des Baukonsortiums wurde der L. AG im Jahr 1977 ein Gewinn von Fr. ... aus ihrer mehrjährigen Beteiligung am Bauwerk zugewiesen, welcher rund 95% ihres gesamten Unternehmensgewinns des Jahres 1977 ausmachte. Am 11. April 1980 veranlagte das Steueramt der Stadt Zürich die L. AG für das Jahr 1978. Die Steuerausscheidung entsprach einem von der L. AG selber vorgelegten Ausscheidungsvorschlag und sah nebst einem Praecipuum von 10% für den Sitzkanton Zürich eine Aufteilung des verbleibenden Gewinns unter den Kantonen Zürich (0,791%), Tessin (97,702%), Schwyz (0,0239%) und Uri (1,286%) vor, also keine Zuteilung an den Kanton Wallis. Die Kantone Tessin, Schwyz und Uri besteuerten die L. AG entsprechend der vom Kanton Zürich vorgenommenen Steuerausscheidung. Da der Kanton Wallis davon ausging, dass die L. AG während ihrer Beteiligung am Baukonsortium im Kanton Wallis eine Betriebsstätte gehabt hatte und somit für den aus dieser Beteiligung erzielten, im Jahr 1977 gutgeschriebenen Gewinn im Kanton Wallis steuerpflichtig sei, besteuerte er die L. AG für einen Anteil von 91,315% des Gesamtunternehmensgewinns des Jahres 1977. Eine gegen diese Veranlagung erhobene Einsprache wies die Steuerverwaltung des Kantons Wallis am 5. Januar 1982 ab. Gegen diesen Einspracheentscheid erhob die L. AG mit Schreiben vom 29. Januar 1982 staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
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1 | Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
2 | Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10 |
3 | Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11 |
In ihrer Vernehmlassung vom 31. März 1982 beantragt die Steuerverwaltung des Kantons Wallis Abweisung der Beschwerde, soweit sie sich gegen ihren Einspracheentscheid richtet. Sodann
BGE 110 Ia 190 S. 192
beantragt sie, die interkantonale Steuerausscheidung des Kantons Zürich vom 11. April 1980 sei aufzuheben und auf der Grundlage der direkten Methode eine neue Steuerausscheidung vorzunehmen. Bezüglich der gerügten Doppelbesteuerung beantragt der Kanton Zürich Abweisung der Beschwerde. Der Kanton Tessin beantragt dagegen, die Beschwerde sei gutzuheissen und die Veranlagung der Beschwerdeführerin dahingehend zu ändern, dass eine Doppelbesteuerung vermieden werde, wobei der Kanton Wallis auch berücksichtigt werden müsse. Die Kantone Uri und Schwyz haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt die Veranlagungen aller beteiligten Kantone auf. Es stellt fest, dass die L. AG im Kanton Wallis ein sekundäres Steuerdomizil hat, und fordert die beteiligten Kantone zur Neuveranlagung im Sinne der Erwägungen auf.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Die Beschwerdeführerin anerkennt mit ihren Rechtsbegehren den Besteuerungsanspruch des Kantons Wallis. Sie verlangt aber im wesentlichen, sie sei in den beteiligten Kantonen Wallis, Zürich, Tessin, Uri und Schwyz nach einem neuen Verteilungsschlüssel zu besteuern. Es stellt sich damit die Frage, ob für das Jahr 1977 im Kanton Wallis eine Betriebsstätte, also ein sekundäres Steuerdomizil der Beschwerdeführerin, zu anerkennen sei. Diese Frage ist nicht schon darum zu verneinen, weil im Jahr 1977 die Anlagen und Einrichtungen des Konsortiums, an dem die Beschwerdeführerin beteiligt war, nicht mehr im Betrieb waren. Die Tatsache, dass der Gewinn aus der Beteiligung der Beschwerdeführerin erst im Jahr 1977 zugewiesen wurde, ist ausschliesslich darauf zurückzuführen, dass das Konsortium erst zu diesem Zeitpunkt abrechnete. Der Gewinn ist aber Resultat der früheren Geschäftstätigkeit des Konsortiums im Kanton Wallis. Sollte das Konsortium sich dort für seine Geschäftstätigkeit ständiger Anlagen und Einrichtungen bedient haben, so muss für die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Gewinns aus der Beteiligung am Konsortium, einer einfachen Gesellschaft, ein sekundäres Steuerdomizil im Kanton Wallis anerkannt werden: Die Erträge einer einfachen Gesellschaft dürfen nach feststehender Praxis bei den einzelnen Gesellschaftern grundsätzlich am Orte besteuert werden, wo die
BGE 110 Ia 190 S. 193
Gesellschaft ständige Anlagen und Einrichtungen besitzt, die der Geschäftstätigkeit dienen (BGE 66 I 154 ff.; BGE 48 I 408 ff. E. 2; Urteil vom 13. Juni 1967 in ASA 37 S. 234/5 E. 3).
3. Zur Begründung einer Betriebsstätte bedarf es nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung keiner eigentlichen Geschäftsniederlassung (Filiale oder Zweigniederlassung) im handelsrechtlichen Sinn; es genügt, dass das Unternehmen an einem Ort ständige körperliche Anlagen oder Einrichtungen besitzt, mittels derer sich ein qualitativ und quantitativ wesentlicher Teil des technischen und kommerziellen Betriebs vollzieht (BGE 95 I 435 E. 3 mit Hinweisen; LOCHER, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht, in: Die Praxis der Bundessteuern, III. Teil, § 8, I B, 2 Nr. 3; HÖHN, Interkantonales Steuerrecht, § 10 I (1)).
An die ständigen Anlagen und Einrichtungen eines Konsortiums von Bauunternehmungen, die seiner Geschäftstätigkeit dienen, sind jedenfalls nicht strengere Anforderungen zu stellen. Nicht umstritten ist, dass die Anlagen und Einrichtungen des Konsortiums im Kanton körperlicher Natur waren. Es liegt auch auf der Hand, dass die dort abgewickelten Tätigkeiten qualitativ und quantitativ wesentlich und insbesondere auch für die Beschwerdeführerin nicht bloss untergeordnet oder nebensächlich waren. Es stellt sich aber die Frage, ob das Konsortium über ständige Anlagen und Einrichtungen verfügte. Nur wenn auch diese Bedingung erfüllt ist, kann die Steuerpflicht der Beschwerdeführerin im Kanton Wallis begründet werden.
4. a) Das Bundesgericht anerkennt in konstanter Rechtsprechung der Bautätigkeit dienende Anlagen (bspw. Baubüros, Aufbereitungsanlagen für Strassenbelag) als ständige körperliche Einrichtungen und damit als Betriebsstätten, wenn sie der Ausführung mehrerer Werkverträge dienen und auf (unbestimmte) Dauer angelegt sind (LOCHER, a.a.O., § 8, I D, 2 Nr. 9; BGE 95 I 435 ff. E. 3; BGE 62 I 139 E. 2; Urteil vom 13. Juni 1967 in ASA 37 S. 234 E. 3). Nicht als Betriebsstätte anerkannt wurden bisher jedoch regelmässig Baustellen und Baubüros, wenn sie zur Ausführung bloss eines einzelnen Bauwerks errichtet wurden (LOCHER, a.a.O., § 8, I D, 2 Nrn. 5, 7, 8, 10, 11, 13), selbst wenn das einzelne Bauwerk eine Bauzeit von mehreren Jahren erforderte (BGE 41 I 441 /2, bestätigt in BGE 67 I 95 /6; vgl. zudem LOCHER, a.a.O., § 8, I D, 2 Nr. 11). In der kantonalen Praxis wird diesem Grundsatz allerdings nicht durchwegs nachgelebt (HÖHN, a.a.O., S. 152, FN 38). Das Bundesgericht hat in zwei in den Jahren 1968 und 1969 entschiedenen
BGE 110 Ia 190 S. 194
Fällen unter Hinweis auf die Kritik verschiedener Autoren denn auch die Möglichkeit einer Praxisänderung nicht ausgeschlossen (BGE 94 I 332 E. 3e; 95 I 437 E. 3). Es musste damals dazu allerdings nicht weiter Stellung nehmen, da die Steuerhoheit der betroffenen Kantone sich schon aus anderen Gründen ergab.
b) Gegen die Anerkennung einer Baustelle, die zur Erstellung eines einzigen - wenn auch umfangreichen - Werks dient, als ständige Anlage oder Einrichtung im Sinne des doppelbesteuerungsrechtlichen Begriffs der Betriebsstätte wurde immer eingewendet, dies würde zu einer Zersplitterung der Steuerpflicht führen (LOCHER, a.a.O., § 8, I D, 2 Nrn. 5 und 11; BGE 94 I 332 E. 3e). Es wurde aber durchaus eingeräumt, dass Billigkeitserwägungen gerade bei der Errichtung grösserer Werke an sich für eine Berücksichtigung des Kantons sprächen, in dem das Werk erstellt wird (LOCHER, a.a.O.). In der Tat sind es namentlich die Bergkantone, wo besonders bedeutende Bauprojekte realisiert werden, deren Ausführung längere Zeit beansprucht. Die mit dem Bau beauftragten spezialisierten Unternehmungen, die häufig aus anderen Kantonen beigezogen werden müssen, erzielen bei der Ausführung solcher Werke bedeutende Gewinne, die der Besteuerung durch den Kanton, auf dessen Gebiet das Werk ausgeführt wird, entzogen sind (JEAN-MARC RIVIER, L'imposition des entreprises internationales, thèse Lausanne 1964, S. 68). Viele Kantone sind schon seit langem dazu übergegangen, in die Konzessionserteilungen etwa an Elektrizitätsgesellschaften die Auflage aufzunehmen, dass alle Bauarbeiten an im Kanton ansässige Unternehmungen zu vergeben sind, bzw. an solche Unternehmungen, die im Kanton eine die Steuerpflicht begründende Zweigniederlassung errichten (RIVIER, a.a.O.; Bericht des Eidg. Finanz- und Zolldepartements zum Vorentwurf vom 5. April 1961 zu einem Bundesgesetz über das Verbot der Doppelbesteuerung, S. 8 oben). Wie gesehen handhaben die Kantone sodann teilweise die Betriebsstätte-Praxis weniger restriktiv, als sie nach den - durchwegs älteren - Entscheiden des Bundesgerichts galt (vgl. vorne E. 4a).
Schon der Vorentwurf zum Ausführungsgesetz zu Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
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1 | Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
2 | Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10 |
3 | Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11 |
BGE 110 Ia 190 S. 195
im Hinblick auf das geplante Ausführungsgesetz zu Art. 46 Abs. 2
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 46 Umsetzung des Bundesrechts - 1 Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
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1 | Die Kantone setzen das Bundesrecht nach Massgabe von Verfassung und Gesetz um. |
2 | Bund und Kantone können miteinander vereinbaren, dass die Kantone bei der Umsetzung von Bundesrecht bestimmte Ziele erreichen und zu diesem Zweck Programme ausführen, die der Bund finanziell unterstützt.10 |
3 | Der Bund belässt den Kantonen möglichst grosse Gestaltungsfreiheit und trägt den kantonalen Besonderheiten Rechnung.11 |
BGE 110 Ia 190 S. 196
d) Der Staudamm in Emosson wurde in rund 10jähriger Arbeit durch ein Konsortium, eine von verschiedenen Bauunternehmungen gebildete einfache Gesellschaft, erstellt. Das Konsortium zog eine selbständige Organisation ausschliesslich zum Zweck der Erstellung eines Bauwerks auf. Es hatte eine Geschäftsleitung und führte für die Baustelle separat Buch. Faktisch handelte es sich daher beim Konsortium um ein eigentliches Unternehmen mit festen eigenen Betriebseinrichtungen, das während Jahren ein Grossprojekt verwirklichte. Es konnte zwar als einfache Gesellschaft nicht Steuersubjekt sein, jedoch begründete es in der beschriebenen Ausgestaltung und nach dem Umfang des Bauwerks eine Betriebsstätte der beteiligten einzelnen Unternehmungen. Damit ist die Beschwerdeführerin für das Jahr 1977 kraft ihrer Beteiligung am Konsortium grundsätzlich anteilsmässig im Kanton Wallis steuerpflichtig.