109 II 234
53. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1983 i.S. Frau S. gegen X. (Berufung)
Regeste (de):
- Art. 99
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 99 - 1 Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden.
1 Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden. 2 Das Mass der Haftung richtet sich nach der besonderen Natur des Geschäftes und wird insbesondere milder beurteilt, wenn das Geschäft für den Schuldner keinerlei Vorteil bezweckt. 3 Im übrigen finden die Bestimmungen über das Mass der Haftung bei unerlaubten Handlungen auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung. SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 472 - 1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren.
1 Durch den Hinterlegungsvertrag verpflichtet sich der Aufbewahrer dem Hinterleger, eine bewegliche Sache, die dieser ihm anvertraut, zu übernehmen und sie an einem sicheren Orte aufzubewahren. 2 Eine Vergütung kann er nur dann fordern, wenn sie ausdrücklich bedungen worden ist oder nach den Umständen zu erwarten war. - 1. Sorgfaltspflicht des Wirtes, der gegen Entgelt Kleidungsstücke der Gäste in Verwahrung nimmt.
- 2. Keine Pflicht des Gastes, auf den besonderen Wert eines Pelzmantels hinzuweisen, wenn der Wirt, wie aus den Umständen ersichtlich, auch Gäste mit kostbaren Kleidern erwartete.
Regeste (fr):
- Art. 99 et 472 ss CO. Responsabilité du restaurateur pour le dépôt de vêtements.
- 1. Diligence incombant au restaurateur qui prend sous sa garde des vêtements de clients contre rémunération.
- 2. Le client n'est pas tenu de signaler la valeur particulière d'un manteau de fourrure lorsqu'il ressort des circonstances que le restaurateur s'attendait à recevoir également des clients porteurs de vêtements de prix.
Regesto (it):
- Art. 99 e 472 segg. CO. Responsabilità del gestore di ristorante per il deposito di vestiario.
- 1. Doveri di diligenza del gestore di ristorante che prende in custodia a pagamento vestiario di clienti.
- 2. Il cliente non è tenuto a segnalare il valore particolare di una pelliccia quando dalle circostanze si desume che il gestore del ristorante si sarebbe aspettato anche avventori con vestiario di pregio.
Sachverhalt ab Seite 235
BGE 109 II 234 S. 235
A.- X. führt in der Nähe von St. Moritz ein Restaurant. Am Silvesterabend 1977 liess er im Untergeschoss, wo sich insbesondere eine zweite Gaststube und die Toilettenräume befinden, eine zusätzliche Garderobe einrichten; die ständige liegt im obern Geschoss. Beide Garderoben wurden an jenem Abend von Frau M. bedient; sie nahm die Kleidungsstücke, welche die Gäste ablegen wollten, entgegen und übergab ihnen gegen Bezahlung von Fr. 1.-- je Stück eine Kontrollmarke. Die Überwachung der Garderoben wurde dadurch erschwert, dass zwischen ihnen keine direkte Sicht möglich war. Etwa um 21 Uhr betrat Frau S. zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter das Restaurant. Die Eheleute hinterlegten an der untern Garderobe je einen Mantel, die Tochter eine Jacke. Als die Eheleute nach 23 Uhr ihre Kleidungsstücke zurücknehmen wollten, war der Mantel der Frau verschwunden. Es handelte sich angeblich um einen kanadischen Wildnerzmantel, dessen Wert Frau S. auf Fr. 25'000.-- schätzte. Die Polizei stellte fest, dass in der Herren-Toilette ein Gitter, welches das Fenster abdeckte, gewaltsam aufgebrochen und der Mantel offenbar durch diese Öffnung ins Freie geschafft worden war; er ist seither verschwunden.
Frau S. meldete den Diebstahl ihrer Versicherungsgesellschaft, die ihr Fr. 10'000.-- an den Schaden bezahlte.
B.- Im Mai 1980 klagte Frau S. gegen X. auf Zahlung von Fr. 10'000.-- nebst 5% Zins seit 1. Januar 1978. Das Bezirksgericht Maloja hiess die Klage in vollem Umfang gut. Der Beklagte appellierte an das Kantonsgericht von Graubünden,
BGE 109 II 234 S. 236
das ihn am 29. November 1982 zur Zahlung von Fr. 5'000.-- nebst 5% Zins seit 16. Oktober 1978 verurteilte. Das Kantonsgericht fand, dass beide Parteien ein erhebliches Verschulden am Verlust des Nerzmantels treffe und es sich deshalb rechtfertige, "sie den Schaden nach Hälften" tragen zu lassen.
C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt mit dem Antrag, es aufzuheben und den Beklagten zur Zahlung von Fr. 10'000.-- nebst 5% Zins seit 16. Oktober 1978 zu verpflichten. Das Bundesgericht heisst die Berufung gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Vor Bundesgericht ist nur noch streitig, ob die Klägerin den Verlust des Mantels mitzuverantworten habe und sich deshalb gemäss Art. 99 Abs. 3
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 99 - 1 Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden. |
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1 | Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden. |
2 | Das Mass der Haftung richtet sich nach der besonderen Natur des Geschäftes und wird insbesondere milder beurteilt, wenn das Geschäft für den Schuldner keinerlei Vorteil bezweckt. |
3 | Im übrigen finden die Bestimmungen über das Mass der Haftung bei unerlaubten Handlungen auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 44 - 1 Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
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1 | Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Ersatzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden. |
2 | Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verursacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen. |
BGE 109 II 234 S. 237
gehabt, sich vielmehr darauf verlassen dürfen, dass als wertvoll erkennbare Mäntel sorgfältig aufbewahrt werden. b) Dem Kantonsgericht sind vorweg seine eigenen Feststellungen und Erwägungen über das Verschulden des Beklagten entgegenzuhalten. Es folgert aus den Vorkehren des Beklagten, dass er an jenem besonderen Festabend, mitten in der Wintersaison und in unmittelbarer Nähe eines mondänen Kurortes, überdurchschnittlich viele Gäste erwartet habe, auch solche mit kostbaren Kleidern. Er habe die Kleider der Gäste auch verwahren wollen, sich unbekümmert um die fehlende Sicht über die Treppe zwischen den beiden Ablagen aber mit einer Angestellten begnügt, weshalb den ganzen Abend über wechselweise je eine der beiden unbewacht geblieben sei. Da zudem jedermann im Untergeschosse die Toilettenräume oder die zweite Gaststube habe aufsuchen können, ohne Verdacht zu erregen, sei es für die Täterschaft ein Leichtes gewesen, sich unbemerkt einen kostbaren Mantel auszusuchen und ihn durch die vorbereitete Öffnung ins Freie zu schaffen. Der Beklagte hätte deshalb Frau M. zumindest anweisen müssen, alle Pelzmäntel in einem abschliessbaren Raum zu verwahren. Mit diesen einleuchtenden Erwägungen, die sich mit dem Ergebnis des Beweisverfahrens und mit der Auffassung des Bezirksgerichts decken, entzieht das Kantonsgericht einer Pflicht der Klägerin, die Garderobenfrau auf den hohen Wert ihres Mantels aufmerksam zu machen, selbst die Grundlage. Wenn der Beklagte in seinem Restaurant, das nach Auffassung des Bezirksgerichts insbesondere am Silvesterabend von einer eher gehobenen Kundschaft aufgesucht wird, auch Gäste mit kostbaren Kleidern erwartete und nicht bloss willens, sondern auch verpflichtet war, Pelzmäntel gehörig zu verwahren, so erübrigte sich ein Hinweis des Hinterlegers. Das gilt um so mehr, als der Beklagte die Interessen der Hinterleger nach seinem eigenen Wissen zu wahren hatte, wozu namentlich die Kenntnis der örtlichen Verhältnisse gehörte. Er war sich seiner Pflicht und der Gefahr übrigens bewusst, da er Frau M. nach deren Aussagen anhielt, die Leute, welche den Zugang zu den Toilettenräumen benutzten, wegen der abgelegten Pelzmäntel gut zu kontrollieren; Frau M. will den ganzen Abend denn auch über die Treppe auf und ab gegangen sein und sich bemüht haben, sehr aufzupassen, konnte stets aber nur eine der beiden Garderoben im Auge behalten. Dadurch wurde, wie das Kantonsgericht selber annimmt, der Diebstahl überhaupt ermöglicht. Für diesen Umstand hat der Beklagte allein einzustehen.
BGE 109 II 234 S. 238
c) Aus BECKER, N. 46 zu Art. 99
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 99 - 1 Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden. |
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1 | Der Schuldner haftet im Allgemeinen für jedes Verschulden. |
2 | Das Mass der Haftung richtet sich nach der besonderen Natur des Geschäftes und wird insbesondere milder beurteilt, wenn das Geschäft für den Schuldner keinerlei Vorteil bezweckt. |
3 | Im übrigen finden die Bestimmungen über das Mass der Haftung bei unerlaubten Handlungen auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 487 - 1 Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist. |
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1 | Gastwirte, die Fremde zur Beherbergung aufnehmen, haften für jede Beschädigung, Vernichtung oder Entwendung der von ihren Gästen eingebrachten Sachen, sofern sie nicht beweisen, dass der Schaden durch den Gast selbst oder seine Besucher, Begleiter oder Dienstleute oder durch höhere Gewalt oder durch die Beschaffenheit der Sache verursacht worden ist. |
2 | Diese Haftung besteht jedoch, wenn dem Gastwirte oder seinen Dienstleuten kein Verschulden zur Last fällt, für die Sachen eines jeden einzelnen Gastes nur bis zum Betrage von 1000 Franken. |