Urteilskopf

108 V 1

1. Auszug aus dem Urteil vom 29. Januar 1982 i.S. Jina gegen Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
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Erwägungen ab Seite 2

BGE 108 V 1 S. 2

Aus den Erwägungen:

1. Versicherte, denen eine Altersrente zusteht, haben gemäss Art. 22ter Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 22ter Kinderrente - 1 Personen, welchen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Für Pflegekinder, die erst nach der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente oder auf eine ihr vorausgehende Rente der Invalidenversicherung in Pflege genommen werden, besteht kein Anspruch auf Kinderrente, es sei denn, es handle sich um Kinder des andern Ehegatten.
1    Personen, welchen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Für Pflegekinder, die erst nach der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente oder auf eine ihr vorausgehende Rente der Invalidenversicherung in Pflege genommen werden, besteht kein Anspruch auf Kinderrente, es sei denn, es handle sich um Kinder des andern Ehegatten.
2    Die Kinderrente wird wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckgemässe Verwendung (Art. 20 ATSG119) und abweichende zivilrichterliche Anordnungen. Der Bundesrat kann die Auszahlung für Sonderfälle in Abweichung von Artikel 20 ATSG regeln, namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe.120
AHVG für jedes Kind, das im Fall ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Dieser Anspruch besteht - in sinngemässer Anwendung des Art. 25 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 25 Waisenrente - 1 Kinder, deren Vater oder Mutter gestorben ist, haben Anspruch auf eine Waisenrente. Sind Vater und Mutter gestorben, so haben sie Anspruch auf zwei Waisenrenten.
1    Kinder, deren Vater oder Mutter gestorben ist, haben Anspruch auf eine Waisenrente. Sind Vater und Mutter gestorben, so haben sie Anspruch auf zwei Waisenrenten.
2    Findelkinder haben Anspruch auf eine Waisenrente.
3    Der Bundesrat regelt den Anspruch der Pflegekinder auf Waisenrente.
4    Der Anspruch auf die Waisenrente entsteht am ersten Tag des dem Tode des Vaters oder der Mutter folgenden Monats. Er erlischt mit der Vollendung des 18. Altersjahres oder mit dem Tod der Waise.
5    Für Kinder, die noch in Ausbildung sind, dauert der Rentenanspruch bis zu deren Abschluss, längstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr. Der Bundesrat kann festlegen, was als Ausbildung gilt.
AHVG - für Kinder, die in Ausbildung begriffen sind, auch nach Vollendung des 18. Altersjahres, und zwar bis zum Abschluss ihrer Ausbildung, längstens jedoch bis zum vollendeten 25. Altersjahr.
Nach der früheren Rechtsprechung hörte der Anspruch auf Kinder- oder Waisenrente mit Ablauf des Monats auf, in welchem das Kind bzw. die Waise sich verheiratete, selbst wenn die Ausbildung nach der Verheiratung fortgesetzt wurde (EVGE 1965 S. 22, ZAK 1975 S. 523). Dieser zunächst auf den Waisenrentenanspruch einer in Ausbildung stehenden Tochter angewandte Grundsatz wurde in BGE 97 V 178 auch auf männliche Bezüger einer Waisenrente anwendbar erklärt. Im Urteil Pella vom 23. Dezember 1980 (BGE 106 V 198) hat das Eidg. Versicherungsgericht diese Praxis in dem Sinne geändert, dass im Hinblick auf den Anspruch auf Waisenrente die Verheiratung keinen Erlöschensgrund mehr darstellt. Das Gericht ging dabei von der Feststellung aus, dass heute Eheschliessungen unter Studenten, insbesondere auch von Studierenden aus wenig bemittelten Kreisen, keine Seltenheit mehr sind. Für diese Personen kann die Führung eines gemeinsamen Haushaltes eine beachtliche Einsparung bedeuten. Dieser Entwicklung hat der Gesetzgeber in dem seit 1. Januar 1978 geltenden Art. 277 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 277 - 1 Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.346
1    Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes.346
2    Hat es dann noch keine angemessene Ausbildung, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann.347
ZGB Rechnung getragen, indem er die Eltern verpflichtete, für den Unterhalt des Kindes auch nach der Erreichung der Mündigkeit aufzukommen, wenn das Kind sich noch in Ausbildung befindet. Da der eigentliche Grund des Anspruchs auf Leistungen für Kinder in der elterlichen Unterhaltspflicht besteht, wäre es schwer verständlich, weshalb die Waisen- und Kinderrenten bei der Verehelichung der Kinder dahinfallen sollten. Dazu kommt, dass die bisherige Rechtsprechung jene Waisen begünstigte, die auf eine Eheschliessung verzichteten und in freier Gemeinschaft mit einem Partner zusammenlebten. Weil nach der gesetzlichen Ordnung der Anspruch auf Kinderrente gleich geregelt ist wie der Anspruch des Kindes auf Waisenrente (vgl. Art. 22ter Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 22ter Kinderrente - 1 Personen, welchen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Für Pflegekinder, die erst nach der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente oder auf eine ihr vorausgehende Rente der Invalidenversicherung in Pflege genommen werden, besteht kein Anspruch auf Kinderrente, es sei denn, es handle sich um Kinder des andern Ehegatten.
1    Personen, welchen eine Altersrente zusteht, haben für jedes Kind, das im Falle ihres Todes eine Waisenrente beanspruchen könnte, Anspruch auf eine Kinderrente. Für Pflegekinder, die erst nach der Entstehung des Anspruchs auf eine Altersrente oder auf eine ihr vorausgehende Rente der Invalidenversicherung in Pflege genommen werden, besteht kein Anspruch auf Kinderrente, es sei denn, es handle sich um Kinder des andern Ehegatten.
2    Die Kinderrente wird wie die Rente ausbezahlt, zu der sie gehört. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die zweckgemässe Verwendung (Art. 20 ATSG119) und abweichende zivilrichterliche Anordnungen. Der Bundesrat kann die Auszahlung für Sonderfälle in Abweichung von Artikel 20 ATSG regeln, namentlich für Kinder aus getrennter oder geschiedener Ehe.120
AHVG), ist die für in Ausbildung begriffene, verheiratete Waisen geänderte Praxis
BGE 108 V 1 S. 3

auch anzuwenden auf Kinderrenten. Demnach besteht für verheiratete oder geschiedene Waisen und Kinder grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen wie für ledige Anspruch auf Waisen- oder Kinderrenten.
2. ... a) Aufgrund der Änderung der Rechtsprechung in BGE 106 V 198 hat das Bundesamt für Sozialversicherung am 19. Februar 1981 das Kreisschreiben betreffend "Anspruch auf Waisen- bzw. Kinderrenten für verheiratete Waisen und Kinder" erlassen. In den Übergangsbestimmungen dieses Kreisschreibens wird u.a. festgelegt, dass die Waisen- und Kinderrenten vom 1. Januar 1981 an ausgerichtet werden können, wenn die Renten "vor dem 1. Januar 1981 infolge Heirat erloschen" sind "bzw. nicht entstehen konnten, weil zwar alle übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, die Waise oder das Kind jedoch im massgebenden Zeitpunkt verheiratet war". Es stellt sich indessen die Frage, ob die Renten nicht auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1981 auszurichten sind, wenn ein Leistungsbegehren - wie im vorliegenden Fall - zur Zeit der Praxisänderung bei einer Beschwerdeinstanz hängig und noch nicht rechtskräftig erledigt ist. Wie das Bundesamt in seiner ergänzenden Stellungnahme mit Recht darlegt, ist das Kreisschreiben vom 19. Februar 1981 in diesen Fällen nicht anwendbar. Das Gesamtgericht hat beschlossen, dass die neue Rechtsprechung auch für die bereits vor dem Zeitpunkt der Praxisänderung eingetretenen, noch nicht rechtskräftig beurteilten Rentenfälle gilt. In diesen Fällen steht es der zuständigen Beschwerdeinstanz frei, die Renten nicht erst ab 1. Januar 1981, sondern - im Rahmen der Art. 46 Abs. 1
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG)
AHVG Art. 46 Nachzahlung nicht bezogener Renten und Hilflosenentschädigungen - 1 Der Anspruch auf Nachzahlung richtet sich nach Artikel 24 Absatz 1 ATSG235.
1    Der Anspruch auf Nachzahlung richtet sich nach Artikel 24 Absatz 1 ATSG235.
2    Macht ein Versicherter den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Entschädigung in Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG lediglich für die zwölf Monate ausgerichtet, die der Geltendmachung vorangehen. Weiter gehende Nachzahlungen werden erbracht, wenn der Versicherte den anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte und die Anmeldung innert zwölf Monaten nach Kenntnisnahme vornimmt.
3    Der Bundesrat kann die Nachzahlung ordentlicher Altersrenten, für die der Aufschub in Betracht kommt, in Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG einschränken oder ausschliessen.
AHVG bzw. Art. 48 Abs. 2
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 48 Nachzahlung von Leistungen - 1 Macht eine versicherte Person ihren Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, auf medizinische Massnahmen oder auf Hilfsmittel mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Leistung in Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG298 nur für die zwölf Monate nachgezahlt, die der Geltendmachung vorangehen.
1    Macht eine versicherte Person ihren Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung, auf medizinische Massnahmen oder auf Hilfsmittel mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Leistung in Abweichung von Artikel 24 Absatz 1 ATSG298 nur für die zwölf Monate nachgezahlt, die der Geltendmachung vorangehen.
2    Die Leistung wird für einen längeren Zeitraum nachgezahlt, wenn die versicherte Person:
a  den anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte; und
b  den Anspruch spätestens zwölf Monate, nachdem sie davon Kenntnis erhalten hat, geltend macht.
IVG - auch rückwirkend über den 1. Januar 1981 hinaus zu gewähren. Dies steht mit der bisherigen Rechtsprechung in Einklang, wonach eine neue Praxis grundsätzlich auf die im Zeitpunkt der Änderung noch nicht erledigten sowie auf künftige Fälle anwendbar ist (BGE 100 V 25, EVGE 1969 S. 92 mit Hinweisen; vgl. auch IMBODEN/RHINOW, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, 1976, S. 274 und 479).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 108 V 1
Date : 29. Januar 1982
Published : 31. Dezember 1982
Source : Bundesgericht
Status : 108 V 1
Subject area : BGE - Sozialversicherungsrecht (bis 2006: EVG)
Subject : Art. 22ter, 25 Abs. 2 und 26 Abs. 2 AHVG. - Die in BGE 106 V 198 begründete Rechtsprechung, wonach der Anspruch auf die
Classification : Änderung der Rechtsprechung


Legislation register
AHVG: 22ter  25  26  46
IVG: 48
ZGB: 277
BGE-register
100-V-20 • 106-V-198 • 108-V-1 • 97-V-178
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