Urteilskopf

108 Ib 374

65. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 10. August 1982 i.S. Streit gegen Staat Bern und Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
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Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 374

BGE 108 Ib 374 S. 374

Erwägungen:

1. Am 31. März 1982 schloss der Staat Bern mit verschiedenen Grundeigentümern einen Vergleich über die Höhe der Entschädigungen ab, welche der Staat als Enteigner und Werkeigentümer der Nationalstrasse N 12 für die Unterdrückung der nachbarrechtlichen Abwehransprüche zu leisten habe. Nach diesem
BGE 108 Ib 374 S. 375

Vergleich sollten unter anderem an Ernst Streit, Eigentümer eines Grundstücks in Wabern, Fr. 54'000.-- einschliesslich Zinsen ausgerichtet werden. Mit Entscheid vom 14. April 1982 genehmigte die Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6, die Vereinbarung und schrieb das Verfahren, unter Festsetzung der vom Enteigner zu bezahlenden Kosten und Parteientschädigungen, als durch Vergleich erledigt vom Geschäftsverzeichnis ab. Ernst Streit hat gegen den Abschreibungsbeschluss der Schätzungskommission am 28. Mai 1982 Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht und verlangt, dass dieser aufgehoben und der zwischen den Parteien geschlossene Vergleich als hinfällig erklärt werde, dass im weiteren dem Staat Bern die Pflicht zur Erstellung von Schutzmassnahmen aufzuerlegen, die Enteignungsentschädigung nach Ergreifung dieser Massnahmen neu festzusetzen und die Sache mit entsprechenden Weisungen zur Neubeurteilung an die Schätzungskommission zurückzuweisen sei.
2. Der Enteignete ficht nicht den Abschreibungsbeschluss der Schätzungskommission an sich an, sondern macht geltend, er habe sich über die Grundlagen des von ihm angenommenen Vergleichsvorschlages geirrt. Ob in der Tat ein Grundlagenirrtum vorliege, hat aber das Bundesgericht nicht als erste Instanz zu beurteilen. Über die Verbindlichkeit eines Vergleiches entscheidet diejenige Instanz, vor welcher die Sache vor Vergleichsabschluss hängig war (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 242). Dies gilt auch für Vereinbarungen, die während des Enteignungsverfahrens getroffen werden, und zwar unabhängig davon, ob sie vor der Schätzungskommission an der Einigungsverhandlung (Art. 53 Abs. 1
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 53
1    Soweit das Verfahren zu einer Einigung der Parteien über die Entschädigungsansprüche führt, kommt dem Protokoll die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils der Schätzungskommission zu.
2    Führt die festgestellte Entschädigung zu einem Verluste für einen Grundpfand-, Grundlast- oder Nutzniessungsberechtigten, so ist die Vereinbarung ihm gegenüber nur dann wirksam, wenn er sie unterzeichnet oder sich an der Einigungsverhandlung nicht beteiligt hat. Das Protokoll hat hierüber Aufschluss zu geben.
EntG) oder ausserhalb dieser Verhandlung geschlossen werden (vgl. Art. 54 Abs. 1
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 54
1    Die nach Einleitung des Enteignungsverfahrens, aber ausserhalb eines Verfahrens vor der Schätzungskommission zustande gekommene Verständigung über die Entschädigung bedarf zu ihrer Verbindlichkeit der schriftlichen Form; sie ist dem Präsidenten der Schätzungskommission mitzuteilen.42
2    Die Verständigung ist auch für die dadurch zu Verlust kommenden Grundpfand-, Grundlast- und Nutzniessungsberechtigten verbindlich, sofern sie ihnen persönlich durch Anzeige des Präsidenten der Schätzungskommission zur Kenntnis gebracht worden ist und die Berechtigten nicht bei ihm innert 30 Tagen die Durchführung des Schätzungsverfahrens verlangt haben.
EntG). Die Partei, die die Gültigkeit eines Enteignungsvergleiches bestreitet, hat daher die Schätzungskommission um Wiederaufnahme des Verfahrens zu ersuchen (Art. 66 lit. b
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 66
1    Kommt im Einigungsverfahren keine Einigung zustande, so leitet der Präsident der Schätzungskommission von Amtes wegen das Schätzungsverfahren ein.
2    Mit Zustimmung der Parteien kann das Schätzungsverfahren jedoch bis nach Fertigstellung des Werkes verschoben werden.
EntG), welche über diesen Streitpunkt als Vorfrage entscheidet (HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 4 zu Art. 53
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 53
1    Soweit das Verfahren zu einer Einigung der Parteien über die Entschädigungsansprüche führt, kommt dem Protokoll die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils der Schätzungskommission zu.
2    Führt die festgestellte Entschädigung zu einem Verluste für einen Grundpfand-, Grundlast- oder Nutzniessungsberechtigten, so ist die Vereinbarung ihm gegenüber nur dann wirksam, wenn er sie unterzeichnet oder sich an der Einigungsverhandlung nicht beteiligt hat. Das Protokoll hat hierüber Aufschluss zu geben.
und N. 10 zu Art. 54
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 54
1    Die nach Einleitung des Enteignungsverfahrens, aber ausserhalb eines Verfahrens vor der Schätzungskommission zustande gekommene Verständigung über die Entschädigung bedarf zu ihrer Verbindlichkeit der schriftlichen Form; sie ist dem Präsidenten der Schätzungskommission mitzuteilen.42
2    Die Verständigung ist auch für die dadurch zu Verlust kommenden Grundpfand-, Grundlast- und Nutzniessungsberechtigten verbindlich, sofern sie ihnen persönlich durch Anzeige des Präsidenten der Schätzungskommission zur Kenntnis gebracht worden ist und die Berechtigten nicht bei ihm innert 30 Tagen die Durchführung des Schätzungsverfahrens verlangt haben.
EntG; vgl. auch zur altrechtlichen Regelung BGE 52 I 34 ff.). Auf die eingereichte Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann somit mangels Zuständigkeit des Bundesgerichtes nicht eingetreten werden. Die Beschwerde wird indessen in Anwendung von Art. 8
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 8
1    Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde.
2    Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt.
VwVG an den Vizepräsidenten der Eidg. Schätzungskommission, Kreis 6, zur Erledigung überwiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 108 IB 374
Datum : 10. August 1982
Publiziert : 31. Dezember 1982
Quelle : Bundesgericht
Status : 108 IB 374
Sachgebiet : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Gegenstand : Anfechtung eines im Enteignungsverfahren abgeschlossenen Vergleiches. Über die Verbindlichkeit eines nach Einleitung des


Gesetzesregister
EntG: 53 
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 53
1    Soweit das Verfahren zu einer Einigung der Parteien über die Entschädigungsansprüche führt, kommt dem Protokoll die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils der Schätzungskommission zu.
2    Führt die festgestellte Entschädigung zu einem Verluste für einen Grundpfand-, Grundlast- oder Nutzniessungsberechtigten, so ist die Vereinbarung ihm gegenüber nur dann wirksam, wenn er sie unterzeichnet oder sich an der Einigungsverhandlung nicht beteiligt hat. Das Protokoll hat hierüber Aufschluss zu geben.
54 
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 54
1    Die nach Einleitung des Enteignungsverfahrens, aber ausserhalb eines Verfahrens vor der Schätzungskommission zustande gekommene Verständigung über die Entschädigung bedarf zu ihrer Verbindlichkeit der schriftlichen Form; sie ist dem Präsidenten der Schätzungskommission mitzuteilen.42
2    Die Verständigung ist auch für die dadurch zu Verlust kommenden Grundpfand-, Grundlast- und Nutzniessungsberechtigten verbindlich, sofern sie ihnen persönlich durch Anzeige des Präsidenten der Schätzungskommission zur Kenntnis gebracht worden ist und die Berechtigten nicht bei ihm innert 30 Tagen die Durchführung des Schätzungsverfahrens verlangt haben.
66
SR 711 Bundesgesetz vom 20. Juni 1930 über die Enteignung (EntG)
EntG Art. 66
1    Kommt im Einigungsverfahren keine Einigung zustande, so leitet der Präsident der Schätzungskommission von Amtes wegen das Schätzungsverfahren ein.
2    Mit Zustimmung der Parteien kann das Schätzungsverfahren jedoch bis nach Fertigstellung des Werkes verschoben werden.
VwVG: 8
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 8
1    Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde.
2    Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt.
BGE Register
108-IB-374 • 52-I-34
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
kreis • bundesgericht • schutzmassnahme • entscheid • enteignung • vorfrage • nationalstrasse • termin • weisung • erste instanz • nachbarrecht • ausserhalb • revision • grundlagenirrtum • enteigneter