108 Ia 230
43. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25. November 1982 i.S. D. gegen Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 31
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden.
1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. 2 Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. 3 Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist. 4 Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs. - Ob ein im Tatkanton disziplinierter Anwalt durch die Aufsichtsbehörde des Stammkantons zusätzlich belangt werden darf, beurteilt sich nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Eine weitere Sanktion rechtfertigt sich jedenfalls dann, wenn die Disziplinierung im Tatkanton die erforderliche Wirkung nicht entfalten kann, weil z.B. der im Tatkanton von der Berufsausübung vorübergehend ausgeschlossene Anwalt dort nur selten tätig ist.
Regeste (fr):
- Art. 31 Cst.; discipline des avocats.
- L'avocat auquel a été infligée une sanction disciplinaire dans le canton où il s'est rendu coupable de violation de ses devoirs professionnels peut-il encore faire l'objet d'une mesure disciplinaire dans le canton de son domicile professionnel? Cette question doit être résolue selon le principe de la proportionnalité. Une nouvelle sanction se justifie en tout cas lorsque la mesure prononcée dans le premier canton ne peut pas déployer l'effet qui en est escompté, par exemple parce que l'avocat n'y exerce que rarement son activité, de sorte que l'interdiction temporaire d'exercer sa profession dans ce canton ne le touche guère.
Regesto (it):
- Art. 31 Cost.; disciplina degli avvocati.
- Va deciso in base al principio della proporzionalità se un avvocato, a cui sia stata inflitta una sanzione disciplinare nel cantone in cui s'è reso colpevole, possa essere oggetto di un provvedimento disciplinare anche nel cantone del suo domicilio professionale. Una nuova sanzione si giustifica comunque quando quella pronunciata nel primo cantone non possa esplicare l'effetto voluto, ad esempio perché l'avvocato vi esercita solo raramente la propria attività, di guisa che il divieto temporaneo di esercitarvi la sua professione lo colpisce solo in scarsa misura.
Sachverhalt ab Seite 231
BGE 108 Ia 230 S. 231
Rechtsanwalt D. wurde aufgrund der Vorfälle im Zusammenhang mit dem "Pruntruter Prozess" die Berufsausübungsbewilligung im Kanton Bern für die Dauer von fünf Monaten entzogen, nachdem das Bundesgericht den von der Berner Anwaltskammer angeordneten dauernden Entzug des Anwaltspatentes wegen Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes aufgehoben hatte (BGE 106 Ia 100 ff.). Die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton Zürich büsste D. im Anschluss daran wegen derselben Vorkommnisse, die auch im Berner Verfahren zu beurteilen waren, gestützt auf § 7 Abs. 1 des zürcherischen Anwaltsgesetzes mit Fr. 1'000.--. Dagegen erhebt Rechtsanwalt D. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
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1 | Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
2 | Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. |
3 | Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist. |
4 | Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Beschwerdeführer beruft sich auf den Grundsatz ne bis in idem. Die in Bern angeordnete befristete Berufseinstellung trage alle Merkmale einer Strafe. Nichts anderes gelte für die in Zürich verhängte Busse. Nach den bundesgerichtlichen Grundsätzen sei aber die Zweitsanktion unzulässig. Die Einwendungen des Beschwerdeführers sind nur dann geeignet, die Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Entscheides ernstlich in Frage zu stellen, wenn auf den vorliegenden Fall der Grundsatz ne bis in idem vorbehaltlos zu Anwendung käme. Es fragt sich indes, ob nicht bereits der Ansatzpunkt der Kritik, die in erster Linie auf BGE 102 Ia 28 ff. aufbaut, falsch ist. a) Im erwähnten Urteil hielt das Bundesgericht einleitend fest, disziplinarische Sanktionen gegenüber Anwälten unterstünden dem Verhältnismässigkeitsprinzip. Der dem Strafprozessrecht entstammende Grundsatz ne bis in idem habe damit indes nichts zu tun. Er gelte hinsichtlich kantonaler Disziplinarverfahren nicht ohne weiteres, insbesondere werde die Disziplinarhoheit der Kantone dadurch nicht allgemein eingeschränkt. Das Bundesgericht überprüfte sodann die Natur der einzelnen Disziplinarsanktionen. Es hielt fest, Disziplinarstrafen, zu denen Verweis und Busse bzw. Sanktionen mit überwiegendem Strafcharakter zu zählen seien, unterstünden dem Grundsatz ne bis in idem. Es sei stossend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, den Anwalt
BGE 108 Ia 230 S. 232
kumulativ in allen Kantonen zu büssen, in denen er zur Berufsausübung zugelassen ist. b) Auch wenn in einzelnen Erwägungen des erwähnten Bundesgerichtsurteils auf den Grundsatz ne bis in idem Bezug genommen wird, muss daran festgehalten werden, dass das kantonale Disziplinarrecht dem Verwaltungsrecht, und nicht dem Strafrecht zuzurechnen ist und daher strafrechtlichen Grundsätzen an sich nicht zugänglich ist (BGE 98 Ib 306 E. 2b, BGE 97 I 835 E. 2a; DUBACH, Das Disziplinarrecht der freien Berufe, ZSR 70/1951, S. 16a). Bei den disziplinarischen Sanktionen steht nicht die Übelszufügung im Vordergrund, sondern die Aufrechterhaltung der Disziplin im betreffenden Berufskreis (HENGGELER, Das Disziplinarrecht der freiberuflichen Rechtsanwälte und Medizinalpersonen, Diss. Zürich 1976, S. 46), bei Anwälten insbesondere die Wahrung der Standeswürde und der Schutz des rechtsuchenden Publikums (BGE 73 I 290). Insofern bezweckt jede Disziplinarsanktion in erster Linie, den Fehlbaren zu einem in Zukunft standesgemässen Verhalten zu veranlassen. Nicht entscheidend ist dabei die Sanktionsart. Auch Busse und Verweis sowie die befristete Einstellung im Beruf sollen den Betreffenden dazu bringen, sich in Zukunft standeskonform zu verhalten. Das pönale Element ist somit nur von zweitrangiger Bedeutung. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Anwalt auch in einem anderen als dem Tatkanton diszipliniert werden kann, kommt es demnach nicht so sehr auf die Natur der Sanktion, sondern darauf an, ob unter Berücksichtigung aller wegen desselben Sachverhaltes ausgesprochener Disziplinierungen die zusätzlich verfügte Massnahme erforderlich ist, d.h. den Grundsatz der Verhältnismässigkeit beachtet. Die sich stellende Rechtsfrage ist im Zweitkanton insoweit nicht anders als im Tatkanton. Unter dem Gesichtswinkel des für die Disziplinierung massgebenden Verhältnismässigkeitsgrundsatzes (BGE BGE 106 Ia 121 E. c mit Hinweisen) kommt als weiterer Umstand für die Beurteilung, ob die Sanktion in einem angemessenen Verhältnis zur Art und Schwere der Pflichtwidrigkeit steht und nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um den Schutz des rechtsuchenden Publikums zu gewährleisten, lediglich hinzu, dass der Anwalt bereits diszipliniert wurde. Dabei ist nicht nur die im Tatkanton ausgesprochene Sanktion zu berücksichtigen. Von Bedeutung ist namentlich auch, inwiefern sie sich auf den Betreffenden auswirkt. Je nach dem kann sich unter diesem Gesichtspunkt eine zusätzliche Sanktion aufdrängen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der
BGE 108 Ia 230 S. 233
disziplinierte Anwalt in einem Kanton, in dem er kein Geschäftsdomizil unterhält und nicht regelmässig tätig ist, zeitlich befristet im Beruf eingestellt wird. Eine solche Disziplinarmassnahme dürfte in den wenigsten Fällen die gewünschte Wirkung zeigen und daher geeignet sein, nachhaltig auf den Anwalt einzuwirken. Wenn unter diesen Umständen der Stammkanton ihn erneut diszipliniert, kann dies grundsätzlich nicht beanstandet werden. Mit dieser Rechtsprechung steht BGE 102 Ia 28 ff. in Einklang. Dort kam das Bundesgericht zum Schluss, dass eine zweite Busse deshalb nicht geboten war, weil die im Tatkanton ausgesprochene befristete Berufseinstellung zusammen mit der Erstbusse dem Verschulden des Anwaltes insgesamt angemessen war. Der erwähnte Entscheid ist lediglich dahingehend zu präzisieren, dass nicht der Grundsatz ne bis in idem, sondern das Verhältnismässigkeitsprinzip entscheidet, ob und inwiefern der Anwalt kumulativ diszipliniert werden kann. c) Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die Aufsichtskommission aufgrund des einschlägigen Zürcher Rechts befugt war, ein separates Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer einzuleiten. Eine solche Rüge ist nicht erhoben. Strittig ist dagegen, ob die angefochtene Massnahme erforderlich war. Nach den bundesgerichtlichen Erwägungen im Urteil vom 22. Februar 1980, auf die zurückzukommen kein Anlass besteht, verhielt sich der Beschwerdeführer in einer Art und Weise, die seine Vertrauenswürdigkeit ernsthaft bezweifeln lässt (BGE 106 Ia 123 E. c), auch wenn sein Verschulden im Vergleich zu dem der übrigen ins Recht gefassten Anwälte weniger schwer wiegt. Die Aufsichtskommission schloss sich dieser Beurteilung an. Sie hielt bei der Festsetzung der Massnahme dafür, es liege ein Grenzfall vor, so dass man sich die Frage stellen könne, ob die Vertrauenswürdigkeit noch in einem Masse erschüttert sei, die die befristete Einstellung im Beruf rechtfertige. Diese Würdigung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Angesichts des nicht unbedeutenden Verschuldens des Beschwerdeführers, lässt sich die Auffassung vertreten, mit der befristeten Berufseinstellung im Kanton Bern sei namentlich im Hinblick auf den Schutz des Zürcher Publikums nicht Genüge getan. Dies folgt namentlich daraus, dass der Beschwerdeführer im Kanton Bern kein Geschäftsdomizil unterhält und dort offensichtlich nicht regelmässig tätig ist. Das materielle Gewicht der Berner Massnahme dürfte den Beschwerdeführer somit nicht schwer treffen und ist insbesondere weit
BGE 108 Ia 230 S. 234
geringer zu veranschlagen als eine Massnahme dieser Art im Stammkanton. Eine zusätzliche Sanktion im Kanton Zürich, wo der Beschwerdeführer sein Geschäftsdomizil hat, lässt sich unter diesen Umständen rechtfertigen. (Ausführungen über die Höhe der Busse.)