Urteilskopf

107 Ia 168

33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. September 1981 i.S. L. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und Obergericht (Strafkammer) des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 168

BGE 107 Ia 168 S. 168

A.- Mit Verfügung vom 22. Juni 1981 wurde L., die am 15. Juni 1981 gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn
BGE 107 Ia 168 S. 169

vom 15. Januar 1981 staatsrechtliche Beschwerde eingereicht hatte, vom Bundesgericht aufgefordert, bis zum 6. Juli 1981 einen Kostenvorschuss von Fr. 900.-- zu leisten. Da Frau L. nicht in der Lage gewesen wäre, diesen Betrag zu bezahlen, und sich ihre Haftpflichtversicherung, die Schweizerische National-Versicherung, bereit erklärt hatte, ihr insoweit beizustehen, setzte sich der Verteidiger telefonisch mit einem Vertreter der Versicherung in Verbindung und ersuchte ihn, den Betrag von Fr. 900.-- an die Bundesgerichtskasse zu überweisen, wobei es ihn darauf aufmerksam gemacht haben soll, dass der Betrag bis spätestens 6. Juli 1981 einbezahlt werden müsse. Am 24. Juni 1981 übermittelte der Anwalt der Versicherung die bundesgerichtliche Verfügung vom 22. Juni 1981 samt dem Einzahlungsschein der Bundesgerichtskasse und einem beigehefteten roten Avis. Am 9. Juli 1981 erhielt indes der Verteidiger der Frau L. mit der Post von der Schweizerischen National-Versicherung den Betrag von Fr. 900.-- mit dem Vermerk "Honorar Schadenfall vom 2.10.1979 13.79 L.C.B.". Die Versicherung hatte irrtümlich angenommen, der Anwalt werde den Betrag selber an die Bundesgerichtskasse einzahlen. Die Fr. 900.-- wurden gleichentags vom Verteidiger dem Bundesgericht überwiesen.
B.- Mit Eingabe vom 22. Juli 1981 ersucht Frau L. um Wiederherstellung der Frist gemäss Art. 35 OG.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

2. Nach Art. 35 Abs. 1 OG kann die Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumnis einer Frist nur dann erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert Frist zu handeln. a) Damit lässt das Gesetz die Wiederherstellung nur zu, wenn weder der Partei noch ihrem Vertreter ein Vorwurf gemacht werden kann. Bedient sich die Partei oder ihr Vertreter zur Erfüllung der Kostenvorschusspflicht eines Erfüllungsgehilfen, so ist ihr bzw. dem Anwalt das Verhalten der Hilfsperson wie ein eigenes zuzurechnen (Art. 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
OR); denn wer den Vorteil hat, Pflichten durch eine Hilfsperson erfüllen zu lassen, der soll auch die Nachteile daraus tragen (BGE 96 I 164, BGE 94 I 251, BGE 90 II 21, BGE 87 IV 150, BGE 85 II 47, BGE 78 IV 133). Hilfsperson ist dabei nicht nur, wer der Autorität der Partei oder ihres Vertreters untersteht (z.B. Angestellte des Anwalts), sondern jeder Erfüllungsgehilfe; ein ständiges
BGE 107 Ia 168 S. 170

Rechtsverhältnis zur Hilfsperson ist nicht nötig (BECKER, Kommentar, N. 9 ad Art. 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
OR; OSER/SCHÖNENBERGER, Kommentar, N. 5 zu Art. 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
OR). b) Im vorliegenden Fall hatte der Verteidiger die Schweizerische National-Versicherung ersucht, den von seiner Klientin zu leistenden Kostenvorschuss direkt und innert Frist an die Bundesgerichtskasse zu zahlen. Die Weisung wurde der Versicherung telefonisch erteilt, von der Versicherung aber offensichtlich missverstanden mit der Folge, dass sie den Betrag von Fr. 900.-- am 9. Juli 1981 dem Anwalt überwies in der Annahme, dieser werde die Zahlung an das Bundesgericht leisten. Diese Tatsache macht deutlich, dass der Anwalt seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt hat. Angesichts der Wichtigkeit der Rechtshandlung hätte er der Versicherung den Inhalt des Telefongesprächs schriftlich bestätigen und dabei unmissverständlich festhalten müssen, dass die Zahlung von ihr selber direkt an die Bundesgerichtskasse zu leisten sei. Der Umstand, dass der Anwalt der Versicherung die Verfügung des Bundesgerichts samt Einzahlungsschein zustellte, reichte offensichtlich nicht aus, um ein Missverständnis zu vermeiden; denn dass er bei dieser Gelegenheit schriftlich festgehalten hätte, der Vorschuss sei abmachungsgemäss unmittelbar von ihr an die Bundesgerichtskasse zu bezahlen, behauptet er selber nicht.
Wollte er aber von einer schriftlichen Bestätigung der telefonischen Abmachung absehen, so hätte er zumindest kurze Zeit vor Ablauf der Frist sich nochmals bei der Versicherung erkundigen müssen, ob sie den Kostenvorschuss gezahlt habe. Dazu bestand umsomehr Anlass, als Versicherungen - anders als Banken (s. BGE 104 II 63, BGE 96 I 472) - in solchen Angelegenheiten üblicherweise nicht als Erfüllungsgehilfen eingesetzt werden, weshalb nicht mit einer entsprechenden Erfahrung von ihrer Seite gerechnet werden konnte. Im vorliegenden Fall hat der Verteidiger auch eine solche Vorsichtsmassnahme unterlassen. Die Säumnis ist folglich auf sein eigenes Verschulden zurückzuführen. c) Selbst wenn man aber annehmen wollte, er habe seiner persönlichen Sorgfaltspflicht genügt, d.h. dem Erfüllungsgehilfen eine unmissverständliche Weisung gegeben, wäre das Ergebnis kein anderes. Gemäss Art. 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
OR, welche Bestimmung nicht nur im rechtsgeschäftlichen Verkehr, sondern auch im Verkehr zwischen Privaten und Amtsstellen (z.B. Gerichten) anzuwenden ist (s. BGE 94 I 251 in fine), müsste sich der Anwalt das diesfalls in der Missachtung einer klaren Anordnung bestehende Verhalten
BGE 107 Ia 168 S. 171

der Hilfsperson wie sein eigenes anrechnen lassen. Als eigenes Handeln des Verteidigers aber wäre ein solches ohne Zweifel schuldhaft (s. KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, 3. Aufl. S. 316).
3. Das Wiederherstellungsgesuch muss nach dem Gesagten abgewiesen werden. Entsprechend ist auf die staatsrechtliche Beschwerde mangels rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses androhungsgemäss nicht einzutreten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 107 IA 168
Datum : 01. September 1981
Publiziert : 31. Dezember 1981
Quelle : Bundesgericht
Status : 107 IA 168
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Art. 151 Abs. 2/35 Abs. 1 OG. Verspätete Leistung des Kostenvorschusses durch Erfüllungsgehilfen. Wiederherstellung gegen


Gesetzesregister
OG: 35  151
OR: 101
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 101 - 1 Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
1    Wer die Erfüllung einer Schuldpflicht oder die Ausübung eines Rechtes aus einem Schuldverhältnis, wenn auch befugterweise, durch eine Hilfsperson, wie Hausgenossen oder Arbeitnehmer vornehmen lässt, hat dem andern den Schaden zu ersetzen, den die Hilfsperson in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht.46
2    Diese Haftung kann durch eine zum voraus getroffene Verabredung beschränkt oder aufgehoben werden.
3    Steht aber der Verzichtende im Dienst des andern oder folgt die Verantwortlichkeit aus dem Betriebe eines obrigkeitlich konzessionierten Gewerbes, so darf die Haftung höchstens für leichtes Verschulden wegbedungen werden.
BGE Register
104-II-61 • 107-IA-168 • 78-IV-131 • 85-II-46 • 87-IV-147 • 90-II-21 • 94-I-248 • 96-I-162 • 96-I-471
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
hilfsperson • kostenvorschuss • bundesgericht • staatsrechtliche beschwerde • frist • telefon • verhalten • weisung • einzahlungsschein • termin • zahl • bewilligung oder genehmigung • vorteil • fristwiederherstellung • zahlung • sorgfalt • entscheid • solothurn • säumnis • säumnis
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