106 IV 385
94. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Dezember 1980 i.S. A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Art. 90 Ziff. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
- Ob eine Verletzung von Verkehrsregeln grob ist, beurteilt sich nach objektiven wie subjektiven Kriterien (Präzisierung der Rechtsprechung).
Regeste (fr):
- Art. 90 ch. 2 LCR.
- Pour décider si une violation de règles de la circulation est grave, il faut prendre en considération tant les éléments objectifs que subjectifs (précision apportée à la jurisprudence).
Regesto (it):
- Art. 90 n. 2 LCS.
- Per decidere se la violazione di norme della circolazione sia grave, occorre considerare tanto gli elementi obiettivi quanto quelli soggettivi (precisazione della giurisprudenza).
Sachverhalt ab Seite 386
BGE 106 IV 385 S. 386
A.- A. fuhr mit seinem Personenwagen am 23. Dezember 1978 um 20.50 Uhr bei einer Temperatur um den Gefrierpunkt und feuchtem Strassenbelag vom Pilatusplatz in Luzern auf der Pilatusstrasse in Richtung Seebrücke. Als der vor ihm fahrende Trolleybus nach rechts zur Haltestelle abbog, beschleunigte er. Eingangs der Brücke geriet sein Fahrzeug ins Schleudern, überquerte die in der Mitte mit einer doppelten Sicherheitslinie markierte Brücke und kam nach einem Schleuderweg von 32 m am linken Trottoirrand zum Stehen. Ein entgegenkommender Automobilist musste sein Fahrzeug anhalten, um einen Zusammenstoss zu vermeiden.
B.- Das Amtsgericht Luzern-Stadt verurteilte A. wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 31 Abs. 1

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 10 - 1 Motorfahrzeuge und ihre Anhänger dürfen nur mit Fahrzeugausweis und Kontrollschildern in Verkehr gebracht werden. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 99 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer: |
C.- A. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei bezüglich der Anwendung von Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Die Vorinstanz stellt fest, das Schleudern des Autos, das auf Fahren mit übersetzter Geschwindigkeit zurückzuführen sei, habe eine konkrete und ernsthafte Gefahr für die Insassen des entgegenkommenden Wagens geschaffen. Da entgegen
BGE 106 IV 385 S. 387
dem Bundesgericht (BGE 92 IV 143) und mit SCHULTZ (Strafbestimmungen des SVG 1964, S. 162 ff.; Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht 1968 S. 222), STRATENWERTH (Grundfragen des Verkehrsstrafrechtes, BJM 1966 S. 70 f.) und SUTER (Fahrlässige Verletzung und Gefährdung im Verkehrsstrafrecht, Diss. Zürich 1976 in Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft Nr. 500 S. 119 ff.) die "Grobheit der Regelverletzung" allein in ihrer objektiven Schwere liegen könne, richte sich die Anwendung von Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
2. Der Beschwerdeführer stellt dem entgegen, das Obergericht verkenne den Sinn des Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |

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BGE 106 IV 385 S. 388
4. Nach Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
BGE 106 IV 385 S. 389
Der Entscheid BGE 99 IV 280 griff auf BGE 92 IV 145 zurück, wobei er die grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht hervorhob, weil dem Täter die jedem Automobilisten geläufige Regel bekannt gewesen sei.
Im Urteil BGE 102 IV 44 hat das Bundesgericht es abgelehnt, schematisch in jedem Fahren mit einer Geschwindigkeit, die das Anhalten innerhalb der Reichweite der Scheinwerfer ausschliesst, eine grobe Verkehrsregelverletzung zu sehen. Es erkannte aber im konkreten Fall auf eine "faute grave", weil eine andere Lichtquelle als die eigenen Scheinwerfer fehlte und der Täter auf einer Autobahn fuhr, wo der hohen Geschwindigkeit wegen Unfälle oft schwere Folgen hätten. In BGE 105 IV 136 beschränkte sich das Bundesgericht in Anlehnung an BGE 95 IV 91 auf eine objektive Betrachtungsweise, indem es eine grobe Verletzung von Verkehrsregeln schon im Schlängelvorfahren an auf der Überholspur fahrenden Autos vorbei mit vorübergehendem Einbiegen in eine auf der Normalspur fahrende Kolonne erblickte. Schliesslich wurde in BGE 106 IV 49 die Frage, ob eine grobe Regelverletzung vorliege, objektiv nach der äusseren Schwere der Regelwidrigkeit, die oft zu Unfällen führe, und subjektiv nach der Schwere des Verschuldens beantwortet.
5. Das Bundesgericht hat sich in BGE 92 IV 145 für seine subjektive Betrachtungsweise auf die Entstehungsgeschichte berufen, insbesondere darauf, dass der Gesetzgeber das qualifizierende Motiv in der Rücksichtslosigkeit des Täters erblickt hatte. Gewiss würde sich Rücksichtslosigkeit schon in der äusseren Erscheinungsform, in der verletzten Verkehrsregel erfassen lassen. Indessen wurde sie in der parlamentarischen Beratung nicht ausschliesslich in objektivem Sinne verstanden. Nachdem ein Antrag Kistler die Rücksichtslosigkeit der Verletzung bzw. der Gefährdung anderer in den Vordergrund gestellt hatte, wurde beschlossen, diesen Gedanken zu übernehmen, aber anders zu formulieren (Sten.Bull. N 1957 S. 267 Votum Guinand; S. 269 Votum Eggenberger). Dabei wurde hervorgehoben, dass am Verschuldensstrafrecht festzuhalten und das Erfolgsprinzip auch im Strassenverkehrsrecht auszumerzen sei; mit der neuen Bestimmung solle der Richter in die Lage versetzt werden, "ganz schwere und unverbesserliche Verkehrssünder zu einer schweren Freiheitsstrafe zu verurteilen" und "vor allem, ohne auf Erfolg oder Nichterfolg einer Verletzung
BGE 106 IV 385 S. 390
von Verkehrsvorschriften abzustellen, das Verschulden des Täters gerecht zu würdigen" (Sten.Bull. N 1957 S. 269 Votum Eggenberger). Ähnlich stellte der französische Berichterstatter Guinand fest, "il faut donc une violation évidente et sans excuse valable" (Sten.Bull. N 1957 S. 268). Es entspricht somit dem Willen des Gesetzgebers, die Qualifikation "grob" auch auf den subjektiven Tatbestand zu beziehen und ein Verhalten nur dann Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |
6. Anderseits würde Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |

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7. Die Vorinstanz hat Art. 90 Ziff. 2

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8. Der Beschwerdeführer bringt noch vor, die Vorinstanz sage zwar, dass sich der gute automobilistische Leumund zu seinen Gunsten auswirken müsse, sie habe aber diesen Milderungsgrund nicht einmal innerhalb des ordentlichen Strafrahmens berücksichtigt und damit ihr Ermessen überschritten. Die
BGE 106 IV 385 S. 391
Rüge geht fehl. Einmal handelt es sich nicht um einen Milderungs-, sondern um einen Minderungsgrund. Und zum andern hat die Vorinstanz diesem in dem weiten Strafrahmen, der für Bussen bis zu Fr. 40'000.-- reicht (Art. 48

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 48 - Das Gericht mildert die Strafe, wenn: |
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a | der Täter gehandelt hat: |
a1 | aus achtenswerten Beweggründen, |
a2 | in schwerer Bedrängnis, |
a3 | unter dem Eindruck einer schweren Drohung, |
a4 | auf Veranlassung einer Person, der er Gehorsam schuldet oder von der er abhängig ist; |
b | der Täter durch das Verhalten der verletzten Person ernsthaft in Versuchung geführt worden ist; |
c | der Täter in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung gehandelt hat; |
d | der Täter aufrichtige Reue betätigt, namentlich den Schaden, soweit es ihm zuzumuten war, ersetzt hat; |
e | das Strafbedürfnis in Anbetracht der seit der Tat verstrichenen Zeit deutlich vermindert ist und der Täter sich in dieser Zeit wohl verhalten hat. |

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 102 - 1 Die allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches268 sind anwendbar, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen, das Urteil der II. Kammer des Obergerichts des Kantons Luzern vom 8. Juli 1980 bezüglich der Anwendung von Art. 90 Ziff. 2

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt. |