Urteilskopf

105 IV 52

13. Urteil des Kassationshofes vom 9. Januar 1979 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 52

BGE 105 IV 52 S. 52

A.- Sch. fuhr am 6. Februar 1978 gegen 07.00 Uhr mit seinem Personenwagen in Frick durch die Widengasse, die in die Kaistenbergstrasse mündet. Vor der Einmündung setzte er seine Geschwindigkeit auf ca. 5 km/h herab und liess nach einem Blick nach links, wo auf eine Sichtdistanz von 50 m kein Fahrzeug sichtbar war, seinen Wagen im Schrittempo in die Verzweigung rollen, weil von rechts auf der Kaistenbergstrasse in rascher Fahrt ein Auto nahte, das er vorbeifahren lassen wollte. Nach dessen Durchfahrt bog Sch. nach links in die Kaistenbergstrasse ein. Noch im Bereiche der Verzweigungsfläche, etwas jenseits der Strassenmitte, stiess er mit einem von
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links kommenden Auto zusammen, dessen Führer R. angenommen hatte, Sch. werde nicht nur das erste Fahrzeug, sondern auch noch seinen Wagen vorbeifahren lassen.
B.- Das Bezirksamt Laufenburg büsste R. wegen Missachtung des Vortrittsrechts (Art. 36 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 36 - 1 Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten.
1    Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten.
2    Auf Strassenverzweigungen hat das von rechts kommende Fahrzeug den Vortritt. Fahrzeuge auf gekennzeichneten Hauptstrassen haben den Vortritt, auch wenn sie von links kommen. Vorbehalten bleibt die Regelung durch Signale oder durch die Polizei.
3    Vor dem Abbiegen nach links ist den entgegenkommenden Fahrzeugen der Vortritt zu lassen.
4    Der Führer, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen, wenden oder rückwärts fahren will, darf andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben den Vortritt.
SVG) mit Fr. 80.-, Sch. wegen mangelnder Aufmerksamkeit (Art. 31 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
1    Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
2    Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.103
2bis    Der Bundesrat kann folgenden Personengruppen das Fahren unter Alkoholeinfluss verbieten:
a  Personen, die den konzessionierten oder den grenzüberschreitenden Personenverkehr auf der Strasse durchführen (Art. 8 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 2009104 sowie Art. 3 Abs. 1 des BG vom 20. März 2009105 über die Zulassung als Strassentransportunternehmen);
b  Personen, die berufsmässig Personentransporte oder mit schweren Motorwagen Gütertransporte durchführen oder die gefährliche Güter transportieren;
c  Fahrlehrern;
d  Inhabern des Lernfahrausweises;
e  Personen, die Lernfahrten begleiten;
f  Inhabern des Führerausweises auf Probe.106
2ter    Der Bundesrat legt fest, ab welcher Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration Fahren unter Alkoholeinfluss vorliegt.107
3    Der Führer hat dafür zu sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf andere Weise behindert wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören.
SVG) mit Fr. 40.-. Sch. erhob gegen den Strafbefehl Einsprache. Diese wurde vom Bezirksgericht Laufenburg und am 26. Oktober 1978 auch vom Obergericht des Kantons Aargau abgewiesen.
C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Sch. das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Dem Beschwerdeführer stand auf der Verzweigung Widengasse/Kaistenbergstrasse gegenüber Fahrzeugen von links der Rechtsvortritt zu, an diesem Tag auch gegenüber Fahrzeugen, die von rechts kamen, deren Vortrittsrecht durch besondere Signalisierung aufgehoben worden war. Streitig ist namentlich, ob der Beschwerdeführer seiner Vorsichtspflicht als Vortrittsberechtigter genügte, als er ca. 5 m vor der Verzweigung nach links beobachtete, oder ob er in der Verzweigung, wo die Sicht weiter reichte, nochmals einen Blick nach links hätte werfen müssen.
2. Nach ständiger Rechtsprechung hat auch der Vortrittsberechtigte vor der Einfahrt in die Verzweigung sich nach links zu vergewissern, ob kein Fahrzeug nahe, das ihm den Vortritt nicht mehr gewähren kann oder nicht lassen will. Der Beschwerdeführer ist dieser Verpflichtung rund 5 m vor der Verzweigung nachgekommen, ohne dass auf die mögliche Sichtdistanz von 50 m ein von links kommender Wagen zu sehen war. Der Beschwerdeführer war unter diesen Umständen berechtigt, in die Verzweigung hineinzufahren und seine Aufmerksamkeit dem rasch von rechts herannahenden Auto zuzuwenden. Dabei durfte er davon ausgehen, ein allenfalls von links auftauchender Wartepflichtiger werde den beschränkten Sichtverhältnissen Rechnung tragen (BGE 93 IV 34 E. 2) und
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innerorts auf eine Distanz von mindestens 50 m rechtzeitig verlangsamen oder anhalten können. Die Vorinstanz meint, der Beschwerdeführer hätte nach der Einfahrt in die Verzweigung nochmals nach links blicken müssen, weil die Möglichkeit der Annäherung eines vorher nicht sichtbaren Wartepflichtigen bestanden habe. Dieser Ansicht ist nicht beizupflichten. Dem Vortrittsberechtigten obliegt die Pflicht zur Sicherung nach links nur zu Beginn der Einfahrt und bloss zur Vermeidung einer Kollision mit Verkehrsteilnehmern, die nicht mehr rechtzeitig halten könnten oder offensichtlich nicht anhalten wollen. Da keine Anzeichen dafür vorlagen und mit der Einfahrt gefahrlos begonnen werden konnte, musste sich nachher der Berechtigte nicht mehr darauf einstellen, es könnte doch noch ein Wartepflichtiger von links herannahen, der möglicherweise das Vortrittsrecht missachte. Soll die Sorgfaltspflicht des Berechtigten nicht überspannt und sein Recht erhalten bleiben, kann nicht verlangt werden, dass er auch noch in der Verzweigung nach Wartepflichtigen Ausschau halte. Nach Auffassung der Vorinstanz hätte der Beschwerdeführer bedenken müssen, seine langsame Fahrweise habe Anlass zum Schluss geben können, er wolle auch noch den von links kommenden Wartepflichtigen vorbeifahren lassen. Diese Folgerung war nicht zulässig. Nicht einmal aus einem vollständigen Halt darf für sich allein geschlossen werden, der Vortrittsberechtigte verzichte auf die Ausübung seines Rechts (BGE 95 IV 137). Erst recht lässt ein Schrittempo einen solchen Schluss nicht zu. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer den von rechts kommenden Wagen, der sein Vortrittsrecht missachtete, vorbeifahren liess, ist kein zuverlässiges Anzeichen für einen Verzicht. Die Einfahrt des Beschwerdeführers in die Fahrbahn des von links Kommenden machte im Gegenteil deutlich, dass er diesem gegenüber von seinem Vortrittsrecht Gebrauch machte. Unbegründet ist schliesslich auch der Vorwurf, der Beschwerdeführer hätte nach der Durchfahrt des von rechts kommenden Fahrzeuges nicht brüsk weiter fahren dürfen. BGE 95 IV 138, auf den die Vorinstanz verweist, bezieht sich nur auf die Einfahrt in eine Verzweigung nach einem Sicherheitshalt. Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben. Wenn der Beschwerdeführer nach der Durchfahrt des andern beschleunigte, um die Verzweigung dem Verkehr so rasch wie möglich
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wieder freizugeben, so war das zweckmässig und ist nicht zu beanstanden.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts - 2. Strafkammer - des Kantons Aargau vom 26. Oktober 1978 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 105 IV 52
Datum : 09. Januar 1979
Publiziert : 31. Dezember 1980
Quelle : Bundesgericht
Status : 105 IV 52
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 36 Abs. 2 SVG, 14 Abs. 2 VRV. Vortrittsrecht. Der Vortrittsberechtigte, der nach rechtzeitiger Beobachtung gefahrlos


Gesetzesregister
SVG: 31 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
1    Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
2    Wer wegen Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss oder aus anderen Gründen nicht über die erforderliche körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, gilt während dieser Zeit als fahrunfähig und darf kein Fahrzeug führen.103
2bis    Der Bundesrat kann folgenden Personengruppen das Fahren unter Alkoholeinfluss verbieten:
a  Personen, die den konzessionierten oder den grenzüberschreitenden Personenverkehr auf der Strasse durchführen (Art. 8 Abs. 2 des Personenbeförderungsgesetzes vom 20. März 2009104 sowie Art. 3 Abs. 1 des BG vom 20. März 2009105 über die Zulassung als Strassentransportunternehmen);
b  Personen, die berufsmässig Personentransporte oder mit schweren Motorwagen Gütertransporte durchführen oder die gefährliche Güter transportieren;
c  Fahrlehrern;
d  Inhabern des Lernfahrausweises;
e  Personen, die Lernfahrten begleiten;
f  Inhabern des Führerausweises auf Probe.106
2ter    Der Bundesrat legt fest, ab welcher Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration Fahren unter Alkoholeinfluss vorliegt.107
3    Der Führer hat dafür zu sorgen, dass er weder durch die Ladung noch auf andere Weise behindert wird. Mitfahrende dürfen ihn nicht behindern oder stören.
36
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 36 - 1 Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten.
1    Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten.
2    Auf Strassenverzweigungen hat das von rechts kommende Fahrzeug den Vortritt. Fahrzeuge auf gekennzeichneten Hauptstrassen haben den Vortritt, auch wenn sie von links kommen. Vorbehalten bleibt die Regelung durch Signale oder durch die Polizei.
3    Vor dem Abbiegen nach links ist den entgegenkommenden Fahrzeugen der Vortritt zu lassen.
4    Der Führer, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen, wenden oder rückwärts fahren will, darf andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben den Vortritt.
BGE Register
105-IV-52 • 93-IV-32 • 95-IV-136
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • aargau • vortritt • sorgfalt • automobil • bundesgericht • weiler • zahl • strasse • wille • kassationshof • distanz • tag • strafbefehl • uhr • innerorts • beginn • sachverhalt