105 IV 136
37. Urteil des Kassationshofes vom 20. April 1979 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen Renz (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste (de):
- Bundesgesetz und Verordnung über Ordnungsbussen im Strassenverkehr.
- 1. Das Ordnungsbussenverfahren ist obligatorisch anzuwenden, nicht bloss fakultativ. Die Fälle, in denen eine dem Ordnungsbussenrecht unterstehende Übertretung ausnahmsweise im ordentlichen Verfahren zu ahnden ist, werden durch Gesetz und Verordnung abschliessend geregelt (E. 1-3).
- 2. Das Ordnungsbussenrecht findet auch Anwendung, wenn die Übertretung dem Fehlbaren nicht an Ort und Stelle vorgehalten werden kann (E. 4).
Regeste (fr):
- Loi et ordonnance fédérales sur les amendes d'ordre infligées aux usagers de la route.
- 1. La procédure des amendes d'ordre est obligatoire, non facultative.
- Les cas dans lesquels des contraventions relevant de cette procédure doivent par exception être réprimées selon la procédure ordinaire sont réglés exhaustivement par la loi et par l'ordonnance (consid. 1 à 3).
- 2. En vertu de l'art. 2 litt. b OAO, la procédure des amendes d'ordre est également applicable en matière d'excès de vitesse lorsque la contravention ne peut être portée sur-le-champ à la connaissance de son auteur (consid. 4).
Regesto (it):
- Legge federale e ordinanza concernenti le multe disciplinari inflitte agli utenti della strada.
- 1. La procedura della multa disciplinare deve essere applicata obbligatoriamente, non facoltativamente. I casi in cui contravvenzioni soggette alla procedura della multa disciplinare vanno eccezionalmente decise secondo la procedura ordinaria sono disciplinati esaurientemente dalla legge e dall'ordinanza (consid. 1-3).
- 2. In virtù dell'art. 2 lett. b OMD, la procedura della multa disciplinare è applicabile in materia di eccesso di velocità anche quando la contravvenzione non possa essere contestata sul posto al suo autore (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 137
BGE 105 IV 136 S. 137
A.- Aufgrund einer polizeilichen Radarmessung wurde festgestellt, dass Maurus Renz am 17. April 1978 im Dorf Baldegg LU mit seinem Personenwagen die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritt. Da er nach der Messstelle nach rechts abbog, um auf seinem gewohnten Weg nach Geroldswil zu gelangen, konnte er von der etwas weiter Richtung Gelfingen wartenden Polizei weder angehalten noch zur Bezahlung der Ordnungsbusse aufgefordert werden.
B.- Renz wurde darauf im ordentlichen Verfahren durch Strafverfügung des Amtsstatthalters zu einer Busse von Fr. 40.- verurteilt und mit Untersuchungskosten von Fr. 30.- belastet. Er anerkannte und bezahlte die Busse, erhob aber gegen die Kostenbelastung Einsprache. Der Amtsstatthalter hielt am angefochtenen Kostenentscheid fest und auferlegte Renz im Einspracheentscheid die inzwischen auf Fr. 75.- angestiegenen Kosten.
C.- Auf erneute Einsprache hob das Amtsgericht Hochdorf den Kostenentscheid des Amtsstatthalters auf und erklärte, der Fall sei mit der erfolgten Bezahlung der Busse erledigt; der Angeklagte habe Anspruch auf Durchführung
BGE 105 IV 136 S. 138
des Ordnungsbussenverfahrens gehabt und dürfe daher nicht mit den Kosten eines zu Unrecht eingeleiteten ordentlichen Verfahrens belastet werden. Die hiegegen eingereichte Kassationsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wurde vom Obergericht des Kantons Luzern am 14. Februar 1979 abgewiesen.
D.- Die Staatsanwaltschaft ficht das Urteil des Obergerichtes mit Nichtigkeitsbeschwerde an. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung unter Kostenbelastung des Angeklagten.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, es bestehe kein Anspruch auf Anwendung des Ordnungsbussenverfahrens; dieses habe fakultativen, nicht obligatorischen Charakter. Dafür spreche in erster Linie Art. 1 Abs. 1
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Diese mit der Überschrift "Grundsatz" versehene Bestimmung hat nicht den Sinn einer Kann-Vorschrift, welche die Anwendung des Gesetzes in das Ermessen der rechtsanwendenden Instanzen stellt. Sie will vielmehr Ziel und Tragweite des Gesetzes umschreiben. Danach wird der Anwendungsbereich des besonderen Ordnungsbussenverfahrens einerseits auf Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes beschränkt und anderseits durch die maximale Bussenhöhe von Fr. 100.- abgegrenzt. Der Begriff "können" bedeutet nichts anderes, als dass die mit dem Erlass der notwendigen Ausführungsvorschriften betrauten Behörden (Art. 3
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BGE 105 IV 136 S. 139
2. Gemäss Art. 3 Abs. 1
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3. Ebensowenig kann die Beschwerdeführerin ihre Auffassung auf Art. 11 Abs. 1
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BGE 105 IV 136 S. 140
4. Im vorliegenden Fall war es der Polizei nicht möglich, den Beschwerdegegner nach der Radarmessung anzuhalten und an Ort und Stelle auf seine Verfehlung aufmerksam zu machen. a) Art. 2 lit. b
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BGE 105 IV 136 S. 141
c) Die vom EJPD in den Weisungen niedergelegten Richtlinien stimmen mit der ratio legis des OBG überein, das eine einheitliche bundesrechtliche Ordnung für die vereinfachte Verfolgung und Bestrafung leichter Verkehrswiderhandlungen geschaffen hat. Wie in der Botschaft zum OBG ausgeführt wurde, steht es nicht im Belieben der Kantone, darüber zu entscheiden, ob sie ihr ordentliches oder das Ordnungsbussenverfahren zur Anwendung bringen wollen. Dieselben leichten Übertretungen müssen im ganzen Land auf gleiche Weise mit den gleichen Ordnungsbussen geahndet werden (BBl 1969, S. 1092).
5. Ist somit davon auszugehen, dass die vom Beschwerdegegner begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von Bundesrechts wegen mit einer Ordnungsbusse von Fr. 40.- zu ahnden ist und dass im Ordnungsbussenverfahren gemäss Art. 6 Abs. 1
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Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.