105 Ia 11
4. Urteil der staatsrechtlichen Kammer vom 24. Januar 1979 i.S. Fröhlich gegen Zürcher Initiativkomitee für ein Gesetz zum Schutze vor Atomkraftwerken und Kantonsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste (de):
- Art. 85 lit. a OG; Beschluss, mit welchem dem Volk eine angeblich rechtswidrige Initiative zur Abstimmung unterbreitet wird.
- Der Stimmbürger hat nach der Gesetzgebung des Kantons Zürich keinen Anspruch darauf, dass eine inhaltlich angeblich rechtswidrige Initiative, deren Ungültigerklärung im Kantonsrat nicht zustande kommt, dem Volk nicht zur Abstimmung unterbreitet wird. Die staatsrechtliche Beschwerde gegen einen entsprechenden Kantonsratsbeschluss ist von vornherein abzuweisen, ohne dass die materiellen Rügen mehr zu prüfen wären (E. 2c und d).
Regeste (fr):
- Art. 85 let. a OJ; décision de soumettre à votation populaire une initiative prétendument contraire au droit.
- En droit zurichois, l'électeur n'a pas le droit d'exiger que soit soustraite à la votation populaire une initiative dont le contenu est prétendument contraire au droit mais que le Parlement cantonal a refusé d'invalider. En pareil cas, le recours de droit public doit être écarté sans qu'il y ait lieu d'examiner les griefs portant sur le contenu de l'initiative (consid. 2c et d).
Regesto (it):
- Art. 85 lett. a OG; decisione di sottoporre a votazione popolare un'iniziativa di cui è eccepita la contrarietà al diritto.
- In diritto zurighese il cittadino avente diritto di voto non può esigere che sia sottratta alla votazione popolare un'iniziativa che egli pretende contraria al diritto ma che non è stata dichiarata inammissibile dal Parlamento cantonale. In tal caso il ricorso di diritto pubblico contro la relativa decisione del Parlamento cantonale dev'essere respinto senza che occorra esaminare le censure concernenti il contenuto dell'iniziativa.
Sachverhalt ab Seite 11
BGE 105 Ia 11 S. 11
Am 28. Juli 1975 wurde dem Zürcher Kantonsrat eine Volksinitiative für ein Gesetz zum Schutze vor Atomkraftwerken eingereicht. In seinem Bericht hiezu kam der Regierungsrat des
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Kantons Zürich zum Schluss, die Initiative sei bundesrechtswidrig und das vorgeschlagene Gesetz sei nicht genügend bestimmt; er beantragte dem Kantonsrat daher, die Volksinitiative als ungültig zu erklären; diesem Antrag schloss sich die Mehrheit der vorberatenden Kommission des Kantonsrates an. Am 20. Februar 1978 stimmten im Zürcher Kantonsrat von den 130 anwesenden Ratsmitgliedern 69 für die Ungültigerklärung der Initiative. Die für eine Ungültigerklärung erforderliche Zweidrittelsmehrheit (87 Stimmen) wurde also nicht erreicht. Der Kantonsrat beschloss daher, die Initiative dem Volke zur Abstimmung vorzulegen.
Diesen Beschluss ficht Johann Ulrich Fröhlich-Giobbi mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf Art. 85 lit. a OG an mit der Begründung, die fragliche Initiative sei nicht hinreichend bestimmt, verletze das Gewaltenteilungsprinzip, widerspreche dem Bundesrecht und verlange Unmögliches. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
1. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Stimmbürger gestützt auf Art. 85 lit. a OG mit staatsrechtlicher Beschwerde nicht nur geltend machen, dass eine Vorlage dem Referendum unterstellt oder dem Volk unterbreitet werden müsse, sondern er kann auch rügen, es werde zu Unrecht eine Volksabstimmung über eine unzulässige Initiative durchgeführt (BGE 102 Ia 550 E. 1b, BGE 99 Ia 728). Der Beschwerdeführer ist unbestrittenermassen im Kanton Zürich stimmberechtigt und daher zur vorliegenden Beschwerde legitimiert. Das Rechtsmittel wurde innert 30 Tagen seit der Abstimmung des Kantonsrates über die Gültigkeit der Volksinitiative für ein Gesetz zum Schutze vor Atomkraftwerken eingereicht. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2. a) Das Bundesgericht hat in konstanter Praxis anerkannt, dass die Behörde, die nach dem kantonalen Recht berufen ist, die Volksabstimmung über Verfassungs- und Gesetzesinitiativen anzuordnen, selbst ohne besondere gesetzliche Grundlage befugt ist, neben dem Vorliegen der formellen Voraussetzungen für das Zustandekommen der Initiative auch deren materielle Rechtmässigkeit zu prüfen und keine Volksabstimmung anzuordnen, wenn sich die Initiative als inhaltlich
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rechtswidrig erweist (BGE 96 I 646 E. 3, mit Verweisungen). Ob die Behörde zu dieser Prüfung der inhaltlichen Rechtmässigkeit auch verpflichtet sei und ob der Stimmbürger Anspruch darauf habe, dass rechtswidrige Initiativen dem Volk nicht unterbreitet werden, hängt nach der Rechtsprechung - BGE 99 Ia 730 E. 1 am Ende, BGE 102 Ia 550 E. 2a - vom anwendbaren kantonalen Recht ab und ist nicht bundesrechtlich geregelt. b) Im zürcherischen Gesetz über das Vorschlagsrecht des Volkes vom 1. Juni 1969 (Initiativgesetz) ist in § 4 die Prüfung der Gültigkeit einer Initiative folgendermassen geordnet: "Eine Initiative ist ungültig, wenn sie
1. dem Bundesrecht widerspricht;
2. der Staatsverfassung widerspricht, sofern sie nicht deren Änderung bezweckt; 3. den § 1 bis 3 dieses Gesetzes nicht entspricht;
4. Begehren verschiedener Art enthält, die keinen inneren Zusammenhang aufweisen, es sei denn, dass es sich um eine Initiative auf Gesamtrevision der Staatsverfassung handelt. Über die Gültigkeit von Initiativen entscheidet der Kantonsrat. Für die Ungültigkeit einer Initiative bedarf es einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder. Ungültig erklärte Initiativen werden dem Volke nicht zur Abstimmung unterbreitet." In BGE 99 Ia 731 E. 2 ist das Bundesgericht davon ausgegangen dass im Kanton Zürich die Initiativen vom Parlament zwar auf ihre Rechtmässigkeit zu prüfen seien, dass aber das Erfordernis der Zweidrittelsmehrheit ähnlich wirke wie etwa die Beschränkung der Ungültigkeit auf Fälle augenscheinlicher Verfassungswidrigkeit (vgl. Aargau KV Art. 26 Abs. 3, BGE 98 Ia 640) und dass eine Initiative im Zweifel eher dem Volk zu unterbreiten sei. Diesem Vorbehalt zugunsten des Volkswillens trug das Bundesgericht Rechnung, indem es die ihm zustehende grundsätzlich freie Überprüfungsbefugnis mit Zurückhaltung ausübte und einen Zulassungsentscheid der kantonalen Behörde nur dann aufhob, wenn das in Frage stehende Volksbegehren offensichtlich rechtswidrig war (vgl. auch Urteil Blocher vom 2. Juni 1976, teilweise veröffentlicht in ZBl 78/1977, S. 210 ff.). c) Diese Praxis ist aufgrund der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu präzisieren. In BGE 102 Ia 550 E. 2a wurde ausdrücklich bestätigt, der Bürger habe nur dann einen mit Stimmrechtsbeschwerde durchsetzbaren Anspruch darauf,
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dass die zuständige kantonale Behörde eine Initiative auf inhaltliche Rechtmässigkeit hin überprüfe und ein rechtswidriges Begehren der Volksabstimmung nicht unterbreite, wenn sich eine entsprechende Verpflichtung aus dem kantonalen Verfassungs- oder Gesetzesrecht ergebe. Treffe das nicht zu, so liege, auch wenn der Volksabstimmung eine mit dem übergeordneten kantonalen oder dem Bundesrecht nicht vereinbare Initiative unterbreitet werde, keine Verletzung des durch Art. 85 lit. a OG geschützten Stimmrechts der Bürger vor. Die inhaltliche Rechtswidrigkeit könne dann erst nach einer Annahme des Initiativbegehrens durch das Volk mit staatsrechtlicher Beschwerde gerügt werden; hingegen vermöge eine bereits gegen die Anordnung der Volksabstimmung gerichtete Beschwerde in diesem Fall nicht durchzudringen (a.a.O., S. 551 E. 2c; sowie nicht veröffentlichte Urteile Baumgartner vom 13. Juli 1977 E. 2a und Andreatta vom 20. September 1978 E. 2). Unmittelbar von Bundesrechts wegen ist allerdings der Anspruch der Bürger auf die zuverlässige und unverfälschte Kundgabe ihres freien politischen Willens gewährleistet (BGE 102 Ia 268 E. 3, mit Verweisungen); er verbietet es unter anderem, eine dem Grundsatz der Einheit der Materie widersprechende (BGE 99 Ia 731 E. 3, mit Verweisungen; genanntes Urteil Baumgartner E. 2b) oder allenfalls sonst in formeller Hinsicht nicht genügende Vorlage der Volksabstimmung zu unterbreiten; ein derartiger Anspruch, der in jedem Falle eine Anfechtung der Anordnung der Abstimmung erlauben würde, steht jedoch im vorliegenden Fall nicht in Frage. Der Zürcher Gesetzgeber geht nun zwar in § 4 Initiativgesetz davon aus, dass der Kantonsrat die Initiative auf ihre Gültigkeit in formeller und materieller Hinsicht zu prüfen habe, er lässt aber nach Abs. 2 der Bestimmung eine Ungültigerklärung nur zu, sofern zwei Drittel der anwesenden Kantonsräte für Ungültigkeit stimmen. Mit diesem qualifizierten Mehr wird klar zum Ausdruck gebracht, dass in Grenzfällen, d.h. sobald mehr als ein Drittel der anwesenden Kantonsräte einer Ungültigerklärung nicht zustimmen, die Initiative - trotz der allenfalls vorhandenen rechtlichen Bedenken - dem Volk unterbreitet werden muss. Diese Lösung ist durchaus vernünftig und widerspricht, jedenfalls soweit die inhaltliche Rechtmässigkeit des Initiativbegehrens in Frage steht, dem Bundesrecht nicht.
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Der einzelne Stimmbürger hat somit nach der Gesetzgebung des Kantons Zürich keinen Anspruch darauf, dass eine inhaltlich allenfalls rechtswidrige Initiative, deren Ungültigerklärung im Kantonsrat nicht zustande kommt, dem Volk nicht unterbreitet wird. Wenn das Bundesrecht es zulässt, dass ein Kanton überhaupt auf die Prüfung der inhaltlichen Verfassungs- und Gesetzmässigkeit von Initiativen verzichtet (BGE 102 Ia 550 E. 2), so steht von Bundesrechts wegen auch einer Ordnung nichts entgegen, die zwar eine Prüfung der Rechtmässigkeit vorsieht, aber zum Schutze der Volksrechte eine Ungültigerklärung von einem qualifizierten Mehr im kantonalen Parlament abhängig macht. d) Der Beschwerdeführer macht einzig geltend, die fragliche Initiative verletze Bundesrecht und materielle Grundsätze der Bundes- und Kantonsverfassung. Dem Stimmbürger steht im Kanton Zürich - wie ausgeführt - indessen kein Anspruch zu, die Abstimmung über eine inhaltlich allenfalls rechtswidrige Initiative auf jeden Fall zu verhindern. Der Zürcher Gesetzgeber hat den Verzicht auf die Volksabstimmung davon abhängig gemacht, dass zwei Drittel der anwesenden Kantonsräte der Ungültigerklärung zustimmen. Da diese Voraussetzung hier fehlt, ist über die fragliche Initiative abzustimmen. Die Beschwerde ist somit von vornherein abzuweisen; die einzelnen materiellen Rügen des Beschwerdeführers sind in Abweichung von BGE 99 Ia 735 E. 4 nicht mehr zu prüfen.