104 V 107
25. Urteil vom 7. Juli 1978 i.S. Abegg gegen Öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau und Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung
Regeste (de):
- Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung wegen verkürzter Arbeitszeit (Art. 17 Abs. 3
und 4
alt AlVV, Art. 23 Abs. 3
und 4
neu AlVV; Präzisierung der Rechtsprechung).
- - Er setzt u. a. voraus, dass der Arbeitnehmer aus konjunkturellen Gründen auf die Annahme einer verkürzten Arbeitszeit angewiesen ist. Dabei können gegebenenfalls die Motive des Arbeitgebers zur Anordnung der verkürzten Arbeitszeit als Indizien für eine sachgerechte Beurteilung herangezogen werden.
- - Die zeitliche Begrenzung dieser Bestimmungen bezieht sich stets auf die Dauer der vom einzelnen Arbeitnehmer selbst geleisteten verkürzten Arbeitszeit, ohne Anrechnung einer allfälligen verkürzten Arbeitszeit eines Vorgängers.
Regeste (fr):
- Droit à l'indemnité de chômage en cas de durée du travail réduite (ancien art. 17 al. 3 et 4 RAC, nouvel art. 23 al. 3 et 4 OAC; précision apportée à la jurisprudence).
- - Ce droit présuppose entre autres que le salarié soit obligé d'accepter une durée de travail réduite pour des raisons conjoncturelles. Les motifs de l'employeur d'introduire l'horaire de travail réduit peuvent constituer le cas échéant des indices pour décider ce qu'il en est au juste.
- - La durée réduite du travail déterminante est toujours celle concernant chaque salarié individuellement, sans imputation de la réduction éventuellement subie par un prédécesseur.
Regesto (it):
- Diritto all'indennità di disoccupazione nel caso di durata ridotta del lavoro (art. 17 cpv. 3 e 4 OAD vecchio diritto, art. 23 cpv. 3 e 4 OAD nuovo diritto; indicazioni precisanti la giurisprudenza).
- - Detto diritto presuppone, tra l'altro, che il salariato sia costretto ad accettare una durata ridotta di lavoro per motivi congiunturali. I motivi del datore di lavoro per introdurre l'orario ridotto possono, all'occorrenza, costituire indizi per un giudizio materialmente fondato.
- - La durata ridotta di lavoro determinante è sempre quella sopportata individualmente da ogni singolo salariato, senza addebito di quella subita eventualmente da un predecessore.
Sachverhalt ab Seite 108
BGE 104 V 107 S. 108
A.- Die Firma P. eröffnete im März 1974 ein Verkaufsgeschäft für Haushaltartikel, dessen Betrieb sie drei Angestellten anvertraute. Nachdem der Bruttoumsatz des ersten Geschäftsjahres, umgerechnet auf zwölf Monate, ca. Fr. 380'000.- betragen hatte, sank er 1975 auf Fr. 311'000.- und für das Jahr 1976 war noch ein Umsatz von ungefähr Fr. 300'000.- zu erwarten. Ab 1. Oktober 1975 bis 30. September 1976 wurde die Arbeitszeit einer Angestellten um 50% gekürzt. Mit Schreiben vom 30. August 1976 teilte die Firma P. Ursula Abegg zuhanden der Arbeitslosenkasse mit, dass sie ab 1. Oktober 1976 - anstelle der Mitarbeiterin, welche ab dem gleichen Zeitpunkt wieder voll eingesetzt wurde - "Kurzarbeit" zu leisten habe. Ursula Abegg wandte sich an die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau, welche in ihrer Verfügung vom 13. Dezember 1976 ausführte, der Umsatz der Firma P. habe sich um etwa 15% vermindert. Diese Umsatzeinbusse sowie andere Einflüsse liessen eine Verkürzung der Arbeitszeit von lediglich 25% als gerechtfertigt erscheinen; Ursula Abegg habe demgemäss ihrem Arbeitgeber gegenüber auf ihrem arbeitsvertraglichen Lohnanspruch im Ausmass von 75% zu bestehen.
B.- Gegen diese Verfügung liess Ursula Abegg durch ihre Arbeitgeberin bei der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung Beschwerde einlegen. Sie machte einen Taggeldanspruch von 50% ab 1. Oktober 1976 geltend mit der Begründung, die Verkürzung der Arbeitszeit sei erfolgt, weil die Arbeitgeberin infolge des Umsatzrückganges nicht mehr 3, sondern nur noch 2,5 Angestellte benötige und demzufolge eine der drei Angestellten nur noch zur Hälfte einsetzen könne. - Die Rekurskommission teilte in ihrem Entscheid vom 3. Februar 1977 die Auffassung der Arbeitslosenkasse und wies die Beschwerde ab.
C.- Ursula Abegg lässt im Sinne ihrer erstinstanzlichen Beschwerde Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit der zusätzlichen Begründung: Der Personalbestand habe sich gegenüber
BGE 104 V 107 S. 109
dem ersten Geschäftsjahr um genau 16 2/3% vermindert, weshalb der Personalabbau von 3 auf 2,5 Angestellte dem Umsatzrückgang des Geschäftsjahres 1976/1977 von ca. 16% entspreche. Die Berechnungsweise der Rekurskommission wäre nur dann richtig, wenn der Betrieb des Geschäftes von einem Angestellten allein aufrechterhalten würde; weil aber drei Angestellte betroffen würden und nur eine reduziert arbeiten müsse, gehe die Argumentation der Vorinstanz fehl. Die Arbeitslosenkasse führt in ihrer Vernehmlassung aus, die Anspruchsberechtigung Ursula Abeggs auf Taggelder sei zu verneinen und sie habe die bereits erhaltenen Versicherungsleistungen zurückzubezahlen, weil feststehe, dass die Normalarbeitszeit aus betrieblichen Gründen und auf Dauer verkürzt worden sei. - Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit schliesst auf teilweise Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es komme einer Umgehung der Vorschrift des Art. 17 Abs. 3

D.- Mit Schreiben vom 23. November 1977 ersuchte der Instruktionsrichter das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit um eine nähere Stellungnahme zur Frage der Abgrenzung des Begriffs der Normalarbeitszeit vom Begriff der verkürzten Arbeitszeit. Mit Eingabe vom 9. Dezember 1977 liess sich das Bundesamt dazu vernehmen. Die Arbeitslosenkasse sowie die Firma P. als Vertreterin der Ursula Abegg erhielten Gelegenheit, sich zur erneuten Vernehmlassung des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit zu äussern.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Für die Beurteilung des vorliegenden Streitfalles sind die Bestimmungen anwendbar, welche bis zum 31. März 1977 in Kraft standen (Art. 38 Abs. 4

BGE 104 V 107 S. 110
2. Gemäss Art. 24 Abs. 2 lit. c





3. a) Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für den Verdienstausfall infolge Arbeitszeitverkürzung besteht für den Versicherten nur dann, wenn die verkürzte Arbeitszeit nicht von Anfang an als neue Normalarbeitszeit gilt. Dies ist unter Umständen bei periodisch sich wiederholenden Verkürzungen der Arbeitszeit der Fall (vgl. Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts i.S. Mösch vom 16. Februar 1954 (ARV 1954 Nr. 24) und i.S. Conconi vom 16. Januar 1953 (ARV 1953 Nr. 18)). In der früheren Rechtsprechung wurde eine weitere Ausnahme wie folgt formuliert: "Wird die Arbeitszeit durch Vereinbarung dauernd gekürzt und ist die Verkürzung nicht konjunkturbedingt und auch nicht als Überbrückung vorübergehender betrieblicher Schwierigkeiten gedacht, so gilt die verkürzte Arbeitszeit von Anfang an als die normale und der durch die Reduktion verursachte Verdienstausfall ist daher ebenfalls nicht anrechenbar" (Urteile des Eidg. Versicherungsgerichts i.S. Wild vom 4. September 1963 (ARV 1963 Nr. 26) und i.S. Muff vom 4. Oktober 1958 (ARV 1958 Nr. 70)). Bereits im Urteil Terrani vom 27. Oktober 1976 (BGE 102 V 235) wies aber das Eidg. Versicherungsgericht darauf hin, dass die Abklärung,
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ob die vom Arbeitgeber angeordnete Arbeitszeitverkürzung konjunkturbedingt und als Überbrückung vorübergehender betrieblicher Schwierigkeiten gedacht sei, für die Ausführungsorgane der Arbeitslosenversicherung nicht einfach sei. b) Vor Erlass der angefochtenen Verfügung vertrat die Kasse in einem Schreiben an das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit die Auffassung, dass die Kurzarbeit aus "unternehmerischen Gesichtspunkten" angeordnet worden sei und "nicht aus rezessionsbedingten"; da der Arbeitsausfall nicht konjunkturbedingt sei, stelle sich die Frage, ob nicht ein Missbrauch vorliege, d.h. ob eventuell gestützt auf Art. 26



SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |
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gegenüber dem Arbeitgeber aus dem Arbeitsvertrag zustehen, könnten die Gründe, die den Arbeitgeber zur Anordnung von Kurzarbeit veranlassten, nicht vernachlässigt werden. In diesem Zusammenhang führe auch HOLZER in seinem Kommentar zum AlVG (S. 139) aus: "Die Erfahrung hat gezeigt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer geneigt sind, zunächst die Arbeitslosenversicherung zur Entschädigung eines Verdienstausfalles heranzuziehen, dass aber, falls die Auszahlung verweigert wird, in der Regel andere Mittel und Wege gefunden werden. Tatsächlich besteht eine Interdependenz zwischen Arbeitslosenentschädigung und Lohnanspruch." Daher würden die Arbeitgeber gestützt auf die ihnen durch Art. 23 Abs. 1

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |
4. a) Zweck und Aufgabe der Arbeitslosenversicherung ist es, den Arbeitnehmer vor den Folgen einer von ihm nicht verschuldeten Arbeitslosigkeit zu schützen, gleichgültig, aus welchen Gründen auch immer der Arbeitgeber nicht mehr die volle Arbeitszeit gewähren kann oder will. In diesem Sinne kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die vom Arbeitgeber angeordnete verkürzte Arbeitszeit - als Alternative zu Entlassungen - auf sogenannten langfristigen unternehmerischen Gesichtspunkten wie betrieblichen Umstellungen, Rationalisierungsmassnahmen usw. beruht oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie zufolge Rezession oder schlechter Betriebsführung notwendig wird. Massgebend sind nicht diese Motive als solche, sondern der Umstand, ob der Arbeitnehmer die bisherige, vereinbarte Arbeitszeit einhalten möchte, ihm aber nicht zugemutet werden kann, auf dieser Arbeitszeit zu beharren, weil er sonst Kündigung und damit zugleich Arbeitslosigkeit befürchten müsste. Die Arbeitslosenversicherungsorgane wären übrigens in der Regel auch gar nicht in der Lage, im konkreten Fall zu beurteilen, ob ein Arbeitgeber aus anerkennenswerten konjunkturellen bzw. betrieblichen Gründen oder aus andern Motiven nicht
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mehr die volle Normalarbeitszeit gewähren kann (vgl. BGE 102 V 239 Erw. 2 in fine). Für eine sachgerechte und zuverlässige Prüfung solcher wirtschaftspolitischer und unternehmerischer Fragen würde aber auch die rechtliche Grundlage fehlen, insbesondere liesse sich eine solche Kompetenz nicht aus den Art. 7

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 324 - 1 Kann die Arbeit infolge Verschuldens des Arbeitgebers nicht geleistet werden oder kommt er aus anderen Gründen mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug, so bleibt er zur Entrichtung des Lohnes verpflichtet, ohne dass der Arbeitnehmer zur Nachleistung verpflichtet ist. |
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jedoch noch abzuklären haben, ob sich die Beschwerdeführerin aus konjunkturellen Gründen zur Beibehaltung ihrer Stelle trotz verkürzter Arbeitszeit veranlasst sehen musste, weil sie sonst eine Kündigung und damit Arbeitslosigkeit zu befürchten gehabt hätte.
5. a) Der vorinstanzlichen Beschwerdeschrift ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Oktober 1976 eine Arbeitskollegin ablösen musste, welche bis zum 30. September 1976 eine um 50% verkürzte Arbeitszeit einzuhalten hatte und ab 1. Oktober wieder voll eingesetzt wurde. Die Kasse und in seiner ersten Vernehmlassung auch das Bundesamt machen diesbezüglich geltend, es käme einer Umgehung des Art. 17 Abs. 3




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Diese Zweckumschreibung ist für den in Art. 17 Abs. 3




BGE 104 V 107 S. 116
zweiter oder dritter Linie auf "Kurzarbeit" gesetzt worden sind. Schliesslich liesse sich insbesondere in grösseren Unternehmen auch kaum je zuverlässig feststellen und überprüfen, inwieweit auf die verkürzte Arbeitszeit eines bestimmten Arbeitnehmers jene eines Vorgängers anzurechnen wäre, weil eine solche Anrechnung ja nur innerhalb der gleichen Arbeitnehmerkategorie vorgenommen werden dürfte. Das Gericht hält deshalb - in Übereinstimmung mit der vom Bundesamt in seiner zweiten Vernehmlassung vertretenen Auffassung - dafür, dass die Begrenzung des Art. 17 Abs. 3



6. Sofern die Kasse nach Massgabe der Erw. 4c zum Schluss kommen sollte, dass die Beschwerdeführerin echte verkürzte Arbeitszeit zu leisten hatte, wird sie bei der Bemessung der Anspruchsberechtigung berücksichtigen, dass die maximale Leistungsdauer grundsätzlich 18 Monate beträgt, ohne dass die Dauer der verkürzten Arbeitszeit ihrer Vorgängerin angerechnet werden darf.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der vorinstanzliche Entscheid vom 3. Februar 1977 und die Kassenverfügung vom 13. Dezember 1976 aufgehoben. Die Sache wird an die Arbeitslosenversicherungskasse zurückgewiesen, damit sie nach erfolgter Prüfung im Sinne der Erwägungen neu verfüge.