Urteilskopf

104 IV 261

59. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. November 1978 i.S. F., E. und H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Erwägungen ab Seite 261

BGE 104 IV 261 S. 261

Aus den Erwägungen:

1. Den Beschwerdeführern wird eine Verletzung der Vorschrift des Art. 9 Abs. 2
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 9 Kreuzen - (Art. 34 Abs. 4 und 35 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer hat dem Gegenverkehr den Vortritt zu lassen, wenn das Kreuzen durch ein Hindernis auf seiner Fahrbahnhälfte erschwert wird.
2    Ist auf schmaler Strasse das Kreuzen nicht möglich, so haben Anhängerzüge den Vortritt vor andern Fahrzeugen, schwere Motorfahrzeuge vor leichten und Gesellschaftswagen vor Lastwagen.74 Unter gleichartigen Fahrzeugen muss jenes zurückfahren, das sich näher bei einer Ausweichstelle befindet; für das Kreuzen auf steilen Strassen und Bergstrassen gilt Artikel 38 Absatz 1 erster Satz.75
VRV vorgeworfen, die bestimmt, dass schwere Motorwagen vor leichten den Vortritt haben, wenn auf schmalen Strassen das Kreuzen nicht möglich ist. Unmöglich ist das Kreuzen auf solchen Strassen, wenn bei korrekter Fahrweise
BGE 104 IV 261 S. 262

ein Fahrzeug die Fahrzone des andern beanspruchen muss, nicht aber, wenn jedes Fahrzeug ohne Benützung der Fahrfläche des andern seine Fahrt fortsetzen kann (vgl. SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, S. 157). Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht nirgends fest, ein Kreuzen der beteiligten Fahrzeuge sei an der fraglichen Stelle, wo sie ohne gegenseitige Berührung aneinander vorbeifahren konnten, unmöglich gewesen. Ebensowenig kann dem angefochtenen Urteil entnommen werden, das Sattelmotorfahrzeug sei beim Kreuzen von einem der beiden Personenwagen in seiner Fahrt behindert worden, wie die Verletzung des Vortrittsrechts voraussetzt (vgl. Art. 14 Abs. 1
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 14 Ausübung des Vortritts - (Art. 36 Abs. 2-4 SVG)
1    Wer zur Gewährung des Vortritts verpflichtet ist, darf den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern. Er hat seine Geschwindigkeit frühzeitig zu mässigen und, wenn er warten muss, vor Beginn der Verzweigung zu halten.
2    Der Vortrittsberechtigte hat auf Strassenbenützer Rücksicht zu nehmen, welche die Strassenverzweigungen erreichten, bevor sie ihn erblicken konnten.
3    Dem vortrittsberechtigten Verkehr in parallelen Kolonnen ist der Vortritt auch zu lassen, wenn die nähere Kolonne stillsteht.
4    Reiter sowie Führer von Pferden und anderen grösseren Tieren sind den Fahrzeugführern beim Vortritt gleichgestellt.85
5    In nicht geregelten Fällen, zum Beispiel wenn auf einer Verzweigung zugleich aus allen Richtungen Fahrzeuge eintreffen, haben die Führer besonders vorsichtig zu fahren und sich über den Vortritt zu verständigen.
VRV). Auch werden keine näheren Angaben darüber gemacht, wie das Kreuzen vor sich ging, insbesondere, wie weit die Personenwagen nach rechts auswichen bzw. mit welchem seitlichen Abstand sie am Sattelschlepper vorbeifuhren und ob dieser bereits vor, während oder erst nach dem Kreuzen über den Asphaltbelag hinaus geriet. Fehlen aber bestimmte Anhaltspunkte für eine Behinderung des Sattelschleppers, so muss angenommen werden, das Kreuzen sei möglich gewesen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführer von der Anschuldigung der Verletzung des Art. 9 Abs. 2
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 9 Kreuzen - (Art. 34 Abs. 4 und 35 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer hat dem Gegenverkehr den Vortritt zu lassen, wenn das Kreuzen durch ein Hindernis auf seiner Fahrbahnhälfte erschwert wird.
2    Ist auf schmaler Strasse das Kreuzen nicht möglich, so haben Anhängerzüge den Vortritt vor andern Fahrzeugen, schwere Motorfahrzeuge vor leichten und Gesellschaftswagen vor Lastwagen.74 Unter gleichartigen Fahrzeugen muss jenes zurückfahren, das sich näher bei einer Ausweichstelle befindet; für das Kreuzen auf steilen Strassen und Bergstrassen gilt Artikel 38 Absatz 1 erster Satz.75
VRV an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe um die Überbreite (2,45 m) seines Sattelmotorfahrzeuges nicht gewusst, da er weder beim Erwerb von der Fachfirma noch bei den mehreren Vorführungen des Wagens von der kantonalen Motorfahrzeugkontrolle darauf aufmerksam gemacht worden sei und auf die Richtigkeit des Fahrzeugausweises vertraut habe, der keine entsprechende Auflage enthalte. Unter diesen Umständen habe er keine Veranlassung gehabt, die Breite des Fahrzeuges selber nachzumessen. Demzufolge liege auch kein selbstverschuldeter Sachverhaltsirrtum vor, wie die Vorinstanz angenommen habe. Die Fahrzeugbreite bildet Gegenstand sowohl genereller wie besonderer, d.h. örtlich begrenzter Verkehrsbeschränkungen. Um diese befolgen zu können, muss der Fahrzeugführer, insbesondere der Lenker schwerer Motorwagen, die häufig Überbreiten aufweisen, die genaue Breite seines Fahrzeuges kennen. Diese kann dem Fahrzeugausweis nicht entnommen werden,
BGE 104 IV 261 S. 263

weil das genaue Mass der Breite im Ausweis nicht eingetragen wird. Es ist selbst dann aus ihm nicht zu ersehen, wenn das Fahrzeug gemäss Fahrzeugausweis nur zum Verkehr auf den für 2,5 m breite Fahrzeuge geöffneten Strassen zugelassen ist und ein Breitezeichen zu tragen hat. Der Fahrzeugführer muss sich daher ausnahmslos auf andere Weise als durch Einsicht in den Fahrzeugausweis von der genauen Breite seines Fahrzeuges zuverlässig Kenntnis verschaffen. Besteht aber eine allgemeine Pflicht, die Breite des Fahrzeuges zu kennen, und kann ihr nur durch andere Vorkehren als die Einsicht in den Fahrzeugausweis genügt werden, so hätte der Beschwerdeführer als Transportunternehmer und Berufschauffeur bei pflichtgemässer Vorsicht seinen Irrtum vermeiden können. Die Vorinstanz hat somit zu Recht angenommen, der Sachverhaltsirrtum des Beschwerdeführers sei selbst verschuldet.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 104 IV 261
Datum : 28. November 1978
Publiziert : 31. Dezember 1978
Quelle : Bundesgericht
Status : 104 IV 261
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : 1. Art. 9 Abs. 2 VRV. Kein besonderes Vortrittsrecht, wenn Fahrzeuge ohne gegenseitige Behinderung aneinander vorbeifahren


Gesetzesregister
StGB: 19
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 19 - 1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
1    War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar.
2    War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe.
3    Es können indessen Massnahmen nach den Artikeln 59-61, 63, 64, 67, 67b und 67e getroffen werden.15
4    Konnte der Täter die Schuldunfähigkeit oder die Verminderung der Schuldfähigkeit vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen, so sind die Absätze 1-3 nicht anwendbar.
VRV: 9 
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 9 Kreuzen - (Art. 34 Abs. 4 und 35 Abs. 1 SVG)
1    Der Fahrzeugführer hat dem Gegenverkehr den Vortritt zu lassen, wenn das Kreuzen durch ein Hindernis auf seiner Fahrbahnhälfte erschwert wird.
2    Ist auf schmaler Strasse das Kreuzen nicht möglich, so haben Anhängerzüge den Vortritt vor andern Fahrzeugen, schwere Motorfahrzeuge vor leichten und Gesellschaftswagen vor Lastwagen.74 Unter gleichartigen Fahrzeugen muss jenes zurückfahren, das sich näher bei einer Ausweichstelle befindet; für das Kreuzen auf steilen Strassen und Bergstrassen gilt Artikel 38 Absatz 1 erster Satz.75
14
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 14 Ausübung des Vortritts - (Art. 36 Abs. 2-4 SVG)
1    Wer zur Gewährung des Vortritts verpflichtet ist, darf den Vortrittsberechtigten in seiner Fahrt nicht behindern. Er hat seine Geschwindigkeit frühzeitig zu mässigen und, wenn er warten muss, vor Beginn der Verzweigung zu halten.
2    Der Vortrittsberechtigte hat auf Strassenbenützer Rücksicht zu nehmen, welche die Strassenverzweigungen erreichten, bevor sie ihn erblicken konnten.
3    Dem vortrittsberechtigten Verkehr in parallelen Kolonnen ist der Vortritt auch zu lassen, wenn die nähere Kolonne stillsteht.
4    Reiter sowie Führer von Pferden und anderen grösseren Tieren sind den Fahrzeugführern beim Vortritt gleichgestellt.85
5    In nicht geregelten Fällen, zum Beispiel wenn auf einer Verzweigung zugleich aus allen Richtungen Fahrzeuge eintreffen, haben die Führer besonders vorsichtig zu fahren und sich über den Vortritt zu verständigen.
BGE Register
104-IV-261
Stichwortregister
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fahrzeugausweis • vorinstanz • lastwagen • irrtum • kenntnis • vortritt • automobil • sorgfalt • solothurn • distanz • stelle • richtigkeit • weiler • kassationshof • pilot • mass • norm