104 Ib 1
1. Auszug aus dem Urteil vom 17. März 1978 i.S. Flückiger gegen Schweizerische Eidgenossenschaft
Regeste (de):
- Haftung des Bundesbeamten für Schaden, den er dem Bund unmittelbar zufügt (Art. 8
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz
VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt.
- 1. Kann der Bund den Beamten in die Klägerrolle verweisen? Negative Feststellungsklage des Beamten im vorliegenden Fall zulässig erklärt (Erw. 2).
- 2. Begriff der grobfahrlässigen Verletzung einer Dienstpflicht (Erw. 3a). Verkehrsordnung auf dem Areal eines Armeemotorfahrzeugparks; Haftung des Klägers mangels grober Fahrlässigkeit verneint (Erw. 3c).
Regeste (fr):
- Responsabilité du fonctionnaire fédéral pour le dommage qu'il cause directement à la Confédération (art. 8 LRCF).
- 1. La Confédération peut-elle imposer au fonctionnaire le rôle de demandeur? Action en constatation négative ouverte par le fonctionnaire, déclarée recevable en l'espèce (consid. 2).
- 2. Notion de violation d'un devoir de fonction par négligence grave (consid. 3a). Réglementation de la circulation sur un emplacement réservé au stationnement de véhicules à moteur de l'armée; responsabilité du demandeur exclue, faute de négligence grave (consid. 3c).
Regesto (it):
- Responsabilità del funzionario federale per danni da lui cagionati direttamente alla Confederazione (art. 8 LResp).
- 1. Può la Confederazione pretendere che sia il funzionario a dover agire in giudizio? Azione d'accertamento negativo promossa dal funzionario, dichiarata ammissibile nella fattispecie concreta (consid. 2).
- 2. Nozione di violazione di un dovere di servizio per grave negligenza (consid. 3a). Disciplina della circolazione su di un'area riservata al parcheggio di veicoli a motore dell'esercito; responsabilità dell'attore esclusa in assenza di grave negligenza (consid. 3c).
Sachverhalt ab Seite 1
BGE 104 Ib 1 S. 1
Rudolf Flückiger ist Handwerker im Armeemotorfahrzeugpark (AMP) Hinwil. Am 28. Dezember 1974 wollte er den Lastwagen M + 64175 auf dem Waschplatz des AMP parkieren.
BGE 104 Ib 1 S. 2
Zu diesem Zweck fuhr er von hinten neben einen Block bereits parkierter Fahrzeuge. Um sein Fahrzeug parallel auszurichten, holte er nach vorne aus, bis sein Wagen etwa 2,5 m über die Frontlinie der vorderen Reihe der bereits parkierten Fahrzeuge hinausragte. Rudolf Flückiger hatte bereits den Rückwärtsgang eingelegt und schickte sich gerade an, sein Fahrzeug endgültig rückwärts einzureihen, als Kaspar Habegger, mit dem Lastwagen M + 61365 von links kommend, das parkierende Fahrzeug streifte. Kaspar Habegger befand sich im Augenblick der Kollision mit seinem soeben reparierten Lastwagen auf dem Weg zu einer Probefahrt. Wegen Schneegestöbers wollte er die Lichter einschalten, obschon es um diese Zeit (14.30 Uhr nachmittags) noch hell war. Da sich der Schlüsselring verklemmt hatte, schaute er einen Moment lang auf den Lichtschalter, weshalb ihm das in seine Fahrbahn hineinragende Fahrzeug Flückigers entging. Als er seinen Blick wieder hob, konnte er die Kollision nicht mehr verhindern. Am 18. Dezember 1975 ordnete das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) an, beide Lenker seien an dem von ihnen grobfahrlässig verursachten Gesamtschaden von Fr. 3626.- zu beteiligen, indem je der Betrag von Fr. 200.- mit ihrer Besoldung zu verrechnen sei. Während Kaspar Habegger seine Schadenersatzpflicht anerkannte, reichte Rudolf Flückiger am 17. Dezember 1976 verwaltungsrechtliche Klage gegen die Eidgenossenschaft ein und beantragte, es sei festzustellen, dass dem Bund aus dem Schadenereignis gegen ihn kein Regressanspruch zustehe; die in Aussicht gestellte Verrechnung des Betrages von Fr. 200.- sei zu widerrufen.
Das EMD beantragt, die Klage sei abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Klage gut aus folgenden
Erwägungen
Erwägungen:
2. Da der Anspruch aus Art. 8
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. |
BGE 104 Ib 1 S. 3
diesen in die Rolle des Klägers verweisen (BGE 86 I 179 E. 2, BGE 89 I 417 f. E. 1). Im jüngsten Entscheid (BGE 102 Ib 107 E. 2) hat das Bundesgericht sich allerdings vorbehalten, diese Rechtsprechung zu überprüfen. Eine solche Überprüfung kann jedoch im vorliegenden Fall noch unterbleiben, da das EMD hier die Verrechnung noch vor der Publikation des eben erwähnten Bundesgerichtsentscheides angeordnet hat. Auf die Klage Flückigers ist deshalb einzutreten.
3. a) Der Beamte kann nur dann nach Art. 8
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. |
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. |
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. |
c) Weil als grobe Fahrlässigkeit eine schwere Verletzung von Sorgfaltspflichten zu betrachten ist, fragt sich, welche Sorgfalt für den Kläger beim Parkieren seines Lastwagens geboten war. Ferner ist zu untersuchen, ob eine Verletzung dieser Sorgfaltspflicht
BGE 104 Ib 1 S. 4
gegebenenfalls so schwer war, dass sich ein anderes Vorgehen für jeden vernünftigen Beamten unter denselben Umständen ohne weiteres aufgedrängt hätte (BGE 89 I 423). Im vorliegenden Fall müssen zur Konkretisierung der allgemeinen Sorgfaltspflicht die Bestimmungen des SVG herbeigezogen werden (vgl. HOTZ, a.a.O., S. 120), sofern sie sich sinngemäss auf das Unfallgeschehen anwenden lassen (Art. 6 Abs. 2 V über die Motorfahrzeuge des Bundes und ihre Führer vom 31. März 1971 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 V über den militärischen Strassenverkehr vom 24. Februar 1976). Die Beklagte wirft dem Kläger vor allem eine Verletzung des Vortrittsrechtes gemäss Art. 36 Abs. 4
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 36 - 1 Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten. |
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1 | Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten. |
2 | Auf Strassenverzweigungen hat das von rechts kommende Fahrzeug den Vortritt. Fahrzeuge auf gekennzeichneten Hauptstrassen haben den Vortritt, auch wenn sie von links kommen. Vorbehalten bleibt die Regelung durch Signale oder durch die Polizei. |
3 | Vor dem Abbiegen nach links ist den entgegenkommenden Fahrzeugen der Vortritt zu lassen. |
4 | Der Führer, der sein Fahrzeug in den Verkehr einfügen, wenden oder rückwärts fahren will, darf andere Strassenbenützer nicht behindern; diese haben den Vortritt. |
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
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1 | Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. |
2 | Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird. |
BGE 104 Ib 1 S. 5
Allfällige Verhaltensfehler des Klägers sind losgelöst von der Mitwirkung Habeggers zu ermitteln. Als objektives Merkmal des Verkehrs auf einem AMP-Areal kann festgehalten werden, dass jederzeit auf dem ganzen Areal Fahrzeugbewegungen zu den verschiedensten Zwecken stattfinden können. Der Kläger durfte sich deshalb darauf verlassen, dass dies den anderen Lenkern bewusst war. Er durfte auch davon ausgehen, dass die anderen Lenker wussten, dass schwere Lastwagen bereitgestellt wurden und dass solche Fahrzeuge beim Manöverieren mehr Raum benötigen. Unbestritten ist, dass der Kläger mit seinem Lastwagen zum präzisen Parkieren nach vorne ausholen musste. Sogar routinierte Lenker sind auf solche Manöver angewiesen. Die Beklagte will dem Kläger sinngemäss zum Vorwurf machen, dass er überhaupt riskiert hat, einem anderen Fahrzeug in den Weg zu geraten. Diese Ansicht ist dem dauernd wechselnden und vielen Zwecken dienenden Betrieb eines AMP nicht angemessen. Ein Verstoss gegen eine elementare Sorgfaltspflicht könnte dem Kläger allenfalls dann zur Last gelegt werden, wenn er neben der Reihe parkierter Fahrzeuge so schnell nach vorne gefahren wäre, dass ein von links nahendes Fahrzeug unter normalen Umständen nicht mehr hätte ausweichen können. Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass er einen solchen Fehler begangen hat. Auch dass er die Scheinwerfer seines Wagens nicht eingeschaltet hatte, kann dem Kläger nicht zum Vorwurf gereichen. Der aus einem rechten Winkel herannahende Habegger hätte das Licht bei der herrschenden Tageshelle kaum erkennen können. In Würdigung aller Umstände kann nicht gesagt werden, der Kläger habe gegen ein eindeutiges und elementares Vorsichtsgebot verstossen. Sein Verhalten ist nicht als grobfahrlässig im Sinne des Art. 8
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz VG Art. 8 - Der Beamte haftet dem Bund für den Schaden, den er ihm durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung seiner Dienstpflicht unmittelbar zufügt. |