103 V 190
42. Urteil vom 19. Dezember 1977 i.S. Scattareggia gegen Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen
Regeste (de):
- Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)
EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.
a innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; b ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; c sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; d Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; e unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. - - Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf die Verwaltungsgerichte? Frage offen gelassen (Erw. 2a).
- - Die darin enthaltene Garantie, dass gerichtliche Verfahren ohne unnötige Verzögerung durchzuführen sind, bringt für die schweizerische Rechtsordnung kein neues Recht (Erw. 2b).
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Art. 6 ch. 1 phrase 1 CEDH.
- - Application de cette disposition aux tribunaux administratifs? Question laissée ouverte (consid. 2a).
- - La garantie que les procédures judiciaires doivent se dérouler sans retards injustifiés n'apporte rien de nouveau à l'ordre juridique suisse (consid. 2b).
- Art. 4 Cst. Une autorité tarde de manière inadmissible à se prononcer lorsqu'aucune circonstance objectivement justifiée ne rendait nécessaire la prolongation de la procédure.
Regesto (it):
- Art. 6 cfr. 1 frase 1 CEDU.
- - Applicabilità di questa disposizione ai tribunali amministrativi? Questione lasciata insoluta (consid. 2a).
- - La garanzia prevista da questa disposizione, secondo cui nell'ambito della procedura giudiziaria dev'essere evitato ogni inutile ritardo, non costituisce un nuovo diritto nell'ordinamento giuridico svizzero (consid. 2b).
- Art. 4 Cost. Illiceità del ritardo dell'autorità chiamata a statuire, laddove le circostanze causa dell'inadeguata dilazione della procedura non siano oggettivamente giustificate.
Sachverhalt ab Seite 190
BGE 103 V 190 S. 190
A.- Mit Rechtsverzögerungsbeschwerde vom 4. April 1977 gelangt Advokat Dr. S. an das Eidg. Versicherungsgericht und führt aus, sein Mandant Attilio Scattareggia habe am 6. Februar 1974 bei der Rekurskommission der Alters-,
BGE 103 V 190 S. 191
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen eine Beschwerde eingelegt, die immer noch nicht erledigt sei. Dadurch werde Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt, wonach jedermann darauf Anspruch habe, dass seine Sache innerhalb einer angemessenen Frist gehört werde. Er beantrage daher, es sei der Rekurskommission eine kurze Frist zur materiellen Entscheidung des Streitfalles anzusetzen.
B.- In ihrer Vernehmlassung vom 27. April 1977 bestätigt die Rekurskommission, dass die Beschwerde am angeführten Datum bei ihr eingereicht worden sei. Die Rekurskommission habe seit 1972 in jedem Jahresbericht ihre Aufsichtsbehörde auf die durch die starke Geschäftszunahme bewirkte, bedauerliche Verzögerung in der Behandlung der Beschwerdefälle hingewiesen. Mit einer Wartedauer von bisher 3 Jahren und 2 Monaten sei der Beschwerdeführer nicht schlechter gestellt als zahlreiche andere Gesuchsteller, die sich mit dem Entscheid der Eidgenössischen Ausgleichskasse nicht abfänden. Wenn der vorliegende Fall erledigt werden müsse, bevor er an der Reihe sei, habe dies eine starke Bevorzugung des Beschwerdeführers gegenüber andern, die schon länger auf ihren Entscheid warten müssten, zur Folge. Daraus ergäbe sich eine weitere Verzögerung älterer Verfahren. Die Verzögerungsbeschwerde sei daher abzuweisen. Das Eidgenössische Departement des Innern als administrative Aufsichtsbehörde über die Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen bedauert in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 1977 die grossen Verzögerungen, die teilweise auf Personalmangel zurückzuführen seien.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 128
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 103 V 190 S. 192
Ausland wohnenden Personen - mithin durch eine eidgenössische Rekurskommission nach Art. 98 lit. e
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
2. a) Zur Begründung seiner Rechtsverzögerungsbeschwerde beruft sich der Beschwerdeführer auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), welche von der Schweiz am 28. November 1974 ratifiziert wurde und am gleichen Tag für ihr Gebiet in Kraft trat (AS 1974 II S. 2151 ff.). Mit ihrem Inkrafttreten wurde die EMRK (Abschnitt I) in bezug auf ihre materiellen Garantien mit Ausnahme von Art. 13 in der Schweiz direkt anwendbar; sie gilt in der schweizerischen Rechtsordnung gleich wie ein Bundesgesetz (BGE 102 Ia 481 Erw. 7a; SCHINDLER, Die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Schweiz, ZSR 94/1975 I S. 366 ff.; J.-P. MÜLLER, Die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in der Schweiz, ZSR 94/1975 I S. 373 ff., insbesondere S. 377 ff.). Gemäss Art. 6 Ziff. 1
IR 0.101 Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) EMRK Art. 6 Recht auf ein faires Verfahren - (1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde. |
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a | innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden; |
b | ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben; |
c | sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist; |
d | Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten; |
e | unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 58 Armee - 1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
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1 | Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert. |
2 | Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen. |
3 | Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.18 |
BGE 103 V 190 S. 193
sind, zum Teil aber auch über diese Grundsätze hinausgehen und so für die Schweiz neues Recht schaffen (SCHUBARTH, a.a.O., S. 494). Was das in Art. 6 enthaltene Beschleunigungsgebot - die Garantie, dass die gerichtlichen Verfahren ohne unnötige Verzögerung durchgeführt werden - anbetrifft, liegt kein neues Recht vor (vgl. SCHUBARTH, a.a.O., S. 503). Dies scheint auch der Meinung des Bundesrates zu entsprechen, der in seinem Bericht vom 9. Dezember 1968 zur Menschenrechtskonvention festhält, dass "das schweizerische Recht im allgemeinen mit den Regeln des Art. 6 übereinstimmt", und nur die Forderungen hinsichtlich der Öffentlichkeit des Verfahrens und der Garantie eines gerechten Prozesses im Hinblick auf unser innerstaatliches Recht einer nähern Prüfung unterzieht (BBl 1968 II S. 1111); dabei bringt er hinsichtlich des Grundsatzes der Öffentlichkeit des Verfahrens einen Vorbehalt und hinsichtlich der Garantie eines gerechten Prozesses eine Erklärung an (AS 1974 II S. 2173; BBl a.a.O. und 1972 I S. 995). Da der von der Konvention gebotene Schutz nur insoweit selbständige Bedeutung hat, als er den durch die Verfassungen und Gesetze des Bundes und der Kantone gewährten Schutz übersteigt (BGE 101 Ia 69 und BGE 101 IV 253), kann die Konvention im vorliegenden Fall ausser Betracht bleiben.
3. a) Das Rechtsschrifttum ist sich darin einig, dass eine Verletzung des Willkürverbots des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 103 V 190 S. 194
Einzig FAVRE (Droit constitutionnel suisse, 1970, S. 264) spricht sich nicht nur zur Rechtsverweigerung im engern Sinne, sondern auch zur Rechtsverzögerung aus, indem er festhält: "Le déni de justice peut consister dans le retard injustifié; le délai dans lequel l'autorité doit agir doit s'apprécier d'après la nature de l'affaire et les circonstances." b) Das Bundesgericht hat in einer umfangreichen staatsrechtlichen Rechtsprechung zum Willkürverbot des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
"Das Bundesgericht hat von jeher angenommen, dass eine kantonale Behörde eine formelle Rechtsverweigerung begehe und Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 103 V 190 S. 195
dann vorliegt, wenn die zuständige Behörde sich zwar bereit zeigt, die Verfügung zu erlassen, sie aber nicht binnen der Frist erlässt, welche nach der Natur der Sache und nach der Gesamtheit der übrigen Umstände als angemessen erscheint. In der Gerichtspraxis zur formellen Rechtsverweigerung ist der Richter bisher stets von den objektiven Gegebenheiten ausgegangen. Wenn dies für die Rechtsverweigerung im engern Sinne gilt, muss es auch für die Rechtsverweigerung im weitern Sinne, die Rechtsverzögerung, Geltung haben. Für den Rechtsuchenden ist es in der Tat unerheblich, auf welche Gründe - beispielsweise auf ein Fehlverhalten der Behörden oder auf andere Umstände - die Rechtsverweigerung oder die Rechtsverzögerung zurückzuführen ist; entscheidend für ihn ist ausschliesslich, dass die Behörde nicht oder nicht fristgerecht handelt. Bei der Feststellung einer unrechtmässigen Rechtsverzögerung geht es deshalb um die Würdigung objektiver Gegebenheiten. Eine unrechtmässige Rechtsverzögerung liegt dann vor, wenn die Umstände, welche zur unangemessenen Verlängerung des Verfahrens führten, objektiv nicht gerechtfertigt sind. Ob sich die gegebene Prozessdauer mit dem dargelegten Anspruch des Bürgers auf Rechtsschutz innert angemessener Frist verträgt oder nicht, ist am konkreten Einzelfall zu prüfen.
4. In Art. 85 Abs. 2
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 69 Besonderheiten der Rechtspflege - 1 In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar: |
|
1 | In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar: |
a | Verfügungen der kantonalen IV-Stellen: direkt vor dem Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle; |
b | Verfügungen der IV-Stelle für Versicherte im Ausland: direkt beim Bundesverwaltungsgericht.417 |
1bis | Das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten über IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist kostenpflichtig.418 Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von 200-1000 Franken festgelegt.419 |
2 | Absatz 1bis sowie Artikel 85bis Absatz 3 AHVG420 gelten sinngemäss für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.421 |
3 | Gegen Entscheide der kantonalen Schiedsgerichte nach Artikel 27quinquies kann nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005422 beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden.423 |
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
BGE 103 V 190 S. 196
Vorschrift nur für die kantonalen Rekursbehörden in Sozialversicherungsstreitigkeiten Verbindlichkeit haben sollte, während die eidgenössische Rekursbehörde davon befreit wäre. Eine solche Auslegung würde eine die Rechtsgleichheit verletzende Benachteiligung der im Ausland wohnenden Versicherten mit sich bringen. Art. 85 Abs. 2 lit. a
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
SR 831.10 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) AHVG Art. 85 |
5. Im Zeitpunkt der Rechtsverzögerungsbeschwerde, am 4. April 1977, war die erstinstanzliche Beschwerde des Versicherten vom 6. Februar 1974 knapp drei Jahre und zwei Monate rechtshängig, ohne dass sie von der Vorinstanz an die Hand genommen worden war. Darin liegt ohne Zweifel eine bedeutende Verzögerung des Prozesses. Ob mit dieser Verzögerung der aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
a) Bezüglich der Geschäftslast der Rekurskommission ergibt sich aus ihren jährlichen Geschäftsberichten folgende Entwicklung: Fälle eingegangen erledigt hängig (31.12.)
1970 534 529 207
1971 503 450 260
1972 1008 405 863
1973 978 535 1306
1974 1079 540 1845
1975 1114 606 2353
1976 1396 600 3149
Der Vernehmlassung der Rekurskommission ist zu entnehmen, dass die Eingänge im 1. Quartal 1977 gegenüber dem 1. Quartal des Vorjahres von 267 Fällen um 64% auf 438 Fälle zugenommen haben. Unter den anhängigen Fällen befinden sich noch rund 200 Beschwerden aus dem Jahre 1973.
BGE 103 V 190 S. 197
Nachdem die Aufsicht über die Rekurskommission auf den 1. Januar 1975 an das Eidgenössische Departement des Innern übergegangen war, machte der Bundesrat im Bericht über seine Geschäftsführung im Jahre 1975 (S. 47) darauf aufmerksam, dass die Zahl der erledigten Beschwerden wie schon in den vergangenen Jahren viel kleiner sei als die Zahl der neueingereichten und dass das Beschwerdeverfahren oft rund drei Jahre dauere. Im Geschäftsbericht 1976 (S. 41) wurde auf die steigenden Rückstände und die Tatsache hingewiesen, dass das Beschwerdeverfahren oft rund 4 Jahre in Anspruch nehme.
Die Geschäftsprüfungskommissionen des Nationalrates und des Ständerates liessen sich im Frühjahr 1976 über die Rückstände orientieren. b) Hinsichtlich der personellen Situation der Rekurskommission zeigt sich folgende Lage: In der (im Bundesblatt nicht veröffentlichten) Botschaft vom 12. Mai 1976 zum "Voranschlag 1976 Nachtrag I" beantragte der Bundesrat die Erhöhung des Personalbestandes um 78 Stellen. Dabei erwähnte er in der Begründung - neben andern Amtsstellen - ausdrücklich die Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen. Das Parlament lehnte die Schaffung der zusätzlichen 78 Stellen ab (Amtl.Bull. Nationalrat 1976 S. 787, Ständerat 1976 S. 324). Dabei wurde in den Verhandlungen die Meinung vertreten, dass der Bundesrat den Personalbedarf der überlasteten Verwaltungszweige durch interne Verschiebungen zu decken habe. Tatsächlich konnte darauf hingewiesen werden, dass beispielsweise 1975 insgesamt 407 Stellen umbesetzt wurden, 349 innerhalb der Departemente und 58 zwischen den verschiedenen Departementen (Amtl.Bull. Ständerat 1976 S. 181). Eine genügende personelle Verstärkung der Rekurskommission wurde in der Folge nicht durchgeführt. Schliesslich ist bekannt, dass es nicht immer leicht hält, freiwerdende Stellen mit geeigneten Personen zu besetzen. Aus dem Geschäftsbericht der Rekurskommission für das Jahr 1975 geht hervor, dass die Stelle eines dritten Gerichtsschreibers nicht besetzt werden konnte, aus dem Geschäftsbericht 1976, dass die Besetzung einer neugeschaffenen Richterstelle noch ausstand.
BGE 103 V 190 S. 198
c) Seit 1970 verdeutlichte sich durch eine steigende Zahl von Eingängen und Pendenzen von Jahr zu Jahr das Übermass der Geschäftslast der Rekurskommission und der in personeller Hinsicht unbefriedigende Zustand. Eine Verminderung der Zahl eingehender Beschwerden konnte nicht erwartet werden. Rechtzeitige Massnahmen im organisatorischen, verfahrensmässigen und/oder personellen Bereich hätten die heutige Lage abwenden können, auch wenn man berücksichtigt, dass solche Massnahmen eine gewisse Zeit brauchen, bis sie sich praktisch auswirken. Da somit die Verzögerung keine objektive Rechtfertigung findet, die gegenüber dem Rechtsschutzanspruch des Bürgers Bestand hätte, erweist sich die Rüge des Beschwerdeführers als berechtigt. Es ist Aufgabe des Rechtsstaates, das Recht jedes Bürgers auf staatlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Wenn dieser Rechtsanspruch des Bürgers durch Überlastung und personelle Unterdotierung einer Gerichtsbehörde beeinträchtigt wird, ist es Sache des Rechtsstaates, die nötigen und geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Justizgarantie wiederherzustellen. Geschäftslast und Personalmangel können es nicht rechtfertigen, Verfassungsrecht zu durchbrechen.
6. Der Rechtsvertreter des Versicherten verlangt, dass der Rekurskommission eine kurze Frist zur materiellen Entscheidung des Streitfalles anzusetzen sei. Diesem Antrag kann nicht stattgegeben werden. a) Es ist ausserordentlich schwierig, den zeitlichen Verlauf eines Verfahrens zum voraus abzuschätzen. Bei der Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen erweist sich eine zeitliche Bestimmung als besonders schwierig. Der Verkehr mit dem Ausland, vor allem die Abklärung bei ausländischen Behörden und Fachleuten, ist erfahrungsgemäss zeitraubend. Der Rekurskommission ist es in vielen Fällen verwehrt, auf eine beförderliche Erledigung der von ausländischen Instanzen zu tätigenden Geschäfte Einfluss zu nehmen. Der zeitliche Verlauf des Verfahrens wird damit neben den allgemeinen Umständen des Prozesses (Vorarbeit der Verwaltung, Einwände des Versicherten, Beweismassnahmen usw.) auch vom besondern Umstand des Verkehrs mit dem Ausland bestimmt. Es ist daher nicht gerechtfertigt, der Rekurskommission eine Frist zu setzen, deren Einhaltung nur zum Teil von ihr selber abhängt.
BGE 103 V 190 S. 199
b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat nur zu prüfen, ob im vorliegenden Fall das Rechtsschutzgebot verletzt ist. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf fristgerechten staatlichen Rechtsschutz den in der gleichen Verfassungsbestimmung verankerten Grundsatz der Rechtsgleichheit anderer Versicherter, die ebenfalls an die Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen gelangt sind, nicht verletzen darf.
7. Da dem Eidg. Versicherungsgericht die tatsächlichen und rechtlichen Mittel nicht zur Verfügung stehen, die zu den erheblichen Verzögerungen führenden Ursachen mit geeigneten Massnahmen zu bekämpfen, rechtfertigt sich die Zustellung des Urteils an den Bundesrat.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Rechtsverzögerungsbeschwerde wird die Rekurskommission der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland wohnenden Personen angewiesen, die Beschwerde des Attilio Scattareggia im Sinne der Erwägungen an die Hand zu nehmen und so rasch als möglich zum Entscheid zu führen. Dieses Urteil wird dem Bundesrat zugestellt.