103 IV 8
3. Urteil des Kassationshofes vom 18. März 1977 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
Regeste (de):
- Art. 69 StGB; Anrechnung der Untersuchungshaft.
- 1. Einfaches Leugnen schliesst wie die Auskunftsverweigerung die Anrechnung der Untersuchungshaft nicht aus (E. 3a und b). Vorbehalten bleiben Fälle, in denen der Beschuldigte das Verteidigungsrecht zur Erreichung sachfremder Zwecke missbraucht (E. 3c).
- 2. Nicht anzurechnen ist die Haftzeit, soweit der Beschuldigte durch falsche Angaben unnötige Erhebungen veranlasst und dadurch das Verfahren über die ordentliche Dauer hinaus verlängert (E. 3c).
Regeste (fr):
- Art. 69 CP; imputation de la détention préventive.
- 1. De même que le refus de renseignement, de simples dénégations ne font pas obstacle à l'imputation de la détention préventive (consid. 3 litt. a et b). Demeure réservée l'hypothèse dans laquelle l'accusé, abusant des droits de la défense, viserait un résultat n'intéressant pas son procès (consid. 3 litt. c).
- 2. Il n'y a pas à faire porter l'imputation sur la période durant laquelle se sont déroulées des opérations menées à cause de fausses indications de l'accusé et qui ont eu pour effet de prolonger la procédure d'une manière inhabituelle (consid. 3 litt. c).
Regesto (it):
- Art. 69 CP; computo del carcere preventivo.
- 1. Al pari del rifiuto di fornire informazioni, semplici dinieghi non escludono il computo del carcere preventivo (consid. 3a, b). Sono riservati i casi in cui l'imputato abusa dei diritti della difesa per conseguire un risultato estraneo agli scopi della medesima (consid. 3c).
- 2. Non è computabile il periodo di carcere preventivo durante il quale sono stati effettuati accertamenti resi necessari da false indicazioni fornite dall'imputato, che abbiano avuto come conseguenza un prolungamento della durata abituale della procedura (consid. 3c).
Sachverhalt ab Seite 9
BGE 103 IV 8 S. 9
Der türkische Staatsangehörige K. ist am 1. Oktober 1970 vom Obergericht des Kantons Zürich wegen Diebstahls usw. zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und für die Dauer von 15 Jahren des Landes verwiesen worden. In der Nacht vom 4./5. Oktober 1970 floh er aus der Strafanstalt Regensdorf. Im Oktober 1970 verübte er u.a. durch Einbrüche eine erste Reihe strafbarer Handlungen, die vor allem seinem Fortkommen nach der Flucht dienten und eher geringfügig waren. Wegen verschiedener Einbruchdiebstähle im Ausland war er sodann in der Zeit vom März 1971 bis Juni 1975 immer wieder in Gefängnissen in Italien, Österreich und Deutschland inhaftiert. Ab 1. September 1975 reiste er trotz der Landesverweisung wiederholt in die Schweiz ein und beging hier schwere Einbruchdiebstähle, bis er am 21. Oktober 1975 in Lausanne verhaftet wurde. Von da an bis und mit dem 10. Mai 1976 war er in Untersuchungshaft. Seither befindet er sich im Strafvollzug, um die frühere, durch Urteil vom 1. Oktober 1970 ausgefällte Strafe zu verbüssen. Am 27. September 1976 erklärte das Obergericht des Kantons Zürich K. des gewerbsmässigen und des fortgesetzten Diebstahls, der fortgesetzten Sachbeschädigung und des fortgesetzten Hausfriedensbruchs, des wiederholten und des fortgesetzten Verweisungsbruchs usw. schuldig. Es verurteilte ihn zu zwei Jahren Gefängnis und verwies ihn auf Lebenszeit des Landes. Von der erstandenen Untersuchungshaft rechnete es ihm 100 Tage an. Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt K. die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, soweit ihm nur 100 statt 202 Tage Untersuchungshaft angerechnet wurden. Die Staatsanwaltschaft, die vor Obergericht die Anrechnung der vollen Untersuchungshaft beantragt hatte, verzichtet auf Gegenbemerkungen.
BGE 103 IV 8 S. 10
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Der Richter rechnet dem Verurteilten die Untersuchungshaft auf die Freiheitsstrafe an, soweit der Täter die Untersuchungshaft nicht durch sein Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat (Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
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1 | Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
2 | Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden. |
2. Der Beschwerdeführer wurde in Untersuchungshaft gesetzt, weil er aus dem Strafvollzug geflohen war und daher wieder Gefahr bestand, er könnte sich erneut durch Flucht dem Strafvollzug entziehen. Dieser Haftgrund stützt sich somit auf ein Verhalten vor der Begehung der neuen Straftaten. Zu Recht wurde deshalb die teilweise Nichtanrechnung nicht mit der Flucht aus dem Gefängnis begründet.
3. Die Vorinstanz hat die teilweise Nichtanrechnung der Untersuchungshaft damit begründet, dass der Beschwerdeführer während Monaten bestrebt gewesen sei, durch lügenhaftes Verhalten die Untersuchung zu erschweren. So sei er erst geständig gewesen, als und soweit ihm durch Fingerabdruckspuren seine Taten hätten nachgewiesen werden können. Auch die letzten und am schwersten wiegenden Einbruchdiebstähle habe er erst am 25. März 1976 nach Vorlage eines daktylographischen Gutachtens zugegeben. Es könnten ihm demzufolge nur die nach diesem Zeitpunkt folgenden 100 Tage Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet werden. a) Nach verfahrensrechtlich anerkannten Grundsätzen ist ein Beschuldigter nicht gehalten, Straftaten zu offenbaren, zu denen er nicht befragt wird; er darf sie deshalb verschweigen. Ebenso ist er nicht verpflichtet, die Untersuchung zu seinem Nachteil zu fördern oder zu erleichtern. Den Nachweis der Schuld zu erbringen, liegt von Gesetzes wegen bei den Behörden, die den Beschuldigten in keiner Weise zu einem Geständnis zwingen dürfen (vgl. Art. 41 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
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1 | Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
2 | Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden. |
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 39 - 1 Der Beschuldigte wird vorerst über Name, Alter, Beruf, Heimat und Wohnort befragt. |
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1 | Der Beschuldigte wird vorerst über Name, Alter, Beruf, Heimat und Wohnort befragt. |
2 | Der untersuchende Beamte teilt dem Beschuldigten mit, welcher Tat er beschuldigt wird. Er fordert ihn auf, sich über die Beschuldigung auszusprechen und Tatsachen und Beweismittel zu seiner Verteidigung anzuführen. |
3 | Der Beschuldigte kann, sofern es sich nicht um seine erste Vernehmung handelt, verlangen, dass der Verteidiger zugegen sei; dieser hat das Recht, über den untersuchenden Beamten Ergänzungsfragen zu stellen. |
4 | Weigert sich der Beschuldigte auszusagen, so ist das aktenkundig zu machen. |
5 | Zwang, Drohung, Versprechungen, unwahre Angaben und verfängliche Fragen oder ähnliche Mittel sind dem untersuchenden Beamten untersagt. |
BGE 103 IV 8 S. 11
Untersuchung zwar nicht erleichtert, aber auch nicht erschwert. Das Verfahren hat in einem solchen Fall vielmehr seinen ordentlichen Gang zu nehmen wie dann, wenn der Beschuldigte unverschuldet abwesend wäre. b) Der Beschwerdeführer hat nicht nur die Aussage verweigert, sondern die Straftaten, solange sie ihm nicht nachgewiesen werden konnten, bestritten, sie also wider besseres Wissen geleugnet. Damit ist er zwar über die Verweigerung von Auskünften hinausgegangen. Einfache Bestreitungen haben jedoch auf den Gang und die Dauer des Verfahrens keine weitergehenden Auswirkungen als die Aussageverweigerung. Beschränkt sich der Beschuldigte darauf, die ihm vorgeworfenen Straftaten, die ihn belastenden Indizien oder die Glaubwürdigkeit der gesammelten Beweise zu bestreiten, um einer Verurteilung zu entgehen, so unterlässt er es, die gegen ihn vorhandenen belastenden Beweise zu bestärken, und versagt damit die Mitwirkung an seiner Überführung, zu der er nicht verpflichtet ist. Das Verfahren wird dadurch noch nicht erschwert oder verlängert, denn die Lügen des Beschuldigten schmälern nicht die Beweiskraft der gesammelten Beweise und haben nur zur Folge, dass das Verfahren ohne Geständnis des Beschuldigten abgeschlossen werden muss oder in Fällen, in denen der Schuldbeweis noch nicht vollständig erbracht ist, nicht verkürzt werden kann. Es ist infolgedessen gerechtfertigt, blosses Leugnen der erlaubten Aussageverweigerung gleichzustellen; es schliesst daher die Anrechnung der Untersuchungshaft nicht aus. c) Anders verhält es sich, wenn die lügenhaften Bestreitungen nicht bloss Anlass geben, einen ohnehin ungenügenden Beweis zu ergänzen, sondern der Beschuldigte durch unwahre Behauptungen und Einwendungen die Behörden zu weiteren Untersuchungshandlungen nötigt, durch die das Verfahren über die Dauer hinaus verlängert wird, die nötig gewesen wäre, um den Beschuldigten ohne seine geständige Mithilfe der Schuld zu überführen. In diesem Falle verursacht er schuldhaft eine Verlängerung des Verfahrens im Sinne des Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
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1 | Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. |
2 | Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden. |
Gleiches gilt auch, wenn ein Beschuldigter sein Verteidigungsrecht offensichtlich dazu missbraucht, einen sachfremden Zweck zu erreichen. Das trifft beispielsweise zu, wenn er
BGE 103 IV 8 S. 12
bewusst darauf ausgeht, die Untersuchungshaft zu verlängern, um dadurch den Strafvollzug entsprechend zu verkürzen (DUBS, ZStR 76 S. 193 f.).
4. Die Vorinstanz stellt bloss fest, der Beschwerdeführer habe die Straftaten geleugnet und sie erst nach Vorhalt von belastendem Beweismaterial eingestanden. Es wird ihm aber nicht vorgeworfen, er habe darüber hinaus durch irreführende Angaben die Untersuchungsbehörde auf eine falsche Spur geführt und zu unnötigen Erhebungen veranlasst oder in der rechtsmissbräuchlichen Absicht geleugnet, durch Verlängerung der Haftzeit sich dem Strafvollzug zu entziehen. Es besteht somit kein Grund, ihm die Untersuchungshaft nicht voll anzurechnen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. September 1976 hinsichtlich der Anrechnung der Untersuchungshaft aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen mit der Weisung, dem Beschwerdeführer 202 Tage Untersuchungshaft auf die Strafe anzurechnen.