103 IV 161
47. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1977 i.S. F. gegen R.
Regeste (de):
- Art. 173 ff. StGB. Ehrverletzung.
- Wann ist der Vorwurf, ein Mitglied einer Kollegialbehörde berücksichtige bei Amtsgeschäften private Interessen, ehrverletzend?
Regeste (fr):
- Art. 173 ss CP, atteinte à l'honneur.
- Quand peut-on considérer comme attentatoire à l'honneur l'accusation portée contre un membre d'une autorité collégiale de prendre en considération des intérêts privés lorsqu'il s'occupe d'affaires relevant de sa fonction?
Regesto (it):
- Art. 173 segg. CP, delitti contro l'onore.
- Quando è disonorevole l'accusa, mossa contro un membro di un'autorità collegiale, di prendere in considerazione interessi privati nell'esercizio della funzione pubblica?
Erwägungen ab Seite 161
BGE 103 IV 161 S. 161
Aus den Erwägungen:
2. Der Vorwurf, als Mitglied einer vorberatenden Fachkommission private Interessen berücksichtigt zu haben, ist nicht bereits an sich ehrenrührig. Oft sind öffentliche gegen private Interessen abzuwägen. Ehrverletzend wird der Vorwurf erst, wenn damit unterstellt wird, öffentliche Interessen seien dabei pflichtwidrig vernachlässigt, der Entscheid sei nicht aus sachlichen Gründen getroffen oder die Berücksichtigung privater Interessen sei verschwiegen worden. Inwiefern sich ein derartiger Sinn aus der Äusserung des Beschwerdeführers oder aus ihrem Zusammenhang oder aus weiteren Umständen ergeben sollte, legt die Vorinstanz nicht dar. Der Vorwurf des Missbrauchs einer amtlichen Stellung zur Durchsetzung privater Interessen berührt demgegenüber bereits an sich den Ruf und die Geltung einer Person als ehrbarer Mensch. Die Vorinstanz scheint davon auszugehen, der Beschwerdeführer hätte sich schon dann ehrverletzend geäussert, wenn er dem Beschwerdegegner unterstellt hätte, seine Meinung geändert zu haben und aus privaten Interessen nicht mehr für ein im öffentlichen Interesse liegendes Projekt einzutreten. Das ginge zu weit. Unser Recht kennt den Interessenkonflikt und die Möglichkeit, in Ausstand zu treten. Es ist nicht ehrenrührig,
BGE 103 IV 161 S. 162
wenn jemand in amtlicher Stellung einen Vorschlag nicht mehr unterstützt, weil dieser seine privaten Interessen benachteiligen würde. Nicht mit dem Verhalten eines Ehrenmannes vereinbar ist es nur, wenn ein solcher Interessenkonflikt verheimlicht und der Ausstand nicht gewahrt, sondern die amtliche Funktion nach privaten statt öffentlichen Interessen ausgeübt wird.