Urteilskopf

103 Ia 6

2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Februar 1977 i.S. C. gegen Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht von Graubünden
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


BGE 103 Ia 6 S. 6

Aus den Erwägungen:

1. b) Gemäss Art. 89 Abs. 2 Ziff. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 89 Allgemeine Bestimmungen - 1 Gesetzliche Fristen können nicht erstreckt werden.
1    Gesetzliche Fristen können nicht erstreckt werden.
2    Im Strafverfahren gibt es keine Gerichtsferien.
der Bündner StPO hat die Anklageschrift des Staatsanwalts die Darstellung und die rechtliche Qualifikation des Straftatbestandes zu enthalten. Damit ist im kantonalen Verfahrensrecht das Anklageprinzip verankert und wird folglich das Recht des Angeklagten gewährleistet, aus der Anklageschrift zu ersehen, wessen er angeklagt ist und wie sein Verhalten strafrechtlich qualifiziert wird. Das bedingt eine zureichende Umschreibung der Tat, so dass der Angeklagte sich in seiner Verteidigung richtig vorbereiten kann und nicht der Gefahr von Überraschungen ausgesetzt ist (s. C. LUDWIG, Die Anklageschrift, ZStR 1945 S. 221; H.F. PFENNINGER, Anklage, Urteil und Rechtskraft, SJZ 1942/43 S. 353; A. SCHMID, Die Staatsanwaltschaft im bündnerischen Recht, Diss. Zürich 1966, S. 115). Wieweit in concreto jene Individualisierung gehen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Allgemein kann gelten, dass sich
BGE 103 Ia 6 S. 7

die Anklage auf das Notwendigste beschränken und auf Weitschweifigkeiten verzichten kann und auch soll, um zu vermeiden, dass durch eine zu ausführliche Darstellung und Erörterung das Gericht zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst werde (PFENNINGER, op.cit. S. 354). d) Im übrigen bringt der Beschwerdeführer einzig vor, die Vorinstanz habe in verschiedenen Fällen auf Vorsatz bzw. Eventualvorsatz erkannt, obschon in der Anklageschrift zumeist weder sein Wissen um den wahren Sachverhalt noch der Wille nachgewiesen sei. Diese Rüge verkennt, dass das Anklageprinzip nur eine Darstellung des Sachverhalts in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung, nicht aber auch eine Begründung fordert (SCHMID, op.cit. S. 116). Der Beweis des dargestellten Sachverhalts ist in der Beweisverhandlung zu führen (Art. 112 ff
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 112 Strafverfahren gegen Unternehmen - 1 In einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen wird dieses von einer einzigen Person vertreten, die uneingeschränkt zur Vertretung des Unternehmens in zivilrechtlichen Angelegenheiten befugt ist.
1    In einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen wird dieses von einer einzigen Person vertreten, die uneingeschränkt zur Vertretung des Unternehmens in zivilrechtlichen Angelegenheiten befugt ist.
2    Bestellt das Unternehmen nicht innert angemessener Frist eine solche Vertretung, so bestimmt die Verfahrensleitung, wer von den zur zivilrechtlichen Vertretung befugten Personen das Unternehmen im Strafverfahren vertritt.
3    Wird gegen die Person, die das Unternehmen im Strafverfahren vertritt, wegen des gleichen oder eines damit zusammenhängenden Sachverhalts eine Strafuntersuchung eröffnet, so hat das Unternehmen eine andere Vertreterin oder einen anderen Vertreter zu bezeichnen. Nötigenfalls bestimmt die Verfahrensleitung zur Vertretung eine andere Person nach Absatz 2 oder, sofern eine solche nicht zur Verfügung steht, eine geeignete Drittperson.
4    Wird wegen des gleichen oder eines damit zusammenhängenden Sachverhalts sowohl ein Verfahren gegen eine natürliche Person wie auch ein Verfahren gegen ein Unternehmen geführt, so können die Verfahren vereinigt werden.
. Bündner StPO), nicht in der Anklageschrift. Entsprechend ist es auch erst Sache des Richters zu ermessen, ob genügend sichere Anhaltspunkte für eine eventualvorsätzliche Begehung sprechen. Was sodann die Erwähnung der Vorsatzelemente in der Anklage anbelangt, so ist es nicht willkürlich, den jeweiligen Hinweis auf den gesetzlichen Straftatbestand im Anschluss an den Einzelfall als zureichende Umschreibung jener subjektiven Merkmale gelten zu lassen, wenn der betreffende Tatbestand nur als Vorsatzdelikt erfüllbar ist. Dadurch wird nämlich für den Angeklagten - wie übrigens auch für den Richter - jeder Irrtum darüber, ob jenem Fahrlässigkeit oder vorsätzliche Begehung zur Last gelegt werde, ausgeschlossen (s. WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern, S. 304) und folglich dem Anklageprinzip Genüge getan. In diesem Sinne aber ist die Staatsanwaltschaft durchwegs verfahren, indem sie eingangs oder am Schluss der jeweiligen Umschreibung des Einzelfalles namentlich und unter Angabe des Gesetzesartikels den in Betracht fallenden Straftatbestand erwähnt hat. Dass sie daneben nicht immer Wissen und Willen des Täters noch besonders hervorhob, war daher kein Mangel im Sinne eines Verstosses gegen das Anklageprinzip, über den die Vorinstanz schlechterdings nicht hätte hinweggehen dürfen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 103 IA 6
Datum : 04. Februar 1977
Publiziert : 31. Dezember 1977
Quelle : Bundesgericht
Status : 103 IA 6
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Willkür im Strafprozess. - Anklageprinzip (Art. 89 Abs. 2 Ziff. 2 StPO-GR); Begriff, Tragweite, insbesondere hinsichtlich


Gesetzesregister
StPO: 89 
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 89 Allgemeine Bestimmungen - 1 Gesetzliche Fristen können nicht erstreckt werden.
1    Gesetzliche Fristen können nicht erstreckt werden.
2    Im Strafverfahren gibt es keine Gerichtsferien.
112
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung
StPO Art. 112 Strafverfahren gegen Unternehmen - 1 In einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen wird dieses von einer einzigen Person vertreten, die uneingeschränkt zur Vertretung des Unternehmens in zivilrechtlichen Angelegenheiten befugt ist.
1    In einem Strafverfahren gegen ein Unternehmen wird dieses von einer einzigen Person vertreten, die uneingeschränkt zur Vertretung des Unternehmens in zivilrechtlichen Angelegenheiten befugt ist.
2    Bestellt das Unternehmen nicht innert angemessener Frist eine solche Vertretung, so bestimmt die Verfahrensleitung, wer von den zur zivilrechtlichen Vertretung befugten Personen das Unternehmen im Strafverfahren vertritt.
3    Wird gegen die Person, die das Unternehmen im Strafverfahren vertritt, wegen des gleichen oder eines damit zusammenhängenden Sachverhalts eine Strafuntersuchung eröffnet, so hat das Unternehmen eine andere Vertreterin oder einen anderen Vertreter zu bezeichnen. Nötigenfalls bestimmt die Verfahrensleitung zur Vertretung eine andere Person nach Absatz 2 oder, sofern eine solche nicht zur Verfügung steht, eine geeignete Drittperson.
4    Wird wegen des gleichen oder eines damit zusammenhängenden Sachverhalts sowohl ein Verfahren gegen eine natürliche Person wie auch ein Verfahren gegen ein Unternehmen geführt, so können die Verfahren vereinigt werden.
BGE Register
103-IA-6
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
anklageschrift • sachverhalt • anklage • vorinstanz • wissen • wille • vorsatz • strafprozess • staatsanwalt • begründung des entscheids • richterliche behörde • richtigkeit • eventualvorsatz • kantonsgericht • verhalten • ermessen • kassationshof • irrtum
SJZ
1942/43 S.353