102 Ib 91
17. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1976 i.S. Treuhandverband des Autotransportgewerbes (TAG) gegen Unfalldirektoren-Konferenz und Konsorten und Eidg. Justiz- und Polizeidepartement
Regeste (de):
- Verwaltungsbeschwerde: Fristenlauf bei mangelhafter Eröffnung (Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen.
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 50 - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen.
1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen. 2 Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung kann jederzeit Beschwerde geführt werden. - Aus Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen.
Regeste (fr):
- Recours administratif: délai de recours en cas de notification irrégulière (art. 38 et 50 LPA).
- On ne saurait déduire de l'art. 38 LPA qu'en cas de notification irrégulière, le délai de recours ne commence jamais à courir, même pas lorsque le destinataire d'une décision en a connaissance; il faut au contraire examiner dans chaque cas si le destinataire, ayant appris l'existence d'une telle décision, a entrepris les démarches qu'on pouvait attendre de lui pour obtenir tous les éléments nécessaires à la sauvegarde de ses droits.
Regesto (it):
- Ricorso amministrativo: termine ricorsuale in caso di notificazione difettosa (art. 38 e 50 PA).
- Non può dedursi dall'art. 38 PA che, in caso di notificazione difettosa, il termine ricorsuale non cominci del tutto a correre, neppure ove il destinatario di una decisione ne abbia avuto conoscenza; è d'uopo, per converso, esaminare in ogni caso concreto se il destinatario, una volta conosciuta l'esistenza di tale decisione, abbia fatto quanto potevasi da lui ragionevolmente pretendere per entrare in possesso degli elementi necessari alla salvaguardia dei suoi diritti.
Sachverhalt ab Seite 91
BGE 102 Ib 91 S. 91
Der Treuhandverband des Autotransportgewerbes (TAG) reichte am 7. Januar 1975 Beschwerde beim Eidg. Justiz- und
BGE 102 Ib 91 S. 92
Polizeidepartement (EJPD) ein gegen eine Verfügung des Eidg. Versicherungsamtes vom 26. Oktober 1974 betreffend die Genehmigung der Tarife für das Jahr 1975 in der Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung, soweit diese den gewerbsmässigen Transport von Personen und Sachen zum Gegenstand haben. Die angefochtene Verfügung war dem Verband nicht eröffnet worden. Das EJPD trat auf die Beschwerde nicht ein. Es stellte fest, dass der Verband bereits im Oktober 1974 vom Prämientarif Kenntnis nehmen konnte und deshalb in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig eine ausreichend begründete Beschwerde einzureichen oder zum mindesten das Beschwerdeverfahren einzuleiten. Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die angefochtene Verfügung mangelhaft eröffnet worden sei, wäre die Beschwerde verspätet. Der betroffene Verband ficht diesen Entscheid mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an und verlangt, der angefochtene Entscheid des EJPD sei aufzuheben und dieses zu verpflichten, auf die bei ihm eingereichte Beschwerde einzutreten und diese materiell zu behandeln. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache zur materiellen Beurteilung und Entscheidung an das EJPD zurück.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Nach Art. 50
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 50 - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
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1 | Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach Eröffnung der Verfügung einzureichen. |
2 | Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung kann jederzeit Beschwerde geführt werden. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 34 - 1 Die Behörde eröffnet Verfügungen den Parteien schriftlich. |
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1 | Die Behörde eröffnet Verfügungen den Parteien schriftlich. |
1bis | Mit dem Einverständnis der Partei können Verfügungen elektronisch eröffnet werden. Sie sind mit einer elektronischen Signatur gemäss Bundesgesetz vom 18. März 201671 über die elektronische Signatur zu versehen. Der Bundesrat regelt: |
a | die zu verwendende Signatur; |
b | das Format der Verfügung und ihrer Beilagen; |
c | die Art und Weise der Übermittlung; |
d | den Zeitpunkt, zu dem die Verfügung als eröffnet gilt.72 |
2 | Zwischenverfügungen kann die Behörde anwesenden Parteien mündlich eröffnen, muss sie aber schriftlich bestätigen, wenn eine Partei dies auf der Stelle verlangt; eine Rechtsmittelfrist beginnt in diesem Fall erst von der schriftlichen Bestätigung an zu laufen.73 |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 35 - 1 Schriftliche Verfügungen sind, auch wenn die Behörde sie in Briefform eröffnet, als solche zu bezeichnen, zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. |
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1 | Schriftliche Verfügungen sind, auch wenn die Behörde sie in Briefform eröffnet, als solche zu bezeichnen, zu begründen und mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. |
2 | Die Rechtsmittelbelehrung muss das zulässige ordentliche Rechtsmittel, die Rechtsmittelinstanz und die Rechtsmittelfrist nennen. |
3 | Die Behörde kann auf Begründung und Rechtsmittelbelehrung verzichten, wenn sie den Begehren der Parteien voll entspricht und keine Partei eine Begründung verlangt. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 36 - Die Behörde kann ihre Verfügungen durch Veröffentlichung in einem amtlichen Blatt eröffnen:74 |
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a | gegenüber einer Partei, die unbekannten Aufenthaltes ist und keinen erreichbaren Vertreter hat; |
b | gegenüber einer Partei, die sich im Ausland aufhält und keinen erreichbaren Vertreter hat, wenn die Zustellung an ihren Aufenthaltsort unmöglich ist oder wenn die Partei entgegen Artikel 11b Absatz 1 kein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnet hat; |
c | in einer Sache mit zahlreichen Parteien; |
d | in einer Sache, in der sich die Parteien ohne unverhältnismässigen Aufwand nicht vollzählig bestimmen lassen. |
BGE 102 Ib 91 S. 93
dass die Eröffnung gegenüber den andern Verfügungsadressaten mangelhaft war und hat zur Konsequenz, dass den Parteien daraus kein Nachteil erwachsen darf (Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
3. Das Bundesverwaltungsprozessrecht enthält - im Gegensatz zum deutschen Recht (vgl. §§ 57 f. der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung; EYERMANN/FROEHLER, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, N. 13 zu § 58 und die dortigen Hinweise auf die Judikatur) und abgesehen vom Grundsatz des Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
BGE 102 Ib 91 S. 94
worden ist. Richtschnur für die Beurteilung dieser Frage ist der Grundsatz von Treu und Glauben (BGE 98 V 278 f. mit Hinweisen). In diesem Sinne hat das Bundesgericht festgestellt, dass die Beschwerdefrist gewahrt ist, wenn eine Beschwerde innert dreissig Tagen seit dem Zeitpunkt, da der Adressat von der Verfügung Kenntnis nehmen konnte, eingereicht wurde (BGE 96 I 687 E. 1d und Bestätigung in BGE 98 Ib 17 E. 4). Sie ist es aber nicht nur dann. Wohl erscheint es zumutbar, dass der Verfügungsadressat, hat er einmal von der ihn betreffenden Verfügung Kenntnis erhalten, darum besorgt ist, den Inhalt der Verfügung und deren Begründung zu erfahren, um sich über die Ergreifung eines Rechtsmittels zu entschliessen. Doch erst wenn er einmal im Besitze aller für die erfolgreiche Wahrung seiner Rechte wesentlichen Elemente ist, läuft die Beschwerdefrist. Erst ab diesem Zeitpunkt nämlich ist ihm die selbe Rechtsstellung eingeräumt wie all jenen Verfügungsadressaten, denen eine Verfügung im Sinne des geltenden Verwaltungsprozessrechtes rechtsgenüglich eröffnet wird. Mit dem Grundsatz der Art. 38
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz VwVG Art. 38 - Aus mangelhafter Eröffnung darf den Parteien kein Nachteil erwachsen. |
BGE 102 Ib 91 S. 95
4. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Tarifverfügung des Eidg. Versicherungsamtes vom 26. Oktober 1974 durch die Publizität, die sie in der Presse erfuhr, der Aufmerksamkeit der Organe des beschwerdeführenden Verbandes nicht entgehen konnte. Es kann daher mit der Vorinstanz davon ausgegangen werden, dass der Verband Ende Oktober/Anfang November 1974 aus verschiedenen Quellen vom Bestand einer seine Mitglieder betreffenden Verfügung Kenntnis erhielt. Der Verband hat daraufhin in einer durchaus zumutbaren Frist Schritte unternommen, um die für die Anfechtung der ergangenen Verfügung notwendigen Unterlagen zu erhalten. Der Vorwurf, er habe mit seinem Begehren um Aushändigung der Verfügung vom 26. Oktober 1974 übermässig lange zugewartet, trifft ihn nicht. Mit der Beschwerde vom 7. Januar 1975, die der Verband rund zwanzig Tage nachdem ihm am 18. Dezember 1974 die angefochtene Verfügung durch das Eidg. Versicherungsamt ausgehändigt worden war, eingereicht hat, wurde das Rechtsmittel im Rahmen des Zumutbaren und unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben rechtzeitig ergriffen.
Der angefochtene Entscheid verletzt somit Bundesrecht. Er ist aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung und Entscheidung an das EJPD zurückzuweisen.