101 IV 107
29. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 2. Juni 1975 i.S. X. gegen Fürstlich Liechtensteinisches Landgericht und Oberzolldirektion Bern.
Regeste (de):
- Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet.
- Soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt, treten die eidgenössischen Bundesgesetze in Liechtenstein zur gleichen Zeit wie in der Schweiz in Kraft. Dem Fürstentum kommt hinsichtlich solcher Bestimmungen die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen.
Regeste (fr):
- Art. 4 du traité entre la Suisse et la Principauté de Liechtenstein concernant la réunion de la Principauté de Liechtenstein au territoire douanier suisse.
- Pour autant que l'union douanière le réclame, les lois fédérales entrent en vigueur sur le territoire de la Principauté en même temps qu'en Suisse. La Principauté se trouve à l'égard des dispositions légales en cause dans la même situation juridique que les cantons suisses.
Regesto (it):
- Art. 4 del trattato di unione doganale concluso fra la Svizzera e il Liechtenstein.
- In quanto l'unione doganale esiga la loro applicazione, le leggi federali svizzere entrano in vigore nel Liechtenstein nello stesso momento che in Svizzera. Il Principato si trova, con riferimento a tali disposizioni legali, nella stessa situazione giuridica dei cantoni svizzeri.
Sachverhalt ab Seite 107
BGE 101 IV 107 S. 107
A.- Dem im Fürstentum Liechtenstein wohnhaften X. wird vorgeworfen, er habe seit 1971 wiederholt, über verschiedene Firmen, unter den Bezeichnungen "Bitalen", "Allgol",
BGE 101 IV 107 S. 108
"Detergol" oder "Alkenol" zu Zollansätzen von 50 Rappen bis 5 Franken pro q Benzin aus Deutschland in die Schweiz eingeführt, das zum Ansatz von Fr. 26.50 pro q zollpflichtig ist und ausserdem einem Zollzuschlag von Fr. 35.06 pro q unterliegt; auf diese Weise habe er Zollabgaben von ca. 5,7 Millionen Franken umgangen.
B.- Am 24. April 1975 beantragte die Zollkreisdirektion Chur gestützt auf Art. 52
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 52 - 1 Ist der Beschuldigte einer Widerhandlung dringend verdächtigt, so darf gegen ihn ein Haftbefehl erlassen werden, wenn bestimmte Umstände den Verdacht begründen, dass: |
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1 | Ist der Beschuldigte einer Widerhandlung dringend verdächtigt, so darf gegen ihn ein Haftbefehl erlassen werden, wenn bestimmte Umstände den Verdacht begründen, dass: |
a | er sich der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug entziehen werde; oder dass |
b | er Spuren der Tat verwischen, Beweisgegenstände beseitigen, Zeugen oder Mitbeschuldigte zu falschen Aussagen verleiten oder auf ähnliche Weise den Zweck der Untersuchung gefährden werde. |
2 | Ein Haftbefehl darf nicht erlassen werden, wenn dies zu der Bedeutung der Sache in einem Missverhältnis stehen würde. |
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 53 - 1 Der untersuchende Beamte kann einen Haftbefehl beantragen. |
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1 | Der untersuchende Beamte kann einen Haftbefehl beantragen. |
2 | Zum Erlass des Haftbefehls sind zuständig: |
a | wenn der Beschuldigte vorläufig festgenommen ist: die am Orte der Festnahme zuständige kantonale Gerichtsbehörde; |
b | in allen andern Fällen: die nach Artikel 22 zuständige kantonale Gerichtsbehörde. |
3 | Der Haftbefehl ist schriftlich zu erlassen und hat anzugeben: die Personalien des Beschuldigten und die Tat, deren er beschuldigt wird; die Strafbestimmungen; den Haftgrund; das Untersuchungsgefängnis, in das der Verhaftete einzuliefern ist; eine Belehrung über die Rechtsmittel, die Parteirechte, die Freilassung gegen Sicherheitsleistung und über das Recht zur Benachrichtigung der Angehörigen. |
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 57 - 1 Wird die Haft aufrechterhalten, so ist die Untersuchung möglichst zu beschleunigen. Die Haft darf in jedem Falle die voraussichtliche Dauer einer Freiheits- oder Umwandlungsstrafe nicht übersteigen. |
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1 | Wird die Haft aufrechterhalten, so ist die Untersuchung möglichst zu beschleunigen. Die Haft darf in jedem Falle die voraussichtliche Dauer einer Freiheits- oder Umwandlungsstrafe nicht übersteigen. |
2 | Eine nach Artikel 52 Absatz 1 Buchstabe b verfügte Untersuchungshaft darf nur mit besonderer Bewilligung der Behörde, die den Haftbefehl ausstellte, länger als 14 Tage aufrecht erhalten werden. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
a) Gemäss Art. 4 des Vertrages zwischen der Schweiz und Liechtenstein über den Anschluss des Fürstentums Liechtenstein an das schweizerische Zollgebiet vom 29. März 1923 (BS 11, S. 160 ff.) finden im Fürstentum in gleicher Weise Anwendung wie in der Schweiz die zur Zeit des Inkrafttretens des Vertrages geltenden und die während seiner Dauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bestimmungen der gesamten schweizerischen Zollgesetzgebung sowie der übrigen Bundesgesetzgebung,
BGE 101 IV 107 S. 109
soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedingt. Bezüglich der anzuwendenden schweizerischen Gesetzgebung kommt dem Fürstentum Liechtenstein die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen (Art. 6 des Vertrags). Die seit dem Inkrafttreten des Vertrags im Fürstentum anwendbaren Bundeserlasse werden in einer Anlage I eigens angeführt (Art. 9 des Vertrags). Art. 10 des Vertrags sieht vor, dass alle Ergänzungen und Abänderungen der in der Anlage I erwähnten Bundesgesetzgebung vom schweizerischen Bundesrat der fürstlichen Regierung mitgeteilt und von dieser ebenfalls öffentlich bekannt gemacht werden. Dasselbe Verfahren hat Platz zu greifen mit Bezug auf die während der Vertragsdauer in Rechtswirksamkeit tretenden Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse und Verordnungen, die unter Art. 4 des Vertrags fallen. Das am 13. Mai 1924 erlassene liechtensteinische Einführungsgesetz zum Zollvertrag mit der Schweiz vom 29. März 1923 sieht in Art. 2 Abs. 2 vor, dass spätere anwendbare Erlasse in Liechtenstein, soweit sie dort anwendbar sind, "zu gleicher Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres in Kraft" treten. Nach Art. 3 des Einführungsgesetzes hat die Regierung des Fürstentums zu prüfen, ob die von den schweizerischen Behörden als anwendbar bezeichneten Bestimmungen zu der in Art. 4 des Zollvertrags genannten Bundesgesetzgebung gehören und sie hat diese dem Landtag möglichst frühzeitig "zur Kenntnisnahme" vorzulegen.
b) Auf das Verfahren betreffend die Verfolgung von Zollwiderhandlungen fanden bisher im Fürstentum Liechtenstein wie in der Schweiz einerseits die Bestimmungen des dritten Abschnitts des Zollgesetzes und anderseits die Art. 279 bis
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 57 - 1 Wird die Haft aufrechterhalten, so ist die Untersuchung möglichst zu beschleunigen. Die Haft darf in jedem Falle die voraussichtliche Dauer einer Freiheits- oder Umwandlungsstrafe nicht übersteigen. |
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1 | Wird die Haft aufrechterhalten, so ist die Untersuchung möglichst zu beschleunigen. Die Haft darf in jedem Falle die voraussichtliche Dauer einer Freiheits- oder Umwandlungsstrafe nicht übersteigen. |
2 | Eine nach Artikel 52 Absatz 1 Buchstabe b verfügte Untersuchungshaft darf nur mit besonderer Bewilligung der Behörde, die den Haftbefehl ausstellte, länger als 14 Tage aufrecht erhalten werden. |
BGE 101 IV 107 S. 110
1975 nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht. Dasselbe muss auch für das Fürstentum Liechtenstein gelten, dessen Einführungsgesetz zum Zollvertrag ausdrücklich vorsieht, dass spätere anwendbare Erlasse in Liechtenstein zur gleichen Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres in Kraft treten. Der Umstand, dass der Bundesrat das neue Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht und die dadurch bedingten Änderungen des Zollgesetzes und des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung noch nicht mitgeteilt und dass diese die fraglichen Gesetzesänderungen noch nicht bekannt gemacht hat, ändert nichts. Der Fürstlich Liechtensteinische Staatsgerichtshof als Verfassungsgerichtshof hat schon am 30. Januar 1947 in einem Urteil unter anderem ausgeführt: durch den Zollanschluss seien die Schweiz und Liechtenstein ein Zollgebiet und damit auch ein Wirtschaftsgebiet geworden, das vom Ausland durch eine gemeinsame Grenze geschützt, intern aber ohne Schranken sei; ein einheitliches Wirtschaftsgebiet erfordere einheitliche Wirtschaftliche Vorschriften. Im fraglichen Verfahren war geltend gemacht worden, die eidgenössischen Vorschriften könnten erst nach Abschluss des Anwendbarkeitsverfahrens im Sinne von Art. 3 des Einführungsgesetzes zum Zollvertrag und durch Publizierung in den Landeszeitungen Rechtswirksamkeit in Liechtenstein erlangen. Sinngemäss denselben Einwand erhob auch der Beschuldigte in seiner Beschwerde vom 8. Mai 1975. Demgegenüber stellte der Fürstlich Liechtensteinische Staatsgerichtshof im erwähnten Entscheid ausdrücklich fest: nach Art. 6 des Zollvertrags komme dem Fürstentum, hinsichtlich der gemäss Zollvertrag anzuwendenden eidgenössischen Bestimmungen, die gleiche Rechtsstellung zu wie den schweizerischen Kantonen. Die in Liechtenstein anzuwendenden eidgenössischen Bestimmungen treten daher im Fürstentum in gleicher Weise in Kraft wie in den Kantonen, d.h. unmittelbar kraft Erlass durch die eidgenössischen Stellen und ohne Mitwirkung der Kantone. Ob eine eidgenössische Bestimmung in Liechtenstein anzuwenden sei, bestimme der Bund. Die Fürstliche Regierung habe allerdings nach Art. 3 des Einführungsgesetzes zum Zollvertrag zu prüfen, ob die von der zuständigen Bundesbehörde als anwendbar bezeichnete Bestimmung zu der in Art. 4 des Zollvertrags
BGE 101 IV 107 S. 111
genannten Bundesgesetzgebung gehöre; aber bei Meinungsverschiedenheiten könne sie die Streitfrage nur auf diplomatischem Wege zu erledigen versuchen oder ein Schiedsgericht anrufen. Die liechtensteinischen Bestimmungen über das Anwendbarkeitsverfahren und die Publikation seien demnach nur Ordnungsvorschriften, nicht aber konstitutives Erfordernis für das Inkrafttreten und die Verbindlichkeit der nach dem Zollvertrag anwendbaren Bestimmungen in Liechtenstein; die Anwendbarkeitserklärung und die Publikation hätten nur deklaratorische Bedeutung. Massgebend sei allein Art. 4 des Zollvertrags in Verbindung mit Art. 2 des Einführungsgesetzes, wonach die eidgenössische Bundesgesetzgebung, soweit der Zollanschluss ihre Anwendung bedinge, in Liechtenstein zur gleichen Zeit wie in der Schweiz ohne weiteres inkrafttrete (Urteil vom 30. Januar 1947 i.S. des N.N. und der Firma N.N. gegen das Urteil des kriegswirtschaftlichen Strafappellationsgerichts vom 12. Januar 1946). Diesen Erwägungen ist beizupflichten. Auf das Verfahren betreffend Widerhandlung gegen das Zollgesetz finden demnach seit dem 1. Januar 1975 nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Fürstentum Liechtenstein die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht Anwendung. c) Nach Art. 26
SR 313.0 Bundesgesetz vom 22. März 1974 über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR) VStrR Art. 26 - 1 Gegen Zwangsmassnahmen (Art. 45 ff.) und damit zusammenhängende Amtshandlungen und Säumnis kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden. |
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1 | Gegen Zwangsmassnahmen (Art. 45 ff.) und damit zusammenhängende Amtshandlungen und Säumnis kann bei der Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts Beschwerde geführt werden. |
2 | Die Beschwerde ist einzureichen: |
a | wenn sie gegen eine kantonale Gerichtsbehörde oder gegen den Direktor oder Chef der beteiligten Verwaltung gerichtet ist: bei der Beschwerdekammer; |
b | in den übrigen Fällen: beim Direktor oder Chef der beteiligten Verwaltung. |
3 | Berichtigt der Direktor oder Chef der beteiligten Verwaltung in den Fällen von Absatz 2 Buchstabe b die Amtshandlung oder Säumnis im Sinne der gestellten Anträge, so fällt die Beschwerde dahin; andernfalls hat er sie mit seiner Äusserung spätestens am dritten Werktag nach ihrem Eingang an die Beschwerdekammer weiterzuleiten. |