Urteilskopf

101 Ib 154

28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 4. Juli 1975 i.S. X. gegen Regierungsrat Bern
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Erwägungen ab Seite 154

BGE 101 Ib 154 S. 154

Aus den Erwägungen:
a) Nach Art. 38 Ziff. 4 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB muss die zuständige Behörde nur dann die Rückversetzung zwingend anordnen, wenn der Täter während der Probezeit eine strafbare Handlung begeht, für die er zu einer drei Monate übersteigenden und unbedingt zu vollziehenden Freiheitsstrafe verurteilt wird. Wird der Entlassene zu einer milderen oder zu einer bedingt
BGE 101 Ib 154 S. 155

vollziehbaren Strafe verurteilt, so kann die Behörde von der Rückversetzung Umgang nehmen. c) Ist demnach davon auszugehen, dass von den X. im bezirksgerichtlichen Urteil zur Last gelegten Straftaten einzig jener Verweisungsbruch in die Probezeit fällt, dann durfte der Regierungsrat die zweite sich gemäss Art. 38 Ziff. 4 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB stellende Frage, nämlich diejenige nach der Dauer der dem Entlassenen neu zugemessenen Strafe, nicht einfach aufgrund der Gesamtstrafe beantworten, welche auch für nach Ablauf der Probezeit begangene Delikte ausgefällt wurde. Das Gesetz stellt ausdrücklich auf das Mass derjenigen Freiheitsstrafe ab, zu welcher der Entlassene für die in der Probezeit verübte(n) strafbare(n) Handlung(en) verurteilt worden ist. Nur wenn die hiefür festgesetzte Strafe drei Monate übersteigt, muss in jedem Fall die Rückversetzung angeordnet werden. Der Gedanke der Resozialisierung, der dieser Ordnung zugrunde liegt, wäre jedoch missachtet, würde in Fällen wie dem vorliegenden die Dauer der Gesamtstrafe als massgebend berücksichtigt. Das Gesetz, das grundsätzlich dem Prinzip der Einheit der Strafzumessung folgt (Art. 68 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an.
1    Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an.
2    Ist die Veröffentlichung eines freisprechenden Urteils oder einer Einstellungsverfügung der Strafverfolgungsbehörde im öffentlichen Interesse, im Interesse des Freigesprochenen oder Entlasteten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Staatskosten oder auf Kosten des Anzeigers an.
3    Die Veröffentlichung im Interesse des Verletzten, Antragsberechtigten, Freigesprochenen oder Entlasteten erfolgt nur auf deren Antrag.
4    Das Gericht bestimmt Art und Umfang der Veröffentlichung.
und 350
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 350 - 1 Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
1    Das Bundesamt für Polizei nimmt die Aufgaben eines Nationalen Zentralbüros im Sinne der Statuten der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (INTERPOL) wahr.
2    Es ist zuständig für die Informationsvermittlung zwischen den Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen einerseits sowie den Nationalen Zentralbüros anderer Staaten und dem Generalsekretariat von INTERPOL andererseits.
StGB; H. SCHULTZ, Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Auflage, Bd. II, S. 64), spricht sich freilich nicht darüber aus, wie jene Folge vermieden werden kann. Es enthält insoweit eine Lücke, die vom Richter nur durch ergänzende Rechtsfindung geschlossen werden kann. Das ist auch im Strafrecht zulässig und mit Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB vereinbar, sofern es zugunsten des Angeklagten oder Verurteilten geschieht (O. A. GERMANN, Kommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, Bd. I, 1953, Art. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
, N. 12 2-3). Um dem Zweckgedanken des Art. 38 Ziff. 4 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 1 - Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.
StGB zum Durchbruch zu verhelfen, bietet sich hier als Lösung einzig eine dem Entscheid der Vollzugsbehörde vorausgehende Ausscheidung des Strafanteils an, der auf die in der Probezeit verübte Straftat entfällt (siehe zur analogen Problemstellung beim Widerruf gemäss Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB: P. ALBRECHT, BJM 1975, S. 65 f.). Ein solches Vorgehen ist übrigens unserer Rechtsordnung keineswegs fremd. Vielmehr wird stets dann, wenn ein in der Schweiz zu einer Gesamtstrafe Verurteilter vom Ausland unter Vorbehalt gewisser Nichtauslieferungsdelikte zum Strafvollzug ausgeliefert wird, vom Richter verlangt,
BGE 101 Ib 154 S. 156

dass er nachträglich die auf diese Delikte entfallende Strafquote ausscheide (BGE 82 I 169 und BGE 83 IV 113; H. SCHULTZ, Gesetzgebung und Rechtsprechung der Schweiz im internationalen Strafrecht (1942 bis 1963), in: Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht, Bd. XX/1963, S. 227). In gleicher Weise muss auch hier verfahren werden. Dabei wird es ebenfalls Sache des Richters und nicht der Vollzugsbehörde sein, jene Ausscheidung vorzunehmen, geht es doch um Strafzumessung, bei der auch in diesem nachträglichen Verfahrensgang die Vorschriften der Art. 63 ff
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
a  der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe, einer durch Widerruf vollziehbar erklärten Freiheitsstrafe sowie einer durch Rückversetzung vollziehbar gewordenen Reststrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Es kann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen.
3    Die zuständige Behörde kann verfügen, dass der Täter vorübergehend stationär behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist. Die stationäre Behandlung darf insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
4    Die ambulante Behandlung darf in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um jeweils ein bis fünf Jahre verlängern.
. StGB und gegebenenfalls des Art. 68 Ziff. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 68 - 1 Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an.
1    Ist die Veröffentlichung eines Strafurteils im öffentlichen Interesse, im Interesse des Verletzten oder des Antragsberechtigten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Kosten des Verurteilten an.
2    Ist die Veröffentlichung eines freisprechenden Urteils oder einer Einstellungsverfügung der Strafverfolgungsbehörde im öffentlichen Interesse, im Interesse des Freigesprochenen oder Entlasteten geboten, so ordnet sie das Gericht auf Staatskosten oder auf Kosten des Anzeigers an.
3    Die Veröffentlichung im Interesse des Verletzten, Antragsberechtigten, Freigesprochenen oder Entlasteten erfolgt nur auf deren Antrag.
4    Das Gericht bestimmt Art und Umfang der Veröffentlichung.
StGB zu beachten sind (BGE 82 I 170 und BGE 83 IV 114). Ist insoweit Bundesrecht massgebend, so bestimmt sich andererseits nach kantonalem Prozessrecht, in welcher Form der Richter auf Ersuchen der Vollzugsbehörde die Aufteilung der Strafe vorzunehmen hat. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens kommt freilich nicht in Frage, weil kein Revisionsgrund vorliegt. Hingegen bieten sich andere verfahrensrechtliche Möglichkeiten, so insbesondere die Erläuterung, die hiefür genügt, da es ja nicht um eine materielle Änderung des rechtskräftigen Urteils geht, sondern bloss um dessen Präzisierung im Sinne einer nachträglichen Unterteilung der in ihrer Gesamtheit unverändert bleibenden Strafe (VEB 1957, Nr. 82, S. 190 f.; SCHULTZ, a.a.O.).
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 101 IB 154
Date : 04. Juli 1975
Published : 31. Dezember 1976
Source : Bundesgericht
Status : 101 IB 154
Subject area : BGE - Verwaltungsrecht und internationales öffentliches Recht
Subject : Art. 1 und 38 Ziff. 4 StGB. 1. Die Ausfüllung von Gesetzeslücken durch den Richter ist zugunsten des Angeklagten oder Verurteilten


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StGB: 1  38  41  63  68  350
BGE-register
101-IB-154 • 82-I-167 • 83-IV-111
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BJM
1975 S.65