101 Ia 463
75. Auszug aus dem Urteil vom 17. Dezember 1975 i.S. Simeone gegen Firma Hugo Abplanalp AG und Appellationshof (I. Zivilkammer) des Kantons Bern
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Es ist willkürlich, allein aus dem Umstand, dass ein Gastarbeiter im Dezember in seine Heimat zurückfährt und seine Arbeit beim gleichen Arbeitgeber im Januar oder anfangs Februar wieder aufnimmt, zu schliessen, es sei ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden. Unhaltbare Auslegung einer gesamtarbeitsvertraglichen Bestimmung.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst; convention collective de travail, refus d'une augmentation de salaire.
- Il est arbitraire de déduire du seul fait qu'un travailleur étranger retourne dans son pays au mois de décembre et reprend son travail auprès du même employeur en janvier ou début février qu'un nouveau contrat de travail a été conclu. Interprétation insoutenable d'une disposition d'une convention collective de travail.
Regesto (it):
- Art. 4 Cost; contratto collettivo di lavoro, rifiuto di un aumento di salario.
- È arbitrario dedurre che sia stato instaurato un nuovo rapporto di lavoro dal solo fatto che un lavoratore straniero sia rientrato nel suo paese nel mese di dicembre ed abbia poi riassunto il proprio lavoro presso lo stesso datore di lavoro in gennaio o all'inizio di febbraio. Interpretazione insostenibile di una disposizione di un contratto collettivo di lavoro.
Sachverhalt ab Seite 463
BGE 101 Ia 463 S. 463
Franco Simeone war bei der Firma Hugo Abplanalp AG seit einigen Jahren als Maurer tätig und gehörte der Lohnklasse B des zwischen den Parteien geltenden Gesamtarbeitsvertrages, des sog. Landesmantelvertrages für das engere Baugewerbe (LMV), an. Mit Schreiben vom 27. Februar 1975 kündigte er seine Stelle auf den 31. März 1975. Am 22. Mai 1975 erhob er beim Arbeitsgericht Interlaken Klage gegen die Firma Abplanalp AG u.a. mit dem Begehren, diese habe ihm den Betrag von Fr. 142.75 zu bezahlen, da sie ihm nicht die gesamtarbeitsvertraglich festgesetzte Lohnerhöhung von 70 Rappen pro Stunde, sondern nur eine Lohnerhöhung von 30 Rappen pro Stunde entrichtet habe. Mit Urteil vom 18. Juni 1975 wies das Arbeitsgericht Interlaken die Klage in vollem Umfange ab. Die Nachzahlung der nicht in vollem Umfang gewährten
BGE 101 Ia 463 S. 464
Lohnerhöhung lehnte es mit der Begründung ab, es stehe dem Arbeitgeber zu, eine Reallohnkürzung vorzunehmen, solange der dem Arbeitnehmer ausbezahlte Lohn den Betriebsdurchschnitt der betreffenden Lohnklasse erreiche. Zudem hätte der Kläger sofort bei Auszahlung des seiner Meinung nach zu niedrigen Lohnes beim Arbeitgeber reklamieren müssen, was er nicht in genügender Weise getan habe. Gegen den arbeitsgerichtlichen Entscheid erhob Simeone insoweit, als damit seine Forderung im Betrag von Fr. 142.75 abgewiesen wurde, Nichtigkeitsklage wegen Verletzung klaren Rechts. Zur Begründung machte er geltend, durch die auf dem LMV beruhende Lohnvereinbarung 1975 sei eine verbindliche Lohnerhöhung von 70 Rappen pro Stunde festgelegt worden, von welcher einzig durch schriftliche Vereinbarung bei ungenügender Arbeitsleistung abgewichen werden könne. Die I. Zivilkammer des Appellationshofs des Kantons Bern wies die Nichtigkeitsklage mit Urteil vom 1. September 1975 ab, wobei sie sich auf die Überlegungen des Arbeitsgerichts stützte und zudem erwog, dass das bisherige Arbeitsverhältnis Mitte Dezember 1974 aufgelöst und anfangs Februar 1975 neu eingegangen worden sei; bei Abschluss eines neuen Vertrages habe auch der Lohn im Rahmen der geltenden Betriebsdurchschnittslöhne neu festgesetzt werden können. Den Entscheid des Appellationshofs ficht Franco Simeone mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Der Appellationshof hat den erstinstanzlichen Entscheid vor allem in der Erwägung bestätigt, dass beim Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages auch der Lohn habe neu festgesetzt werden können. Dabei ging er von der erstmals in den Gegenbemerkungen der Beschwerdegegnerin zur Nichtigkeitsklage aufgestellten Behauptung aus, dass das bisherige Arbeitsverhältnis Mitte Dezember 1974 aufgelöst und anfangs Februar 1975 neu eingegangen worden sei. Ob dieser Einwand als ein neues rechtliches Vorbringen zu betrachten ist und daher vom Appellationshof berücksichtigt werden durfte, oder ob es sich um ein neues tatsächliches und somit im Nichtigkeitsklageverfahren
BGE 101 Ia 463 S. 465
unzulässiges Vorbringen handelt, ist fraglich, doch kann das dahingestellt bleiben, da sich die Argumentation des Appellationshofs - wie sich zeigen wird - jedenfalls in materieller Hinsicht als unhaltbar erweist. Der Appellationshof nahm an, es dürfe dann, wenn ein Gastarbeiter im Dezember in seine Heimat zurückfahre, davon ausgegangen werden, dass das bisherige Arbeitsverhältnis aufgelöst worden sei; wenn der Arbeiter im Januar oder noch später zurückkehre und sich beim gleichen Arbeitgeber melde, so werde ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen. Die Erwägung ist in dieser allgemeinen Form offensichtlich unhaltbar. Allein aus dem Umstand, dass ein Gastarbeiter im Dezember in seine Heimat zurückfährt und seine Arbeit beim gleichen Arbeitgeber im Januar oder anfangs Februar wieder aufnimmt, kann klarerweise nicht gefolgert werden, es sei ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden. Ob in einer länger dauernden Arbeitsunterbrechung eine förmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu erblicken ist, hängt davon ab, wie die Kontrahenten selber die Folgen der Abwesenheit von der Arbeit aufgefasst haben: ob der Arbeitgeber die "Unterbrechung" wirklich als Beendigung des Arbeitsverhältnisses betrachtete, was zur Folge hätte, dass der Wiederantritt die Begründung eines neuen, vom bisherigen unabhängigen Arbeitsverhältnisses bedeuten würde, und ob es ebenso der Wille des Arbeitnehmers war, das Arbeitsverhältnis gänzlich aufzugeben und anderswo eine Anstellung zu suchen (BGE 47 II 299). Im zu beurteilenden Fall hat weder der Beschwerdeführer noch die Beschwerdegegnerin vor dem Arbeitsgericht Interlaken behauptet, es habe die Meinung bestanden, das Arbeitsverhältnis sei Mitte Dezember 1974 aufgelöst und im Februar 1975 neu begründet worden. Die Annahme des Appellationshofs, es sei anfangs Februar 1975 ein neuer Arbeitsvertrag abgeschlossen worden, ist demnach mit sachlichen Gründen nicht vertretbar. Selbst wenn man annehmen dürfte, es sei ein neuer Vertrag begründet worden, so wäre zwischen den Parteien - wie sich aus deren Aussagen vor erster Instanz ergibt - keine Vereinbarung hinsichtlich des Lohnes zustande gekommen. Der Appellationshof scheint offenbar anzunehmen, der Arbeitgeber könne eigenmächtig die Höhe des Lohnes festlegen, welche Ansicht im Widerspruch zu Art. 322 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 322 - 1 Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist. |
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1 | Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer den Lohn zu entrichten, der verabredet oder üblich oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist. |
2 | Lebt der Arbeitnehmer in Hausgemeinschaft mit dem Arbeitgeber, so bildet der Unterhalt im Hause mit Unterkunft und Verpflegung einen Teil des Lohnes, sofern nichts anderes verabredet oder üblich ist. |
BGE 101 Ia 463 S. 466
zu entrichten hat, der verabredet oder üblich oder durch Gesamtarbeitsvertrag bestimmt ist. Lässt sich nach dem Gesagten die Argumentation des Appellationshofs mit sachlichen Gründen nicht vertreten, so führt das im vorliegenden Fall deshalb zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids, weil dieser auch insoweit, als sich der Appellationshof in seiner Begründung auf die Erwägungen des Arbeitsgerichts stützte, vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 357 - 1 Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt. |
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1 | Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt. |
2 | Abreden zwischen beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gegen die unabdingbaren Bestimmungen verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt; jedoch können abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 357 - 1 Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt. |
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1 | Die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse gelten während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden, sofern der Gesamtarbeitsvertrag nichts anderes bestimmt. |
2 | Abreden zwischen beteiligten Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gegen die unabdingbaren Bestimmungen verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages ersetzt; jedoch können abweichende Abreden zugunsten der Arbeitnehmer getroffen werden. |
BGE 101 Ia 463 S. 467
dieser Vorschrift stellt demnach einen Verstoss gegen klares Recht und damit eine Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 341 - 1 Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten. |
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1 | Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses und eines Monats nach dessen Beendigung kann der Arbeitnehmer auf Forderungen, die sich aus unabdingbaren Vorschriften des Gesetzes oder aus unabdingbaren Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages ergeben, nicht verzichten. |
2 | Die allgemeinen Vorschriften über die Verjährung sind auf Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis anwendbar. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |