101 Ia 205
36. Auszug aus dem Urteil vom 1. Oktober 1975 i.S. Sigg gegen Dätwiler und Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft.
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Willkürliche Auslegung des Betriebsbegriffs im kantonalen Baugesetz.
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst., inégalité de traitement et arbitraire, autorisation de construire.
- Interprétation arbitraire de la notion d'entreprise dans une loi cantonale sur les constructions.
Regesto (it):
- Art. 4 Cost., disparità di trattamento ed arbitrio, licenza edilizia.
- Interpretazione arbitraria della nozione d'impresa in una legge edilizia cantonale.
Sachverhalt ab Seite 205
BGE 101 Ia 205 S. 205
Jakob Sigg hat im Jahre 1973 ein Baugesuch für eine Garage und zwei Pferdeboxen auf seinem Grundstück in Pfeffingen (Kanton Basel-Landschaft) eingereicht. Mit Urteil vom 5. Februar hiess das Verwaltungsgericht eine gegen das Bauvorhaben gerichtete Beschwerde einer Nachbarin gut. Darauf reichte Sigg eine staatsrechtliche Beschwerde ein. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
3. a) Der Beschwerdeführer macht einen Verstoss gegen die Rechtsgleichheit geltend, weil bis anhin das Errichten von
BGE 101 Ia 205 S. 206
Ställen für nicht mehr als zwei Reitpferde in der Wohnzone im Kanton Basel-Landschaft immer gestattet und nur in seinem Falle verweigert worden sei. Es ist unbestritten und durch eine Reihe von Entscheidungen belegt, dass der Regierungsrat und die ihm unterstellten zuständigen Ämter bisher die Ausführung derartiger Bauten regelmässig bewilligt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein Widerspruch zwischen verschiedenen Entscheidungen über gleichartige Tatbestände jedoch nur dann aufgrund von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 101 Ia 205 S. 207
entscheiden hatte, den Ausdruck "Betrieb" im genannten, von der Volkswirtschaftslehre in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangenen Sinne verstehen, so stellt die Anwendung des Begriffs in einem anderen Sinne durch das Verwaltungsgericht keine zulässige Gesetzesauslegung mehr dar. Es handelt sich vielmehr um eine Entscheidung gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes. Solche Entscheidungen sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht schlechthin unzulässig. Die rechtsanwendende Behörde darf indessen vom klaren Gesetzeswortlaut nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmungen wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Grund und Zweck der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (BGE 99 Ia 169 und 575 mit Verweisungen). Im vorliegenden Fall wird lediglich der Zweck der Bestimmung als Grund für die vom Wortlaut abweichende Auslegung von § 16 BG angeführt. Das Verwaltungsgericht glaubt, im Interesse des gesunden Wohnens jede Aktivität, die über das "gewöhnliche Wohnen" hinausgeht, als "Betrieb" bezeichnen zu müssen. Das geht zu weit. Es fällt ins Gewicht, dass das Baugesetz in § 77 eine besondere Bestimmung über Immissionen enthält, die es gestattet, "Betriebe und Anlagen", die eine nach Lage und Ortsgebrauch übermässige Belästigung der Umgebung erwarten lassen, zu verbieten. Der Ausdruck "Anlagen" ermöglicht es den Behörden, alle projektierten Bauten zu erfassen, handle es sich nun um Betriebe oder nicht. Insbesondere lässt sich nicht in Zweifel ziehen, dass ein Pferdestall eine Anlage darstellt. Enthält aber das Gesetz eine Bestimmung, die es ermöglicht, derartige Bauten nicht zuzulassen, wenn sie übermässige Immissionen befürchten lassen, so fehlt ein genügender Grund, um den Betriebsbegriff in der Norm über die Wohnzonen (§ 16 BG) in einer dem Wortlaut nicht entsprechenden Weise auszudehnen. Die dem allgemein anerkannten Wortlaut widersprechende Anwendung des in § 16 BG enthaltenen Ausdrucks "Betrieb" auf das Halten einzelner Reitpferde zu privatem Gebrauch erscheint daher als sachlich nicht vertretbar. Auf das in Frage stehende Baugesuch vom 10. Dezember 1973 ist somit nicht § 16 BG, sondern § 77 BG anzuwenden.
BGE 101 Ia 205 S. 208
Nach dieser Vorschrift, die weitgehend derjenigen von Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
BGE 101 Ia 205 S. 209
solcher Art seien üblicherweise mit der Pferdehaltung verbunden. Sie seien anderer Art als die Störungen, die sich aus der Benützung eines Grundstücks zu Wohnzwecken ergeben könnten, indem sie ausgesprochen landwirtschaftlichen Charakter trügen. Sie müssten daher ungeachtet des Grades ihrer Intensität von der Wohnzone ferngehalten werden. Erwägungen dieser abstrakten Art wären vertretbar, wenn der vorliegende Fall, wie dies das Verwaltungsgericht angenommen hat, aufgrund von § 16 BG zu entscheiden wäre. Anders verhält es sich indes, wenn die Pferdehaltung gemäss den vorstehenden Ausführungen nicht als Betrieb betrachtet wird und sich die Sache somit allein nach § 77 BG beurteilt. Indem das Verwaltungsgericht auf das Baugesuch des Beschwerdeführers nicht § 77 BG angewendet hat, sondern den projektierten Bau ohne triftige Gründe entgegen dem Gesetzeswortlaut als Betrieb qualifizierte und in Anwendung von § 16 von einem abstrakten Störungsbegriff ausging, hat es das kantonale Recht willkürlich angewendet. Der angefochtene Entscheid ist daher aufzuheben. Sollten sich jedoch nach der Errichtung und dem Bezug der Stallung übermässige Immissionen irgendwelcher Art ergeben, so kann dem Beschwerdeführer allerdings die Pferdehaltung ohne weiteres verboten werden, sei es auf öffentlichrechtlicher oder auf privatrechtlicher Grundlage (§ 77 BG; Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |