100 V 171
43. Urteil vom 8. November 1974 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Schnidrig und Versicherungsgericht des Kantons Wallis
Regeste (de):
- Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind.
1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind. 2 Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind. 3 Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt.
Regeste (fr):
- Art. 12 al. 1 LAI.
- Du droit des jeunes assurés aux mesures médicales en cas de scoliose idiopathique.
Regesto (it):
- Art. 12 cpv. 1 LAI.
- Del diritto dei giovani assicurati a provvedimenti sanitari in caso di scoliosi idiopatica.
BGE 100 V 171 S. 171
A.- Die 1965 geborene Jolanda Schnidrig leidet an idiopathischer rechtskonvexer Skoliose in einem Winkel von etwa 200 (Berichte von Dr. med. I., vom 21. November 1973 und 10. April 1974). Mit Verfügung vom 11. Februar 1974 lehnte die Ausgleichskasse ein Gesuch um medizinische Massnahmen (Physiotherapie) ab.
B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Wallis hob in Gutheissung einer Beschwerde die angefochtene Verfügung auf und verhielt die Invalidenversicherung, die Kosten der Physiotherapie, der orthopädischen Kontrollen usw. zu übernehmen. Das Gericht stützte sich im wesentlichen auf BGE 98 V 214 und auf die Angaben des behandelnden Arztes, wonach ohne Haltungstherapie dauernde Skelettschäden und eine spätere Teilinvalidität nicht zu vermeiden seien (Entscheid vom 27. Mai 1974).
C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt das Bundesamt für Sozialversicherung den Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Kassenverfügung vom 11. Februar 1974 wiederherzustellen. Auf die Begründung wird in den Erwägungen zurückgekommen. Jolanda Schnidrig lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen.
Erwägungen
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Es ist unbestritten und steht nach den Akten fest, dass das Leiden der Beschwerdegegnerin kein Geburtsgebrechen darstellt. Leistungen der Invalidenversicherung gestützt auf Art. 13
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 13 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG114). |
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1 | Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG114). |
2 | Medizinische Massnahmen nach Absatz 1 werden gewährt für die Behandlung angeborener Missbildungen, genetischer Krankheiten sowie prä- und perinatal aufgetretener Leiden, die: |
a | fachärztlich diagnostiziert sind; |
b | die Gesundheit beeinträchtigen; |
c | einen bestimmten Schweregrad aufweisen; |
d | eine langdauernde oder komplexe Behandlung erfordern; und |
e | mit medizinischen Massnahmen nach Artikel 14 behandelbar sind. |
3 | Für medizinische Massnahmen zur Behandlung der Trisomie 21 gilt Absatz 2 Buchstabe e nicht. |
BGE 100 V 171 S. 172
2. a) ... (Betreffend Art. 12 Abs. 1
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG) IVG Art. 12 Anspruch auf medizinische Massnahmen zur Eingliederung - 1 Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind. |
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1 | Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die Eingliederung in die obligatorische Schule, in die berufliche Erstausbildung, ins Erwerbsleben oder in den Aufgabenbereich gerichtet sind. |
2 | Versicherte, die im Zeitpunkt der Vollendung ihres 20. Altersjahres an Massnahmen beruflicher Art nach den Artikeln 15-18c teilnehmen, haben bis zum Ende dieser Massnahmen, höchstens aber bis zum vollendeten 25. Altersjahr, Anspruch auf medizinische Eingliederungsmassnahmen, die unmittelbar auf die Eingliederung ins Erwerbsleben gerichtet sind. |
3 | Die medizinischen Eingliederungsmassnahmen müssen geeignet sein, die Schul-, Ausbildungs- oder Erwerbsfähigkeit oder die Fähigkeit, sich im Aufgabenbereich zu betätigen, dauerhaft und wesentlich zu verbessern oder eine solche Fähigkeit vor wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Der Anspruch besteht nur, wenn die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt unter Berücksichtigung der Schwere des Gebrechens der versicherten Person eine günstige Prognose stellt. |
BGE 100 V 171 S. 173
oder teilweise Invalidität zuverlässig abzuschätzen. Deshalb rechtfertigt es sich im Interesse der Praktikabilität und der Rechtsgleichheit, generell typisierte Kriterien aufzustellen, nach denen der jeweilige Einzelfall in der Regel zu beurteilen ist. Das heisst allerdings nicht, dass in besonderen Fällen der drohende schwere Defektzustand, welcher die Berufsbildung oder die spätere Erwerbsfähigkeit des Jugendlichen voraussichtlich beeinträchtigen wird, nicht auch auf andere Weise nachgewiesen werden kann. In diesem Sinne ist der vom Bundesamt für Sozialversicherung eingeleiteten Verwaltungspraxis zuzustimmen, die sich im übrigen an die von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze hält.
3. Im vorliegenden Fall wird die Skoliose der Beschwerdegegnerin einzig mit Physiotherapie behandelt. Besonderheiten, welche es rechtfertigen würden, von der in Erwägung 2c erwähnten Regel abzuweichen, liegen keine vor. Jolanda Schnidrig hat deshalb nach den zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes für Sozialversicherung keinen Anspruch auf Gewährung dieser Vorkehren durch die Invalidenversicherung. Sollte sich in Zukunft eine Apparatebehandlung aufdrängen, so kann sie erneut bei der Invalidenversicherung um medizinische Massnahmen nachsuchen.
Dispositiv
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Wallis vom 27. Mai 1974 aufgehoben.