100 IV 129
32. Urteil des Kassationshofes vom 21. Oktober 1974 i.S. Silvestrini gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
Regeste (de):
- Art. 11
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden.
1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. 2 Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: a des Gesetzes; b eines Vertrages; c einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder d der Schaffung einer Gefahr. 3 Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. 4 Das Gericht kann die Strafe mildern. - Fall eines unintelligenten banalen kriminellen Psychopathen (Mörders).
Regeste (fr):
- Art. 11 CP; responsabilité restreinte.
- Cas d'un psychopathe criminel (meurtrier) inintelligent et sans originalité.
Regesto (it):
- Art. 11 CP; responsabilità scemata.
- Caso di criminale psicopatico (autore di assassinio) privo di intelligenza.
Sachverhalt ab Seite 129
BGE 100 IV 129 S. 129
A.- Am 3. April 1974 erklärte das Geschwornengericht des Kantons Aargau Casimiro Silvestrini des Mordes, des Raubes, des wiederholten Diebstahls, des wiederholten Betrugs, des fortgesetzten Hausfriedensbruchs sowie Widerhandlungen gegen das SVG schuldig und verurteilte ihn zu lebenslänglichem Zuchthaus und Landesverweisung für 15 Jahre.
B.- Wegen Mordes und Raubes wurde Silvestrini verurteilt, weil er in der Nacht vom 31. Juli 1972 zusammen mit seinem Bruder Antonio in der Wohnung des ferienabwesenden Michele Oliveri in Wettingen den homosexuellen Beat Gmür tötete und beraubte. Durch Aufwerfen einer Münze fielen dem Bruder Antonio die eigentlichen Tötungshandlungen zu. Dieser verfolgte das fliehende Opfer durch mehrere Räume der Wohnung und versetzte ihm 27 Messerstiche am ganzen Körper, bis es im Bad tot zusammenbrach. Dabei half ihm Silvestrini, indem er das
BGE 100 IV 129 S. 130
Opfer aufs Bett stiess und mit der Bettdecke zu überwältigen suchte, es durch Zuhalten des Mundes am Schreien und Telefonieren hinderte und es festhielt, damit sein Bruder die Messerstiche führen konnte. Die Leiche verscharrten die beiden im Wald. Silvestrini hatte die Idee zur Tat ausgeheckt, Gmür, dem er schon gelegentlich als Strichjunge gedient hatte, telefonisch in die Wohnung Oliveri gelockt und die Türen der Wohnung verriegelt, um eine Flucht Gmürs zu verhindern.
C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt Silvestrini Rückweisung der Sache an das Geschwornengericht zur Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit und entsprechende Herabsetzung der Strafe. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Wie in BGE 98 IV 154 ausgeführt wurde, bedeutet Psychopathie in der Sprache der Psychiater nichts anderes als vom Durchschnitt abweichende Persönlichkeitsveranlagung, weshalb nicht jede derartige Anlage das auch im rechtlichen Sinne Abnorme erreicht. Neben den banalen Typen krimineller Psychopathen, aus denen sich die Mehrheit der Rechtsbrecher zusammensetzt und die regelmässig voll zurechnungsfähig sind, gibt es Psychopathen, deren Geistesverfassung nach Art und Grad so stark vom Durchschnitt nicht nur der Rechts-, sondern auch der Verbrechensgenossen abweicht, dass ihre Träger als nicht oder nicht voll verantwortlich erscheinen. Der Beschwerdeführer macht geltend, er gehöre zur zweiten Kategorie und sei daher vermindert zurechnungsfähig.
Das Vorbringen, der Beschwerdeführer habe in alkoholisiertem Zustand gehandelt, ist irrig. Nicht er hat nach Feststellung des Geschwornengerichts vor der Tat ein halbes Glas Wein und einen Becher Bier getrunken, sondern sein Bruder Antonio. Die Umstände der Tat, insbesondere die Geldbeschaffung als ihr Zweck, die Ausnützung einer "Freundschaft", das Auslosen des Täters, das unbekümmerte Verhalten nach der Tat, sowie der asoziale, verwahrloste Zustand des Beschwerdeführers sollen dartun, dass er nicht ein banaler krimineller Psychopath, sondern in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt
BGE 100 IV 129 S. 131
sei. Was Silvestrini anführt, beweist nicht einen kranken Geist, sondern Schlechtigkeit und Gewissenlosigkeit. Diese Eigenschaften mögen einen Menschen in den Augen des Psychiaters als Psychopathen, als willensschwache, gemütsarme (moralisch defekte) Person erscheinen lassen, stellen aber nicht eine Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit im Sinne des Art. 11
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 11 - 1 Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
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1 | Ein Verbrechen oder Vergehen kann auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden. |
2 | Pflichtwidrig untätig bleibt, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu verpflichtet ist, namentlich auf Grund: |
a | des Gesetzes; |
b | eines Vertrages; |
c | einer freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaft; oder |
d | der Schaffung einer Gefahr. |
3 | Wer pflichtwidrig untätig bleibt, ist gestützt auf den entsprechenden Tatbestand nur dann strafbar, wenn ihm nach den Umständen der Tat derselbe Vorwurf gemacht werden kann, wie wenn er die Tat durch ein aktives Tun begangen hätte. |
4 | Das Gericht kann die Strafe mildern. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.