100 Ib 21
4. Urteil vom 17. Mai 1974 i.S. N. gegen Generaldirektion der Schweizerischen Bundesbahnen.
Regeste (de):
- Beamtenrecht: Umgestaltung eines Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen; Art. 55
BtG und Art. 60 Beamtenordnung (2).
- - Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; Kognitionsbefugnis des Bundesgerichts.
- - Abgrenzung des administrativen Verfahrens nach Art. 55
BtG vom Disziplinarverfahren.
- - Gründe der Betriebssicherheit als "wichtige Gründe" im Sinne von Art. 55
BtG und Art. 60 Beamtenordnung (2).
Regeste (fr):
- Statut des fonctionnaires: modification des rapports de service pour justes motifs; art. 55 StF et art. 60 du règlement des fonctionnaires (2).
- - Recevabilité du recours de droit administratif; pouvoir d'examen du Tribunal fédéral.
- - Délimitation de la procédure administrative selon l'art. 55 StF d'avec la procédure disciplinaire.
- - Motifs tirés de la sécurité de l'exploitation, considérés comme justes motifs au sens de l'art. 55 StF et de l'art. 60 du règlement des fonctionnaires (2).
Regesto (it):
- Ordinamento dei funzionari: modificazione del rapporto d'impiego per ragioni gravi; art. 50 StF e art. 60 del regolamento dei funzionari (2).
- - Ammissibilità del ricorso di diritto amministrativo; cognizione del Tribunale federale.
- - Delimitazione della procedura amministrativa ai sensi dell'art. 55 StF rispetto alla procedura disciplinare.
- - Motivi tratti dalla sicurezza dell'esercizio considerati quali ragioni gravi ai sensi dell'art. 55 StF e dell'art. 60 del regolamento dei funzionari (2).
Sachverhalt ab Seite 22
BGE 100 Ib 21 S. 22
A.- Der Beschwerdeführer bemühte sich unmittelbar nach Lehrabschluss um eine Stelle im Fahrdienst der SBB. Diese stellten ihn auf den 1. März 1948 als Depothandwerker und Fahrdienstanwärter an und beförderten ihn auf den 1. Juli 1951 zum Führergehilfen II, auf den 1. Januar 1955 zum Lokomotivführer II und auf den 1. Juli 1958 zum Lokomotivführer I. Abgesehen von verschiedenen Unregelmässigkeiten vor allem zu Beginn der beruflichen Laufbahn bei den SBB lagen bis 1970 keine besonderen Vorkommnisse dienstlicher Art vor, die Anlass zu strengeren Disziplinarmassnahmen gegeben hätten. Am 23. August 1970 liess der Beschwerdeführer nach eigener Darstellung eine von ihm ins Depot zu verschiebende Lokomotive provokativ stehen. Er bezweckte damit, "die verantwortlichen (Betriebs-) Instanzen mit den (für sie meist nicht) existierenden Problemen zu konfrontieren", d.h. er wollte auf die Notwendigkeit einer speditiveren Rückführung von Lokomotiven nach fahrplanmässigen Fahrten in das Depot aufmerksam machen. Der Fall wurde disziplinarisch erledigt. Am 15. September 1972, 02.25 Uhr, musste der Beschwerdeführer, der mit ca. halbstündiger Verspätung einen Zug nach dem Badischen Bahnhof Basel geführt hatte, darauf warten, die Lokomotive von hier nach dem Areal des SBB-Bahnhofes verschieben zu können. Aufgrund des Zugverkehrs war eine sofortige Weiterleitung nicht möglich. Nachdem er sich vorerst 20 bis 25 Minuten geduldet hatte, begab er sich zum Stellwerk 9 und setzte sich telefonisch mit dem Fahrdienstleiter auseinander. Dabei kam es offenbar zu heftigen Worten, worauf der Beschwerdeführer zu seiner Maschine zurückkehrte. Er sicherte diese, beleuchtete sie beidseits mit Rot und rief hierauf von der nächsten Telefonkabine den Badischen Bahnhof an. Dem Fahrdienstbeamten erklärte er, er habe sich nach dem unnötigen Warten derart geärgert, dass er die Lokomotive nicht mehr weiterfahren könne. Dann begab er sich nach Hause. Die auf dem Streckengeleise stehengebliebene Maschine wurde später
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abgeschleppt. Der Beschwerdeführer nahm an dem dem Vorkommnis folgenden Tag die Arbeit wieder auf. In der Folge eröffnete die SBB-Verwaltung gegen den Beschwerdeführer eine Disziplinaruntersuchung. Dabei wurde davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe einerseits gegenüber dem Fahrdienstleiter unnötige, provozierende und beleidigende Bemerkungen geäussert und anderseits die Lokomotive auf dem Betriebsgeleise provokativ wegen behinderter Lokzirkulation stehen lassen. Der Beschwerdeführer hielt dem entgegen, er habe sich nicht mehr arbeitsfähig gefühlt, weil ihm, infolge des grossen Ärgers, schlecht geworden sei; er habe sich vorschriftsgemäss verhalten. Der zur Vernehmlassung eingeladene Obermaschineningenieur der Abteilung für Zugförderung II liess die behauptete Krankheit gelten und stellte gleichzeitig fest, es sei nicht mehr zu verantworten, den Beschwerdeführer weiterhin im Streckendienst zu beschäftigen; ein Mann, der sich ob einer Kleinigkeit dermassen aufrege und der ohne Zweifel weiterhin Kleinstreikaktionen durchführen werde, beeinträchtige die Betriebssicherheit. Er schlug daher vor, der Beschwerdeführer sei in den Rangierdienst zu versetzen und es seien - sollte der Betroffene auch dort nicht tragbar sein - weitere Massnahmen zu treffen. Die übergeordnete Abteilung Zugförderung und Werkstätten sowie die Personalabteilung der SBB schlossen sich dieser Betrachtungsweise und dem Versetzungsvorschlag an.
B.- Am 27. Dezember 1972 eröffnete die Kreisdirektion II das Verfahren betreffend die Umgestaltung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen (Art. 55 Beamtengesetz; BtG). Der Betroffene erhielt wiederholt Gelegenheit, zu der in Aussicht genommenen Massnahme Stellung zu nehmen und die Akten einzusehen. Am 16. Mai 1973 erliess die Kreisdirektion II der SBB eine Verfügung, wonach der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 55
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Der Betroffene beschwerte sich gegen diese Verfügung bei der Generaldirektion der SBB, welche die Beschwerde abwies.
C.- Gegen den Entscheid der Generaldirektion SBB richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Der Beschwerdeführer verlangt, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur Durchführung einer medizinischen Untersuchung und zur Neuentscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In der Begründung rügt der Beschwerdeführer, dass in seinem Fall keine bahnärztliche Untersuchung durchgeführt worden sei. Er bestreitet zwar nicht, dass sein Verhalten Zweifel an seiner Tauglichkeit als Lokomotivführer zu erwecken vermochte, erachtet es aber als nicht folgerichtig, dass er dann nach den Vorkommnissen vom 15. September 1972 noch während vollen acht Monaten im Streckendienst belassen worden sei. Das Vorgehen der SBB-Verwaltung erweise sich als verkapptes Disziplinarverfahren gegen einen unbequemen Beamten, der im Interesse der Betriebssicherheit des öftern betriebliche Missstände beanstandet habe.
D.- Die Rechtsabteilung der Generaldirektion SBB beantragt die Abweisung der Beschwerde. Sie macht zum Vorwurf des Beschwerdeführers hinsichtlich der achtmonatigen Beschäftigung im angestammten Dienst nach dem 15. September 1972 geltend, dass dieser Dienst in eine ruhigere, d.h. weniger verspätungsanfällige Periode fiel, in der mit Wartezeiten kaum zu rechnen gewesen sei.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. a) Der angefochtene Entscheid stellt eine Verfügung im Sinne von Art. 97
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und 108 OG sind erfüllt. Es ist somit grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten. b) Die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts erstreckt sich nach Art. 104 lit. a
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Die angefochtene Verfügung ist formell nicht in einem Disziplinarverfahren ergangen; sie hat die Umgestaltung bzw. Auflösung eines Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen (Art. 55
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Erledigung rechtfertige. Massgebend ist die Erledigung, zu der die SBB-Verwaltung aufgrund ihrer Untersuchung gelangt ist, nicht die Möglichkeiten, die sie während des Verfahrens erwogen hat (BGE 80 I 85). Das Bundesgericht hat daher nur die Rechtmässigkeit der verfügten Massnahme, nicht deren Angemessenheit zu überprüfen. Anders wäre es, wenn im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer eine Dienstpflichtverletzung vorgeworfen würde und die Massnahme trotzdem im Verfahren nach Art. 55
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2. Nach Art. 55 Abs. 1
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Glauben die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Umgestaltung oder Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen kann nach Abs. 3 nur nach vorausgegangener Untersuchung und Anhörung des Beamten erfolgen. Der Entscheid der Wahlbehörde ist dem Beamten unter Angabe der Gründe schriftlich mitzuteilen. Art. 60 Abs. 1 Beamtenordnung (2) führt diesbezüglich präzisierend aus, dass dem Beamten vorgängig der Umgestaltung bzw. der Auflösung des Dienstverhältnisses aus wichtigen Gründen Gelegenheit einzuräumen ist, sich über den Tatbestand und gegebenenfalls die Frage des Verschuldens zu äussern.
a) Tatbestandsmässig ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 15. September 1972 eine Lokomotive, statt sie an ihren neuen Bestimmungsort zu fahren, auf dem Streckengeleise hat stehen lassen. Unbestritten ist auch der Ärger und das durch den Ärger hervorgerufene Unwohlsein, das den Beschwerdeführer befiel, als die Manövrierabwicklung sich verzögerte und er daraufhin eine heftige Auseinandersetzung mit dem Fahrdienstleiter hatte. Die SBB-Verwaltung qualifiziert angesichts dieser Tatsachen das Verhalten des Beschwerdeführers aus betrieblichen Sicherheitsgruünden als mit der Fortführung des Dienstverhältnisses nicht mehr vereinbar. Zu dieser Schlussfolgerung gelangte die SBB-Verwaltung in einem nach Massgabe der einschlägigen Bestimmungen (Art. 55 Abs. 3
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einer Lokomotive auf dem Streckengeleise - es ist dies der zweite derartige Vorfall -,- macht die Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses in der angestammten Funktion aus Gründen der Betriebssicherheit nicht mehr zumutbar bzw. verantwortbar. Wer nämlich, wie der Beschwerdeführer, zu Reaktionen neigt, welche die Betriebssicherheit eines Verkehrsunternehmens gefährden, erweit sich für die Ausübung seiner bisher innegehabten Stellung als nicht mehr geeignet. c) Der Beschwerdeführer rügt aber, dass vorgängig des Versetzungsentscheids nicht eine allfällige Invalidität durch den bahnärztlichen Dienst abgeklärt worden sei. Er übersieht, dass die SBB-Verwaltung zur Abklärung der Frage der Invalidität im Verfahren nach Art. 55
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Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.