Tribunal federal
{T 1/2}
1C_312/2007
Urteil vom 31. März 2008
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Steinmann.
Parteien
Christian Thommen, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
gegen
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Landeskanzlei, Rathausstrasse 2, 4410 Liestal.
Gegenstand
Verordnung über die Zuständigkeit zum Vollzug der Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen vom 19.12.06,
Beschwerde gegen das Urteil vom 15. August 2007
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht.
Sachverhalt:
A.
Das Bundesgesetz vom 21. März 1997 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS, im Folgenden auch Bundesgesetz; SR 120) ist mit Beschluss der Eidg. Räte vom 24. März 2006 ergänzt worden. Die Änderung verfolgt das Ziel, Gewalt und insbesondere Gewalt an Sportveranstaltungen vorbeugend besser zu erkennen und zu bekämpfen (vgl. Art. 2 Abs. 1
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Gestützt auf diese Änderungen des Bundesgesetzes hat der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit am 30. August 2006 ergänzt (VWIS; SR 120.2).
B.
In Ausführung dieser bundesrechtlichen Vorgaben hat der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft am 19. Dezember 2006 die Verordnung über die Zuständigkeiten zum Vollzug der Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (VO-BWIS/BL) erlassen. Diese enthält folgende Bestimmungen:
1 - Rayonverbot (Art. 24b
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1 Die Polizei Basel-Landschaft bestimmt die Rayons (genau umschriebenes Gebiet im Umfeld von Sportveranstaltungen) auf basellandschaftlichem Kantonsgebiet.
2 Ist nicht ausschliesslich eigenes Kantonsgebiet betroffen, bestimmt sie die Rayons gemeinsam mit der zuständigen Behörde des andern Kantons.
2 - Ausreisebeschränkung (Art. 24c Abs. 5
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Die Polizei Basel-Landschaft kann beim Bundesamt für Polizei (Dienst für Analyse und Prävention) beantragen, Ausreisebeschränkungen zu verfügen.
3 - Meldeauflage (Art. 24d
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Die Polizei Basel-Landschaft ordnet die Meldeauflagen gegenüber Personen mit Wohnsitz im Kanton Basel-Landschaft an.
4 - Polizeigewahrsam (Art. 24
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1 Die Polizei Basel-Landschaft ordnet den Polizeigewahrsam an.
2 Für die richterliche Überprüfung der Rechtsmässigkeit des Polizeigewahrsams auf Antrag der betroffenen Person (Art. 24e Abs. 5
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3 Bei der Anordnung des Polizeigewahrsams weist die Polizei Basel-Landschaft die betroffene Person insbesondere darauf hin, dass sie:
a. im Falle ihres Nichterscheinens zum festgelegten Zeitpunkt bei der bezeichneten Polizeistelle zwangsweise polizeilich zugeführt werden kann;
b. auf ihren Antrag die Rechtmässigkeit des Polizeigewahrsams durch das Statthalteramt richterlich überprüfen lassen kann.
5 - Strafdrohung für den Widerhandlungsfall (Art. 24h Abs. 2
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Die Polizei Basel-Landschaft weist in sämtlichen vorgenannten Anordnungen für den Fall, dass der amtlichen Verfügung nicht Folge geleistet wird, auf die Strafdrohung von Art. 292
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6 - Meldungen an die Bundesbehörden (Art. 24h Abs. 3
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Die Polizei Basel-Landschaft erstattet dem Bundesamt für Polizei (Dienst für Analyse und Prävention) die bundesrechtlich vorgeschriebenen Meldungen.
7 - Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Januar 2007 in Kraft."
C.
Gegen diese Verordnung erhoben Christian Thommen und der Verein Referendum BWIS beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Beschwerde und beantragten die ersatzlose Aufhebung der ganzen Verordnung, eventualiter der Bestimmungen von § 1 Abs. 2 und § 4 Abs. 2 und Abs. 3 lit. b. Sie rügten eine Verletzung des Vorrangs von Bundesrecht und des Anspruchs auf einen unabhängigen Richter.
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, hiess die Beschwerde am 15. August 2007 teilweise gut, soweit darauf einzutreten war, und hob § 4 Abs. 2 und Abs. 3 lit. b der VO-BWIS/BL auf.
D.
Gegen dieses Urteil des Kantonsgerichts hat Christian Thommen beim Bundesgericht am 27. September 2007 Beschwerde im Sinne von Art. 82
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Der Regierungsrat beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Kantonsgericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Für die Behandlung der vorliegenden Beschwerde ist das Bundesgesetz über das Bundesgericht (BGG) massgebend (Art. 132 Abs. 1
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Die Legitimation des Beschwerdeführers ist nicht bestritten. Dieser hat die umstrittene Einführungsverordnung beim Kantonsgericht angefochten und damit den kantonalen Rechtsmittelweg ausgeschöpft (Art. 89 Abs. 1 lit. a
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Nach Art. 42 Abs. 2
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2.
Im Rahmen der abstrakten Normkontrolle ist nach der Rechtsprechung massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbaren lässt. Das Bundesgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt (vgl. BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31, 128 I 327 E. 3.1 S. 334).
3.
Der Beschwerdeführer erhebt seine Beschwerde ausschliesslich vor dem Hintergrund des Rechtsschutzes in Bezug auf den Polizeigewahrsam. Andere Massnahmen gemäss dem Bundesgesetz - wie die Rayonverbote und die Meldeauflagen, welche ebenfalls von den Kantonen zu vollziehen sind - und die entsprechende Regelung durch die Verordnung des Regierungsrates werden vom Beschwerdeführer nicht in einer den Begründungsanforderungen genügenden Weise angefochten. Auch das angefochtene Urteil nimmt einzig zum Rechtsschutz gegen den Polizeigewahrsam Stellung. Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Prüfung der übrigen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung.
Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung von Polizeigewahrsam werden vom Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit in Art. 24e abschliessend umschrieben. Es ist Sache der Kantone, die erforderlichen Vollzugszuständigkeiten zu bestimmen.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt vorerst, die angefochtene Verordnung verletze den Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht gemäss Art. 49 Abs. 1
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Der Grundsatz des Vorrangs von Bundesrecht nach Art. 49 Abs. 1
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Im vorliegenden Fall hatte der Regierungsrat zur richterlichen Überprüfung des Polizeigewahrsams im Sinne von Art. 24e Abs. 5
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Mit den vom Kantonsgericht vorgenommenen Streichungen kann der Polizeigewahrsam nicht mehr beim Statthalteramt gerichtlich angefochten werden. Dies schliesst indes eine gerichtliche Überprüfung nicht aus. Auch das Kantonsgericht hat eine gerichtliche Überprüfung nicht ausgeschlossen. Im Anschluss an das Urteil des Kantonsgerichts führt der Regierungsrat in seiner Vernehmlassung aus, dass verwaltungsrechtliche Massnahmen nach allgemeinem kantonalem Verfahrens- und Verwaltungsprozessrecht zuerst mit Verwaltungsbeschwerde beim Regierungsrat und hernach mit verwaltungsgerichtlicher Beschwerde beim Kantonsgericht angefochten werden könne (vgl. § 27 ff. des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 43 ff. der Verwaltungsprozessordnung). Dies gelte nunmehr auch für den Polizeigewahrsam. Damit sei eine richterliche Überprüfung weiterhin gewährleistet.
Der Beschwerdeführer setzt sich mit der Möglichkeit, den Polizeigewahrsam auf dem Wege der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerichtlich überprüfen zu lassen, nicht näher auseinander. Er legt nicht dar, dass mit dem Wegfall der Statthalterämter eine gerichtliche Überprüfung von Polizeigewahrsam ausgeschlossen sei. Ebenso wenig macht er geltend, der vom Regierungsrat aufgezeigte Beschwerdeweg sei mit Art. 24e Abs. 5
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3.2 Der Beschwerdeführer beruft sich weiter auf Art. 31
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3.3 Nach § 61 der Kantonsverfassung (KV/BL) ist der Landrat die gesetzgebende Behörde. Dieser erlässt gemäss § 63 KV/BL alle grundlegenden und wichtigen Bestimmungen in der Form des Gesetzes, ausführende Bestimmungen in der Form des Dekretes. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung dieser Verfassungsbestimmungen geltend macht und insbesondere vorbringt, der Regierungsrat sei zum Erlass der gerichtsorganisatorischen Bestimmungen nicht zuständig, erweist sich seine Beschwerde als unbegründet. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer diese Rüge bereits vor dem Kantonsgericht vorgebracht und damit den kantonalen Instanzenzug materiell erschöpft hätte. Zum andern gelten im Anschluss an das Urteil des Kantonsgerichts nunmehr wieder die allgemeinen Bestimmungen über das Verwaltungsbeschwerde- und das Verwaltungsgerichtsverfahren gemäss Verwaltungsverfahrensgesetz und Verwaltungsprozessordnung. Diese sind unbestrittenermassen im Einklang mit den genannten Bestimmungen der Kantonsverfassung vom Landrat erlassen worden. Damit ist die Beschwerde in diesem Punkte ebenfalls abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
4.
Demnach erweist sich die Beschwerde in der Sache selbst als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann nicht gesagt werden, dass das Kantonsgericht in Anbetracht der von ihm vorgenommenen Streichungen die umstrittene Verordnung gänzlich hätte aufheben müssen. Die vom BWIS vorgesehenen und von den Kantonen zu vollziehenden Massnahmen bedürfen einer Ausführungsordnung. Der Regierungsrat kann sich hierfür, wie er bereits vor dem Kantonsgericht vorbrachte, auf § 74 Abs. 2 und § 76 Abs. 2 KV/BL abstützen. Die angefochtene Verordnung behält trotz der Streichungen durch das Kantonsgericht ihre eigenständige Bedeutung; wie dargetan, bleibt eine gerichtliche Überprüfung von Polizeigewahrsam möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Regierungsrat gegen Bundesrecht verstösst, wenn er in § 4 Abs. 1 VO-BWIS/BL die Polizei Basel-Landschaft zur Anordnung der Massnahme für zuständig erklärt. Bei dieser Sachlage hat das Kantonsgericht die Bestimmung von § 31 der Verwaltungsprozessordnung nicht willkürlich angewendet. Vor diesem Hintergrund ist auch der Kostenpunkt des Kantonsgerichtsurteils verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
5.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Regierungsrat und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 31. März 2008
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Steinmann