Bundesstrafgericht Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal
Geschäftsnummer: BG.2008.22
Entscheid vom 30. März 2009 I. Beschwerdekammer
Besetzung
Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Tito Ponti und Alex Staub, Gerichtsschreiberin Tanja Inniger
Parteien
Kanton Zug, Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Oberstaatsanwalt,
Gesuchsteller
gegen
Kanton Aargau, Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Gesuchsgegner
Gegenstand
Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1


Sachverhalt:
A. Mit Strafanzeige vom 29. August 2008 bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug leitete A. gegen B., C., D., E. und F. eine Strafuntersuchung ein (Einlegerakten act. 1). Die Strafanzeige bezieht sich zur Hauptsache auf Sachverhalte im Zusammenhang mit der Gründung der G. AG mit Sitz in Z. / ZG. Mit der Strafanzeige wird insbesondere geltend gemacht, bei der Gründung eingebrachte Sacheinlagen seien zumindest zum Teil nicht vorhanden gewesen, diese hätten nicht den geltend gemachten Wert gehabt, und sie hätten nicht den Personen gehört, welche die Einlagen einbrachten. Die in dieser kriminellen Art und Weise erfolgte Gründung und Kapitalisierung der Gesellschaft habe in der Folge mehrere Anschlussdelikte wie unbegründete Barbezüge und Misswirtschaft zulasten der Gesellschaft ermöglicht. Aus den Unterlagen ergibt sich auch, dass das Küchenstudio der G. AG sich im Widerspruch zum in Z. registrierten Domizil effektiv in Y. / AG befand bzw. befindet und dass deren Geschäfte entgegen den Handelsregisterangaben im Kanton Aargau geführt wurden bzw. werden (act. 1, S. 5 und dort erwähnte Beilagen).
B. Mit Schreiben vom 30. September 2008 gelangte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug an die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und bat diese, den Gerichtsstand zu prüfen und eine allfällige Verfahrensübernahme anzuzeigen (act. 1, Beilage 3). Mit Schreiben vom 3. Oktober 2008 lehnte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau die Übernahme des Gerichtsstandes ab (act. 1, Beilage 4).
C. Mit Gesuch vom 30. Oktober 2008 gelangte der Oberstaatsanwalt des Kantons Zug an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, dass der Kanton Aargau zur Verfolgung und Beurteilung der B., C., D., E. und F. zur Last gelegten strafbaren Handlungen für berechtigt und verpflichtet zu erklären sei (act. 1).
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau lehnte den Gerichtsstand in ihrer Gesuchsantwort vom 10. November 2008 ab. Eine Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand sei vorliegend nicht gerechtfertigt (act. 3).
Auf die Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen Bezug genommen.
Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 345



1.2 Die eingangs erwähnten Behörden sind nach ihren kantonalen Zuständigkeitsordnungen berechtigt, bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten ihre Kantone vor der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zu vertreten (§ 22bis Abs. 4 Ziff. 2 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden [GOG] vom 3. Oktober 1940 [BGS 161.1] des Kantons Zug; § 33 Abs. 2 des Gesetzes über die Strafrechtspflege [Strafprozessordnung, StPO] vom 11. November 1958 [SAR 251.100] des Kantons Aargau). Der Gesuchsteller hat mit dem Gesuchsgegner vor Einreichung des Gesuchs einen Meinungsaustausch durchgeführt. Auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben vorliegend zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, sodass auf das Gesuch einzutreten ist.
2. Der Gesuchsteller führt aus, der gesetzliche Gerichtsstand liege vorliegend unbestrittenermassen im Kanton Zug, insbesondere aus Zweckmässigkeitsgründen sei jedoch ein Abweichen davon gerechtfertigt. Die G. AG sei eine reine Domizilgesellschaft, welche im Kanton Zug über keine Geschäftsräumlichkeiten und kein Personal verfüge. Sie werde in Z. von einem Domizilierungsservice betreut, der noch ca. 100 andere Domizilgesellschaften verwalte. Der Ort der Geschäftstätigkeit liege offenkundig in Y. im Kanton Aargau (act. 1, S. 5). Auch die Wohnsitze verschiedener Beschuldigter befänden sich im Kanton Aargau, weshalb es zweckmässiger sei, die Untersuchung durch den Kanton Aargau durchführen zu lassen (act. 1, S. 6).
Der Gesuchsgegner führt dagegen aus, unter dem Gesichtspunkt des Deliktsschwergewichts sei eine Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand nicht gerechtfertigt, und unter prozessökonomischen Aspekten bedeute das im Kanton Zug zu untersuchende Urkundendelikt etwa die gleiche Hürde wie die Vermögensdelikte im Kanton Aargau.
3.
3.1 Die Frage nach dem gesetzlichen Gerichtsstand ist unbestritten. Der Gesuchsteller führt zwar aus, dass vorliegend die Anwendung der ordentlichen Gerichtsstandsregeln dem Sinn des Gesetzes zuwiderliefe (act. 1, S. 8), es kann aber auf eine weitergehende Erörterung der Frage nach dem gesetzlichen Gerichtsstand verzichtet werden, weil sich die Parteien in ihren Eingaben ausschliesslich auf die Rechtsprechung zum Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand berufen.
3.2 Die I. Beschwerdekammer kann die Zuständigkeit bei Teilnahme mehrerer an einer strafbaren Handlung anders als in Art. 343







ohne zu grosse Schwierigkeiten durchführen lässt und sich auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie aufdrängt (vgl. zum Ganzen eingehend Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 491 ff. m.w.H.). So hat die I. Beschwerdekammer im Falle von zwei Tätergruppen, welche nur durch eine einzige beschuldigte Person und wenige Tatbestände verbunden waren, das Vorliegen von triftigen Gründen zum Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand bejaht. Zur Verhinderung von schwer zu handhabenden Grossprozessen wurde ratione personae aufgeteilt, zumal das Risiko der Ungleichbehandlung ratione deliciti infolge der grossen Zahl von Straftaten und der Wirkung von Art. 68 Ziff. 1


3.3 Vorliegend zur Beurteilung steht ein Sachverhaltskomplex, in welchem die zu untersuchenden Delikte in einem die Chronologie bestimmenden Kausalverhältnis zueinander stehen. Dabei kommen für einen Teil der Delikte sämtliche Beschuldigte, für den Rest wohl nur einzelne davon in Frage. Man kann sich deshalb fragen, ob für den gesamten Sachverhaltskomplex der identische Gerichtsstand zur Anwendung kommen soll, oder ob einzelne der Delikte separat zu verfolgen sind. Angesichts des momentanen sehr frühen Verfahrensstandes und der damit verbundenen Möglichkeit eventueller Änderungen in der rechtlichen Würdigung der vorliegenden Sachverhalte ist eine solche Triage im heutigen Zeitpunkt noch nicht definitiv möglich. Es ist aber auf jeden Fall im Sinne der Prozessökonomie, wenn die ersten Ermittlungen von der gleichen Untersuchungsbehörde geführt werden, bildet die G. AG doch auf jeden Fall für alle heute zur Frage stehenden Delikte den gemeinsamen Nenner, weshalb für sämtliche Delikte aus heutiger Sicht der gleiche Gerichtsstand zu gelten hat.
3.4 Der Gesuchsteller führt insbesondere praktische Gründe ins Feld, aufgrund derer vom gesetzlichen Gerichtsstand abgewichen werden soll. So hätten die Mehrzahl der Beschuldigten ihren Wohnsitz im Kanton Aargau und auch die für die Untersuchung relevanten Akten befänden sich dort. Mit diesen Vorbringen soll dargelegt werden, das Festhalten am gesetzlichen Gerichtsstand führe zu groben Verfahrensverzögerungen bzw. sei das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand im Interesse der Beweisführung zweckmässig (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 480, 505, 512); für das Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand bestünden damit triftige Gründe.
Wesentlich ist, dass sich der Hauptverdacht auf die Schwindelgründung im Kanton Zug bezieht und diese auch bezüglich der praktischen Bedeutung im Vordergrund steht, da sie sich einerseits auf den Sacheinlagevertrag stützt und zugleich die wesentliche Voraussetzung für die anschliessenden Vermögensdelikte bildet. Für die Aufklärung der Schwindelgründung sind Ermittlungen insbesondere im Kanton Zug notwendig, wobei sämtliche Umstände der Gründung und Eintragung der G. AG als „Domizilgesellschaft“ im Kanton Zug zu klären sind; dies insbesondere aus dem Grunde, als der Zweckartikel deutlich auf Aktivitäten hinweist, die dem Wesen einer „Domizilgesellschaft“ widersprechen. Soweit Ermittlungshandlungen nicht im Kanton Zug vorzunehmen sind, können diese in effizienter Weise auf dem Rechtshilfeweg unternommen werden, was angesichts der geografischen und sprachlichen Nachbarschaft der Verfahrensparteien nicht als gravierende Verfahrenserschwerung zu werten ist.
3.5 Aus diesen Gründen ist vorliegend ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand nicht gerechtfertigt. Die Strafverfolgungsbehörden des Gesuchstellers sind somit für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B., C., D., E. und F. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
4. Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 245 Abs. 1


Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:
1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zug sind berechtigt und verpflichtet, die B., C., D., E. und F. zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bellinzona, 30. März 2009
Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Zustellung an
- Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Oberstaatsanwalt
- Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.