Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal
Abteilung III
C-5556/2014
Urteil vom 28. Mai 2015
Richterin Ruth Beutler (Vorsitz),
Besetzung Richter Yannick Antoniazza-Hafner,
Richterin Jenny de Coulon Scuntaro,
Gerichtsschreiber Kilian Meyer.
X._______,
Parteien
vertreten durch A._______,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatssekretariat für Migration SEM,
Quellenweg 6, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Einreiseverbot.
Sachverhalt:
A.
Der Beschwerdeführer (geb. 1981, bosnischer Staatsangehöriger) wurde am 18. August 2014 von der Polizei kontrolliert, als er einen Personenwagen der Firma C._______ seines Kollegen A._______ lenkte. Gegenüber der Polizei sagte der Beschwerdeführer aus, er sei in den Ferien und bringe für seinen Kollegen Briefe auf die Post (vgl. SEM act. 1 S. 5). Am 28. August 2014 fand in der Firma C._______ in P._______ eine Polizeikontrolle statt. Der Beschwerdeführer war anwesend, konnte jedoch keine Arbeitsbewilligung vorweisen. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme sagte er u.a. aus, dass er seit dem Jahr 2012 immer wieder in die Schweiz komme, um Autos und Occasionsteile zu kaufen, mit denen er in seiner Heimat handle. Er arbeite selbstständig und habe in der Firma seines Kollegen A._______ «zwischendurch geholfen», aber nicht gearbeitet. Auch in B._______s Firma habe er zwischendurch geholfen, aber «nichts extremes» (vgl. SEM act. 1 S. 3 ff.). Das Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden wies den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 29. August 2014 aus der Schweiz weg und setzte ihm eine eintägige Ausreisefrist. Zur Begründung wurde ausgeführt, er habe ohne Bewilligung eine Erwerbstätigkeit aufgenommen.
B.
Das Bundesamt für Migration (BFM; neu: SEM) verfügte am 29. August 2014 gegen den Beschwerdeführer ein dreijähriges Einreiseverbot. Zur Begründung wurde ausgeführt, er reise seit dem Jahr 2012 regelmässig in die Schweiz ein, um Autos und Occasionsteile in sein Heimatland zu exportieren. Er sei in der Schweiz erwerbstätig gewesen, ohne im Besitz der erforderlichen ausländerrechtlichen Bewilligung zu sein, und habe auf diese Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass das Einreiseverbot zu einer Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS II) führt und damit ein Einreiseverbot für das gesamte Gebiet der Schengen-Staaten bewirkt (vgl. SEM act. 2 f. S. 6 ff.).
C.
Mit nicht unterzeichneter und undatierter Rechtsmitteleingabe (Eingang beim Bundesverwaltungsgericht am 30. September 2014 nach Weiterleitung durch das kantonale Migrationsamt) beantragt A._______ die Aufhebung des Einreiseverbots. Zur Begründung wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer sei ab und zu in die Schweiz eingereist, dies aber aus privaten Gründen. Eventuell sei es durch den Stress bei der Kontrolle und die Sprachbarriere zu einem Missverständnis gekommen. Der Beschwerdeführer habe ohne Entgelt in unregelmässigen Abständen die Post geholt, Zügelarbeiten ausgeführt und Kinder gehütet. Das Auto sei ihm manchmal geliehen worden, zudem habe er in der Schweiz wertlose Ersatzteile mitnehmen dürfen. Die Kinderkleider und Spielsachen, die man ihm mitgegeben habe, seien Geschenke gewesen. Vom Beschwerdeführer gehe keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus.
D.
Das Bundesverwaltungsgericht gab A._______ mit Schreiben vom 15. Oktober 2014 Gelegenheit, die Beschwerde zu verbessern und eine Vollmacht einzureichen, um sich als Vertreter des Beschwerdeführers im Verfahren zu legitimieren. A._______ kam diesen Aufforderungen mit Eingabe vom 22. Oktober 2014 nach und stellte überdies ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 6. November 2014 gutgeheissen wurde.
E.
Die Vorinstanz führte mit Vernehmlassung vom 4. Dezember 2014 aus, aus Gründen der Verhältnismässigkeit habe man das Einreiseverbot auf die Dauer von zwei Jahren beschränkt (neu: gültig bis 29. August 2016). Im Übrigen beantrage man die Abweisung der Beschwerde.
F.
Der Beschwerdeführer wurde mit Strafbefehl der Zweigstelle Z._______ der Staatsanwaltschaft Graubünden vom 26. März 2015 der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung gemäss Art. 115 Abs. 1 Bst. c


G.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit erheblich, in den Erwägungen eingegangen.
Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Vom SEM erlassene Einreiseverbote sind mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (Art. 5



1.2 Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1



1.3 Die Vorinstanz hat ursprünglich ein dreijähriges Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen, diese Fernhaltemassnahme wiedererwägungsweise auf die Dauer von zwei Jahren reduziert. Soweit die Beschwerde dadurch nicht gegenstandslos geworden ist - beantragt wird die gänzliche Aufhebung des Einreiseverbots - bleibt der Rechtsstreit aufrechterhalten (vgl. Art. 58 Abs. 3

1.4 Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der vorliegenden Angelegenheit endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1

2.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes sowie die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49


3.
3.1 Das SEM kann Einreiseverbote gegen ausländische Personen erlassen, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden (Art. 67 Abs. 2 Bst. a



3.2 Wird gegen eine Person, die nicht das Bürgerrecht eines EU-Mitgliedstaates besitzt, ein Einreiseverbot verhängt, so wird sie nach Massgabe der Bedeutung des Falles im Schengener Informationssystem (SIS II) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben (vgl. Art. 21 u. Art. 24 der Verordnung [EG] Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation [SIS-II-VO, ABl. L 381/4 vom 28.12.2006]). Damit wird dem Betroffenen grundsätzlich die Einreise in das Hoheitsgebiet aller Schengen-Staaten verboten (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. d sowie Art. 13 Abs. 1 der Verordnung [EG] Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenze durch Personen [Schengener Grenzkodex, SGK, ABl. L 105/1 vom 13.4.2006]). Die Mitgliedstaaten können dem Betroffenen aus wichtigen Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen die Einreise gestatten bzw. ihm ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit ausstellen (vgl. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung [EG] Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft [Visakodex], ABl. L 243/1 vom 15.9.2009 i.V.m Art. 5 Abs. 4 Bst. c SGK; Art. 25 Abs. 1 Bst. a Ziff. ii Visakodex).
4.
4.1 Die Vorinstanz stützt das wiedererwägungsweise auf die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbot (vgl. Sachverhalt Bst. E) allgemein auf Art. 67


4.2 Der Beschwerdeführer wurde am 26. März 2015 der mehrfachen Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung gemäss Art. 115 Abs. 1 Bst. c

4.3 Gemäss Art. 11 Abs. 1



4.4 Aufgrund der vorliegenden Akten besteht kein Anlass, von der Einschätzung der Strafbehörden abzuweichen. Der Beschwerdeführer hat eingeräumt, dass er sowohl A._______ als auch B._______ «zwischendurch geholfen» habe (vgl. SEM act. 1 S. 3). Dass es im Rahmen der polizeilichen Einvernahme zu Missverständnissen gekommen sein könnte (vgl. Sachverhalt Bst. C), ist auszuschliessen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf den Beizug eines Anwalts und führte aus, er verstehe sehr gut Deutsch, weil er von 1992 bis 1998 in der Schweiz gelebt habe (vgl. SEM act.1 S. 5). K.______, ein Angestellter von A._______, sagte gegenüber der Polizei aus, der Beschwerdeführer sei ihm ab und zu zur Hand gegangen, zum Beispiel, um ein Getriebe herauszunehmen. Ob ein Lohn bezahlt worden sei, wisse er nicht (vgl. StA GR act., Dossier 5, Nr. 3, S. 2.). A._______ sagte aus, der Beschwerdeführer habe ihm beim Umzug geholfen und zu den Kindern geschaut. Er habe sowohl in seiner Garage als auch im Spritzwerk seines Bruders B._______ kleine Arbeiten ausgeführt, z.B etwas abgeschliffen, ein Auto geputzt oder Botengänge erledigt. Ein Lohn sei ihm nicht ausbezahlt worden. Es habe Sandwich und Kaffee gegeben, man habe ihm die Wäsche gemacht und ihm ein Auto zur Verfügung gestellt und das Benzin bezahlt. Zu Hause habe der Beschwerdeführer absolut nichts, so habe er «wenigstens Kost und Logis». So könne er ihm wenigstens etwas helfen. Der Beschwerdeführer nehme auch sehr dankbar gebrauchte Kleider für sein Kind mit nach Hause. Er habe ihm auch altes Werkzeug, alte Ersatzteile und alte Autos geschenkt, so müsse er diese Ware nicht entsorgen. Das Hotelzimmer habe er reserviert und bezahlt, die Kosten müsse der Beschwerdeführer ihm jedoch begleichen (vgl. StA GR act., Dossier 5, Nr. 5, S. 1 ff.).
4.5 Der Beschwerdeführer und sein Vertreter A._______ verweisen in glaubhafter Weise auf ihr freundschaftliches Verhältnis. A._______ gewährte dem Beschwerdeführer Kost und Logis und verschaffte ihm durch die Überlassung von Ersatzteilen und Autos die Möglichkeit, in der Heimat einen Verdienst zu erzielen. Es handelte sich indes nicht um ein einseitiges Verhältnis, zumal die Arbeiten, welche der Beschwerdeführer erledigte (E. 4.3.1), den Rahmen von Gefälligkeitshandlungen sprengten. Eine Ausnahmesituation, wo der Erwerbscharakter durch eine besondere verwandtschaftliche oder emotionale Nähe in den Hintergrund gedrängt wird, liegt nicht vor (vgl. dazu Urteil des BVGer C-447/2013 vom 31. Januar 2014 E. 5.2.2 m.H.). Die vom Beschwerdeführer erledigten Tätigkeiten - insb. die Arbeiten in der Garage - werden üblicherweise gegen Entgelt vorgenommen, weshalb sogar dann eine Bewilligungspflicht bestanden hätte, wenn sie unentgeltlich erfolgt wären (Art. 11 Abs. 2


4.6 Die Staatsanwaltschaft bestrafte den Beschwerdeführer mit einer Geldstrafe, ging also davon aus, dass er vorsätzlich - d.h. mit Wissen und Willen - ausländerrechtliche Bestimmungen verletzt hat (vgl. Art. 12 Abs. 2 f



4.7 Der Beschwerdeführer ist somit durch seine Tätigkeiten für A._______ und B._______ einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Bewilligung zu sein (vgl. Art. 115 Abs. 1 Bst. c




4.8 Der Beschwerdeführer hat durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen und damit hinreichenden Anlass für die Verhängung eines Einreiseverbotes gegeben (vgl. Art. 67 Abs. 2 Bst. a


5.
5.1 Zu prüfen bleibt, ob die Vorinstanz im Rahmen der Ermessensausübung richtigerweise nicht vom Erlass eines Einreiseverbots abgesehen hat, und - falls diese Frage bejaht wird - welche Dauer des Einreiseverbots angemessen ist. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit steht bei dieser Prüfung im Vordergrund. Es ist eine wertende Abwägung vorzunehmen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Massnahme einerseits und den von der Massnahme beeinträchtigten privaten Interessen andererseits. Die Stellung der verletzten oder gefährdeten Rechtsgüter, die Besonderheiten des ordnungswidrigen Verhaltens und die persönlichen Verhältnisse des Verfügungsbelasteten bilden dabei den Ausgangspunkt der Überlegungen (vgl. statt vieler Häfelin/Müller/Uhlmann,Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, Rz. 613 ff.).
5.2 Der Beschwerdeführer ging in der Schweiz ohne Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nach und wurde deshalb weggewiesen (vgl. Sachverhalt Bst. A). Aus dem von ihm manifestierten Verhalten ist auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu schliessen (vgl. E. 4.8). Das Einreiseverbot soll einer weiteren illegalen Erwerbstätigkeit in der Schweiz entgegenzuwirken und künftigen Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenwirken. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass den ausländerrechtlichen Normen im Interesse einer funktionierenden Rechtsordnung eine hohe Bedeutung zukommt. Namentlich das generalpräventiv motivierte Interesse, die ausländerrechtliche Ordnung durch eine konsequente Massnahmenpraxis zu schützen, ist als gewichtig zu betrachten (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung generalpräventiver Aspekte vgl. Urteil des BGer 2C_516/2014 vom 24. März 2015 E. 3.2 m.H.). Es besteht somit ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers.
5.3 Den öffentlichen Interessen sind die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüberzustellen. Dieser beruft sich insbesondere auf seine freundschaftliche Beziehung zur Familie von A._______ und auf enge Verbindungen zu ehemaligen Schulfreunden in der Schweiz. Diese privaten Interessen vermögen jedoch weder eine Aufhebung noch eine (weitere) Reduktion der Dauer des Einreiseverbots zu rechtfertigen. Dem Beschwerdeführer sind überdies während der Geltungsdauer der Fernhaltemassnahme (bis 29. August 2016) Besuchsaufenthalte bei ihm nahe stehenden Personen in der Schweiz nicht schlichtweg untersagt; das SEM kann die Fernhaltemassnahme auf begründetes Gesuch hin aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen befristet suspendieren (vgl. Art. 67 Abs. 5

5.4 Das verhängte Einreiseverbot stellt somit sowohl im Grundsatz als auch hinsichtlich der (wiedererwägungsweise auf zwei Jahre reduzierten) Dauer eine verhältnismässige und angemessene Massnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Nicht zu beanstanden ist, dass dem Beschwerdeführer die Einreise in das Hoheitsgebiet sämtlicher Schengen-Staaten verboten wurde (vgl. Art. 21 i.V.m. Art. 24 SIS-II-VO sowie BVGE 2014/20 E. 8.5 m.H.). Es bleibt den Schengen-Staaten überdies unbenommen, dem Beschwerdeführer bei Vorliegen besonderer Gründe die Einreise ins eigene Hoheitsgebiet zu gestatten (vgl. E. 3.2 sowie Art. 67 Abs. 5

6.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit sie nicht durch Wiedererwägung gegenstandslos geworden ist (vgl. E. 1.3 sowie Sachverhalt Bst. E). Im Übrigen ist die angefochtene Verfügung nicht zu beanstanden (Art. 49

7.
Dem Beschwerdeführer wurde die unentgeltliche Rechtspflege gewährt; er ist daher von der Bezahlung von Verfahrenskosten befreit (vgl. Art. 63




Dispositiv S. 11
Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit sie nicht zufolge Wiedererwägung gegenstandslos geworden ist.
2.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil geht an:
- den Beschwerdeführer (Einschreiben)
- die Vorinstanz (Ref-Nr. [...]; Akten retour)
- Das Amt für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden
(Ref-Nr. [...])
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Ruth Beutler Kilian Meyer
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