Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

6B 744/2021

Urteil vom 27. August 2021

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichter Muschietti,
Bundesrichterin Koch,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Amt für Justizvollzug, Bahnhofplatz 3c, 5001 Aarau 1 Fächer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Stationäre therapeutische Massnahme; Aufhebung,

Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 15. Juni 2021 (WBE.2021.124 / ah / we).

Erwägungen:

1.
Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte den Beschwerdeführer am 21. November 2019 wegen versuchter Vergewaltigung, mehrfacher Gefährdung des Lebens, Diebstahls, einfacher Körperverletzung, Verletzung des Geheimnis- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte, mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, Beschimpfung, Tätlichkeiten und Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 800.- (respektive 80 Tage Ersatzfreiheitsstrafe). Gleichzeitig ordnete es eine stationäre Massnahme zur Behandlung von psychischen Störungen an.
Das Bundesgericht wies die gegen das Urteil des Obergerichts geführte Beschwerde am 20. Mai 2020 ab, soweit es auf diese eintrat (Urteil 6B 52/2020).
Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde gestützt auf Art. 57 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 57 - 1 Sind die Voraussetzungen sowohl für eine Strafe wie für eine Massnahme erfüllt, so ordnet das Gericht beide Sanktionen an.
1    Sind die Voraussetzungen sowohl für eine Strafe wie für eine Massnahme erfüllt, so ordnet das Gericht beide Sanktionen an.
2    Der Vollzug einer Massnahme nach den Artikeln 59-61 geht einer zugleich ausgesprochenen sowie einer durch Widerruf oder Rückversetzung vollziehbaren Freiheitsstrafe voraus. Ebenso geht die Rückversetzung in eine Massnahme nach Artikel 62a einer zugleich ausgesprochenen Gesamtstrafe voraus.
3    Der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug ist auf die Strafe anzurechnen.
StGB zu Gunsten der stationären Massnahme aufgeschoben, die seit dem 15. Juli 2020 in der Massnahmeabteilung der Justizvollzuganstalt Solothurn vollzogen wird.

2.
Das Departement Volkswirtschaft und Inneres, Amt für Justizvollzug, wies mit Verfügung vom 9. April 2021 ein vom Beschwerdeführer gestelltes Gesuch um Aufhebung der stationären Massnahme ab. Gleichzeitig ordnete es an, dass die therapeutische Massnahme weitergeführt wird und die bedingte Entlassung aus dem Massnahmevollzug spätestens im November 2021 erneut geprüft werde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Vorinstanz mit Urteil vom 15. Juni 2021 ab und auferlegte dem Beschwerdeführer die Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 1'026.-.

Der Beschwerdeführer gelangt an das Bundesgericht und beantragt, die stationäre Massnahme sei mit sofortiger Wirkung zu beenden. Er bringt sinngemäss vor, aufgrund seiner Weigerung, sich begutachten zu lassen, habe kein "rechtsfähiges" Gutachten erstellt werden können, weshalb keine Massnahme angezeigt sei. Ohne eine eindeutige und verwertbare Diagnose bestehe auch keine Aussicht auf einen Behandlungserfolg.

3.
Die Rügen erweisen sich als unbegründet. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zieht der Umstand, dass er der Begutachtung nicht zugestimmt und sich dieser weitgehend verweigert hat, nicht die Unverwertbarkeit des forensischen Gutachtens nach sich, sondern beschlägt ausschliesslich dessen Beweiswert und Aussagekraft. Zwar gehört die persönliche Untersuchung der Person, gegen die eine Massnahme angeordnet und vollzogen werden soll, zum Standard einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung, jedoch ist es in erster Linie Aufgabe des Sachverständigen zu beurteilen, ob und inwieweit ein Gutachten auch ohne Mitwirkung der betroffenen Person möglich ist (vgl. BGE 146 IV 1 E. 3.2.2; Urteil 6B 257/2018 vom 12. Dezember 2018 E. 7.6.2). Ob und wie sich die fehlende Unmittelbarkeit der sachverständigen Einschätzung auf den Beweiswert des Gutachtens auswirkt, ist nach dem konkreten Gegenstand der Gutachterfrage differenziert zu beurteilen. Der Sachverständige hat sich dazu zu äussern, ob eine Frage ohne Untersuchung gar nicht, nur in allgemeiner Form oder ohne Einschränkungen beantwortbar ist, um den Behörden zu ermöglichen, den Stellenwert der getroffenen Einschätzung zu bestimmen (vgl. BGE 146 IV 1 E. 3.2.2).

Diesen Anforderungen kommen sowohl die Gutachterin als auch die Vorinstanz nach. Die Vorinstanz trägt den konkreten Umständen und der Weigerung des Beschwerdeführers, sich begutachten zu lassen und den damit verbundenen Unsicherheiten hinsichtlich der Diagnose und Behandlungstherapie umfassend Rechnung. Sie führt aus, dass die Gutachterin transparent dargelegt hat, in welchen Grenzen Einschätzungen aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers überhaupt möglich waren. Die Gutachterin habe je nach Fragestellung die Aussagekraft ihrer Beurteilung differenziert dargestellt, weshalb für die Vorinstanz ersichtlich gewesen sei, welche Fragen infolge der fehlender Angaben des Beschwerdeführers nicht klar beantwortet werden konnten. Inwiefern die konkreten Einschätzungen der Sachverständigen in Frage zu stellen wären, zeigt der Beschwerdegegner nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Mithin verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie gestützt auf das Gutachten vom 1. März 2021 die therapeutische Massnahme nicht aufhebt und aufrechterhält.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Angesichts der konkreten Umstände rechtfertigt es sich, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 27. August 2021

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari

Der Gerichtsschreiber: Held
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 6B_744/2021
Date : 27. August 2021
Published : 14. September 2021
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Strafrecht (allgemein)
Subject : Stationäre therapeutische Massnahme; Auhebung


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StGB: 57
BGE-register
146-IV-1
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