Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C 469/2011
Urteil vom 27. Januar 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt
des Kantons Bern, Schermenweg 5, Postfach,
3001 Bern.
Gegenstand
Anordnung einer Fahreignungsuntersuchung,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 22. Juni 2011 der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern.
Sachverhalt:
A.
Am 7. März 2011 stellte X.________ beim Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern ein Gesuch um Erteilung eines Lernfahrausweises der Kategorie D (Motorwagen zum Personentransport mit mehr als acht Sitzplätzen ausser dem Führersitz). Dieses ordnete am 21. März 2011 an, X.________ habe sich einer Eignungsuntersuchung beim Institut für Angewandte Psychologie in Bern zu unterziehen. Die Einsprache von X.________ gegen diese Verfügung wies das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt am 3. Mai 2011 ab.
Dagegen reichte X.________ am 6. Mai 2011 bei der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern (im Folgenden: Rekurskommission) Beschwerde ein. Im Rahmen der Instruktion bestätigte diese X.________ am 1. Juni 2011 in einem mit "Führerausweisentzug Vernehmlassung/Replik" betitelten Schreiben den Eingang der Replik. Mit Schreiben vom 3. Juni 2011 an die Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, welches am 14. Juni 2011 zuständigkeitshalber der Rekurskommission überwiesen wurde, verlangte X.________ den Ausstand der seinen Fall behandelnden Kommissionsmitglieder mit der Begründung, dass eine "Kommission, die nicht einmal weiss, um was es eigentlich geht, weder vertrauenswürdig noch objektiv" sei. Die Rekurskommission stellte X.________ am 14. Juni 2011 eine berichtigte Fassung der Eingangsbestätigung vom 1. Juni 2011 zu.
Am 22. Juni 2011 wies die Rekurskommission die Beschwerde von X.________ ab.
B.
Mit Beschwerde vom 21. Oktober 2011 beantragt X.________, diesen Entscheid der Rekurskommission aufzuheben und die Sache nötigenfalls an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Neubeurteilung durch andere Richter oder hilfsweise Zurückweisung an ein anderes Gericht. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
Am 7. November 2011 reichte X.________ ein psychiatrisches Gutachten ein, dass der Forensisch-Psychiatrische Dienst der Universität Bern am 26. Oktober 2011 im Rahmen eines gegen ihn angestrengten Entmündigungsverfahrens erstellt hatte.
C.
Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt verzichtet unter Hinweis auf seinen Einspracheentscheid auf Vernehmlassung. Die Rekurskommission beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Sie führt unter anderem aus, die Ausstandsbegehren des Beschwerdeführers seien notorisch, weshalb sie im angefochtenen Entscheid auf das Ausstandsbegehren vom 7. Juni 2011 nicht näher eingegangen sei.
In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde fest.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid der Rekurskommission betrifft die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Abklärung der Fahreignung und damit eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit. Dagegen ist die Beschwerde zulässig (Art. 82 Abs. 1 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 82 Grundsatz - Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden: |
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a | gegen Entscheide in Angelegenheiten des öffentlichen Rechts; |
b | gegen kantonale Erlasse; |
c | betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen sowie betreffend Volkswahlen und -abstimmungen. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 86 Vorinstanzen im Allgemeinen - 1 Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide: |
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1 | Die Beschwerde ist zulässig gegen Entscheide: |
a | des Bundesverwaltungsgerichts; |
b | des Bundesstrafgerichts; |
c | der unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen; |
d | letzter kantonaler Instanzen, sofern nicht die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht zulässig ist. |
2 | Die Kantone setzen als unmittelbare Vorinstanzen des Bundesgerichts obere Gerichte ein, soweit nicht nach einem anderen Bundesgesetz Entscheide anderer richterlicher Behörden der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen. |
3 | Für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter können die Kantone anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz des Bundesgerichts einsetzen. |
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 89 Beschwerderecht - 1 Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
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1 | Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer: |
a | vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat; |
b | durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist; und |
c | ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. |
2 | Zur Beschwerde sind ferner berechtigt: |
a | die Bundeskanzlei, die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann; |
b | das zuständige Organ der Bundesversammlung auf dem Gebiet des Arbeitsverhältnisses des Bundespersonals; |
c | Gemeinden und andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, wenn sie die Verletzung von Garantien rügen, die ihnen die Kantons- oder Bundesverfassung gewährt; |
d | Personen, Organisationen und Behörden, denen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt. |
3 | In Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) steht das Beschwerderecht ausserdem jeder Person zu, die in der betreffenden Angelegenheit stimmberechtigt ist. |
2.
Der Beschwerdeführer macht vorab geltend, er habe gegen die Kommissionsmitglieder ein Ausstandsgesuch gestellt, welches nicht behandelt worden sei. Damit wirft er der Rekurskommission sinngemäss eine formelle Rechtsverweigerung vor.
Zu Recht. Der Beschwerdeführer hat ein Ausstandsgesuch gestellt und dieses begründet. Darüber wurde nicht formell entschieden. Dem angefochtenen Entscheid lässt sich auch nicht entnehmen, weshalb sich die Rekurskommission für befugt hält, es unbeachtet zu lassen und die Angelegenheit unter Mitwirkung der Kommissionsmitglieder, deren Ausstand der Beschwerdeführer verlangte, zu beurteilen. Das kann zwar bei unzulässigen Ausstandsbegehren angebracht sein (vgl. BGE 114 Ia 278 E. 1 S. 278 f.; 105 Ib 301; Urteil des Bundesgerichts 2C 8/2007 vom 27. September 2007 E. 2.4), muss aber begründet werden. Der Umstand allein, dass der Beschwerdeführer in früheren Verfahren regelmässig und jedenfalls zumeist erfolglos Ausstandsbegehren stellte, rechtfertigte nicht, über das hier strittige Ausstandsbegehren stillschweigend hinwegzugehen, darin liegt eine formelle Rechtsverweigerung. Keiner weiteren Ausführungen bedarf, dass dieser Verfahrensfehler durch die in der Vernehmlassung ans Bundesgericht nachgeschobene Begründung nicht geheilt werden kann.
3.
Damit ist die Beschwerde gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen, ohne dass die inhaltliche Kritik am angefochtenen Entscheid zu prüfen wäre. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
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1 | Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben. |
2 | Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden. |
3 | Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht. |
4 | Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist. |
5 | Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern vom 22. Juni 2011 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt, der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Januar 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi