Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung I
A-1792/2006
{T 1/2}

Abschreibungsentscheid vom 27. Februar 2008

Besetzung
Einzelrichterin Salome Zimmermann,
Gerichtsschreiber Johannes Schöpf.

Parteien
Hüseyin Sevinc, Augsterheglistrasse 27, 4133 Pratteln,
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Bosonnet, Gartenhofstrasse 7, Postfach 9656, 8036 Zürich
Beschwerdeführer,

gegen

Eidgenössisches Finanzdepartement EFD, Bundesgasse 3, 3003 Bern
Vorinstanz.

Gegenstand
Schadenersatz und Genugtuung.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest und erwägt,
dass der Beschwerdeführer am 1. Februar 1956 im kurdischen Osten der Türkei geboren wurde und im Jahr 1984, nachdem er wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit verfolgt worden war, in die Schweiz geflohen ist;
dass dem Beschwerdeführer im Jahr 1986 durch die Schweiz Asyl gewährt wurde, er im Jahr 1999 das Schweizer Bürgerrecht erwarb und er damit schweizerisch-türkischer Doppelbürger ist;
dass Interpol Ankara am 28. September 2001 die Schweiz um die vorläufige Verhaftung des Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen Auslieferung an die Türkei ersuchte, da er in den Jahren 1988/89 angeblich an drei terroristischen Aktionen in der Türkei beteiligt gewesen sei;
dass das Bundesamt für Justiz der türkischen Botschaft mit diplomatischer Note vom 8. November 2001 insbesondere mitgeteilt hat, die Auslieferung des Beschwerdeführers sei wegen seiner Doppelstaatsbürgerschaft ausgeschlossen;
dass der Beschwerdeführer weder durch das Bundesamt für Justiz noch durch das Bundesamt für Flüchtlinge, das ebenfalls mit dieser Angelegenheit befasst war, von diesem Auslieferungsersuchen informiert wurde;
dass der Beschwerdeführer am 20. Mai 2002 von Interpol Ankara aufgrund der gleichen Vorwürfe zur internationalen Fahndung ausgeschrieben wurde;
dass das Bundesamt für Justiz am 17. September 2003 entschied, den Beschwerdeführer nicht über die internationale Fahndung zu informieren, da die türkischen Behörden die Verhaftung für gemeinrechtliche Straftaten und nicht für politische Delikte verlangt hätten;
dass der Beschwerdeführer am 25. Oktober 2003 nach Deutschland reiste und aufgrund des türkischen Fahndungsersuchens dort in Auslieferungshaft genommen wurde;
dass das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 12. Februar 2004 wegen erheblicher Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers den Auslieferungshaftbefehl aufgehoben hat;
dass sich der Beschwerdeführer vom 25. Oktober 2003 bis zum 12. Februar 2004 (112 Tage) in Deutschland in Auslieferungshaft befunden hat;
dass das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 31. August 2004 die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Türkei für unzulässig erklärt und eine Entschädigung verweigert hat;
dass der Beschwerdeführer am 22. November 2004 ein "Verantwortlichkeitsbegehren" an das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) gerichtet hat, mit welchem er für den durch die Auslieferungshaft von 112 Tagen erlittenen Schaden eine Entschädigung von Fr. 47'137.-- sowie für die immaterielle Unbill eine Genugtuung von Fr. 22'400.--, jeweils zuzüglich Verzugszins, verlangt hat;
dass das EFD mit Verfügung vom 1. Juni 2005 dieses Begehren abgewiesen hat;
dass die vom Beschwerdeführer gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde die Eidgenössische Rekurskommission für die Staatshaftung (HRK) mit Entscheid vom 17. März 2006 abgewiesen hat;
dass das Bundesgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2006 die dagegen erhobene Beschwerde gutgeheissen und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen hat;
dass das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19. März 2007 den Verfahrensbeteiligten die Übernahme des Beschwerdeverfahrens angezeigt hat;
dass der Beschwerdeführer mit Eingaben vom 31. Mai 2007, 12. Juli 2007 und 25. September 2007 zahlreiche Unterlagen zur Bezifferung der Schadenshöhe beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht hat;
dass das EFD mit den Eingaben vom 22. Juni 2007 und 3. Oktober 2007 dazu Stellung genommen hat;
dass das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrensbeteiligten auf den 25. Februar 2008 zu einer Vergleichsverhandlung vorgeladen hat;
dass die Verfahrensbeteiligten anlässlich der Vergleichsverhandlung vom 25. Februar 2008 nachfolgenden Vergleich abgeschlossen haben:
1. "Die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das EFD, anerkennt, dem Beschwerdeführer als Schadenersatz und Genugtuung den Pauschalbetrag von CHF 60'000.-- zu schulden, zuzüglich 5% Verzugszins seit 1. Januar 2004.
2. Für das Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht werden keine Kosten erhoben. Der vom Beschwerdeführer an die HRK geleistete Kostenvorschuss von CHF 3'000.-- wird diesem nach Eintritt der Rechtskraft zurückerstattet.
3. Das EFD bezahlt dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von CHF 5'000.-- (inklusive Mehrwertsteuer und Barauslagen).
4. Die Parteien erklären sich mit Vollzug der vorliegenden Vereinbarung per Saldo aller Ansprüche auseinandergesetzt."
dass ein Vergleich als eine "durch gegenseitige Zugeständnisse zustande gekommene vertragliche Beseitigung eines Streits oder einer Unsicherheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis" ist und in der Verwaltungsrechtspflege eine unterschätzte Rolle spielt, Vergleiche jedoch in Verantwortlichkeitsverfahren abgeschlossen werden können (August Mächler, Vertrag und Verwaltungsrechtspflege, Zürich 2005, § 11 Rz. 1 und 4); da im vorliegenden Verfahren die Grundvoraussetzungen einer Haftung nach Art. 3 Abs. 1
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz
VG Art. 3
1    Für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, haftet der Bund ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten.
2    Bei Tatbeständen, welche unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen, richtet sich die Haftung des Bundes nach jenen besonderen Bestimmungen.
3    Gegenüber dem Fehlbaren steht dem Geschädigten kein Anspruch zu.
4    Sobald ein Dritter vom Bund Schadenersatz begehrt, hat der Bund den Beamten, gegen den ein Rückgriff in Frage kommen kann, sofort zu benachrichtigen.
des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958 (VG, SR 170.32; [Schadenszufügung durch das Handeln eines Beamten, Widerrechtlichkeit und Kausalität]) nicht umstritten sind, respektiert der Abschluss eines Vergleichs das Legalitätsprinzip, welches nach der Lehre auch für vertraglich begründete Rechtsverhältnisse des Staates gilt (Mächler, a.a.O., § 12 Rz. 73 und 81) und der Abschluss eines Vergleichs zwischen dem Beschwerdeführer und dem EFD somit zulässig ist (Abschreibungsentscheid des Bundesverwaltungsgerichts A-1789/2006 vom 31. Oktober 2007 E. 2.1);
dass im Falle des Zustandekommens einer gütliche Einigung zwischen den Parteien keine Verfahrenskosten erhoben werden (Art. 33b Abs. 4
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 33b
1    Die Behörde kann das Verfahren im Einverständnis mit den Parteien sistieren, damit sich diese über den Inhalt der Verfügung einigen können. Die Einigung soll einschliessen, dass die Parteien auf Rechtsmittel verzichten und wie sie die Kosten verteilen.
2    Zur Förderung der Einigung kann die Behörde eine neutrale und fachkundige natürliche Person als Mediator einsetzen.
3    Der Mediator ist nur an das Gesetz und den Auftrag der Behörde gebunden. Er kann Beweise abnehmen; für Augenscheine, Gutachten von Sachverständigen und Zeugeneinvernahmen braucht er eine vorgängige Ermächtigung der Behörde.
4    Die Behörde macht die Einigung zum Inhalt ihrer Verfügung, es sei denn, die Einigung leide an einem Mangel im Sinne von Artikel 49.
5    Soweit die Einigung zustande kommt, erhebt die Behörde keine Verfahrenskosten. Misslingt die Einigung, so kann die Behörde davon absehen, die Auslagen für die Mediation den Parteien aufzuerlegen, sofern die Interessenlage dies rechtfertigt.
6    Eine Partei kann jederzeit verlangen, dass die Sistierung des Verfahrens aufgehoben wird.
des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren [VwVG, SR 172.021]);
dass dem Beschwerdeführer der seinerzeit an die HRK geleistete Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten ist;
dass die vereinbarte Parteientschädigung des Beschwerdeführers durch das EFD (Fr. 5'000.--) nicht zu beanstanden ist, sie versteht sich inklusive Mehrwertsteuer und Barauslagen;
dass zusammenfassend der abgeschlossene Vergleich zulässig und rechtsgültig zustande gekommen ist;
dass der Streitwert von Fr. 30'000.-- nicht erreicht wird, sodass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diesen Abschreibungsentscheid an das Schweizerische Bundesgericht nach Art. 85 Abs. 1 Bst. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 85 Streitwertgrenzen - 1 In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Beschwerde unzulässig:
1    In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Beschwerde unzulässig:
a  auf dem Gebiet der Staatshaftung, wenn der Streitwert weniger als 30 000 Franken beträgt;
b  auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse, wenn der Streitwert weniger als 15 000 Franken beträgt.
2    Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nach Absatz 1 nicht, so ist die Beschwerde dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG, SR 173.110) ausgeschlossen ist;
dass den Verfahrensbeteiligten je ein Protokoll der Vergleichsverhandlung vom 25. Februar 2008 zuzusenden ist;

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:
1.
Der am 25. Februar 2008 zwischen den Parteien abgeschlossene Vergleich wird durch das Bundesverwaltungsgericht genehmigt.
2.
Das Verfahren wird als durch Vergleich erledigt abgeschrieben.
3.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Beschwerdeführer den geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- nach Eintritt der Rechtskraft zurückzuerstatten.
4.
Dieser Abschreibungsentscheid geht an:
- den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde; Beilage: Protokoll der Vergleichsverhandlung vom 25. Februar 2008)
- die Vorinstanz (Ref-Nr. 643; Gerichtsurkunde; Beilage: Protokoll der Vergleichsverhandlung vom 25. Februar 2008)

Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:

Salome Zimmermann Johannes Schöpf

Versand:
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : A-1792/2006
Datum : 27. Februar 2008
Publiziert : 13. März 2013
Quelle : Bundesverwaltungsgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Staatshaftung (Bund)
Gegenstand : Schadenersatz und Genugtuung


Gesetzesregister
BGG: 85
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 85 Streitwertgrenzen - 1 In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Beschwerde unzulässig:
1    In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Beschwerde unzulässig:
a  auf dem Gebiet der Staatshaftung, wenn der Streitwert weniger als 30 000 Franken beträgt;
b  auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnisse, wenn der Streitwert weniger als 15 000 Franken beträgt.
2    Erreicht der Streitwert den massgebenden Betrag nach Absatz 1 nicht, so ist die Beschwerde dennoch zulässig, wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt.
VG: 3
SR 170.32 Bundesgesetz vom 14. März 1958 über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz, VG) - Verantwortlichkeitsgesetz
VG Art. 3
1    Für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, haftet der Bund ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten.
2    Bei Tatbeständen, welche unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen, richtet sich die Haftung des Bundes nach jenen besonderen Bestimmungen.
3    Gegenüber dem Fehlbaren steht dem Geschädigten kein Anspruch zu.
4    Sobald ein Dritter vom Bund Schadenersatz begehrt, hat der Bund den Beamten, gegen den ein Rückgriff in Frage kommen kann, sofort zu benachrichtigen.
VwVG: 33b
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 33b
1    Die Behörde kann das Verfahren im Einverständnis mit den Parteien sistieren, damit sich diese über den Inhalt der Verfügung einigen können. Die Einigung soll einschliessen, dass die Parteien auf Rechtsmittel verzichten und wie sie die Kosten verteilen.
2    Zur Förderung der Einigung kann die Behörde eine neutrale und fachkundige natürliche Person als Mediator einsetzen.
3    Der Mediator ist nur an das Gesetz und den Auftrag der Behörde gebunden. Er kann Beweise abnehmen; für Augenscheine, Gutachten von Sachverständigen und Zeugeneinvernahmen braucht er eine vorgängige Ermächtigung der Behörde.
4    Die Behörde macht die Einigung zum Inhalt ihrer Verfügung, es sei denn, die Einigung leide an einem Mangel im Sinne von Artikel 49.
5    Soweit die Einigung zustande kommt, erhebt die Behörde keine Verfahrenskosten. Misslingt die Einigung, so kann die Behörde davon absehen, die Auslagen für die Mediation den Parteien aufzuerlegen, sofern die Interessenlage dies rechtfertigt.
6    Eine Partei kann jederzeit verlangen, dass die Sistierung des Verfahrens aufgehoben wird.
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