Bundesverwaltungsgericht
Tribunal administratif fédéral
Tribunale amministrativo federale
Tribunal administrativ federal


Abteilung V

E-1191/2016

Urteil vom 25. April 2016

Richterin Muriel Beck Kadima (Vorsitz),

Richter David R. Wenger,
Besetzung
Richterin Emilia Antonioni Luftensteiner,

Gerichtsschreiberin Alexandra Püntener.

A._______, geboren am (...),

B._______, geboren am (...),

C._______, geboren am (...),

Parteien D._______, geboren am (...),

E._______, geboren am (...),

Syrien,

Beschwerdeführende,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM),

Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung

Gegenstand (Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 5. Februar 2016 / N (...).

Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest,

dass die Beschwerdeführenden am 21. September 2015 in der Schweiz um Asyl nachsuchten,

dass sie anlässlich der Kurzbefragung vom 30. September 2015 im Wesentlichen geltend machten, sie hätten Syrien am 1./2. November 2013 (Beschwerdeführer) respektive am 15. Juli 2015 (Beschwerdeführerin und ihre Kinder) verlassen und hätten sich vorerst in der Türkei aufgehalten,

dass sie am 20. Juli 2015 weitergereist und am 26. August 2015 in Bulgarien angekommen seien,

dass sie dort angehalten und während zehn Tagen inhaftiert worden seien und ihre Fingerabdrücke hätten abgeben müssen,

dass das SEM den Beschwerdeführenden anlässlich der Befragungen das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit Bulgariens zur Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens, zu einem möglichen Nichteintretensentscheid gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) sowie zu einer allfälligen Wegweisung nach Bulgarien gewährt wurde, wobei sie geltend machten, sie seien in Bulgarien schlecht empfangen und direkt nach der Kontrolle in Haft gebracht worden,

dass sie zwar gesund seien, die Kinder indessen psychische Schwierigkeiten aufgrund der Ereignisse in Syrien hätten,

dass das SEM gestützt auf einen Abgleich der Fingerabdrücke der Beschwerdeführenden mit der "Eurodac"-Datenbank die bulgarischen Behörden am 3. November 2015 um ihre Übernahme im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend Dublin-III-VO) ersuchte und die bulgarischen Behörden das Ersuchen am 6. November 2015 guthiessen,

dass das SEM mit Verfügung vom 11. November 2015 in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf die Asylgesuche nicht eintrat, die Wegweisung aus der Schweiz nach Bulgarien,

dass die Beschwerdeführenden mit Eingabe vom 24. November 2015 gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben,

dass das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2015 die Beschwerde guthiess und die angefochtene Verfügung vom 11. November 2015 aufhob und an die Vorinstanz zurückwies,

dass dabei ausgeführt wurde, das SEM hätte sich vertieft mit der individuellen Situation der Beschwerdeführenden, insbesondere mit dem Kindeswohl und dem von ihnen anlässlich ihres Aufenthaltes in Bulgarien Erlittenen auseinandersetzen müssen,

dass der angefochtenen Verfügung nicht entnommen werden könne, das SEM sei seiner Pflicht zur Ausübung seines Ermessens nachgekommen,

dass am (...) das Kind E._______ geboren wurde,

dass das SEM mit Verfügung vom 5. Februar 2016 - eröffnet am 19. Februar 2016 - in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf die Asylgesuche nicht eintrat, die Wegweisung aus der Schweiz nach Bulgarien anordnete und die Beschwerdeführenden aufforderte, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen, ansonsten sie in Haft gesetzt und unter Zwang nach Bulgarien zurückgeführt werden könnten,

dass es den Kanton F._______ mit dem Vollzug der Wegweisung beauftragte, die Aushändigung der editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis an die Beschwerdeführenden verfügte und feststellte, eine allfällige Beschwerde gegen den Entscheid habe keine aufschiebende Wirkung,

dass die Beschwerdeführenden mit Eingabe vom 25. Februar 2016 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben und dabei beantragten, die Verfügung sei aufzuheben und das SEM anzuweisen, sein Recht zum Selbsteintritt auszuüben und sich für die vorliegenden Asylgesuche für zuständig zu erachten,

dass sie in prozessualer Hinsicht beantragten, es sei im Sinne vorsorglicher Massnahmen der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und die Vollzugsbehörden anzuweisen, von einer Überstellung nach Bulgarien abzusehen, bis das Bundesverwaltungsgericht über den Suspensiv-effekt der eingereichten Beschwerde entschieden habe,

dass ihnen die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten sei,

dass sie zur Begründung der Rechtsbegehren ausführten, die Situation in Bulgarien sei sehr schlecht und der Zugang zu medizinischer Behandlung nicht gegeben,

dass sie in Bulgarien schlecht behandelt worden seien, man ihnen erklärt habe, dass sie in Bulgarien unerwünscht seien und dass sie während zwei Tagen ohne Nahrung inhaftiert gewesen seien,

dass die Instruktionsrichterin mit Telefax vom 26. Februar 2016 den Vollzug der Wegweisung gestützt auf Art. 56 VwVG per sofort einstweilen aussetzte,

dass die vorinstanzlichen Akten am 7. März 2016 beim Bundesverwaltungsgericht eintrafen (Art. 109 Abs. 1 AsylG),

dass mit verfahrensleitender Verfügung vom 11. März 2016 der Beschwerde die aufschiebende Wirkung eingeräumt und festgestellt wurde, die Beschwerdeführenden könnten den Entscheid in der Schweiz abwarten,

dass das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gutgeheissen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet wurde,

und zieht in Erwägung,

dass das Bundesverwaltungsgericht auf dem Gebiet des Asyls - in der Regel und auch vorliegend - endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des SEM entscheidet (Art. 105 AsylG, i.V.m. Art. 31 -33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG),

dass die Beschwerdeführenden am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen haben, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt sind, ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung haben und daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert sind (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG),

dass somit auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten ist (Art. 108 Abs. 2 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG),

dass gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG vorliegend auf einen Schriftenwechsel verzichtet wurde,

dass sich die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5),

dass bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1 3 AsylG), die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt ist, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.),

dass auf Asylgesuche in der Regel nicht eingetreten wird, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG),

dass diesbezüglich die Dublin-III-VO zur Anwendung kommt,

dass gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird, ausser im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (take back) - wie das vorliegende -, in welchem demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III stattfindet (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.),

dass gemäss Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin-III-VO der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wird, falls es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, und nach den Regeln der Dublin-III-VO kein anderer zuständiger Mitgliedstaat bestimmt werden kann,

dass überdies jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen kann, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Selbsteintrittsrecht; Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO),

dass die Ermessensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO nicht direkt, sondern nur in Verbindung mit einer anderen Norm des nationalen (namentlich Art. 29a Abs. 3 AsylV 1) oder internationalen Rechts anwendbar ist (BVGE 2010/45 E. 5),

dass das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates eingeleitet wird, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO),

dass ein Abgleich der Fingerabdrücke der Beschwerdeführenden mit der «Eurodac»-Datenbank ergab, dass diese am 4. September 2015 in Bulgarien ein Asylgesuch eingereicht hatten,

dass das SEM die bulgarischen Behörden am 3. November 2015 um Übernahme der Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO ersuchte und die bulgarischen Behörden das Ersuchen am 6. November 2015 guthiessen,

dass die grundsätzliche Zuständigkeit Bulgariens somit gegeben ist, was im Übrigen auf Beschwerdeebene nicht bestritten wird,

dass jeder Mitgliedstaat abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen kann, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht),

dass Bulgarien Signatarstaat der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101), des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) ist und seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommt,

dass auch davon ausgegangen werden darf, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie aus der Aufnahmerichtlinie ergeben,

dass zwar einem früheren Bericht des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 2. Januar 2014 (UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria) zu entnehmen ist, dass in jenem Zeitpunkt in Bulgarien Mängel bei den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende und dem Asylverfahren bestanden, jedoch bereits einem nachfolgenden Lagebericht von Human Rights Watch (Refugee Situation Bulgaria, External Update) vom 20. Januar 2014 zufolge Fortschritte bei der Registrierung von Asylsuchenden und den Lebensbedingungen zu verzeichnen waren,

dass sich gemäss dem Bericht des UNHCR vom 21. März 2014 (Refugee Situation Bulgaria, External Update) die Lebensbedingungen in den Aufnahmezentren verbessert hatten und in denjenigen Zentren, wo sich die Bedingungen unter dem Standard bewegten, Renovierungsarbeiten getätigt werden sollten,

dass gemäss dem darauffolgenden Update des UNHCR vom April 2014 (UNHCR Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria) wesentliche Fortschritte in den Aufnahme- und Lebensbedingungen verzeichnet wurden (Zugang zu Information in den Aufnahmezentren, primäre medizinische Versorgung, Gewährleistung von Dolmetschern während der Registrierung und des Asylverfahrens, beheizte Räumlichkeiten, separate Einrichtungen für Männer und Frauen, monatliche finanzielle Unterstützung) und weitere geplante oder bereits sich in Realisation befindliche Verbesserungen (fortwährende Renovationsarbeiten in zwei Aufnahmezentren, Installationen von Waschmaschinen und Küchen, geplantes Zentrum für besonders verletzliche Gruppen von Asylsuchenden, Gestaltung von kinderfreundlichen Plätzen, Gewährleistung der Rechtsberatung) aufgezeigt wurden,

dass dem Bericht des UNHCR vom April 2014 zu entnehmen ist, dass die Zusammenarbeit der bulgarischen Behörden mit dem European Asylum Support Office (EASO) angedauert hat,

dass das UNHCR in erwähntem Bericht zum Schluss gelangte, dass sich seine ursprüngliche Empfehlung, einstweilen generell von Überstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien abzusehen, nicht länger aufrechterhalten liesse (vgl. zum Ganzen beispielsweise das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-992/2015 vom 25. Februar 2016 mit weiteren Hinweisen),

dass diese Position bisher - trotz der aktuellen Flüchtlingslage in Europa beziehungsweise vor Ort - nicht widerrufen wurde,

dass zum heutigen Zeitpunkt keine systemischen Mängel im bulgarischen Asylsystem vorliegen und die heutige Lage Bulgariens nicht mit derjenigen Griechenlands (vgl. Urteil M.S.S. vs. Belgien und Griechenland des EGMR [Grosse Kammer] vom 21. Januar 2011, No. 30696/09) vergleichbar ist,

dass es aus der Sicht des Gerichts auch keine anderen wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Bulgarien würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen,

dass unter diesen Umständen die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO nicht gerechtfertigt erscheint,

dass die Beschwerdeführenden vorliegend zwar - wie bereits im vorangehenden Beschwerdeverfahren E-7572/2015 - geltend machten, sie seien in Bulgarien während zweier Tage in Haft genommen und erst nachdem sie ihre Fingerabdrücke abgegeben hätten, entlassen worden (vgl. Beschwerdeschrift sowie Akte A4 S. 5),

dass aufgrund dieser Schilderungen indessen nicht davon auszugehen ist, sie würden bei einer Überstellung nach Bulgarien gravierenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt oder in eine existenzielle Notlage geraten,

dass auch nicht anzunehmen ist, es bestehe für sie - nachdem sie aufgrund ihres illegalen Aufenthaltes in Haft genommen worden waren, um ihre Asylgesuche zu registrieren - die Gefahr einer erneuten Inhaftierung, einer Nichtprüfung ihrer Asylgründe oder einer Verletzung des Grundsatzes des Non-Refoulements, da sie weder anlässlich ihrer Befragung noch in der Beschwerde konkret dargetan haben, inwiefern sich Bulgarien in Bezug auf sie nicht an die völkerrechtlichen Verpflichtungen halten werde (vgl. BVGE 2013/10 E. 5.2 S. 110 ff.),

dass sie auch nicht konkret aufgezeigt haben, inwiefern die Lebensbedingungen in Bulgarien dauerhaft dermassen schlecht seien, dass die Überstellung in dieses Land generell eine Verletzung der EMRK darstellen würde, beziehungsweise ihnen dauerhaft die ihnen gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vorenthalten, und sie sich bei einer vorübergehenden Einschränkung nötigenfalls an die bulgarischen Behörden wenden und die ihr zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern könnten (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie),

dass vorliegend zu prüfen ist, ob eine Überstellung der Beschwerdeführenden nach Bulgarien wegen der dortigen Lebensbedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK, Art. 4 EU-Grundrechtecharta oder Art. 3 FK darstellen würde,

dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Urteil Tarakhel (gegen Schweiz vom 4. November 2014, Grosse Kammer, Nr. 29217/12) festhielt ist, das Nichtvorhandensein systemischer Mängel schliesse die Gefahr nicht aus, dass das System einer grossen Zahl von Asylsuchenden vorenthalten bleibe, weil es nicht die erforderliche Kapazität aufweise, um grosse Zuströme von Asylsuchenden zu bewältigen,

dass im Einzelfall eine Prüfung des "real risk" einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Überstellung zu erfolgen habe und als besonders benachteiligte und verletzliche Gruppe (catégorie de la population "particulièrement défavorisée et vulnérable") asylsuchende Personen einen speziellen Schutz benötigen würden,

dass dieses Erfordernis aufgrund ihrer speziellen Bedürfnisse und ihrer extremen Vulnerabilität umso wichtiger sei, wenn es sich um Kinder handle, wobei die Aufnahmebedingungen entsprechend dem Alter der Kinder angepasst sein müssten, um folgenschwere Stress- und Angstzustände zu vermeiden (vgl. Urteil Tarakhel, a.a.O., §§ 118 f.),

dass es eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde, wenn die Schweizer Behörden eine Überstellung von Familien mit Kindern nach Italien vornähmen, ohne zuvor von den italienischen Behörden eine individuelle Garantie erhalten zu haben, für eine dem Alter des Kindes angemessene Unterbringung sei gesorgt und die Einheit der Familie werde gewahrt (vgl. Urteil Tarakhel, a.a.O., § 122),

dass bezogen auf den vorliegenden Fall das UNHCR in seinem hievor erwähnten Bericht vom April 2014 zu Bulgarien hervorhob, dass es für gewisse Personen weiterhin Gründe gebe, die einer Überstellung nach Bulgarien entgegenstehen würden, und es deshalb empfahl, jeweils eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, um abzuklären, ob eine Überstellung mit den sich aus dem internationalen Recht ergebenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vereinbar sei,

dass es in einem Schreiben vom Juni 2015 (aktualisierte Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren [UNHCR Bulgarien Juni 2015]) an dieser Einschätzung festhielt (vgl. ausführlicher dazu in Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-7176/2015 vom 23. November 2015), wo es ausführte, nachdem sich die Aufnahmebedingungen im Jahr 2014 grundsätzlich verbessert hätten, seien aufgrund fehlender Ressourcen Versorgungslücken entstanden, von denen vor allem besonders schutzbedürftige Asylsuchende und Asylsuchende mit besonderen Bedürfnissen betroffen seien, mithin trotz der Bemühungen der Behörden die Situation in den Einrichtungen der SAR (State Agency for Refugees) Ende Juni 2015 betreffend Versorgung und Unterstützung weiterhin prekär sei,

dass weiteren aktuellen Berichten zufolge sich die Zustände des Asylverfahrens in Bulgarien sukzessive verschlechtert hätten,

dass die Aufnahmebedingungen nach wie vor ungenügend seien und sich nach den im Jahr 2014 erreichten Verbesserungen seit Anfang 2015 graduell verschlechtert hätten (vgl. Bulgarian Helsinki Committee [BHC], Country Report: Bulgaria, Oktober 2015, nachstehend: AIDA), was auf die seit Anfang 2015 zu verzeichnende anhaltende Zunahme der Anzahl von Flüchtlingen in den meisten europäischen Staaten zurückzuführen sei,

dass gestützt auf die erwähnten Berichte der Zugang von Dublin-Rückkehrern zu den Unterkünften und den sonstigen sozialen Leistungen des Staates vom Stand des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Ausreise aus Bulgarien abhänge,

dass Dublin-Rückkehrer, die in den SAR-Einrichtungen untergebracht seien, zwar Zugang zu den gleichen Leistungen wie andere Asylsuchende erhielten,

dass indessen für besonders schutzbedürftige Personen mit besonderen Bedürfnissen, wie beispielsweise für Minderjährige sowie ältere, kranke und körperlich beeinträchtigte Menschen, Versorgungslücken entstanden seien,

dass die Bewohner der SAR-Einrichtungen vom Staat zwar zwei warme Mahlzeiten, Kinder deren drei und eine medizinische Grundversorgung erhielten (vgl. BHC, Country Report: Bulgaria, a.a.O., S. 13 und 38; UNHCR Bulgarien Juni 2015 S. 2), und Partnerorganisation (Bulgarisches Rotes Kreuz, Bulgarisches Helsinki-Komitee), finanziert vom UNHCR, soziale Betreuung und rechtliche Beratung/Unterstützung in den SAR-Einrichtungen und im Informationszentrum anbieten würden und das UNHCR in den Einrichtungen regelmässig den Schutz vor Ort und das Angebot an sozialen Dienstleistungen kontrolliere,

dass das UNHCR in einer aktualisierten Berichterstattung zur Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Bulgarien vom März 2016 festhielt, es beharre weiterhin nicht darauf, auf Dublin-Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien völlig zu verzichten (vgl. http://www.unhcr.ch/print/home/artikel/8b152a446debbf1f6bfb1ba4b14bc70f/unhcr-aktuell-zur-situation-in-bulgarien.html, abgerufen am 27. April 2016),

dass es weiterhin ernsthafte Mängel im dortigen Aufnahmesystem gebe und eine Einzelfallprüfung für bestimmte Gruppen oder Personen mit besonderen Bedürfnissen und Vulnerabilität befürworte (a.a.O.),

dass gemäss weiteren Berichten zufolge Dublin-Rückkehrer riskierten, in Haft genommen zu werden, wenn ihr Antrag auf internationalen Schutz während ihrer Abwesenheit definitiv abgewiesen worden war (AIDA a.a.O. S. 29),

dass Familien mit Kindern zwar zusammen inhaftiert würden, letztere in gewissen Fällen trotzdem von ihren Eltern getrennt und in separaten Einrichtungen für Kinder platziert würden, wobei Inhaftierungen von Familien bis zu drei Monaten andauern könnten (vgl. a.a.O., S. 54),

dass in den meist überfüllten Zentren die persönliche Hygiene und die Sauberkeit der Einrichtungen unbefriedigend seien und die Ernährung schlecht und nicht auf die speziellen Bedürfnisse der Kinder abgestimmt sei (vgl. a.a.O., S. 56),

dass Kinder zudem keine Möglichkeit hätten die Schule zu besuchen und es an einem nachhaltigen Integrationsprogramm fehle,

dass dem Bericht weiter entnommen werden kann, dass Bulgarien in seiner Asylgesetzgebung bisher keine speziellen Verfahrensgarantien für "vulnerable Personen" vorgesehen hat - ausser bei Kindern - , welche deren besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen würden (vgl. a.a.O., S. 38),

dass es sich vorliegend um eine Familie mit drei Kleinkindern im Alter von (...) und (...) Jahren und (...) Monaten handelt, womit es sich zweifelsohne um vulnerable Personen handelt,

dass angesichts der hievor erwähnten Berichte verschiedener Organisationen, welche sich teils generell gegen Überstellungen nach Bulgarien aussprechen, sowie den mehrfach zitierten, im heutigen Zeitpunkt nach wie vor schwierigen Aufnahmebedingungen von Asylsuchenden in diesem Land, von der Vorinstanz zu erwarten gewesen wäre, dass sie sich mit der Situation von Asylsuchenden und insbesondere Dublin-Rückkehrern in Bulgarien eingehender auseinandersetzt, und sich nicht bloss auf das Erwähnen von drei Urteilen des BVGer und die darin gemachten Schlussfolgerungen und allgemeine Aussagen beschränkt,

dass es damit keine im Sinne der vom UNHCR geforderten Einzelfallprüfung vorgenommen und im Hinblick auf die offensichtlich besonderen Bedürfnisse der Beschwerdeführenden keine Garantien von Bulgarien eingeholt hat,

dass im Übrigen hervorzuheben ist, dass gemäss Dublin-III-VO davon abgesehen werden soll, Mitglieder einer Familie zu trennen, und die Existenz und die Einheit der Familie zu respektieren ist (vgl. Art. 1, 16 und 20 Abs. 3 Dublin-III-VO),

dass es unter diesen Umständen notwendig erscheint, dass die Beschwerdeführenden bei ihrer Ankunft zusammen in derselben Unterkunft beherbergt werden und die Lebensbedingungen ihrer persönlichen Situation entsprechend angepasst sind und diese dem Alter der drei Kinder entsprechen,

dass die Vorinstanz in seiner Verfügung indessen keinerlei Ausführungen zur konkreten Aufnahme der Beschwerdeführenden und ihrer drei Kinder, insbesondere ihrer Unterkunft und den besonderen Bedürfnissen der noch kleinen Kinder gemacht hat,

dass das SEM von den bulgarischen Behörden Garantien einer kindgerechten und die Einheit der Familie respektierenden Unterbringung einzuholen hat, wobei dem Alter der drei Kinder besonders Rechnung zu tragen ist und sichergestellt sein muss, dass die Beschwerdeführenden nicht getrennt werden,

dass nach dem Gesagten die Verfügung des SEM vom 5. Februar 2016 aufzuheben und die Sache zwecks Vornahme der erforderlichen Abklärungen im Sinne der Erwägungen sowie zu neuer Entscheidfindung an das SEM zurückzuweisen ist,

dass auf die weiteren Vorbringen der Beschwerde aufgrund der vorliegenden Kassation zum heutigen Zeitpunkt nicht näher einzugehen ist,

dass bei diesem Ausgang des Verfahrens gemäss Art. 63 Abs. 1 VwVG keine Kosten aufzuerlegen sind,

dass den obsiegenden Beschwerdeführenden keine Parteientschädigung zuzusprechen ist, weil sie im vorliegenden Verfahren nicht vertreten waren und ihnen deshalb keine notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten im Sinne von Art. 64 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 7 ff . des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) erwachsen sind,

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.

2.
Die angefochtene Verfügung vom 5. Februar 2016 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

4.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Muriel Beck Kadima Alexandra Püntener

Versand:
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : E-1191/2016
Data : 25. aprile 2016
Pubblicato : 10. maggio 2016
Sorgente : Tribunale amministrativo federale
Stato : Inedito
Ramo giuridico : Allontanamento Dublino (Art. 107a LAsi)
Oggetto : Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren); Verfügung des SEM vom 5. Februar 2016


Registro di legislazione
CEDU: 3
LAsi: 31a  105  106  108  109  111a
LTAF: 31  33
LTF: 83
OAsi 1: 29a
PA: 5  48  52  56  63  64
SR 0.142.30: 3
TS-TAF: 7
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
adulto • anticipo delle spese • assistenza giudiziaria gratuita • atto di ricorso • autorità cantonale • autorità giudiziaria • autorità inferiore • banca dati • belgio • bulgaria • carta dei diritti fondamentali dell'unione europea • casale • cedu • conclusioni • concordato • condizione • contratto con sé stessi • convenzione internazionale • convenzione sullo statuto dei rifugiati • corte europea dei diritti dell'uomo • decisione d'irricevibilità • decisione • direttiva • domanda indirizzata all'autorità • durata • effetto sospensivo • esclusione del respingimento • esecuzione • espatrio • famiglia • figlio • germania • giorno • grecia • igiene • inizio • interesse del figlio • iscrizione • italiano • legge sull'asilo • mese • misura cautelare • motivazione della decisione • norma • numero • obbligo di edizione di documenti • obbligo di mantenimento • ordinanza amministrativa • parlamento europeo • potere cognitivo • potere d'apprezzamento • procedura d'asilo • proponente • proposta di contratto • protocollo addizionale • quesito • resoconto • ricevimento • riporto • scambio degli allegati • siria • soggiorno illegale • spese di procedura • stato membro • stato terzo • telefax • termine ricorsuale • termine • trattario • trattato tra cantone e stato estero • tribunale amministrativo federale
BVGE
2014/26 • 2013/10 • 2012/4 • 2010/45
BVGer
D-992/2015 • E-1191/2016 • E-7176/2015 • E-7572/2015
EU Verordnung
604/2013