Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}

9C 211/2015

Urteil vom 21. September 2015

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Parrino, Bundesrichterin Moser-Szeless,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Küng,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Prozessvoraussetzung; kantonales Verfahren),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Februar 2015.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 4. November 2011 verneinte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen den Anspruch von A.________ auf eine Rente der Invalidenversicherung (Invaliditätsgrad: 33 %).

B.

B.a. In einem mit 2. November 2011 datierten Schreiben an die IV-Stelle (Eingangsstempel: 14. November 2011) äusserte sich der Hausarzt von A.________, der mit einer Kopie der Verfügung bedient worden war, dahingehend, die Beurteilung der Restarbeitsfähigkeit sei nicht gerecht. Im Antwortschreiben vom 15. November 2011 wurde u.a. festgehalten: "Sollte die versicherte Person mit dem Entscheid nicht einverstanden sein, so verweisen wir auf die Rechtsmittelbelehrung". Mit Eingabe vom 30. November 2011 erklärten sich die Versicherte und ihre Tochter, B.________, mit dem "Entscheid IV Rente" nicht einverstanden; sie stellten weitere Arztberichte in Aussicht und nannten die Adressen mehrerer Ärzte, von denen die Diagnose verlangt werden könne. In ihrem Schreiben vom 6. Dezember 2011 wies die IV-Stelle auf die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 4. November 2011 hin, welche sie im Wortlaut wiedergab. Eine inhaltlich gleiche Eingabe der Versicherten und ihrer Tochter vom 22. Dezember 2011 beantwortete sie am 28. Dezember 2011 erneut im Wesentlichen unter Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung gemäss Verfügung vom 4. November 2011.

B.b. Am 3. Februar 2012 liess A.________ beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen eine "Beschwerde- (Ergänzung) " zu ihrem Schreiben an die IV-Stelle vom 30. November 2011 einreichen. Dieses trat mit Entscheid vom 26 Februar 2015 nicht darauf ein.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid vom 26 Februar 2015 sei aufzuheben und die Prozedur an die Vorinstanz zur materiellen Entscheidung in der Sache zurückzuweisen.

Das kantonale Versicherungsgericht ersucht um Abweisung der Beschwerde. Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:

1.
Die Vorinstanz hat ihr Nichteintreten auf das Schreiben der Beschwerdeführerin an die IV-Stelle vom 30. November 2011 und ihre "Beschwerde- (Ergänzung) " vom 3. Februar 2012 im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Umstand allein, dass die Erklärung, mit der Abweisung des Rentengesuchs nicht einverstanden zu sein (und weitere Arztberichte in Aussicht zu stellen), während der laufenden Beschwerdefrist abgegeben worden sei, könne die Eingabe vom 30. November 2011 noch nicht zur Beschwerde machen. Erforderlich sei die klare Willensäusserung, die Beschwerdeinstanz um die entsprechend korrigierte Entscheidung zu ersuchen. "Nur wer die nächsthöhere, d.h. die Rechtsmittelinstanz anruft, erhebt eine Beschwerde." Das habe die Beschwerdeführerin nicht getan. Sie habe sich trotz der Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 4. November 2011 und trotz des klaren Hinweises im Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 6. Dezember 2011 nicht an das Versicherungsgericht gewendet, um eine Korrektur der Abweisungsverfügung und der Zusprache einer Invalidenrente zu erreichen. Vielmehr habe sie dies von der Beschwerdegegnerin verlangt. Das bedeute, dass sie nicht im Sinne von Art. 58 Abs. 3
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 58 Zuständigkeit - 1 Zuständig ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung Wohnsitz hat.
1    Zuständig ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung Wohnsitz hat.
2    Befindet sich der Wohnsitz der versicherten Person oder des Beschwerde führenden Dritten im Ausland, so ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem sich ihr letzter schweizerischer Wohnsitz befand oder in dem ihr letzter schweizerischer Arbeitgeber Wohnsitz hat; lässt sich keiner dieser Orte ermitteln, so ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem das Durchführungsorgan seinen Sitz hat.
3    Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Beschwerde ohne Verzug dem zuständigen Versicherungsgericht.
ATSG irrtümlicherweise eine Beschwerde bei der unzuständigen IV-
Stelle erhoben habe. Diese habe daher die Eingabe vom 30. November 2011 im Ergebnis zu Recht nicht an das Versicherungsgericht weitergeleitet. Die Beschwerdeführerin habe erst am 3. Februar 2012 und damit verspätet gegen die Verfügung vom 4. November 2011 Beschwerde erhoben.

Dem hält die Beschwerdeführerin entgegen, mit dem Schreiben vom 30. November 2011 sei rechtzeitig innert der laufenden Rechtsmittelfrist (von 30 Tagen; Art. 60
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 60 Beschwerdefrist - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
1    Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
2    Die Artikel 38-41 sind sinngemäss anwendbar.
ATSG) und klar erkennbar eine Korrektur der Verfügung vom 4. November 2011 angestrebt worden. Es habe für sie keinen Sinn gemacht, auf eine Überprüfung dieses Verwaltungsaktes durch ein unabhängiges Gericht, welches umfassende Kognition habe, zu verzichten zu Gunsten einer Wiedererwägung durch dieselbe Behörde, die bereits verfügt und die darauf nicht einmal einzutreten habe. Das Kostenrisiko sei bei Verfahrenskosten von Fr. 600.- im Falle eines vollständigen Unterliegens nicht von Bedeutung. Für die Annahme eines Willens zu einer Wiedererwägung hätte es einer ausdrücklichen Erklärung ihrerseits bedurft.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin und ihre Tochter hatten sich im Schreiben vom 30. November 2011 mit dem "Entscheid IV Rente" nicht einverstanden erklärt, weitere Arztberichte in Aussicht gestellt und die Adressen mehrerer Ärzte angegeben, von denen die Diagnose verlangt werden könne. Die Beschwerdegegnerin betrachtete die Eingabe nicht als Wiedererwägungsgesuch im Sinne von Art. 53 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 53 Revision und Wiedererwägung - 1 Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war.
1    Formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide müssen in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war.
2    Der Versicherungsträger kann auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.
3    Der Versicherungsträger kann eine Verfügung oder einen Einspracheentscheid, gegen die Beschwerde erhoben wurde, so lange wiedererwägen, bis er gegenüber der Beschwerdebehörde Stellung nimmt.
ATSG, was sie insbesondere durch den Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 4. November 2011 zum Ausdruck brachte. Sie wäre somit grundsätzlich verpflichtet gewesen, diese unverzüglich an das zuständige kantonale Versicherungsgericht weiterzuleiten bzw. zu überweisen (Art. 30
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 30 Weiterleitungspflicht - Alle Stellen, die mit der Durchführung der Sozialversicherung betraut sind, haben versehentlich an sie gelangte Anmeldungen, Gesuche und Eingaben entgegenzunehmen. Sie halten das Datum der Einreichung fest und leiten die entsprechenden Unterlagen an die zuständige Stelle weiter.
ATSG und Art. 58 Abs. 3
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 58 Zuständigkeit - 1 Zuständig ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung Wohnsitz hat.
1    Zuständig ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons, in dem die versicherte Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung Wohnsitz hat.
2    Befindet sich der Wohnsitz der versicherten Person oder des Beschwerde führenden Dritten im Ausland, so ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem sich ihr letzter schweizerischer Wohnsitz befand oder in dem ihr letzter schweizerischer Arbeitgeber Wohnsitz hat; lässt sich keiner dieser Orte ermitteln, so ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem das Durchführungsorgan seinen Sitz hat.
3    Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Beschwerde ohne Verzug dem zuständigen Versicherungsgericht.
ATSG sowie Art. 8 Abs. 1
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 8 - 1 Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde.
1    Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde.
2    Erachtet die Behörde ihre Zuständigkeit als zweifelhaft, so pflegt sie darüber ohne Verzug einen Meinungsaustausch mit der Behörde, deren Zuständigkeit in Frage kommt.
VwVG). Davon durfte sie nicht absehen, etwa weil sie der Auffassung war, das Schreiben vom 30. November 2011 genüge den formellen Anforderungen an eine Beschwerde in Bezug auf Antrag und Begründung (Art. 61 lit. b
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 61 Verfahrensregeln - Das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht bestimmt sich unter Vorbehalt von Artikel 1 Absatz 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 20. Dezember 196846 nach kantonalem Recht. Es hat folgenden Anforderungen zu genügen:
a  Das Verfahren muss einfach, rasch und in der Regel öffentlich sein.
b  Die Beschwerde muss eine gedrängte Darstellung des Sachverhaltes, ein Rechtsbegehren und eine kurze Begründung enthalten. Genügt sie diesen Anforderungen nicht, so setzt das Versicherungsgericht der Beschwerde führenden Person eine angemessene Frist zur Verbesserung und verbindet damit die Androhung, dass sonst auf die Beschwerde nicht eingetreten wird.
c  Das Versicherungsgericht stellt unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest; es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei.
d  Das Versicherungsgericht ist an die Begehren der Parteien nicht gebunden. Es kann eine Verfügung oder einen Einspracheentscheid zu Ungunsten der Beschwerde führenden Person ändern oder dieser mehr zusprechen, als sie verlangt hat, wobei den Parteien vorher Gelegenheit zur Stellungnahme sowie zum Rückzug der Beschwerde zu geben ist.
e  Rechtfertigen es die Umstände, so können die Parteien zur Verhandlung vorgeladen werden.
f  Das Recht, sich verbeiständen zu lassen, muss gewährleistet sein. Wo die Verhältnisse es rechtfertigen, wird der Beschwerde führenden Person ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt.
fbis  Bei Streitigkeiten über Leistungen ist das Verfahren kostenpflichtig, wenn dies im jeweiligen Einzelgesetz vorgesehen ist; sieht das Einzelgesetz keine Kostenpflicht bei solchen Streitigkeiten vor, so kann das Gericht einer Partei, die sich mutwillig oder leichtsinnig verhält, Gerichtskosten auferlegen.
g  Die obsiegende Beschwerde führende Person hat Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.
h  Die Entscheide werden, versehen mit einer Begründung und einer Rechtsmittelbelehrung sowie mit den Namen der Mitglieder des Versicherungsgerichts schriftlich eröffnet.
i  Die Revision von Entscheiden wegen Entdeckung neuer Tatsachen oder Beweismittel oder wegen Einwirkung durch Verbrechen oder Vergehen muss gewährleistet sein.
ATSG) nicht, welche namentlich bei nicht anwaltlich vertretenen Versicherten ohnehin nicht streng sind (vgl. BGE 116 V 353 E. 2b S. 356; EVGE 1961 S. 286 E. 1). Das zuständige Versicherungsgericht hat zu entscheiden, ob eine rechtzeitig, allenfalls bei der verfügenden IV-Stelle eingereichte, nicht
notwendigerweise als solche bezeichnete Beschwerde den Formerfordernissen genügt, insbesondere ob ein Anfechtungswille gegeben ist (Urteil 9C_ 758/2014 vom 26. November 2014 E. 2 mit Hinweisen).
Ist ein in prozessual gehöriger Form klar bekundeter Anfechtungswille (BGE 134 V 162 E. 2 S. 163) zu bejahen, hat die Beschwerdefrist nach Art. 60 Abs. 1
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 60 Beschwerdefrist - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
1    Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
2    Die Artikel 38-41 sind sinngemäss anwendbar.
ATSG mit dem Schreiben vom 30. November 2011 grundsätzlich als gewahrt zu gelten (Art. 39 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 39 Einhaltung der Fristen - 1 Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist dem Versicherungsträger eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden.
1    Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist dem Versicherungsträger eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden.
2    Gelangt die Partei rechtzeitig an einen unzuständigen Versicherungsträger, so gilt die Frist als gewahrt.
ATSG [i.V.m. Art. 60 Abs. 2
SR 830.1 Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ATSG Art. 60 Beschwerdefrist - 1 Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
1    Die Beschwerde ist innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen.
2    Die Artikel 38-41 sind sinngemäss anwendbar.
ATSG] und Art. 21 Abs. 2
SR 172.021 Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG) - Verwaltungsverfahrensgesetz
VwVG Art. 21 - 1 Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tage der Frist der Behörde eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen Post54 oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden.
1    Schriftliche Eingaben müssen spätestens am letzten Tage der Frist der Behörde eingereicht oder zu deren Handen der schweizerischen Post54 oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden.
1bis    Schriftliche Eingaben an das Eidgenössische Institut für geistiges Eigentum55 können nicht gültig bei einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung vorgenommen werden.56
2    Gelangt die Partei rechtzeitig an eine unzuständige Behörde, so gilt die Frist als gewahrt.
3    Die Frist für die Zahlung eines Vorschusses ist gewahrt, wenn der Betrag rechtzeitig zu Gunsten der Behörde der Schweizerischen Post übergeben oder einem Post- oder Bankkonto in der Schweiz belastet worden ist.57
VwVG; BGE 120 V 413 E. 3b S. 416; 113 Ib 34 E. 3 S. 39 oben; 111 V 406 E. 2 S. 407; Urteil 9C_ 885/2009 vom 1. Februar 2010 E. 4.1, in: SVR 2010 IV Nr. 57 S. 175). Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beschwerdegegnerin die betreffende Eingabe nicht an die Vorinstanz weiterleitete bzw. an sie überwies.

2.2. Die Beschwerde ist eine prozessuale Willenserklärung, worin erkennbar zum Ausdruck kommt, dass die betreffende Person mit der erlassenen Verfügung nicht einverstanden ist und diese durch die Rechtsmittelinstanz überprüft haben will (Urteil 9C 553/2008 vom 6. Juli 2009 E. 2.2 mit Hinweis u.a. auf BGE 117 Ia 126 E. 5c S. 131; Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 78/01 vom 30. November 2001 E. 2a). Gegen das Vorliegen eines solchen Willens spricht vorliegend der Umstand, dass die Beschwerdeführerin trotz der Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 4. November 2011, wonach gegen diesen Verwaltungsakt Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht erhoben werden konnte (vgl. Art. 69 Abs. 1 lit. a
SR 831.20 Bundesgesetz vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG)
IVG Art. 69 Besonderheiten der Rechtspflege - 1 In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar:
1    In Abweichung von den Artikeln 52 und 58 ATSG415 sind die nachstehenden Verfügungen wie folgt anfechtbar:
a  Verfügungen der kantonalen IV-Stellen: direkt vor dem Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle;
b  Verfügungen der IV-Stelle für Versicherte im Ausland: direkt beim Bundesverwaltungsgericht.417
1bis    Das Beschwerdeverfahren bei Streitigkeiten über IV-Leistungen vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist kostenpflichtig.418 Die Kosten werden nach dem Verfahrensaufwand und unabhängig vom Streitwert im Rahmen von 200-1000 Franken festgelegt.419
2    Absatz 1bis sowie Artikel 85bis Absatz 3 AHVG420 gelten sinngemäss für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.421
3    Gegen Entscheide der kantonalen Schiedsgerichte nach Artikel 27quinquies kann nach Massgabe des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005422 beim Bundesgericht Beschwerde geführt werden.423
IVG), an die Beschwerdegegnerin gelangte und dieser gegenüber ihr Nichteinverständnis mit dem "Entscheid IV Rente" äusserte. Jedoch erfolgte ihre Eingabe rechtzeitig, das Nichteinverständnis mit der Ablehnung ihres Leistungsbegehrens war klar und unbedingt formuliert und es wurden sinngemäss weitere medizinische Abklärungen als notwendig erachtet. Nichts deutet darauf hin, dass die rechtsunkundige Beschwerdeführerin lediglich die Verfügung noch einmal angesehen haben wollte, ob wirklich nichts übersehen und alles berücksichtigt
wurde. Die Beschwerdegegnerin selber ging denn auch nicht von einem blossen Wiedererwägungsgesuch aus, weshalb sie - richtig - auf die (einzige) Möglichkeit der Beschwerde gemäss Rechtsmittelbelehrung hinwies, um sich gegen den negativen Bescheid zur Wehr zu setzen. Da Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beschwerdeführerin fehlen, ist aufgrund des Vorstehenden ein Anfechtungswille zu bejahen.

2.3. Der Mangel einer von der verfügenden IV-Stelle zu Unrecht nicht weitergeleiteten oder überwiesenen Eingabe an das zuständige kantonale Versicherungsgericht berechtigt die betroffene Person jedoch nicht, beliebig lange mit der Erhebung von Beschwerde zuzuwarten. Vielmehr ist sie nach dem verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
1    Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.
2    Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.
3    Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben.
4    Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.
BV), der auch für Private im Verkehr mit Behörden gilt (BGE 137 V 394 E. 7.1 S. 403; im Prozess im Besonderen: BGE 125 V 373 E. 2b/aa S. 375), gehalten, innerhalb einer nach den Umständen bemessenen vernünftigen Zeitspanne zu handeln (Urteil 9C 758/2014 vom 26. November 2014 E. 3; vgl. auch Urteil 8C 738/2007 vom 26. März 2008 E. 6.2). Vorliegend fällt speziell ins Gewicht, dass die Beschwerdeführerin zwei Wochen nach Erhalt der Antwort auf ihr Schreiben vom 30. November 2011 erneut mit Eingabe vom 22. Dezember 2011 der Beschwerdegegnerin gegenüber ihr Nichteinverständnis mit der Ablehnung ihres Rentenbegehrens erklärt hatte. Nachdem ihr die Verwaltung mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 wiederum im Wesentlichen mit dem Hinweis auf die Rechtsmittelbelehrung in der Verfügung vom 4. November 2011 geantwortet hatte (vgl. Sachverhalt B.a), liess sie, nunmehr anwaltlich vertreten,
rund einen Monat später (am 3. Februar 2012) eine "Beschwerde- (Ergänzung) " zur Eingabe vom 30. November 2011 einreichen. Dies kann angesichts des Jahreswechsels und der damit verbundenen Fristenregelung - im Unterschied zu dem mit Urteil 9C 758/2014 vom 26. November 2014 beurteilten Sachverhalt - nicht als verspätet bezeichnet werden.

2.4. Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid verletzt somit Bundesrecht (Art. 95 lit. a
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 95 Schweizerisches Recht - Mit der Beschwerde kann die Verletzung gerügt werden von:
a  Bundesrecht;
b  Völkerrecht;
c  kantonalen verfassungsmässigen Rechten;
d  kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und über Volkswahlen und -abstimmungen;
e  interkantonalem Recht.
BGG). Die Beschwerde ist begründet.

3.
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 68 Parteientschädigung - 1 Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
1    Das Bundesgericht bestimmt im Urteil, ob und in welchem Mass die Kosten der obsiegenden Partei von der unterliegenden zu ersetzen sind.
2    Die unterliegende Partei wird in der Regel verpflichtet, der obsiegenden Partei nach Massgabe des Tarifs des Bundesgerichts alle durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen.
3    Bund, Kantonen und Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen wird in der Regel keine Parteientschädigung zugesprochen, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis obsiegen.
4    Artikel 66 Absätze 3 und 5 ist sinngemäss anwendbar.
5    Der Entscheid der Vorinstanz über die Parteientschädigung wird vom Bundesgericht je nach Ausgang des Verfahrens bestätigt, aufgehoben oder geändert. Dabei kann das Gericht die Entschädigung nach Massgabe des anwendbaren eidgenössischen oder kantonalen Tarifs selbst festsetzen oder die Festsetzung der Vorinstanz übertragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 26. Februar 2015 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie die Beschwerde gegen die Verfügung vom 4. November 2011 materiell behandle.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. September 2015

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Glanzmann

Der Gerichtsschreiber: Fessler
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 9C_211/2015
Date : 21. September 2015
Published : 09. Oktober 2015
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Invalidenversicherung
Subject : Invalidenversicherung (Prozessvoraussetzung; kantonales Verfahren)


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