Bundesstrafgericht

Tribunal pénal fédéral Tribunale penale federale Tribunal penal federal

Geschäftsnummer: BG.2009.17

Entscheid vom 21. September 2009 I. Beschwerdekammer

Besetzung

Bundesstrafrichter Emanuel Hochstrasser, Vorsitz, Tito Ponti und Alex Staub , Gerichtsschreiber Stefan Graf

Parteien

Kanton Basel-Stadt, Staatsanwaltschaft Basel-Stadt,

Gesuchsteller

gegen

Kanton Basel-Landschaft, Bezirksstatthalteramt Arlesheim,

Gesuchsgegner

Gegenstand

Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 345 StGB)

Sachverhalt:

A. Am 25. Juni 2009 reichte A. gegen B. eine Strafanzeige ein wegen „Unterschlagung“. A. macht in seiner Anzeige im Wesentlichen geltend, er bzw. seine Firma sei von B. bzw. dessen Firma mit der Durchführung diverser Bauvorhaben beauftragt worden. Im Rahmen dieser geschäftlichen Zusammenarbeit habe sich B. mit der Erklärung, er sei durch eine früher beauftragte Baufirma betrogen worden, die Einräumung einer Kollektivzeichnungsberechtigung in Bezug auf das Konto von A. bei der Bank C. ausbedungen und erhalten. In der Folge habe die Firma von B. in der Zeit vom 19. Dezember 2008 bis 4. Juni 2009 insgesamt – mutmasslich aus einem von einer Drittbank gewährten Baukredit stammende – Fr. 513'058.60 auf das Konto von A. überwiesen. Sodann habe sich B. in der Zeit vom 25. Februar 2009 bis 5. Juni 2009 unter sechs Malen unter dem Vorwand, er müsse kleinere Material- und Handwerkerrechnungen im Zusammenhang mit einem Bauprojekt begleichen, auf entsprechenden Überweisungsaufträgen die Zweitunterschrift von A. erschlichen. Mit diesen Überweisungsaufträgen habe er anschliessend Fr. 81'000.-- auf ein Konto einer weiteren, ihm gehörenden Firma bzw. unter fünf Malen insgesamt Fr. 194'500.-- auf sein Privatkonto überwiesen. Die Überweisungsaufträge seien A. gemäss eigenen Aussagen jeweils anlässlich gemeinsamer Besuche mit B. bei der Filiale der Bank C. in Z. (BL) von diesem untergeschoben und danach direkt zur Verarbeitung aufgegeben worden.

B. Mit Schreiben vom 2. Juli 2009 gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt an das Bezirksstatthalteramt Arlesheim und ersuchte dieses um Prüfung des Gerichtsstandes und gegebenenfalls um Bestätigung der Verfahrensübernahme. Das Bezirksstatthalteramt Arlesheim lehnte dieses Ersuchen am 14. Juli 2009 ab.

C. Mit Gesuch vom 20. Juli 2009 gelangte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt an die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und beantragte, es seien die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Landschaft zur Strafverfolgung von B. für zuständig zu erklären (act. 1).

Das Bezirksstatthalteramt Arlesheim schloss in seiner Gesuchsantwort vom 10. August 2009 auf Abweisung des Gesuchs „zum jetzigen Zeitpunkt“ (act. 5). Die Gesuchsantwort wurde der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt am 11. August 2009 zur Kenntnis gebracht (act. 6).

Auf die Ausführungen der Parteien und die eingereichten Akten wird, soweit erforderlich, in den folgenden rechtlichen Erwägungen Bezug genommen.

Die I. Beschwerdekammer zieht in Erwägung:

1.

1.1 Die Zuständigkeit der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts zum Entscheid über Gerichtsstandsstreitigkeiten ergibt sich aus Art. 345 StGB i.V.m. Art. 279 Abs. 1 BStP, Art. 28 Abs. 1 lit. g SGG und Art. 9 Abs. 2 des Reglements vom 20. Juni 2006 für das Bundesstrafgericht (SR 173.710). Voraussetzung für die Anrufung der I. Beschwerdekammer ist allerdings, dass ein Streit über einen interkantonalen Gerichtsstand vorliegt und dass die Kantone über diesen Streit einen Meinungsaustausch durchgeführt haben (Schweri/Bänziger, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, 2. Aufl., Bern 2004, N. 599). Die Behörden, welche berechtigt sind, ihren Kanton im Meinungsaustausch und im Verfahren vor der I. Beschwerdekammer zu vertreten, bestimmen sich nach dem jeweiligen kantonalen Recht (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 564; Guidon/Bänziger, Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts zum interkantonalen Gerichtsstand in Strafsachen, in: Jusletter 21. Mai 2007, [Rz 12] in fine). Eine Frist für die Anrufung der I. Beschwerdekammer besteht für die Kantone nicht (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 623).

1.2 Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ist berechtigt, den Gesuchsteller bei interkantonalen Gerichtsstandskonflikten vor der I. Beschwerdekammer zu vertreten (§ 2 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997 [SG 257.100]). Bezüglich des Gesuchsgegners steht diese Befugnis im Ermittlungsstadium praxisgemäss dem örtlich zuständigen Bezirksstatthalteramt oder dem Besonderen Untersuchungsrichteramt zu (Schweri/Bänziger, a.a.O., Anhang II; vgl. zuletzt Entscheid des Bundesstrafgerichts BG.2009.13 vom 9. Juni 2009, E. 1.2). Der Gesuchsteller hat mit dem Gesuchsgegner vor Einreichung des Gesuchs einen Meinungsaustausch durchgeführt. Auch die übrigen Eintretensvoraussetzungen geben vorliegend zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass, so dass auf das Gesuch einzutreten ist.

2.

2.1 Für die Verfolgung und die Beurteilung einer strafbaren Handlung sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde. Liegt nur der Ort, wo der Erfolg eingetreten ist oder eintreten sollte, in der Schweiz, so sind die Behörden dieses Ortes zuständig (Art. 340 Abs. 1 StGB). Ist die strafbare Handlung an mehreren Orten ausgeführt worden, oder ist der Erfolg an mehreren Orten eingetreten, so sind die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde (Art. 340 Abs. 2 StGB). Der Ausführungsort im Sinne von Art. 340 Abs. 1 StGB ist derjenige Ort, an dem der Täter gehandelt hat (Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 65; Nay/Thommen, in Niggli/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht II, 2. Aufl., Basel 2007, Art. 340 StGB N. 1 f.). In bestimmten Fällen kommen je nach rechtlicher Würdigung der strafbaren Handlung alternative Ausführungsorte in Frage (vgl. Schweri/Bänziger, a.a.O., N. 68).

2.2 Der Gesuchsteller argumentiert unter Hinweis auf den eingangs erwähnten Sachverhalt (lit. A), der Ort der strafbaren Handlung und damit auch die Zuständigkeit zur Strafverfolgung im Sinne von Art. 340 Abs. 1 StGB liege im Kanton Basel-Landschaft, und zwar ungeachtet, ob man die Tat nun als Betrug zum Nachteil von A. oder aber als Veruntreuung eines Baukredits zum Nachteil der Drittbank qualifizieren möchte, da sowohl die Täuschungshandlung als auch die Betätigung des treuwidrigen Aneignungswillens in den Räumlichkeiten der Bank C. in Z. erfolgt seien. Der Gesuchsgegner hält dagegen, dass die Unterzeichnung der Überweisungsaufträge der letzte Akt einer allfälligen deliktischen Tätigkeit und in einem grösseren Zusammenhang zu sehen seien. Vor der Unterzeichnung der Überweisungsaufträge seien mit Sicherheit diverse Gespräche und Handlungen am Sitz der Firma von B. im Kanton Basel-Stadt vorgenommen worden. Aus den Akten gehe dies jedoch nicht hervor; es sei auch unklar, welche Rolle die Firma spiele, auf deren Konto ebenfalls Gelder aus dem Konto von A. bei der Bank C. geflossen seien. Bevor über die Gerichtsstandsfrage entschieden werden könne, sei zumindest eine Einvernahme des Angeschuldigten notwendig, um den Sachverhalt zu klären und mögliche Tatorte zu ermitteln. Gemäss konstanter Praxis des Bundesgerichts (BGE 87 IV 43) und Lehre seien hierfür die Behörden desjenigen Kantons zuständig, bei welchen die Untersuchung zuerst angehoben worden sei; dies seien in casu die Behörden des Gesuchstellers.

2.3 Hinsichtlich einer im Verhalten von B. liegenden Veruntreuung erfolgte die Ausführungshandlung (Betätigung des Aneignungswillens) ohne weiteres in Z. und somit im Kanton Basel-Landschaft. Im Falle der Annahme eines Betrugs zum Nachteil von A. liegt der Ausführungsort dort, wo B. A. durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen oder unter Ausnützung eines Irrtums zu einem Verhalten bestimmte, das den sich Irrenden oder einen Dritten am Vermögen schädigte; blosse Vorbereitungshandlungen sind für die Bestimmung des Gerichtsstandes unerheblich (vgl. Nay/Thommen, a.a.O., Art. 340 StGB N. 9 m.w.H.). Der Auffassung des Gesuchsgegners, wonach die in Z. vorgenommenen Handlungen lediglich als letzter Akt der deliktischen Tätigkeit von B. anzusehen sei, kann demnach nicht gefolgt werden. Die letzte Ausführungshandlung, die nach dem Dafürhalten von B. zum Eintritt des angestrebten Erfolges führen sollte, lag in der Verleitung von A. zur Unterzeichnung der einzelnen Überweisungsaufträge. Diese erfolgte den Akten zufolge durchwegs in der Filiale der Bank C. in Z. Allfällige auf die Treffen in Z. hingerichtete Vorbereitungshandlungen fallen bei der Bestimmung des Gerichtsstandes ausser Betracht.

2.4 Nach dem Gesagten ist das Gesuch gutzuheissen und es sind die Strafverfolgungsbehörden des Gesuchsgegners für berechtigt und verpflichtet zu erklären, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 245 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 66 Abs. 4
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt die I. Beschwerdekammer:

1. Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Landschaft sind berechtigt und verpflichtet, die B. zur Last gelegten Straftaten zu verfolgen und zu beurteilen.

2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

Bellinzona, 21. September 2009

Im Namen der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Alex Staub,

Bundesstrafrichter

Zustellung an

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

- Bezirksstatthalteramt Arlesheim (mitsamt Akten)

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid ist kein ordentliches Rechtsmittel gegeben.

Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : BG.2009.17
Datum : 21. September 2009
Publiziert : 20. Oktober 2009
Quelle : Bundesstrafgericht
Status : Unpubliziert
Sachgebiet : Beschwerdekammer: Strafverfahren
Gegenstand : Örtlicher Gerichtsstand (Art. 279 Abs. 1 BStP i.V.m. Art. 345 StGB).


Gesetzesregister
BGG: 66
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BStP: 245  279
SGG: 28
StGB: 340  345
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