Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B 869/2008/sst

Urteil vom 21. Januar 2009
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Ferrari, Mathys,
Gerichtsschreiberin Koch.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bettoni,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Aufschub der Freiheitsstrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung (Art. 63 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
a  der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe, einer durch Widerruf vollziehbar erklärten Freiheitsstrafe sowie einer durch Rückversetzung vollziehbar gewordenen Reststrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Es kann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen.
3    Die zuständige Behörde kann verfügen, dass der Täter vorübergehend stationär behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist. Die stationäre Behandlung darf insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
4    Die ambulante Behandlung darf in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um jeweils ein bis fünf Jahre verlängern.
StGB),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 5. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte X.________ am 12. September 2007 wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.--. Es ordnete zudem eine ambulante Behandlung an und schob den Vollzug der Freiheitsstrafe zu diesem Zweck auf. Auf Berufung der Staatsanwaltschaft entschied das Obergericht des Kantons Zürich am 5. September 2008, die ambulante Behandlung von X.________ sei während des Strafvollzugs und im Anschluss daran durchzuführen.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die entsprechende Ziffer des Urteils des Obergerichtes des Kantons Zürich sei aufzuheben und es sei der Strafvollzug zugunsten der ambulanten Behandlung aufzuschieben. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz setze sich willkürlich über die Tatsache hinweg, dass die vom Gutachter empfohlene ambulante Massnahme im Strafvollzug bei Frauen gar nicht durchgeführt werden könne. Dies sei ein Mangel auf Vollzugsebene und dürfe sich insofern nicht zu ihrem Nachteil auswirken, als ihr die vom Gutachter konkret empfohlene (richtige) Massnahme verweigert, diese auf unbestimmte Zeit verschoben oder für die Dauer des Strafvollzugs unterbrochen werde. Mit der ersten Instanz sei vielmehr davon auszugehen, dass der sofortige Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe die erfolgreiche Behandlung verhindern und damit die Rückfallgefahr erhöhen würde. Mit der Feststellung, wonach "bei Unmöglichkeit der kontrollierten Heroinabgabe während des Strafvollzugs eine andere Suchtbehandlung Platz greifen müsse", unterstelle die Vorinstanz überdies, dass es eine solche Alternative gebe, ohne dies durch ein psychiatrisches Ergänzungsgutachten abgeklärt zu haben. Dies stelle ein unzulässige antizipierte Beweiswürdigung und damit eine Verletzung des Willkürverbotes und des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Beschwerdeführerin hält fest, im Ergebnis werde ihr eine Massnahme verweigert, welche sich
angesichts des chronischen Suchtverlaufs nachgerade aufdränge.

1.2 Die Vorinstanz hält im wesentlichen und zusammenfassend fest, dass die Aussichten auf einen erfolgreichen Verlauf der in Angriff genommenen Behandlung keinesfalls als so günstig erscheinen, dass es sich rechtfertigen würde, der Beschwerdeführerin nach fast zehn Jahren erfolgloser Therapieversuche und sechs aufgeschobener Freiheitsstrafen erneut einen Vollzugsaufschub zu gewähren. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Strafvollzug eine Chance bringe, während einer gewissen Zeit Distanz zum Drogenmilieu zu gewinnen und sich an eine geregelte Tagesstruktur zu gewöhnen. Damit dürfte der Strafvollzug die Aussichten einer nachfolgenden Therapie eher verbessern als verschlechtern. Bei dieser Sachlage sei die ambulante Suchtbehandlung vollzugsbegleitend und - soweit während des Strafvollzugs nicht praktikabel - im Anschluss an den Strafvollzug durchzuführen.

2.
2.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist die Strafe zugunsten der ambulanten Massnahme aufzuschieben, wenn eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreiche Behandlung durch den sofortigen Vollzug der ausgefällten Freiheitsstrafe erheblich beeinträchtigt würde. Die Therapie geht vor, falls eine sofortige Behandlung gute Resozialisierungschancen bietet, welche der Strafvollzug klarerweise verhindern oder vermindern würde. Dabei sind einerseits die Auswirkungen des Strafvollzugs, die Erfolgsaussichten der ambulanten Behandlung und die bisherigen Therapiebemühungen zu berücksichtigen, andererseits aber auch das kriminalpolitische Erfordernis, Straftaten schuldangemessen zu ahnden bzw. rechtskräftige Strafen grundsätzlich zu vollziehen.
Wo ein Therapieerfolg wahrscheinlich ist, sollte nach der Praxis des Bundesgerichts - tendenziell - zunächst ärztlich behandelt werden. Ein Aufschub rechtfertigt sich aber nur, wenn die ambulante Therapie (ausserhalb des Strafvollzugs) im konkreten Einzelfall aktuelle und günstige Bewährungsaussichten eröffnet, die durch den Strafvollzug zunichte gemacht oder erheblich vermindert würden. Unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgebotes muss der Behandlungsbedarf um so ausgeprägter sein, je länger die zugunsten der ambulanten Therapie aufzuschiebende Freiheitsstrafe ist. Die ambulante Massnahme darf im Übrigen nicht dazu missbraucht werden, den Vollzug der Strafe zu umgehen oder auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Ein Aufschub muss sich aus Gründen der Heilbehandlung hinreichend rechtfertigen (vgl. zum Ganzen BGE 129 IV 161 E. 4.1 - 4.4).

2.2 Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, wenn sie den Vollzug der Freiheitsstrafe nicht aufschiebt. Es kann keine Rede davon sein, dass die in der Form von Heroinabgabe angeordnete ambulante Massnahme eine günstige Bewährungsaussicht bietet, die durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe erheblich vermindert würde. Um die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten zu reduzieren, empfiehlt der Gutachter, die Beschwerdeführerin - die seit über 20 Jahren erheblich heroinabhängig ist - sei an die Stelle für kontrollierte Drogenabgabe (IKARUS) anzubinden. Hierdurch könne sichergestellt werden, dass sie ihren Beikonsum von Heroin erhalte und nicht auf dem Drogenmarkt einkaufen müsse, wodurch weitere Drogendelikte mit allergrösster Wahrscheinlichkeit verhindert werden könnten. Nach Auffassung des Gutachters kann diese Massnahme auch bei vorherigem Strafvollzug durchgeführt werden. Die kontrollierte Heroinabgabe mag ein drogenfreies Leben als Fernziel haben. In erster Linie geht es jedoch um die Verbesserung der Lebensbedingungen des Süchtigen. Vordringliches Thema der Betreuung ist eine intensive Mithilfe bei der Schaffung einer Tagesstruktur, etwa ein geregeltes Wohnen und eine sinnvolle Arbeitstätigkeit (Heer, Basler Kommentar,
Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, N. 10 zu Art. 63
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 63 - 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
1    Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn:
a  der Täter eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht; und
b  zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Taten begegnen.
2    Das Gericht kann den Vollzug einer zugleich ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe, einer durch Widerruf vollziehbar erklärten Freiheitsstrafe sowie einer durch Rückversetzung vollziehbar gewordenen Reststrafe zu Gunsten einer ambulanten Behandlung aufschieben, um der Art der Behandlung Rechnung zu tragen. Es kann für die Dauer der Behandlung Bewährungshilfe anordnen und Weisungen erteilen.
3    Die zuständige Behörde kann verfügen, dass der Täter vorübergehend stationär behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist. Die stationäre Behandlung darf insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
4    Die ambulante Behandlung darf in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um jeweils ein bis fünf Jahre verlängern.
StGB mit Hinweisen). Wie die Vorinstanz zu Recht festhält, sind diese Bedingungen namentlich auch während eines Strafvollzugs erfüllt. Ganz allgemein macht die Einnahme von abgegebenem Heroin während des Vollzugs wenig Sinn, da der Betroffene kaum der Versuchung ausgesetzt ist, im Hinblick auf seine Sucht deliktisch tätig zu sein. In solchen Fällen erscheint es sachgerecht, mit der Abgabe dieser Mittel erst kurz vor oder gar bei der Entlassung zu beginnen (a.a.O. N. 23 mit Hinweisen). Es spricht grundsätzlich auch nichts dagegen, die bereits laufende Heroinabgabe für die Dauer einer Strafverbüssung zu unterbrechen. Ob es aus organisatorischen oder anderen Gründen überhaupt möglich ist, Heroin im Strafvollzug abzugeben, ist deshalb nicht von Bedeutung. Auf die entsprechenden Ausführungen der Beschwerdeführerin ist nicht einzugehen.

3.
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
SR 173.110 Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG) - Bundesgerichtsgesetz
BGG Art. 66 Erhebung und Verteilung der Gerichtskosten - 1 Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
1    Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt. Wenn die Umstände es rechtfertigen, kann das Bundesgericht die Kosten anders verteilen oder darauf verzichten, Kosten zu erheben.
2    Wird ein Fall durch Abstandserklärung oder Vergleich erledigt, so kann auf die Erhebung von Gerichtskosten ganz oder teilweise verzichtet werden.
3    Unnötige Kosten hat zu bezahlen, wer sie verursacht.
4    Dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden sowie mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen dürfen in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt werden, wenn sie in ihrem amtlichen Wirkungskreis, ohne dass es sich um ihr Vermögensinteresse handelt, das Bundesgericht in Anspruch nehmen oder wenn gegen ihre Entscheide in solchen Angelegenheiten Beschwerde geführt worden ist.
5    Mehrere Personen haben die ihnen gemeinsam auferlegten Gerichtskosten, wenn nichts anderes bestimmt ist, zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung zu tragen.
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Januar 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Favre Koch
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 6B_869/2008
Date : 21. Januar 2009
Published : 08. Februar 2009
Source : Bundesgericht
Status : Unpubliziert
Subject area : Strafrecht (allgemein)
Subject : Aufschub der Freiheitsstrafe


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BGG: 66
StGB: 63
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129-IV-161
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